Kaikhosru Sorabji: Opus clavicembalisticum oder pianistischer Grössenwahn...

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Es war eine zeit lang das längste zusammenhängende Klavierwerk der Welt, das "Opus Clavicembalisticum" von Sorabji

http://en.m.wikipedia.org/wiki/Opus_clavicembalisticum

Die Aufführungsdauer liegt bei 4-5 stunden, John Ogdon hat tatsächlich mal einen Abend nur damit gefüllt. Um Mitternacht war er dann offenbar fertig, mit den Zugaben dann irgendwann gegen 1 uhr morgens... Hörproben gibt es hier:



 
Fundstück im Netz mit dem Komponisten selbst am Flügel:



Vermutlich gibt es zwei Gründe, die der Verbreitung seines Lebenswerks zu Lebzeiten natürliche Grenzen gesetzt haben: Zum einen hat er seine Laufbahn im Zeitalter der Schellackplatte begründet: Groß dimensionierte Werke mussten auf die etwa dreieinhalbminütige Spieldauer einer Plattenseite abgestimmt werden. Zum anderen hat er die Existenzform als eine Art Eremit gewahrt und unzulängliche Aufführungen seiner Werke durch fremde Interpreten jahrzehntelang untersagt. Erst in den letzten Lebensjahren des Komponisten änderte sich diese Situation allmählich und dieses viereinhalbstündige Monster-Opus (nach dem Vorbild eines Werks von Busoni) gelangte ins Repertoire der renommierten Interpreten Geoffrey Douglas Madge und John Ogdon. Auch heute ist das Werk am ehesten Koryphäen wie Marc-André Hamelin vorbehalten, die sich von extrem dichten Satzbildern und technischen Höchstschwierigkeiten nicht abschrecken lassen - Sorabji hat im zwanzigsten Jahrhundert einen Status gewählt, den im neunzehnten Jahrhundert ein Charles-Valentin Alkan hatte.

Vielleicht könnte man diesen Faden zur Dokumentation von prominenten "Außenseitern" in der Geschichte der Klaviermusik ausbauen? Andere Komponisten wie Leo Ornstein oder Giacinto Scelsi wären dann zu nennen, wenn auch aus gänzlich unterschiedlichen Gründen.

LG von Rheinkultur
 
Hier noch ein zweiteiliges Radio-Feature aus den 70ern... ich hatte das vor Jahren tatsächlich einmal ganz angehört...
https://archive.org/details/AM_1973_11_08

Ein Teil der Korrespondenz, Manuskripte und Drucke liegt übrigens in Basel:
http://www.paul-sacher-stiftung.ch/en/collections/p_t/kaikhosru_shapurji_sorabji.html

Ich hatte mir dort mal einige der Etüden kopiert; noch wurde nicht jede der 100 aufgeführt (Fredrik Ullén arbeitet an einer Gesamteinspielung), z.B. auch nicht diese hier...

FullSizeRender (1).jpg
...es gäbe also noch mehrere Möglichkeiten einer musikalischen "Erstbegehung"... Ob allerdings der musikalische Gehalt den Aufwand rechtfertigt? :schweigen:

http://www.sorabji-archive.co.uk/etudes/etudes-summary.php
 
P.S. Sorabji war ja auch ein scharfzüngiger Musikkritiker...

Dieses Zitat von Sorabji zu Busonis Carmen-Fantasie habe ich einmal in ein Programmheft übernommen, als kleine Provokation aller Bizet-Liebhaber.... :-D

"The vulgar commonplace Bizet tunes lose all their own identity, although not rhythmically distorted, and are for the time being 'controlled' by Busoni in a way that recalls the control of a psychic sensitive by some powerful discarnate entity.... It was amusing to feel the audience at the Wigmore a little horrified and frightened by something the likes of which they had certainly never known before."

(Sorabji anlässlich der Erstaufführung der Carmen-Fantasie durch Busoni, Wigmore Hall, 22. Juni 1920)
 
Ein weiterer Sorabji-Interpret und gleichzeitig ein Komponist, welcher gut zu Rheinkulturs Aufruf
Vielleicht könnte man diesen Faden zur Dokumentation von prominenten "Außenseitern" in der Geschichte der Klaviermusik ausbauen?
passen könnte, ist erst vor wenigen Tagen verstorben:

http://de.wikipedia.org/wiki/Ronald_Stevenson
http://www.sorabji-archive.co.uk/performers/stevenson.php

Stevensons bekanntestes Werk, die Passacaglia über DSCH, gemahnt, wenn nicht in der Tonsprache, so doch im Hang zum Hypertrophen (141 Seiten) an Sorabji:
http://en.wikipedia.org/wiki/Passacaglia_on_DSCH

Einen expliziten Bezug zurück auf Thalberg gibt es durch das dreibändige Werk L'art nouveau du chant appliqué au piano.

Wer ein gutes Gedächtnis hat, erinnert sich vielleicht (Pianistenraten) auch an ein weiteres wichtiges Detail, nämlich dass Stevenson Besitzer von Busonis Klavierbank war.
 
Ob allerdings der musikalische Gehalt den Aufwand rechtfertigt? :schweigen:
Das ist tatsächlich sehr die Frage. Wenn man als Klaviersolist ein klavierabendfüllendes Projekt mit einem Werk aus den letzten Jahrzehnten realisieren will, wäre man mit Messiaens "Vingt Regards" wesentlich besser beraten: Eine äußerst lebendige, abwechslungsreiche und faszinierende Musik mit vielen Facetten, aber dennoch einem "roten Faden", bei dem Aufwand bei der Einstudierung und musikalischer Gehalt in einem angemessenen Verhältnis stehen.



Ähnlich wie gewisse Godowsky-Transkriptionen virtuose Vorlagen mit noch mehr Höchstschwierigkeiten befrachten wollen, geschieht selbiger Vorgang bei Sorabji des öfteren, unter anderem mit Bachs Chromatischer Fantasie und Fuge. Oftmals verweist schon der Werktitel auf historische Vorbilder, in diesem Falle Franz Liszt:



Als ob originale Literatur von Ravel den Virtuosen völlig unterfordere und diese Dürftigkeit unbedingt kompensiert werden müsse:



LG von Rheinkultur
 
mich würde mal interessieren, was dich, @Pianojayjay, an dieser Musik speziell interessiert / reizt. Offenbar gibt es da was, wenn du es uns hier vorstellst.
 
Ich bin auf jeden Fall froh, dass @Joh und @Pianojayjay das Werk in ihrem nächsten Leben aufführen werden. So bleibt die Aufgabe wenigstens nicht an mir hängen! :-D:-D:-D

LG, Mick
 

mich würde mal interessieren, was dich, @Pianojayjay, an dieser Musik speziell interessiert / reizt. Offenbar gibt es da was, wenn du es uns hier vorstellst.

Ja, es sind diese unglaublichen Dimensionen, in denen hier komponiert wird, vier Stunden lang immer wieder neues Matierial verarbeiten... Sehr hörenswert ist übrigens auch seine 1. Sonate mit Hamelin, dauert auch nur knapp 20 Minuten....
 
Würde eher sagen: interessant ;)
 
Kit Armstrong im Deutschlandfunk eben ueber Sorabji:

"Es ist oefters etwas unpraktisch gesetzt...".

Ja, so sieht das auch aus! :D
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr hörenswert ist übrigens auch seine 1. Sonate mit Hamelin, dauert auch nur knapp 20 Minuten....
...bevor ich mir 20min Sorabij antue, befasse ich mich lieber mit 20min Messiaen!

Die mosntrösen Ausmaße sind für sich genommen noch lange kein Garant für musikalische Qualität - es gab dergleichen öfters in der Musikgeschichte, z.B. Alkans monströse Klavierpartituren sind auch "mehr Masse als Klasse".

Tant Wiki und andere Info-"Quellen" behaupten, dass die spieltechnischen Schwierigkeiten der Sorabij-Sachen exorbinant seien - dazu ist zu sagen: 1. stimmt das nicht, und 2. ist das kein Qualitätsbeweis!

Tatsächlich übersteigen die Sorabij-Sachen den manuellken Schwierigkeitsgrad von Strawinskis Petrouchka, Villa-Lobos Rudepoema, Liszts Sonate, Berlioz/Liszt Fantastique, Regers Donauwalzerimprovisation nicht - aber beidhändige chromatische Undezimenskalen in presto-Tempo würden das alles weit übersteigen (weil sie unspielbar sind) ...

Ich kann musikalisch kein Interesse für diese Sachen entwickeln, und was den manuellen Aspekt betrifft, da kann man dasselbe bei den erwähnten, aber musikalisch interessanteren Werken absolvieren (wenn man das mag)
 
Tatsächlich übersteigen die Sorabij-Sachen den manuellen Schwierigkeitsgrad von Strawinskis Petrouchka, Villa-Lobos Rudepoema, Liszts Sonate, Berlioz/Liszt Fantastique, Regers Donauwalzerimprovisation nicht
Hier ein (leider das Stück verstümmelnder) Rundfunkmitschnitt mit dem Widmungsträger anno 1940:



Was einen an der Einstudierung vieler Sorabji-Stücke hindern könnte, ist eher das ungleiche Verhältnis zwischen Aufwand und Ergebnis - und dieses maximiert sich zwangsläufig, wenn die reine Spielzeit nicht Minuten, sondern Stunden umfasst. Wer sich vornimmt, zeitlebens nur höchstwertige Literatur einzustudieren, findet von der ersten bis zur allerletzten Sekunde seiner Pianistenlaufbahn mehr als genug geeignete Werke vor. Bei Sorabji landet man am ehesten dann, wenn man etwas wirklich Komplexes spielen will, das außer einem nur wenige andere im Repertoire haben, was man ja von der Liszt-Sonate oder Strawinskys Petrouchka nicht behaupten kann.

LG von Rheinkultur
 

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