Klaviersonaten und Sinfonien der Romantik

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Wenn man sich die Klaviersonaten der Romantik ansieht, fällt ja auf, dass es für die Komponisten offenbar sehr schwierig war, die Gattung nach Beethoven überzeugend weiterzuführen. Z.B, gilt Schumanns Sonate op. 11 als nicht unbedingt formvollendet, Chopins Klaviersonaten stehen weniger im Fokus der Aufmerksamkeit als seine „Kleinformen“, das Gleiche gilt auch für Brahms, der sich nach seiner Jugendzeit gar nicht mehr mit der Komposition von Klaviersonaten beschäftigt hat, aber intensiv mit Sinfonien.

Sinfonien der Romantik sind seit Langem bei Publikum und Kritikern sehr beliebt, z.B. jene von Mendelssohn, Schumann, Bruckner, Brahms, Tschaikowsky oder Dvorak.

Was meint ihr, woran es liegt, dass diese beiden Gattungen, die sich in formaler Hinsicht sehr ähnlich sind, so unterschiedlich betrachtet werden?
 
Chopins Klaviersonaten stehen weniger im Fokus der Aufmerksamkeit
.. ist das so? Ich höre in Konzerten die Sonaten recht häufig und wurde sogar von einem Veranstalter bei einem Chopin Abend explizit aufgefordert die Sonate in b-Moll (und die erste Ballade) NICHT zu spielen, da sie bereits zu oft programmiert worden seien. Auch auf CDs scheinen mir die Sonaten der Romantiker eher sehr gut repräsentiert zu sein!
 
Die Brahms Sonaten Op. 1, 2 und 5 gelten gemeinhin als Meisterwerke.

Inwiefern gilt Schumanns fis-Moll Sonate denn nicht als formvollendet? Ich finde die genial.

Ich denke, dass Brahms zwar formal unglaublich gut gearbeitet hat, aber eigentlich gerne freiere Formen gewählt hat. Die 4. Symphonie (d-Moll) von Schumann hat dieser ja eigentlich als 2. Symphonie geschrieben. Damals ist die aber nicht so gut angekommen, woraufhin Schumann sie überarbeitet hat und in eine striktere Form "gepresst" hat. Brahms fand das im Nachhinein schade und mochte die erste Version lieber.

Außerdem war vor allem die Symphonie in einer Krise. Brahms hat über 10 Jahre an der ersten gearbeitet, weil der Anspruch nach Beethoven so groß war. Und bei der Liszt Riege hatten sich ja eh die sinfonischen Dichtungen breit gemacht.
 
Wenn man sich die Klaviersonaten der Romantik ansieht, fällt ja auf, dass es für die Komponisten offenbar sehr schwierig war, die Gattung nach Beethoven überzeugend weiterzuführen.
...vermutlich deswegen waren die Sonaten Nr.2 und 3 von Chopin (darüber hat Debussy geschrieben (Chopins verkürzte Reprise)) und um die Mitte des 19. Jhs. die Sonate von Liszt (z.B. für Balakirev, Berg, Skrjabin) wegweisend...
...und Brahms kannte als Sonatenform vermutlich nur Klaviersonate und Sinfonie, weshalb er keine Klavier-, Violinkonzerte, Cellosonaten und Trios/Quartette/Quintette komponierte
......muss man jetzt alles aufzählen, was sich nach Beethoven mit der Sonatenform auseinandersetzte?
 
Natürlich werden sich immer Gegenbeispiele finden lassen. Aber es ist doch erkennbar, dass in der Orchestermusik der Romantik Sinfonien eine ähnlich wichtige Rolle wie in der Klassik spielen, während in der Klaviermusik Sonaten weniger im Fokus stehen als Charakterstücke und Zyklen aus Charakterstücken.
 
Haydn hatte noch 104 Symphonien geschrieben. Schumann nur 4. Quantitativ ging da ganz viel zurück ;)

Edit: wenn man Bock hat, kann man ja die späten Klavierstücke von Brahms auch als Sonaten auffassen. Ouvertüre, Scherzo und Finale hat ja auch irgendwie was von einer kleinen Symphonie. Und wenn man sich mal Tschaikowskys dritte anschaut, kann man sich eh fragen, was der da unter einer Symphonie verstand :D
Ist halt alles irgendwie ein bisschen freier geworden.
 
Haydn hatte noch 104 Symphonien geschrieben. Schumann nur 4. Quantitativ ging da ganz viel zurück ;)

Edit: wenn man Bock hat, kann man ja die späten Klavierstücke von Brahms auch als Sonaten auffassen. Ouvertüre, Scherzo und Finale hat ja auch irgendwie was von einer kleinen Symphonie. Und wenn man sich mal Tschaikowskys dritte anschaut, kann man sich eh fragen, was der da unter einer Symphonie verstand :D
Ist halt alles irgendwie ein bisschen freier geworden.

Quantitativ ist doch allgemein tendenziell weniger komponiert worden. Telemann oder Bach haben wesentlich mehr (auch pro Lebensjahr) komponiert als Beethoven, der pro Lebensjahr aber deutlich mehr komponiert hat als Chopin.

Der quantitative Anteil an Klaviersonaten ging meist im Gesamtklavierwerk allerdings stärker zurück als der Anteil an Symphonien im gesamten Werk für große Orchester.
Die Qualität von den Sonaten der Romantik ist dennoch sehr hoch, egal ob Schumann, Chopin, Liszt oder Brahms. Vielleicht hat die niedrige quantitative Zahl aber sogar mit Beethoven zu tun. Man hat sich eventuell nicht getraut, eine kleine Sonate zu schreiben, sondern dachte, man muss ich an Beethoven Op. 53, 57, 106, 111 und Konsorten orientieren und nicht an Op. 2 Nr. 1, Op 79 oder so. Brahms hat ja auch wegen Respekt vor Beethoven so spät mit SInfonien angefangen.
 
Wenn man sich die Klaviersonaten der Romantik ansieht, fällt ja auf, dass es für die Komponisten offenbar sehr schwierig war, die Gattung nach Beethoven überzeugend weiterzuführen. Z.B, gilt Schumanns Sonate op. 11 als nicht unbedingt formvollendet, Chopins Klaviersonaten stehen weniger im Fokus der Aufmerksamkeit als seine „Kleinformen“,

Ich könnte mir vorstellen, dass das einfach mit dem traditionellen Wunsch nach Kanonbildung zu tun hat, den es schon seit der Antike gibt (man kanonisiert drei kanonische Tragiker und Komiker, also sozusagen Opern- und Operettenkomponisten, obwohl es hunderte anderer gab) und der auch in dem aus der Antike übernommenen Begriff der "Klassiker" zum Ausdruck kommt (das sind eigentlich die, die zur ersten Zensus-Klasse gehören). Wenn da jemand wie Hans von Bülow die Formel prägt, das Wohltemperierte Klavier und Beethovens Sonaten seien das "Alte und Neue Testament des Klavierspiels", und wenn die dann, wie geschehen, breit rezipiert wird, rückt das vieles andere automatisch an die Peripherie.
 
Zuletzt bearbeitet:
Die Brahms Sonaten Op. 1, 2 und 5 gelten gemeinhin als Meisterwerke.
Bei op. 2 bin ich nicht so sicher, ob die schon als Meisterwerk gilt. Op. 1 ist schon etwas "meisterlicher", allerdings enthält sie noch mindestens so viel Beethoven wie originären Brahms. Beide Sonaten spielen im Konzertbetrieb kaum eine Rolle.

Ich denke, dass Brahms zwar formal unglaublich gut gearbeitet hat, aber eigentlich gerne freiere Formen gewählt hat.
Hat er nicht. Zum einen sind selbst die freien Formen (Capricci, Intermezzi, Rhapsodien) bei Brahms formal streng gearbeitet und in dieser Hinsicht nie ausufernd, zum anderen überwiegen in seinem Instrumentalschaffen die strengen Formen. Neben den Sinfonien gibt es nämlich noch 4 Konzerte und jede Menge Kammermusik - alles in der klassisch-romantischen Großform der Sonate.
 
Bei op. 2 bin ich nicht so sicher, ob die schon als Meisterwerk gilt. Op. 1 ist schon etwas "meisterlicher", allerdings enthält sie noch mindestens so viel Beethoven wie originären Brahms. Beide Sonaten spielen im Konzertbetrieb kaum eine Rolle.


Hat er nicht. Zum einen sind selbst die freien Formen (Capricci, Intermezzi, Rhapsodien) bei Brahms formal streng gearbeitet und in dieser Hinsicht nie ausufernd, zum anderen überwiegen in seinem Instrumentalschaffen die strengen Formen. Neben den Sinfonien gibt es nämlich noch 4 Konzerte und jede Menge Kammermusik - alles in der klassisch-romantischen Großform der Sonate.
Ich wüsste nicht, dass Rhapsodien, Intermezzi oder sonst was streng vorgegebene Formen hätten. Er hat dann formal streng komponiert, aber ohne den Übertitel "Sonate".

Hier ging es um Klaviermusik und Klaviersonaten. Außerdem: wo ist das 2. Konzert bitte nicht ausufernd?
 
Es gibt schlicht in der Klaviermusik und in der Gestaltung von Klavierabenden einen grundsätzlichen Unterschied im Gebrauch bestimmter Formen. Wenn ich schon für ein großes Symphonie-Orchester schreibe, dann wird es nicht mit 5 Minuten abgehen, für Klavier allein ist das ganz anders. In der Romantik setzt sich das Klavierstück mittlerer oder kürzerer Dauer durch. Für Dirigenten und Orchester übrigens nicht immer einfach: was stelle ich vor ein romantisches Klavierkonzert (30+ Minuten). Irgendwann sind die Ouvertüren durch. Ljadow ist auch schon gespielt. Es gäbe schon einen Bedarf am 5- bis 10-minütigen Stücken für Orchester.
 

Außerdem: wo ist das 2. Konzert bitte nicht ausufernd?
Es ist wegen der engen Verquickung des Klavierparts mit dem Orchesterapparat und aufgrund der Viersätzigkeit mehr eine Sinfonie mit obligatem Klavier als ein typisches Klavierkonzert. Aber als Sinfonie ist es in formaler Hinsicht sehr konservativ komponiert und sprengt an keiner Stelle den üblichen Rahmen.
 
Natürlich werden sich immer Gegenbeispiele finden lassen. Aber es ist doch erkennbar, dass in der Orchestermusik der Romantik Sinfonien eine ähnlich wichtige Rolle wie in der Klassik spielen, während in der Klaviermusik Sonaten weniger im Fokus stehen als Charakterstücke und Zyklen aus Charakterstücken.
Nein, das ist bzgl der Gattung Klaviersonate nirgendwo erkennbar.
@Demian schau doch nach, welche Komponisten, die auch für ihre Klavierwerke berühmt sind, nach Beethoven Klaviersonaten komponiert haben und welche nicht. Du kannst diese dann auch abzählen und die Summen vergleichen - du wirst ermitteln, dass die "sonatenlosen" Klavierkomponisten die Minorität sind*).

Davon abgesehen bleibt unverständlich, warum du aus der Vielzahl der Gattungen, denen die Sonatenform eigen ist, nur Sinfonie und Klaviersonate herauspickst - als gäbe es keine Konzerte (Klavier, Violine, Cello und und und), keine Kammerensembles (Duos, Trios, Quartette, Quintette etc mit und ohne Klavier) keine Duosonaten (Violine & Klavier, Cello & Klavier u.v.a.!) keine Solosonaten für Streichinstrumente. Wie man nicht sehen kann, dass nach Beethoven die produktive Auseinandersetzung mit der Sonatenform ungebrochen weiterging (ja geradezu guter Ton war**)) bleibt mir absolut schleierhaft.

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*) die Mühe, das aufzulisten, mache ich mir nicht
**) welcher Komponist nach Beethoven hat gar keine Sonatenform verwendet? ...nicht mal Verdi, der hat ein Streichquartett e-Moll - da wirst du nicht viele finden
 
welcher Komponist nach Beethoven hat gar keine Sonatenform verwendet? ...nicht mal Verdi, der hat ein Streichquartett e-Moll - da wirst du nicht viele finden

Mir fällt eigentlich sogar gar keiner ein, gerade aus der Romantik. Hat Messiaen etwas Sonartenartiges komponiert? In der Neuen Musik findet sich aber bestimmt jemand (wenn auch nicht viele).
Bei Liszt oder auch bei Debussy spielt die Sonatenform allerdings sicher eine geringere Rolle als z.B. bei Brahms oder Dvorak. Wobei zwei der besten Klavierwerke von Liszt und der Romantik überhaupt dann doch wieder sonatenartig angelegt sind.
Die Beethovensche Sonate ist halt omnipräsent und war wohl ununterbrochen Teil der Ausbildung eines jeden Musikers wie die Bachsche Fuge (wobei letztere ein gutes halbes Jahrhundert etwas mehr im Hintergrund präsent war, aber keinesfalls vergessen).
 
@rolf
Dass es nach Beethoven eine Krise der Klaviersonate gegeben hat, ist doch allgemeiner musikwissenschaftlicher Konsens. Mich erstaunt, dass du von einer ungebrochenen Produktion von Sonaten sprichst.

Als Beispiele für Erörterungen dieses Themas hänge ich entsprechende Textstellen aus dem Handbuch der musikalischen Gattungen (Bd. 7,2: S. 179-180) und aus Ingo Hardens „Epochen der Musikgeschichte“ (S. 242-243).

Hier wird auch erläutert, warum sich das Solokonzert im Gegensatz zur Klaviersonate in der Romantik weiterhin großer Beliebtheit erfreute.
 
Was sagt die Musiksoziologie zu dieser Thematik? Hat sich vielleicht Adorno darüber ausführlich ausgelassen?
Ich denke, dass liegt daran, dass die kleineren Formen in der Klaviermusik ungemein beliebt wurden. Man denke nur an die Popularität der lyrischen Stücke von Grieg. Dazu im Vergleich seine e-moll Sonate, die um nichts schlechter ist als die erstgenannten Stücke ist. Die kleinere Form hat sich im sinfonischen Bereich einfach nicht durgesetzt.
Noch heute besteht das Standardprogramm eines Sinfoniekonzertes aus zwei bis vier Werken. Bei Klavierabenden fällt das wesentlich (meistens) heterogener aus. Klavierabende, die nur aus Klaviersonaten bestehen, gibt es natürlich auch, aber in der Minderzahl. Die Komponisten sind dieser Entwicklung oder vulgo dem Zeitgeist gefolgt. Ausnahmen gibt es natürlich überall, wie z. B. die Musik von Johann Strauß - im Grunde Salonmusik für Orchester (Neujahrskonzerte). Interessant ist, dass es sich bei Ensemblemusikkonzerten wie z.B. Streichquartetten oder Klaviertrios wiederum so verhält, wie bei Sinfoniekonzerten.
Soloklaviermusik ist eben etwas ganz Besonderes.
 
Zuletzt bearbeitet:
Krise der Klaviersonate gegeben hat, ist doch allgemeiner musikwissenschaftlicher Konsens. Mich erstaunt, dass du von einer ungebrochenen Produktion von Sonaten sprichst.
@Demian Diese "Krise" betrifft formale Fragen: Liszt und seine "Nachfolger" setzten auf Thementransformation in einsätzigen Großformen, Brahms, Tschaikowski, McDowell bis zu Prokovev, Schostakowitsch u.a. setzten auf ein modifiziertes mehrsätziges Modell. Das bedeutet freilich nicht, dass die "Sonatenproduktion" drastisch runtergegangen wäre!
...bitte mach doch spaßeshalber die vorgeschlagene Rechnung.
 
Ist halt auch immer die Frage, ob man die Chopin Preludes einzeln oder als zusammengehöriges Werk sehen möchte. Zusammen dauern die auch echt lange.
Nur kommt es bei einer Beethoven Sonate irgendwie nicht so geil zu sagen "ich spiel jetzt nur den dritten Satz" :016:
 

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