Kleiner Erfahrungsbericht: erste Messe komplett Orgel gespielt

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Peter16Fuß

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11. Mai 2015
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Hallo in die Runde,

gestern hatte ich endlich meine erste Messe, die ich komplett georgelt habe – Mitte Juni habe ich den Plan mit den 7 Liedern bekommen plus zwei kürzere Literaturstücke (Kommunion und Auszug). Drei Lieder habe ich selbst harmonisiert, der Rest war aus dem Orgelbuch. Es war ein „echter“ Vertretungsdienst, weil mein Orgellehrer nicht da war und ich seinen Dienst übernommen habe.

Erkenntnis Nr. 1: mein Orgellehrer hatte im Vorfeld Recht mit der Einschätzung, selbst wenn man die Stücke zu 100% drauf hat, kommen in der ersten Messe nur 70 %. D. h. ich bin bei keinem Lied rausgeflogen, hab aber doch das ein oder das andere mal „schön“ daneben getreten

Erkenntnis Nr. 2: die selbst harmonisierten Lieder liefen bei mir deutlich besser als die Sätze aus dem Orgelbuch. Ich frage mich allerdings: warum? Wie ist das bei euch?

Erkenntnis Nr. 3: die Gemeinde singt je nach Lied extrem unterschiedlich. Mal waren sie nur knapp hinter mir und sangen kräftig. Oder sie sangen leise und waren gefühlt mindestens einen halben Takt hinterher. Das liegt wohl am Bekanntheitsgrad der jeweiligen Lieder, vielleicht war ich auch etwas zu schnell. Aber eine Gemeine richtig führen, das kann ich noch nicht.

Erkenntnis Nr. 4: das bekannte Klischee, dass Katholiken sofort am Ende der Messe mit Unterhaltungen beginnen, hat sich krass bestätigt. Ich hatte noch keine drei Takte gespielt (F-Dur Kl. Präludium), da war eine immense Lautstärke in der Kirche, vermutlich hätte ich ab da atonal weiterspielen können, wäre wohl keinem aufgefallen.

Erkenntnis Nr. 5: die Küsterin hat sich noch nett von mir verabschiedet, so ganz schlimm kann es nicht gewesen sein ;-)

Viele Grüße!
Peter16Fuß
 
Glückwunsch zur 1. Messe. Warst du sehr aufgeregt oder war es erträglich? Ich weiß noch, dass ich vor meinem ersten GD total aufgeregt war, sodass es auch jeder mitgekommen hat. (Ziemlich peinlich so im nachhinein) Aber mit der Routine kommt die Ruhe:super:

Zu Erkenntnis 1: das man mal einen Ton nicht ganz korrekt spielt ist normal, das kann jedem mal passieren (und passiert auch jedem mehr oder weniger oft).

Zu 2: bei mir ist es eher umgekehrt, da ich mir bei selbstharmonisierten Liedern während des spielena mehr Gedanken darum mache, was ich da spiele.( Passt der Akkord tatsächlich so gut? Oh nein, da ist ein großer Sprung im Tenor...! Ach shit, Quintparallele! Und so weiter und so fort) Die Sätze im Buch spiele ich einfach, hat ja jemand anders aufgeschrieben also muss ich mich für dissonante Septakkorde nicht rechtfertigen;-)

Zu 3: das mit den Lautstärken und Tempi ist normal. Aber man kann sich seine Gemeinde auch "erziehen", dass sie irgendwann etwas flotter singen, dauert aber!

Zu 4: Am besten ist es immer, wenn die Gemeinde zum Sitzenbleiben angehalten wird.

Zu 5: ist doch schön! Hat der Pfarrer auch noch was dazu gesagt?:super:
 
Erkenntnis Nr. 1: mein Orgellehrer hatte im Vorfeld Recht mit der Einschätzung, selbst wenn man die Stücke zu 100% drauf hat, kommen in der ersten Messe nur 70 %.

Wäre ich böse, würde ich sagen: hat man es zu 100% drauf, dann gibt es nur wenig Grund zum Stolpern. Hat man es zu 90% drauf, kommen nur mit viel Glück besagte 90% raus, oder auch nur die genannten 70%.
Das soll Deine Leistung nicht schmälern, ist nur eine Anregung zum Weiterdenken und Üben:-)

D. h. ich bin bei keinem Lied rausgeflogen

Das ist aber doch was :-)
Aber eine Gemeine richtig führen, das kann ich noch nicht.

Das lernst Du noch. Vor allem durchs Tun.

Weiter so!:-)
 
Erkenntnis Nr. 2: die selbst harmonisierten Lieder liefen bei mir deutlich besser als die Sätze aus dem Orgelbuch. Ich frage mich allerdings: warum? Wie ist das bei euch?
Zunächst Gratulation dafür, dass der Sprung ins kalte Wasser offensichtlich durchaus gelungen ist. Dass einem mehr Spielpraxis mehr Sicherheit gäbe, ist eine Binsenweisheit - deshalb ruhig in Freude auf die nächste Gelegenheit hinarbeiten, dann stellt sich ein Wiedererkennungs- und Gewöhnungseffekt ganz von selbst ein. Es wundert nicht, dass selbst ausgearbeitete Harmonisierungen nachhaltiger verinnerlicht werden als vorgegebene. Weiterführende Anregung: Stets Alternativlösungen in wechselnder Harmonisierung und satztechnischer Anlage entwerfen und realisieren. Ich selbst lasse das Orgelbuch in der Regel unangetastet im Regalfach neben dem Spieltisch stehen, habe mir allerdings mit absolviertem Kompositions- und Theoriestudium entsprechende Fertigkeiten in jeder gewünschten Stilistik angeeignet, kann also nur für meine Wenigkeit sprechen. Bewährt hat sich das schrittweise Aneignen entsprechender Fertigkeiten, indem der Anteil schriftlicher Vorgaben beim Ausarbeiten eigener Harmonisierungen zunehmend durch Ad-Hoc-Elemente ersetzt wird. Zunächst Melodie plus Bass plus Akkordangabe, dann Melodie plus Akkordangabe, bis auch letztere wegfallen kann.

Erkenntnis Nr. 3: die Gemeinde singt je nach Lied extrem unterschiedlich. Mal waren sie nur knapp hinter mir und sangen kräftig. Oder sie sangen leise und waren gefühlt mindestens einen halben Takt hinterher.
Das liegt ganz sicherlich daran, wie vertraut die Gemeinde mit dem jeweiligen Lied ist. Zwei Maßnahmen erleichtern die Interaktion mit dem Gemeindegesang. Zum einen sollte die Liedmelodie nach Bedarf auf dem Manual mit den kräftiger registrierten Stimmen ausgeführt werden; mit "prinzipaligen" Registern singt es sich leichter. Zum anderen kann bei weniger vertrauten Liedern das Vorspiel etwas länger ausfallen, wenn man dieses dazu nutzt, die Liedmelodie einmal vorab weitgehend oder komplett gut vernehmbar vorzustellen. In den evangelischen Kirchengemeinden kann das "Monatslied" für die Gemeinde auch schon mal komplett neu und den Gottesdienstbesuchern völlig unbekannt sein. Da kann es in Abstimmung mit der Pfarrerin durchaus passieren, dass das Kennenlernen eines neuen Liedes in den Gottesdienstablauf integriert wird - alles schon erlebt.

Das liegt wohl am Bekanntheitsgrad der jeweiligen Lieder, vielleicht war ich auch etwas zu schnell. Aber eine Gemeine richtig führen, das kann ich noch nicht.
Übungssache, einerseits den Liedverlauf klar vorzugeben, andererseits die Besucher nicht überhastet ohne Punkt und Komma durch die Strophen und Refrains zu peitschen. Tipp: Wenn nicht selbst an der Orgel als Kantor mitsingen, dann zumindest stets im Geiste mitatmen und dabei dem Text folgen, als ob man selbst ein mitsingender Gottesdienstbesucher wäre.

Erkenntnis Nr. 4: das bekannte Klischee, dass Katholiken sofort am Ende der Messe mit Unterhaltungen beginnen, hat sich krass bestätigt.
Im evangelischen Gottesdienst ist das Nachspiel in der Regel als vollwertiger Bestandteil in die Feier integriert und die Besucher bleiben auf ihren Plätzen sitzen - das ist in der Tat ein großer Unterschied, mit dem man in der Praxis eben konfrontiert wird. So ist auch die an anderer Stelle von @Axel formulierte Aussage zu verstehen, dass in evangelischen Gottesdiensten mitunter ein etwas ausgefeilteres Literaturspiel erwartet werde als in katholischen.

LG von Rheinkultur
 
gestern hatte ich endlich meine erste Messe, die ich komplett georgelt habe
Bravo, mit dem "kalten Sprung ins Wasser" hab ich auch angefangen :-D

Erkenntnis Nr. 2: die selbst harmonisierten Lieder liefen bei mir deutlich besser als die Sätze aus dem Orgelbuch. Ich frage mich allerdings: warum? Wie ist das bei euch?
Da ich dieses Problem nicht kenne, kann ich nur vermuten, dass du dich beim Selber-Harmonisieren mehr mit dem Lied beschäftigst. Wenn du aber aus dem Orgelbuch spielst, muss du ja "nur" die Noten spielen, sprich du beschäftigst dich eher mit dem Notentext, als mit dem Lied selber :-).

[EDIT: Sehe grade, dass @Rheinkultur schon darauf geantwortet hatte.]

Erkenntnis Nr. 4: das bekannte Klischee, dass Katholiken sofort am Ende der Messe mit Unterhaltungen beginnen, hat sich krass bestätigt. Ich hatte noch keine drei Takte gespielt (F-Dur Kl. Präludium), da war eine immense Lautstärke in der Kirche, vermutlich hätte ich ab da atonal weiterspielen können, wäre wohl keinem aufgefallen.
Deshalb improvisieren die meisten katholischen Organisten auch :-D
 
Deshalb improvisieren die meisten katholischen Organisten auch :-D
Für katholische Gottesdienste halte ich trotzdem immer Literatur verfügbar, die allerdings dann allzu komplexe polyphone Verwicklungen außen vor lässt und die man gut auf die Situation im Kirchenraum abstimmen kann (zeitlich strecken oder auch kürzen). Da eignet sich nachklassisches Repertoire erfahrungsgemäß eher als vorklassisches... .

LG von Rheinkultur
 
Für katholische Gottesdienste halte ich trotzdem immer Literatur verfügbar, die allerdings dann allzu komplexe polyphone Verwicklungen außen vor lässt und die man gut auf die Situation im Kirchenraum abstimmen kann (zeitlich strecken oder auch kürzen). Da eignet sich nachklassisches Repertoire erfahrungsgemäß eher als vorklassisches... .
Sprich also bombastische Romantik-Sachen mit simplen, aber effektvollen Harmonien? :-D (So mach ich es meist :-D)
 
Sprich also bombastische Romantik-Sachen mit simplen, aber effektvollen Harmonien? :-D (So mach ich es meist :-D)
Kann man so sagen - da haben französische und englische Spätromantiker einiges im Angebot, das dem zum Auszug aus der Kirche ansteigenden Geräuschpegel ein wenig Paroli bietet, ohne den Leuten einfach nur die Ohren vollzudröhnen. Wer in diesem stilistischen Umfeld gerne improvisiert, kann natürlich auch das tun.

LG von Rheinkultur
 
@Peter16Fuß wie kommt es eigentlich, dass die Lieder mitte Juni schon feststanden? Ist das bei euch so geregelt oder ear das speziell für dich so gemacht?
 

@Peter16Fuß Glückwunsch ! Ich darf am kommenden Sonntag meinen ersten Gottesdienst spielen, Urlaubsvertretung. Und ich habe auch vor, 2 Lieder selber zu harmonisieren und den Rest aus dem Orgelbuch zu spielen. Ich hoffe, ich schaffe es so gut wie Du.
@Digedag und Rheinkultur: könnt Ihr zu den Spätromantikern etwas Genaueres sagen? Welches Notenmaterial ist empfehlenswert? Danke
Liebe Grüße
 
Bei den Katholen werden die Liedpläne in aller Regel vom Organisten selbst geschrieben.
Genau genommen handelt es sich bei dem "Organisten" um den für die Pfarrei zuständigen hauptamtlichen Kirchenmusiker. Wenn sich dieser an der Orgel vertreten lässt, übernimmt man als Vertreter diese Vorgaben. Wozu sollten sonst die Dienstgespräche da sein, an denen sowohl Pfarrer als auch hauptamtlicher Kirchenmusiker teilnehmen?

LG von Rheinkultur
 
@Digedag und Rheinkultur: könnt Ihr zu den Spätromantikern etwas Genaueres sagen? Welches Notenmaterial ist empfehlenswert?
Diese meist in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts entstandenen Gebrauchsmusiken sind gemeinfrei über imslp.org zu haben - und zwar regalmeterweise in unterschiedlichen Schwierigkeitsgraden von manualiter bis symphonisch aufgeputzt.

LG von Rheinkultur
 
Vielen Dank für die vielen konstruktiven Tipps!

Ich versuche mal, die angesprochenen Dinge zu beantworten.

In der Tat macht bei uns der zuständige hauptberufliche Kirchenmusiker die Liedpläne. Da ja auch die Schriftlesungen für den Sonntag lange vorher feststehen, ist es eigentlich kein Problem. In der Praxis entstehen die Liedpläne wohl erst in der Woche vor dem Sonntag, aber bei mir hat mein Orgellehrer eine Ausnahme gemacht. In der Sakristei wollte der Pfarrer noch eine Änderung, aber er hat sofort akzeptiert, dass ich so flexibel (noch) nicht bin. Nach der Messe war er schnell weg, deswegen gab es kein Feedback von ihm, aber da er nicht wusste, dass es mein erster Orgeldienst war, ist das absolut okay.

Aufregung: Ja, ich hatte ziemliche Schwitze-Finger und nervös war ich ebenfalls. Auf der anderen Seite habe ich ja nun lange genug an den Liedern herumgeübt und wollte das Programm jetzt auch „raushauen“.

Selber harmonisieren: Eigentlich habe ich diese Lieder weniger geübt als die Orgelbuchsätze, ich habe mir die Akkorde zur Erleichterung darüber geschrieben und es war von der Harmonisierung her auch eher einfach gehalten, nur ein paar Sextakkorde etc.; Gegenbewegung Sopran Bass etc. Satztechnisch waren meine Harmonisierungen einfacher als die im Orgelbuch, ich habe sie ja für meine Finger und Füße ersonnen, deswegen sind die mir wohl leichter gefallen.

Auszug: Im Moment muss ich da noch Literatur spielen, denn Improvisieren fällt mir noch schwer, die Improvisation zum Einzug war faktisch auswendig gelernt, im Unterricht hat mir mein Orgellehrer ein paar Vorschläge gemacht und die habe ich dann leicht verändert gespielt.

Im Moment gibt es schon Anfragen für weitere Dienste, das ist die Chance, besser zu werden ;-)

Viele Grüße!
Peter 16Fuß
 
Für katholische Gottesdienste halte ich trotzdem immer Literatur verfügbar, die allerdings dann allzu komplexe polyphone Verwicklungen außen vor lässt und die man gut auf die Situation im Kirchenraum abstimmen kann (zeitlich strecken oder auch kürzen). Da eignet sich nachklassisches Repertoire erfahrungsgemäß eher als vorklassisches... .

LG von Rheinkultur

... ein feste Burg ist unser Gott... kommt immer gut an.

evangelische Grüße
 
... ein feste Burg ist unser Gott... kommt immer gut an.

evangelische Grüße
Interessanter Vorschlag! Nach meinem Eindruck ist der Choral bei den Katholiken kaum bekannt, ich kannte zuerst die geniale Kantate von Bach, ehe ich realisiert habe, dass das ein berühmter evangelischer Choral ist, ich bitte meine Ignoranz nachträglich zu entschuldigen. Im Gotteslob steht er übrigens nicht.
Ökumenische Grüße!
 
Wahrscheinlich ähnlich gut wie „Meerstern, ich dich grüße“ bei den Evangelen ...
"Ohoho, Marihijaha hilf,
Sitzt mit dem A**** im Schilf..."
(zu singen zur Schnapsrunde beim Männergesangverein)

ich kannte zuerst die geniale Kantate von Bach, ehe ich realisiert habe, dass das ein berühmter evangelischer Choral ist, ich bitte meine Ignoranz nachträglich zu entschuldigen.
Selbstverständlich ist Bach in der katholischen Kirche nicht tabu. Solltest Du mal doch eine Vertretung im evangelischen Gottesdienst übernehmen, macht sich die eine oder andere Choralbearbeitung von "Ein feste Burg ist unser Gott" im Repertoire nicht schlecht, beispielsweise von Pachelbel, Walther oder Buxtehude, auch bei den Romantikern und später wird man fündig. Es kann Dir auch passieren, mal Anfragen für Trauergottesdienste zu erhalten, bei denen sich die evangelische Pfarrerin den Choral wünscht. Wenn man diesem Wunsch entsprechen kann, ist das natürlich schön.

LG von Rheinkultur
 

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