Gleichstufig Stimmen nach Gehör

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agraffentoni

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13. Jan. 2011
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Hallo zusammen,
nachdem im Faden 'Das relative/ absolute Gehör' eine Off-Topic Gefahr besteht, Fragen aber noch offen sind, stelle ich einen Teil eines Beitrags hier nochmal ein:

Das 'Wohltemperierte Klavier' ist eigentlich nur die logische Folge alle 24 Dur und Moll-Tonarten möglich zu machen.
Unser Tonsystem passt halt nun mal nicht exakt in reduzierte 12 Halbtöne.
Das erfordert Kompromisse, wobei gute Klavierstimmer auch nicht alle Tonarten gleich behandeln.


Frage an die Stimmspezialisten:

Wie handhabt Ihr das?

Grüße
Toni

Wer Druckfehler findet darf sie behalten...
 
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Stimmspezialist bin ich keiner und kann also aus eigener Erfahrung nichts beitragen. Jedoch gibt es eine Seite von Jörg Gedan im Internet, die hier im Forum schon mehrfach zitiert wurde. Der Link zur Praxis des Klavierstimmens: Praxis des Klavierstimmens. Und als PDF-Download.

Vielleicht hilft das schon, ein wenig mehr Einblick zu erhalten.

Grüße
Thomas
 
auf gleicher stufe

hallo toni, hallo in die runde,

ein guter klavierstimmer (ich selbst bin klavierbaumeister und kann gut stimmen) wird immer versuchen, in der temperaturoktave (a - a')die halbtöne gleichstufig zu stimmen (1 halbton = 100 cent), es sei denn, er hat vom pianisten die ausdrückliche anweisung dagegen.

dann wünscht sich der musiker in der regel eine alte temperatur (kirnberger, mitteltönig, valotti...), die keine gleichstufigen halbtöne hat.

ursprünglich wurden die quinten einer temperatur "rein" gestimmt, d.h. ohne eine schwebung mitteltönig, nur eine unreine quinte des-as). dann ergibt sich, und das wusste schon pythargoras, eine kleine abweichung von der auch rein gestimmten oktave. denn rein rechnerisch entsprechen zwölf quinten nicht, wie es auf der klaviatur ist, sieben oktaven. die zwölf quinten sind um das "pythagoräische komma" größer als sieben oktaven. dieses mini-intervall muss also "weggestimmt werden. dadurch müssen manche intervall kleiner als natürlich oder rein klingend gestimmt werden (z.b. die quinte), andere dagenen weiter (quarte oder oktave), um am schluss alle intervalle in die temperaturoktave zu quetschen. so wurde die unreinheit der quinte des-as stück um stück auf andere quinten verteilt. bei der mitteltönige temperatur klang dann C-Dur ganz rein, sogar die große terz c-e. je weiter weg (noch mehr musiktheorie) man dann im quitenzirkel wandert, desto unreiner wurden die dreiklänge, bis hin zum schmerzhaft schrillen As-Dur. die sehnsucht, alle tonarten "schön" klingen zu lassen war so groß, dass es viele musiker probiert haben, das besser hinzukriegen

johann sebastian bach war dieser sache schon auf der spur, als er sein "wohltemperiertes clavier" komponierte. dort komponiert er sich ja durch alle tonarten und wäre das As-Dur aus der mitteltönigen temperatur dabei gewesen, wollte dieses stück keier hören. bach hat also mit sicherheit schon ein stückchen in richtung gleichstufiger temperatur gearbeitet. das zur korrekten benennung: wohltemperiert war bachs klavierstimmung, unsere heute übliche ist gleichstufig temperiert.

da bleiben noch viele fragen offen. im unterricht in der berufschule bzw. meisterschule habe ich einige stunden dafür absitzen müssen, um den gesamten theoretischen hintergrund zu kapieren. es führt einfach zu weit, das hier alles reinzuschreiben. jemand, der klavierstimen gelernt hat, wird euch diese theorie auch nicht komplett runterleiern können, sondern hat das stimmen danach gelernt und macht es dann schon richtig, ausnahmen gibt es leider:(

noch fragen?
 
Ich bin zwar nur Klavierbauergeselle, aber als Stimmer gar nicht mal sooo schlecht ;) und ich handhabe das so: Ziel ist es, alle Tonarten gleich zu behandeln. Streng genommen haben auch gleichstufig temperierte Tonarten unterschiedliche Charakteristiken, weil ja die Terzen nach oben hin immer schneller werden. Und die Terz bei A-Dur ist halt langsamer als die Dur-Terz vom E darüber.

Übrigens gibt es 2 Arten von Kunden, die sich ganz gerne mal über die Stimmung beschweren. Die einen tragen ein Hörgerät und die anderen haben das absolute Gehör. Was hab ich da schon für Diskussionen gehabt.....Da gibt es Kunden, die mit der gesamten Stimmung sehr zufrieden sind, nur aber mit einem einzelnen Ton Probleme haben. Die bitten mich dann, diesen Ton wesentlich höher oder tiefer zu stimmen. Klar, kann man machen, aber dann passen die anderen Intervalle dazu ja gar nicht mehr :confused:
 
johann sebastian bach war dieser sache schon auf der spur, als er sein "wohltemperiertes clavier" komponierte. dort komponiert er sich ja durch alle tonarten und wäre das As-Dur aus der mitteltönigen temperatur dabei gewesen, wollte dieses stück keier hören. bach hat also mit sicherheit schon ein stückchen in richtung gleichstufiger temperatur gearbeitet. das zur korrekten benennung: wohltemperiert war bachs klavierstimmung, unsere heute übliche ist gleichstufig temperiert.

Das einzig greifbare Zeitzeugendokument, welches ich kenne, ist von F.W. Marpurg. Er schreibt, dass Bach "alle grossen Terzen scharf" temperiert haben wollte. Damit ist schon eine ganze Menge gesagt. Wenn Marpurg geschrieben hätte, dass Bach "alle grossen Terzen gleichmässig scharf" haben wollte, also ohne Ausreißer, sondern nach oben hin immer schnellere Schwebungen, hätte er damit nicht mehr oder weniger als eine absolut korrekte Definition von gleichstufiger Temperatur geliefert. Leider fehlt der Zusatz "gleichmässig", von daher muß es Mutmaßung bleiben, ob Bach seine Musikinstrumente (die er selber stimmte), gleichförmig stimmte. Es spricht allerdings auch nichts dagegen, dass er es tat.

Bis jetzt habe ich übrigens noch keine Zustimmung von einem Fachmann hier gelesen, der die These von agraffentoni bestätigen würde: nämlich die These, dass gute Klavierstimmer die Tonarten ungleich behandeln würden (für unsere heutige gleichtemperierte Stimmung). Aber vielen Dank an agraffentoni, dieses Thema hier nochmal vorzustellen!
 
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Bis jetzt habe ich übrigens noch keine Zustimmung von einem Fachmann hier gelesen, der die These von agraffentoni bestätigen würde: nämlich die These, dass gute Klavierstimmer die Tonarten ungleich behandeln würden (für unsere heutige gleichtemperierte Stimmung). Aber vielen Dank an agraffentoni, dieses Thema hier nochmal vorzustellen!

Ich werde, nachdem mein Instrument gestimmt sein wird, mit dem Stimmgerät die Centabweichungen ermitteln.
Ich denke, daß da 1-3% pro Halbton (100 Cent) drin sind.
Das hatte ich schon einmal gemacht, nachdem ein sehr erfahrener Steinway-Techniker gestimmt hatte. Leider habe ich damals (ca. 1993) die ermittelten Werte nicht dokumentiert. Ich meine mich jedoch zu erinnern, daß z.B H-Dur, Fis-Dur und Cis-Dur etwas 'schärfer' in den Terzschwebungen waren.
Der Flügel klang mit dieser Stimmung sehr resonanzfreudig (in sich und mit mir).
Grüße
Toni
 
Toni, dann wurde der Flügel zwar nicht gleichstufig gestimmt, aber das bedeutet noch lange nicht, dass dies in sich das Warenzeichen eines guten Stimmers ist. ;)

Es gibt "drüben" im englischen Schwesterforum eine kleine aber sehr wortstarke Minderheit, die eine leichte Wohltemperatur stimmt. Die Abweichungen von der gleichstufigen sind aber viel kleiner als bei den historischen Temperaturen. Ich habe die Unterschiede anhand diverser Einspielungen oft gar nicht zuverlässig erkannt. Ich habe die Temperatur auch mal am Cembalo versucht, aber mir missfiel der scharfe Klang der entfernten Tonarten.

Ciao,
Mark
 
Stimmspezialist bin ich keiner und kann also aus eigener Erfahrung nichts beitragen. Jedoch gibt es eine Seite von Jörg Gedan im Internet, die hier im Forum schon mehrfach zitiert wurde. Der Link zur Praxis des Klavierstimmens: Praxis des Klavierstimmens. Und als PDF-Download.

Vielleicht hilft das schon, ein wenig mehr Einblick zu erhalten.

Grüße
Thomas
Und ebenda findet sich folgender Satz:
"Da wir zum Glück Verstimmungen bis zu einem gewissen Grade ertragen und da sie uns oftmals nicht einmal bewußt werden, dürfen wir getrost davon ausgehen, daß Fehler in der Temperatur ebenfalls kaum bemerkt werden, wenn sie innerhalb einer gewissen Grenze bleiben."

Wenn nun diese Fehler 'gewollt' sind?
Grüße
Toni
 
Ich werde, nachdem mein Instrument gestimmt sein wird, mit dem Stimmgerät die Centabweichungen ermitteln.
Ich denke, daß da 1-3% pro Halbton (100 Cent) drin sind.

Aus diesen Abweichungen lässt sich doch nicht viel entnehmen: Stimmgeräte stimmen auf die Grundwelle oder einen ganz bestimmten Oberton. Demzufolge werden nur die Abweichungen von diesem Oberton angezeigt. Feherl durch Inharmonizitäten sind damit vorprogrammiert.

Ein Klavierstimmer stimmt aber nach der Summe aller Obertöne und ist damit in der Lage, die Inharmonizitäten so gut es geht zu "nivellieren". Das versuchen zwar bestimmte Programme wie TuneLab auch, und es mag evtl. sehr hochpreisige Stimmgeräte geben, dafür sind aber Testläufe etc. nötig.
Also z.B . einfache chromatische Stimmgeräte (z.B. Korg-OTxxx) sind für solche Tests ungeeignet.

Und ebenda findet sich folgender Satz:
"Da wir zum Glück Verstimmungen bis zu einem gewissen Grade ertragen und da sie uns oftmals nicht einmal bewußt werden, dürfen wir getrost davon ausgehen, daß Fehler in der Temperatur ebenfalls kaum bemerkt werden, wenn sie innerhalb einer gewissen Grenze bleiben."

Wenn nun diese Fehler 'gewollt' sind?

Wenn ich lese, welche erbitterten Kämpfe es gab im 17./18.Jhd. bzgl. der verschiedenen Stimmsysteme, befürchte ich, dass man damals viel, viel sensibler war gegenüber diesen Nuancen als heute. Auf gut deutsch: wir sind heute abgestumpfter geworden, befürchte ich, leider...

Wenn diese Fehler 'gewollt' sind - nun dann haben wir eine gewollte andersartige Temperierung, statt Gleichtemperierung, je nach Grad der Abweichung eben mehr oder weniger.
Viele mögen das ja z.B. für alte Musik, viele restaurierte Barockorgeln werden wieder nach alten Stimmsystemen gestimmt.Es war für mich ein Genuß, die frisch restaurierte Stellwagen-Orgel in Stralsund erleben zu dürfen. Reine Terzen - könnte ich stundenlang hören!

Bei meinem Flügel, welcher meist Chopinmusik über sich ergehen lassen muß, möchte ich jedoch eine Gleichtemperierung haben, so gut es eben geht.
 
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Aus diesen Abweichungen lässt sich doch nicht viel entnehmen: Stimmgeräte stimmen auf die Grundwelle oder einen ganz bestimmten Oberton. Demzufolge werden nur die Abweichungen von diesem Oberton angezeigt. Feherl durch Inharmonizitäten sind damit vorprogrammiert.

QUOTE]

Demzufolge müßte in der Temperieroktave jeder der 12 Halbtöne eine etwas andere Inharmonizität haben???
Toni
 

Demzufolge müßte in der Temperieroktave jeder der 12 Halbtöne eine etwas andere Inharmonizität haben???
Toni

Hängt das nicht vom Instrument ab und ist von Fall zu Fall unterschiedlich?
Vielleicht ist es innerhalb der Temperieroktave oft nicht sehr unterschiedlich (weiß ich nicht), aber ich würde die Inharmonizitäten nicht vernachlässigen wollen, wenn man einen Vergleich mit einem (einfachen) chromatischen Stimmgerät anstellen möchte.

Sonst könnte man ja die Temperatur gleich mit einem einfachen Stimmgerät legen statt mit den Ohren - bezweifle aber, dass das Ergebnis zuverlässig gut ist (eben wegen der Inharmonizitäten-Problematik).
 
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Hi,

mein "Senf" dazu, wobei ich sagen muss, ich bin kein Stimmtechniker, sondern nur ein logisch denkender Mensch. ;-)

Aus diesen Abweichungen lässt sich doch nicht viel entnehmen: Stimmgeräte stimmen auf die Grundwelle oder einen ganz bestimmten Oberton. Demzufolge werden nur die Abweichungen von diesem Oberton angezeigt. Feherl durch Inharmonizitäten sind damit vorprogrammiert.

Ich glaube nicht, dass "normale" Stimmgeräte die Oberwellen und ihre Inharmonizitäten bzgl. der Grundwelle berücksichtigen. Das würde dem Prinzip dieses Messgerätes wiedersprechen. Es soll ja die Frequenz der Grundwelle möglichst genau bestimmen und nicht das Frequenspektrum. Das Problem aber dadurch ist, dass das Stimmgerät eben die Inharmonizitäten nicht berücksichtigt und dadurch für den Menschen, der die Inharmonizitäten hört und mit in den Klangeindruck aufnimmt, ein leicht falscher (verstimmter) Klangeindruck entsteht.

Siehe auch der Artikel zum Stimmen auf der Gedan-HP.

Ein Klavierstimmer stimmt aber nach der Summe aller Obertöne und ist damit in der Lage, die Inharmonizitäten so gut es geht zu "nivellieren". Das versuchen zwar bestimmte Programme wie TuneLab auch, und es mag evtl. sehr hochpreisige Stimmgeräte geben, dafür sind aber Testläufe etc. nötig.
Also z.B . einfache chromatische Stimmgeräte (z.B. Korg-OTxxx) sind für solche Tests ungeeignet.

Genau, s. o. So hatte ich die Kunst eines guten Klavierstimmers verstanden.

Bei meinem Flügel, welcher meist Chopinmusik über sich ergehen lassen muß, möchte ich jedoch eine Gleichtemperierung haben, so gut es eben geht.

Ich auch, weil ich eben möglichst universell spielen will und nicht nur bestimmte Epochen oder Tonarten.

Gruß
 
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Ich denke das CTS-5-P ist ein nicht ganz einfaches Gerät. Es geht mir ja gar nicht um das Legen einer Temperatur, sondern um das Ermitteln der tolerablen/gewollten Abweichungen von der mathematisch aufs Cent-genauen -ich nenn es jetzt mal- 'sterilen' Stimmung.
Ändert sich während des Stimmens um mehr als 1-2Hz nicht auch die Gesamtspannung im Instrument, sodaß schon innerhalb dieser Prozedur die Temperaturoktave wieder 'beleidigt' ist?

Grüße
Toni
 
Ich glaube nicht, dass "normale" Stimmgeräte die Oberwellen und ihre Inharmonizitäten bzgl. der Grundwelle berücksichtigen. Das würde dem Prinzip dieses Messgerätes wiedersprechen. Es soll ja die Frequenz der Grundwelle möglichst genau bestimmen und nicht das Frequenspektrum. Das Problem aber dadurch ist, dass das Stimmgerät eben die Inharmonizitäten nicht berücksichtigt und dadurch für den Menschen, der die Inharmonizitäten hört und mit in den Klangeindruck aufnimmt, ein leicht falscher (verstimmter) Klangeindruck entsteht.

Aber genau das hatte ich doch auch geschrieben bzw. gemeint! :)

Ich denke das CTS-5-P ist ein nicht ganz einfaches Gerät. Es geht mir ja gar nicht um das Legen einer Temperatur, sondern um das Ermitteln der tolerablen/gewollten Abweichungen von der mathematisch aufs Cent-genauen -ich nenn es jetzt mal- 'sterilen' Stimmung.
Ändert sich während des Stimmens um mehr als 1-2Hz nicht auch die Gesamtspannung im Instrument, sodaß schon innerhalb dieser Prozedur die Temperaturoktave wieder 'beleidigt' ist?

Stimmt, das Stimmgerät ist schon ziemlich hochpreisig. Laut Prospekt hat es 5 Stimmkurven eingebaut, "welches die Inharmonizität der Klaviersaiten automatisch berücksichtigen soll". Inwiefern dieser Automatismus funktioniert/ausreicht, wäre zu prüfen, aber vielleicht funktioniert es wirklich richtig gut.

Aber, selbst wenn der Klavierstimmer bei mir bestmöglich gearbeitet hat, schöne Gleichmäßigkeit der Temperatur, empfinde ich das nicht als steril - zu groß sind schon die feinen Abweichungen, die sowieso noch bleiben. Und kaum hat der Klavierstimmer die Tür hinter sich zugemacht, geht ja die Verstimmung wieder los. Warum ich da noch extra von der Gleichstufigkeit abweichen soll, verstehe ich nicht so ganz.
 
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Hi,

Aber genau das hatte ich doch auch geschrieben bzw. gemeint! :)

Na super, mein "logischer" Verstand arbeitet also, nur wohl ein bischen langsam. ;-)

Und kaum hat der Klavierstimmer die Tür hinter sich zugemacht, geht ja die Verstimmung wieder los. Warum ich da noch extra von der Gleichstufigkeit abweichen soll, verstehe ich nicht so ganz.

Wieder volle Punktzahl. ;-)
Wobei ich finde das Verstimmen der Chöre nervender. Da bin ich extrem empfindlich und ich denke das beginnt bevor die Gleichstufigkeit verloren geht.

Gruß
 
Aber, selbst wenn der Klavierstimmer bei mir bestmöglich gearbeitet hat, schöne Gleichmäßigkeit der Temperatur, empfinde ich das nicht als steril - zu groß sind schon die feinen Abweichungen, die sowieso noch bleiben. Und kaum hat der Klavierstimmer die Tür hinter sich zugemacht, geht ja die Verstimmung wieder los. Warum ich da noch extra von der Gleichstufigkeit abweichen soll, verstehe ich nicht so ganz.

Wie fein dürfen diese Abweichungen sein, ist das meßbar? An irgendeiner Referenz muß das doch festgemacht werden können!

Ist das vielleicht auch mit ein Grund, warum selbst bestgesampelte E-Pianos auf Dauer langweilig klingen?
Gruß
Toni
 
Wobei ich finde das Verstimmen der Chöre nervender. Da bin ich extrem empfindlich und ich denke das beginnt bevor die Gleichstufigkeit verloren geht.

Geht mir auch so. Und finde es immer wieder erstaunlich, dass mein Klavierstimmer die Temperatur atemberaubend schnell legt (ein paar Minuten vielleicht), sich dann aber sehr viel Zeit für das Chorreinstimmen nimmt - das fällt eben eher auf.

@agraffentoni: ich meinte, ein Klavierstimmer ist ja auch nur ein Mensch - meistens jedenfalls. :D Also, da kann nicht alles perfekt sein - und ich stimme überein mit dir, das macht das Sympatische eines echten Klaviers aus, diese gewissen Unzulänglichkeiten vom Stimmen und vom Instrument. Nur, ich würde es eben nicht extra beim Stimmen forcieren durch ungleichmäßige Temperatur - es passiert schon von alleine.
Genauso wie ich von alleine mich verspiele beim Klavierspiel, nur eine Frage der Wahrscheinlichkeit, ich muß nicht noch extra was einbauen, das man mir glaubt, keine Maschine zu sein. :D
 
Es gab Untersuchungen, bei denen mit Messgeräten die maximalen Abweichungen guter Stimmer in der Temperaturoktave mit etwa 1 cent vom Ideal ermittelt wurden. Man kann also mit Fug und Recht behaupten, dass gute Stimmer sehr nah an die exakt gleichstufige Temperierung herankommen. Gleichwohl ist es auch ein bekanntes Phänomen, dass kaum zwei Klavierstimmer ein Instrument auf dieselbe Art und Weise stimmen werden, denn die Temperatur ist ja nur ein Aspekt.

Das Problem der Inharmonizität spielt in der Temperaturoktave übrigens keine sehr große Rolle, weil die Saitendurchmesser und Zugverhältnisse nicht sehr unterschiedlich sind. Die zusätzliche Spreizung, die man aufgrund der Inharmonizität in der Temperaturoktave verwendet, ist um ein cent. Allerdings ergeben sich hier auch gewisse Möglichkeiten, bereits die erste Oktave ganz leicht zusätzlich zu spreizen um mehr Raum für die Temperierung von Intervallen zu haben. Man muss dabei immer im Hinterkopf behalten, dass es bei der Temperatur um die Verteilung von Kompromissen geht. Gerade durch die Inharmonizität ergibt sich beim Oktavstimmen ein Spielraum, den man nutzen kann.

Ein normales chromatisches Stimmgerät wäre also durchaus geeignet, die Temperaturoktave zu messen, wenn - und das ist das eigentliche Problem - die Ablesegenauigkeit groß genug wäre. Hier sehe ich bei normalen Zeigerinstrumenten Grenzen in der Genauigkeit durch das Ablesen vorgegeben. Nicht umsonst arbeiten speziell für das Klavierstimmen geeignete Stimmgeräte mit Stroboskop-Anzeigen o.ä. genau ablesbaren Darstellungen.

Die starke Ablehnung anderer Temperierungen als der gleichstufigen, hat m.E. sehr viel damit zu tun, dass es nur wenige Stimmer gibt, die sich mit modifizierten Wohltemperierungen beschäftigen und diese stimmen können und ihren Kunden somit entsprechende Vorschläge oder Angebote machen können. Die gleichstufige Temperatur entspricht dem derzeit geltenden Zeitgeist, womit ich nicht sagen will, dass damit keine guten Ergebnisse erzielt werden können. Vieles hat auch mit Gewöhnung zu tun. Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Komponisten, deren Werke heute auf gleichstufig gestimmten Instrumenten vorgetragen und geübt werden, im 17./18./19. Jahrhundert gewiss alles andere als gleichstufig gestimmte Instrumente hatten.

Wenn man sich den herben Klangcharakter älterer Temperierungen nicht antun möchte, so ist dies gewiss nachvollziehbar. Dennoch gibt es eine ganze Reihe von Temperierungen, die für das moderne Klavier geeignet sind und beispielsweise für die Tonarten um C-Dur reinere Klänge ermöglichen als bei der gleichstufigen Temperatur, was man sich mit stärker schwebenden Intervallen mit aufsteigenden Vorzeichen erkauft, wobei gerade der Wechsel zwischen Spannung und Entspannung ja auch ein Grundprinzip der Musik ist. Wenn man nach Temperierungen im Internet sucht, gibt es Grafiken, die sehr gut verdeutlichen, in welchem Maß die Stärke der Temperierung einer Tonart im Vergleich zur gleichstufigen Temperatur zu- bzw. abnehmen.

http://www.youtube.com/watch?v=41xRupc3Hz8&feature=related
(auch viele schöne Hörbeispiele mit dieser Stimmung)
 
Ist das vielleicht auch mit ein Grund, warum selbst bestgesampelte E-Pianos auf Dauer langweilig klingen?
Es gibt doch bestimmt E-Pianos, bei denen man jede Taste Centgenau stimmen kann? Und bei denen man das Mastertuning auch komplett ändern kann. Das wäre jedensfalls ein echter Pluspunkt.
DANN sollte es aber auch die interne Programmierung geben: "Automatische Verstimmung einschalten". Programmtechnisch ließe sich das recht leicht machen. Das UPDATE auf die richtige Stimmung könnte dann per Internet vom Händler bzw. Stimmer NACHGEKAUFT werden. Die Instrumente werden "lebendiger" und es gäbe mehr Wertschöpfungsquellen.
 

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