Gehaltene Töne - wie merken

Cee

Cee

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Wenn ich nach ein paar Wochen zu einem Stück zurückkehre, das ich gut geübt hatte, weiß ich zwar noch jeden Anschlag (kein Wunder, da kommt ja ein Ton:), aber manchmal nicht mehr, ob der Ton zu halten ist oder nicht. Das ergibt sich ja nicht immer aus der jeweiligen Stimme oder Phrase (wie zB beim einstudierten Legato im cantus firmus) - und ein Klavieranschlag klingt schnell aus, schlecht fürs Merken.

Gibt es irgenwelche Tricks, das Tonhalten beim Üben genauso im Hirn zu verankern wie den Anschlag? Digipiano zeitweise auf Orgel schalten? Länger auf die Noten schauen (bin schnell mit Auswendiglernen, habe also generell kein Notenbild im Kopf)?

Dankbar für Tips, Cee.
 
Der "Trick" lautet schlicht HÖREN!

Du hörst nicht, was Du tust, Du spielst nicht mit dem Ohr als "Führungsinstanz" (insbesondere also mittels der Klangvorstellung, die Du vorm Spielen eines Tons hast). Sondern Du machst Bewegungen (bzw. begreifst das Üben als "Bewegungen einspeichern") und benutzt das Ohr lediglich, um Dir dann anzuhören bzw. zu kontrollieren, was die Finger da erzeugt haben.

Würdest Du jedoch, wie es für das Musizieren angemessen ist, "audiomotorisch" spielen, so hättest Du in dem Moment genau den "Klangwillen", eine ausgehaltene Note zu spielen, und dann würden Deine Finger das auch machen.

Nicht in die Noten zu schauen und auswendig zu spielen ist genau richtig - denn dann hast Du Wahrnehmungskapazität und "Rechenleistung" frei, um überhaupt audiomotorisch zu spielen. Das In-die-Noten-Glotzen ist einer der zentralen Faktoren, der audiomotorisches Spiel verhindert, da er beim unzweckmäßig ausgebildeten Spieler zu visuell-motorischem Spiel (Note -> Taste drücken -> Ohr kontrolliert, ob es richtig war) führt, während der audiomotorische Regelkreis ist:
Klangvorstellung bzw. Hören des bereits bestehenden Klangs -> dort heraus passendes Drücken der nächsten Taste -> nächste Klangvorstellung usw. (beim Spiel ohne Noten) bzw.
Noten -> Klangvorstellung -> Taste usw. (beim Spiel mit Noten).
 
Das In-die-Noten-Glotzen ist einer der zentralen Faktoren, der audiomotorisches Spiel verhindert, da er beim unzweckmäßig ausgebildeten Spieler zu visuell-motorischem Spiel (Note -> Taste drücken -> Ohr kontrolliert, ob es richtig war) führt, während der audiomotorische Regelkreis ist:
Klangvorstellung bzw. Hören des bereits bestehenden Klangs -> dort heraus passendes Drücken der nächsten Taste -> nächste Klangvorstellung usw. (beim Spiel ohne Noten) bzw.
Noten -> Klangvorstellung -> Taste usw. (beim Spiel mit Noten).
Das klingt total gut, aber wie übst du das mit deinen Schülern? Ich habe große Schwierigkeiten bei Klaviernoten bereits rein von den Noten aus die Klangvorstellung zu entwickeln.
Bis ich eine Idee habe, wie es klingen soll, muss ich erstmal ziemlich viele Tasten nach den Noten gedrückt haben und mich ganz langsam überhaupt erst an eine Idee des Stückes herantasten.. :015:
Wie lässt du deine Schüler an ein neues Stück rangehen?
Und lernen deine Schüler dann von Anfang an alles auswendig?
 
1. Deshalb ist es so wichtig, mit Anfängern erstmal ohne Noten zu beginnen, um die audiomotorische Basis zu legen.

2. Man muss überhaupt nicht "alles auswendig spielen" - es reicht, wenn man in der Lage ist, kleine Abschnitte / Sinneinheiten der Musik als musikalische und bewegungsmäßige, dann später auch notenmäßige, Einheit zu erfassen und wiederzugeben. Ahnlich wie wenn man einen vorgegebenen Text gut vortragen will es nicht unbedingt erforderlich ist, den Text auswendig wiederzugeben - man muss aber die Sätze des Textes verstanden und "mit Leben gefüllt haben", damit man sie dann so sprechen kann, dass es eben nicht abgelesen klingt.
 
Danke, hasenbein.

Hier (BWV639, Kempff) ist alles OK - Achtel sind Achtel, 16tel selbige, der Bass tupft den Takt, nirgendwo muss ich auf die Dauer achten. Nur bei der Stimme, aber die hat sowieso den Fokus, da halte ich selbst im ersten Takt das Es bis es gar nicht mehr klingt, alles zero problemo, die Stimme singt in fettestem Legato.
bkempff-01.jpeg

Hier (BuxWV242) wirds schon schwieriger, nehmen wir Takt 4, da spiele ich einen Lauf und muss daneben noch das B halten, dann das G, das A. Die habe ich per Fingersatz gut eingebunden/gemerkt, werde das Halten aber vielleicht mal vergessen.
bux242-01.jpeg

Jetzt wirds kompliziert (WTK2 C-Dur): hier muss ich in Takt 3 erst den C-Dur-Akkord 'aufbauen', dann das obere E in den nächsten Takt hinein halten, dort geht es dann an diversen Stellen weiter mit dem Halten; und das alles, während ein Melodielauf von der rechten in die linke Hand geht, puh, wieviele 'Tonwillen' hat man denn!?
bwtk2-1-01.jpeg

Wie gesagt, korrekt eingeübt, spielt sich prima, aber nach einem Monat Pause kommt es vor, dass zB irgendwo ein Finger vielleicht nicht mehr weiß, dass er liegen bleiben muss (oder mein Tonwille ermattet ist:), während die anderen 4 Fingern die eigentliche Musik spielen. Das Hirn merkt das nicht, denn es ist mit der Phrasierung beschäftigt - und der Fehler schleift sich ein.

Cee
 
3. Muss man das nicht sofort können müssen, aber der Schwerpunkt sollte schon auf den oben angesprochenen Punkten liegen. Eselsbrücken sind erlaubt WENN sie dem Weg zur Klang Vorstellung beschreiten und nicht (und das ist rasch passiert) dem Umgehen des Hören Müssens dienen. (Ich schrieb nicht von ungefähr von einander entgegen wirkenden Impulsen)

Man darf sich "der Ton muss länger sein" merken. Auch von mir aus die Noten totkritzeln. Aber hören ist irgendwann viel, viel einfacher, schneller, praktischer.

Übrigens wird das gehör so unfassbar stiefmütterlich behandelt. Im Grunde hört 90% des Forums nicht, falsch (nur als unvermeidliches Abfallprodukt bei der Tonerzeugung), oder suboptimal.

Was da für Potentiale brach liegen, ich will gar nicht drüber nachdenken.
 
"Jetzt wirds kompliziert (WTK2 C-Dur): hier muss ich in Takt 3 erst den C-Dur-Akkord 'aufbauen', dann das obere E in den nächsten Takt hinein halten, dort geht es dann an diversen Stellen weiter mit dem Halten; und das alles, während ein Melodielauf von der rechten in die linke Hand geht, puh, wieviele 'Tonwillen' hat man denn!?"

Hörst du das so? Ich nehme an die Formulierung dient jetzt nur zur Verständigung.

Ich bin der Meinung dass das Gehör, ebenso wie das Sehen lernen kann die Informationen effizienter zusammen zu raffen.

Am Ende ergibt alles nur noch ein Gesamtklangbild und "für mich" wäre es ein gutes Zeichen, dass die Information schon gut "gechunkt" ist wenn du nicht mehr so denkst wie du oben schreibst.

Bratkartoffeln könntest du mal wieder machen. ;)

Nein ernsthaft. Das funktioniert und ist gut für faule Leute.

Ich glaube du hörst noch zu verkrampft partiell und willst das hören was du siehst.

Es gibt einen Moment da erübrigen sich alle deine oben geschilderten problematiken und Gedanken und dafür ist (denke ich) auch hauptsächlich das "vorausschauende" Hören verantwortlich.

Ab irgendwann ist das Hören dann wie Auto fahren. Zumindest fühlt es sich für mich so selbstverständlich und verinnerlicht an. (pumper Vergleich, aber das macht jeder)

P. S.: Was ich oben unter Punkt 3. meinte: Der Weg zu einem dominanten Hörverständnis MUSS und kann schlichtweg auch nicht NUR und ausschließlich übers Hören gehen. Am Ende muss aber das Gehör auf dem Podest oben stehen.
 
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Ich hoffe ich werde ein bisschen zerhasenbeint, würde es sich seiner gruselig anfühlen einem Wurmloch nahe gekommen zu sein.
 
Jetzt wirds kompliziert (WTK2 C-Dur): hier muss ich in Takt 3 erst den C-Dur-Akkord 'aufbauen', dann das obere E in den nächsten Takt hinein halten, dort geht es dann an diversen Stellen weiter mit dem Halten; und das alles, während ein Melodielauf von der rechten in die linke Hand geht, puh, wieviele 'Tonwillen' hat man denn!?
Das finde ich eigentlich ziemlich unkompliziert: Der Satz ist ab Takt 3 streng vierstimmig. Ich muß mir da eigentlich nur die wenigen Pausen merken (und im weiteren Verlauf die wenigen Stellen, an denen die Anzahl der Stimmen wechselt).
 
Eine klare Klangvorstellung, also ein sicheres Voraushören der Musik ist zwar grundsätzlich unabdingbar, aber das allein hilft überhaupt nicht, wenn man sich die übergehaltenen Töne verlässlich merken will - und darum geht es doch hier.

Die Überbindungen in den Beispielen stehen keineswegs zufällig da. Man sollte sich bemühen, zu verstehen, warum die Komponisten das genau so notiert haben und nicht anders. *) Ohne diese intellektuelle Arbeit des "Nachkomponierens" wird man sich weder ein größeres Repertoire dauerhaft merken können noch jemals eine eigenständige Interpretation entwickeln, die diesen Namen verdient.

*) Ja, da kommt die böse Musiktheorie ins Spiel, die angeblich jede Kreativität und jedes "Gefühl" im Keim erstickt. Leider ist das Gegenteil ist der Fall: Je mehr man weiß, umso mehr hört man und umso klarer spürt man den Sinn der Musik.
 

Die Überbindungen in den Beispielen stehen keineswegs zufällig da. Man sollte sich bemühen, zu verstehen, warum die Komponisten das genau so notiert haben und nicht anders.
... Je mehr man weiß, umso mehr hört man und umso klarer spürt man den Sinn der Musik.
Der Satz ist ab Takt 3 streng vierstimmig. Ich muß mir da eigentlich nur die wenigen Pausen merken (und im weiteren Verlauf die wenigen Stellen, an denen die Anzahl der Stimmen wechselt).
Aha. Danke, klingt sinnvoll, ist stemmbar und macht sicher auch mehr Spaß, als nur das Notenbild zu memorieren.

Cee
 
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