Ist ein überholter Steinway überhaupt noch ein Steinway ?

Ich denke, es ist schon möglich, einen schrottigen nichtrestaurierten Steinway oder Bechstein oder andere Markenflügel, 100 Jahre alt oder jünger, für 10-15T€ zu erstehen. Um danach die Restaurierung selber einzufädeln.

Wobei ich gerade bei ebay nachgeschaut hatte, und verblüfft war bei folgendem Angebot (keine Seriennummer angegeben, nur dass es Ende des 19.Jhds ist):
http://cgi.ebay.de/STEINWAY-GRAND-M...0518?pt=Tasteninstrumente&hash=item1e5e101296

Immerhin ein Steinway-B, "the holy grail", ..., für Sofortkauf 16.500€.
Selbst wenn mglw. bei der Restaurierung gepfuscht wurde, sollte man das hinbiegen können. Das Angebot liest sich für mich wie ein Schnäppchen.

It's too good to be OK..

Bilder alter Steinway lassen sich beschaffen. Es sind konkret zum Instrument keinerlei brauchbare Infos gegeben. Der Artikelstandort ist Ausland, Italien.

Ich will dem Verkäufer nichts, aber das Ding stinkt, zB nach Scam: uU Anzahlungsbetrug. Man soll bei einer solchen Masche einen hohen Geldbetrag überweisen, um den Kauf sicherzustellen, da wahrscheinlich - angeblich schon andere Interessenten Schlange stehen.

Um den Schnapp nicht zu verpassen, lässt sich einer uU darauf ein.. Überweist einen hohen Geldbetrag irgendwohin, uU Western Union, oder "Geben Sie ihre Anzahlung dem Restaurantbesitzer Tino, ein Cousin von mir", aber der Besitzer steht unter Clan-Dauerbeobachtung..

Nicht nachvollziehbare Zahlungswege, und man hat später extreme Probleme, den Weg des Geldes nachzuvollziehen. Wird es niemals wiedersehen. Und den Flügel aus den 90er Jahren des vorvergangenen Jahrhunderts schon mal gar nicht.

Bei solchen Dingen wäre ich extremst (!!!) vorsichtig. Niemals vorweg irgendwelche Geldbeträge aus der Hand geben. Denn ab da hat der behauptende Verkäufer Oberwasser, SEINE Tour zu machen, da der Käufer nun brav an der Leimrute klebt..

Mit Geld und Anhänger nach Italien fahren, aber mit min. zwei Zeugen, Gestalten von ausgebildet eckigen Schultern., dass einem nicht das Geld abgenomen werde, ohne die Ware ausgehändigt zu bekommen.

Selbst wenn man dann denkt, "Bares ist Wahres", so ist man nicht sicher davor, dass der Verkäufer einen an der Grenze nicht noch von der Polizei oder dem Zoll abfangen, aufhalten lässt, weil angeblich Rechte Dritter an dem Instrument bestünden und es zur Sicherheit eines Kredites gedient habe - kein Problem, das zu "beweisen": ein weiterer Cousin legt der Kripo dementsprechende Papiere vor.

Dann müsste ein um sein Geld geprellter, gelinkter Käufer sich seine Rechte in Italien einklagen.. ?.. Veil Vergnügen.. Hierzulande bereits heißt es unter Juristen: "Ohne Schuss kein Jus.." - Vorschuss an Anwaltskosten. Unabhängig vom späteren Verfahrensausgang.

Ein professioneller Aufkäufer würde wohl erst beim Verlassen Italiens mit dem Instrument in seinem Auto an der Grenze bar zahlen: wenn Durchstechereien, Linkeleien zum Schaden gutwilliger Erwerber nicht mehr möglich sind.

Mag sein, dass ich das viel zu schwarz sehe, dass das alles glatt ging. Dass der Verkäufer ehrlich ist. Nur - ich glaube vorweg erstmal nicht daran.
 
Hallo Mindenblues,
der angegebene eBay-Steinway, mit 85 Tasten, dürfte rund um 1880 gebaut worden sein. Kann u. U. ein ganz fantastisches Instrument sein. Schnäppchen? Vielleicht. Im Katastrophenfall darf man blind annehmen, dass man um ca. 30.000 Euro insgesamt einen Traum kriegt. Die Chancen, dass das in diesem Fall auch viel günstiger geht, sind aber groß. Pianistisch beflissene Menschen werden es schätzen, dass dieser Flügel bereits das Sostenuto-Pedal hat.

Schrottige Flügel, sofern nicht gerade S&S, kriegt man meist deutlich günstiger als in der von dir angegebenen Preislage.
Und, auch an Rubato: So dramatisch und systematisch leergefegt wird der Markt gar nicht. Solange ich mit Klavieren und Flügeln zu tun habe (30 Jahre und mehr) habe ich immer wieder festgestellt, dass es stets sehr gute Chancen gibt, irgendwo auf ein echtes Schnäppchen zu stoßen, deutlich bessere als in manchen anderen Wirtschaftsbereichen. Klar gibt es auch dann und mal hektisches Spekulantentum, aber großflächig als normal durchgesetzt hat sich das nach meiner Kenntnis bislang noch nie.

Gruß
Martin
PianoCandle


... Klang hat Zeit
 
... und, noch ein Nachtrag, da ich gerade mit BerndB über Kreuz gepostet habe: für colle Schnäppchen muss man keineswegs unbedingt ins Ausland fahren. Manchmal lauern die um-die-Ecke.

-m-
 
Also, immerhin kann man per PayPal bezahlen. Damit hat man Käuferschutz in voller Höhe, das erstmal bzgl. Zahlungsprocedere.

Natürlich muß man bei solch einem Angebot hinterfragen bei Interesse, Serien-Nr. erfragen usw. Wenn man keine Antwort bekommt, ist das auch eine Antwort. Mir ist es bei dem Preis auch nicht geheuer, und mit 2 muskelbepackten Kerlen dabei wäre mir auch wohler, nicht nur wegen des Einladens, aber hinterfragen könnte sich lohnen...
Was ich nur ausdrücken wollte, dass es durchaus alte Schätzchen gibt, und ein Steinway-B ist und bleibt ein Steinway-B, so ziemlich das geilste für die Wohnung zuhause (sag ich mal einfach so). Bei dem Preis kann die Restaurierung nicht allererste Sahne sein, aber bei dem Preis kann man auch restauriermäßig nachbessern, selbst wenn man eine komplette akustische Sanierung nochmal machen müßte mit neuer Mechanik usw, wäre man immer noch im grünen Bereich.

Ich denke schon, es gibt auch unrestaurierte Markenflügel zu einem erschwinglichen Preis. Das schöne ist, dass offenbar die allermeisten Leute dermaßen scharf auf Neuflügel sind und denken, ein 100 Jahre alter schrottig anzusehender Steinway (oder ein anderer Markenflügel) wäre wertlos. Das ist eine Chance für Leute, die das anders sehen (wie ich z.B.).

Ob 85 oder 88 Tasten, wäre für mich nicht so entscheidend, ebenso kann ich auch auf ein Sostenuto-Pedal verzichten. Ich hatte die Chance gehabt, meinen Flügel von Bj. 1935 damit zusätzlich auszurüsten, habe es aber sein lassen, weil original kein Sostenuto-Pedal dran war. Es gab bisher wenige Stücke, wo ich es gerne eingesetzt hätte (z.B. Rach-Prel. 3/2 war so ein Fall).
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
andere Chancen auf Steinways

Es soll eine Möglichkeit geben, an unrestaurierte Steinways zu kommen: mein örtlicher Händler soll ein-, zweimal im Jahr von einem uralten Rechtslenker-Bedford-Möbelwagen angefahren werden, in dem sich aus Haushaltsauflösungen quer über England eingesammelte, unrestaurierte Flügel befänden. Ausschließlich Steinways..

Als Einstiegspreise in sowas hörte ich mal von 6.000 bis 8.000 EU. Wie die Messer in der Schublade stäken da vertikal die Flügelgehäuse, Beine separat: man könne sie ein kurzes Stück herausziehen zum Gucken, müsse sich aber praktisch binnen kürzester Zeit an der Rampe entscheiden, ob man einen nähme, und wenn ja, welchen. Denn er habe viele Adressen auf dem Kontinent anzufahren..

Der Steinway-Händler restauriert einem dann den Flügel nach Wunsch (und Portemonnaie..).

Irgendwann will ich das mal ausprobieren .. ..aber eher selbermachen.

Auch bieten einige Händler in den USA sowas an: sie unterhalten ein mehr oder minder großes Lager an noch nicht restaurierten Instrumenten. Vermutlich differiert der Preis, je nachdem, ob ihm ein Restaurationsauftrag winkt, oder ob man selbst ran will...

E.J. Buck in einem kleinen Ort hinter Boston bot zB mal einen uralten Steinway A an um 6.000 USD. Zu den Restaurierungsarbeiten hinzu kommen Zoll und Transport.

Wie bei allem Handel liegt bei sowas der Segen im günstigen Einkauf. Restaurierungsbedürftige Steinway-Flügel müssen sehr niedrige Preise haben, teils tief vierstellig, sonst lassen Händler sie stehen.

Die verschiedenen örtlichen Ausgaben der www.craigslist.org (Kleinanzeigen, ursprünglich wie eBay in Kaliforninen "erfunden") lesen sich auch oft interessant.
 
Wieder mal so eine Grundsatzfrage ...

Was ist gemeint ? Die Frage gilt nicht nur für Steinway, sondern auch für alle anderen Fabrikate. Ein Flügel (Klavier) besteht aus vielen kleineren und größeren Einzelteilen (Gußplatten, Stimmstock, Simmwirbel, Tasten, Klaviaturmechanik-Einzelteile, etc.). Viele davon beeinflussen nicht unbedingt direkt den Klang (z.B. Stimmwirbel), aber in jedem Fall die Gesamtqualität (d.h. Haltbarkeit, Optik, Stimmhaltung, Anschlag, und eben auch Klang).

Ich gehe davon aus, daß die "Klavierbaukunst" kleinerer Werkstätten bzw. das "Firmen-Know-How" der Premium-Hersteller wie Steinway etc. nun genau darin besteht, optimale Einzelteile herzustellen bzw. am Markt zu beschaffen, und diese in einem Flügel nach einem bestimmten Design (Form und Größe der Gußplatte, des Resonanzbodens, etc) zu verbauen und dadurch den jeweils "einzigartigen" Gesamteindruck z.B. eines Steinway-Instruments zu erzeugen.

Nun werden sehr oft Flügel mit meherern Jahrzenten auf dem Buckel angeboten, die "generalüberholt" sind, was immer das auch genau heißen mag. In der Regel ist wohl fogendes gemeint:

- abgenutzte Mechanikteile durch neue ersetzt (aber: Originale gibts sicher nicht mehr)
- neue Hämmer (sind nicht original!)
- neuer Stimmstock
- neue Saiten (auch nicht original)

Der Resonanzboden wird m.W. nicht ersetzt. Falls doch, ist es nicht der Originale. Falls nicht, ist sicherlich über die Jahre seine typische ursprüngliche Wölbung, die den Klang mit bestimmt, zurückgegangen.

Kann man nach einer solchen "Operation" wirklich noch davon sprechen, daß man einen "Steinway" gekauft hat ??? Vielmehr hat man doch ein Sammelsurium von Einzelteilen gekauft, die ein einzelner Klavierbauer (auch bei denen gibt es sicher Hervorragende und eben auch ein Mittelfeld ...) nach welchen Gesichtspunkten auch immer (kennt man die ? Höchste Qualität oder niedrigster Preis ? Jedenfalls für den Nicht-Experten in keiner Weise nachprüfbar !) ausgewählt hat. Vielleicht würden einem Steinway-Techniker bei der einen oder anderen Generalüberholung die Haare zu Berge stehen ??? Das Einzige, was doch wirklich sicher noch von Original-Design übrig ist, ist die geometrische Anordnung der Einzelteile im Gehäuse.

Also, Frage: Woher kommt das Vertrauen, daß ein generalüberholter Flügel wirklich noch die ursprüngliche Markenqualität wiederspiegelt und daher auch noch den oft sehr hohen Preis wert ist ?

Da hilft nur eins: Anspielen, ausprobieren, testen, hineinschauen, auf die innere Stimme hören. Ich habe die Erfahrung gemacht, das wenige Takte genügen, um festzustellen, ob man mit einem Flügel harmoniert.
Natürlich ist Restauration nicht gleich Originalzustand, aber wer kann das wirklich wollen? Holzteile der Mechanik werden heute mit CNC-Fräsen bearbeitet, die viel genauer sind, als das jede Handarbeit könnte. Und getrocknet wird das Holz heute auch sehr viel präziser (entsprechenden Fertigungsaufwand vorausgesetzt).
Insofern spricht eigentlich auch nichts gegen eine Restauration z.B. in Polen, wenn die Teilequalität stimmt. Das nötige Feintuning mit Intonation, Regulation etc. kann man dann ja ruhig in Deutschland machen.
Bechstein macht das mit seinen low-cost-Marken auch so: die werden in China zusammengebaut, nach Deutschland verschifft, in Seifhennersdorf wieder zerlegt und nachgearbeitet. Das ist offensichtlich rentabler als in Deutschland zu produzieren. Wer das nicht will, muss dann eben für einen Bechstein B 80.000€ auf den Tisch legen, aber die hat halt nicht jeder ...
Dr. med. Michael Lingner
 

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