Frühere oder zeitgenössische Pianisten- wer war besser?

Hartmut

Hartmut

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Ich bin wohl nicht der einzige, der sich öfters mal fragt, wie sich die großen Meister der Vergangenheit am Klavier angehört haben.

Ob Bach, Mozart, Mendelsohn, Listzt oder Chopin - ich glaube die Vergangenheit bot ein weit höheres Potenzial für Legenden als die Gegenwart. Zum einen gab es keine Möglichkeit eine Interpretation zu konservieren, zum anderen waren auch Vergleiche aufgrund der mangelhaften Reisemöglichkeiten meist nur lokal möglich.

Wenn wir mal den Jazz außer Acht lassen, dann gibt es zumindest einen Unterschied zwischen den Epochen:

Die großen Interpreten der Vergangenheit waren alle gleichzeitig große Komponisten; ich kenne keine nennenswerten "Nur-Interpreten". Man scheint sich also früher ganzheitlicher mit Musik beschäftigt zu haben.
Heute kenne ich nur noch Nur-Interpreten, spielen die auch anders?

Ich kenne unterschiedliche Standpunkte:

1. die alten spielten auch nicht besser; aufgrund mangelnder Aufnahmemöglichkeiten lässt sich nichts objektiv reproduzieren, und diejenigen, die den Konzerten beigewohnt haben, blenden überwiegend meist das negative aus der Erinnerung aus.

2. Früher spielten die Pianisten besser, weil sie einen erheblich größeren Übungsaufwand pflegten als es die Pianisten heute tun (Beispiel, Zitat Kissin: "Wenn ein Pianist mehr als 3h täglich übt, hat er entweder nichts besseres zu tun, oder kein Talent"; Horowitz soll ähnliches gesagt haben).

Was meint ihr dazu?
Abgesehen davon, dass wir es nie rausfinden können, ist es überhaupt wichtig?

Der Hartmut
 
Alt gegen Neu

Ich finde die Frage schon interessant.

Es gibt ja tatsächlich gegensätzliche Meinungen und auch bei den Geigern, wo ich einige ganz gut kenne herrcht vielfach die Meinung vor, dass die alten Meister wesentlich besser und vor allem schöner spielten.

Wir leben ja mit ständiger Konservierung der Musik. Alles wird festgehalten, aufgenommen, geschnitten, verbessert usw. Da man nun keine Fehler konservieren möchte, wird eben so lange verbessert und auch zusammengeschnitten, bis scheinbar alles passt.

Die alten Meister konnten sich da viel mehr leisten. Die falsche Taste oder Ähnliches war im nächsten Moment bereits Vergangenheit. Deshalb konnten sie wohl mehr Mut zum Risiko zeigen, was dem Vortrag sicher gut bekommen ist. Jeglicher Auszeichnung von Heute ist nicht mehr zu trauen, es sei denn es ist ein Lifemitschnitt eines Konzertes.

Ich denke auch, dass ein Komponist die ganze Musik eben besser versteht als ein nur Interpret. Von daher glaube ich, dass Liszt auch als Pianist heute noch der Toppianist wäre und da es ja Zeitzeugenberichte aus jener zeit gibt, in denen einige seiner Kollegen mit ähnlichem Niveau beschrieben sind, denke ich, dass sie veilleicht interessanter gespielt haben als die heutigen Pianisten.

Man kann ja nur vermuten aber auch ein bischen Hochrechnen.

Pianisten wie Clara Haskil, Edwin Fischer, w. Kempff gehören ja auch einer vergangenen Generation an, aber wir kennen ihre Interpretationen. Und die hatten sicher noch eine grössere Nähe zu den Meistern des 19 Jhdts.

Wenn ich nun eine der eben genannten höre, wie sie ein Klavierkonzert von Mozart oder eine Beethovensonate spielen und das mit den Interpretationen der heutigen Pianistengeneration vergleiche, so sind die alten nach meiner Meinung die Gewinner. Sie sind höchst inspiriert, kontrolliert in der Wahl des richtigen Tempos, spielen unerhört transparent und treffen den charalter der Stücke besser.

Barenboim, wenn auch nicht mehr so ganz jung, ist wohl ein Genie an Repertoire, aber seine Mozartinterpretationen haben immer was Angestrengtes. Wenn meine Mutter, die älter als er ist die letzte d-dur Sonate von Mozart spielt, dann hört und sieht man den Unteschied. Hier schwere Arbeit und da scheinbar ohne jede sichtbare Anstrengung ein perlender Mozart.

Auch die grosse M. Argerich (trotz ihreer unbestreitbaren Verdienste) kommt an die Interpretationen von Clara Haskil wohl nicht ganz heran. Da fehlt ihr irgendein Zugang.

Ich vermute jedenfalls, dass Pianisten wie Taussig, Kalkbrenner und viel andere heute noch der jungen Pianistengeneration etwas voraushätten.
 
Weiterführung

es wäre doch nett, wenn die Experten auch mal zu dieser frage was sagen.
 
hm, vielleicht hatten "die alten" einen ganz anderen Blick auf die Musik? Dazu was eine Rezension über eine Neuauflage der Musik Sándor Véghs - ein Geiger der alten Schule (1997 gestorben):

Was unterscheidet eigentlich einen guten von einem großen Musiker? Sándor Végh, als Geiger, Kammermusiker und Dirigent einer der größten Musiker des letzten Jahrhunderts, war zum Zeitpunkt dieser Einspielung schon nicht mehr ganz auf der Höhe seiner virtuosen Technik. Aber er hatte eine Geisteshaltung, die ihn die zeitlosen Aspekte von Bachs späten Violinmeditationen erfassen ließ, wie es nur ganz wenige vorher und seitdem vermochten.

Was war das für eine Geisteshaltung - und inwiefern schlug er damit einen interpretatorischen Sonderweg ein? In einem seiner raren Interviews hat der 1912 geborene Ungar dazu Stellung bezogen, 1995, zwei Jahre vor seinem Tod. Befragt nach seinen Lehrern begann er bildhaft von etwas zu sprechen, was er "perspektivisches Denken", oder " das dimensionale Gefühl" nannte: Eine Maus geht von einem Loch zum andern und sieht nur das. Der Mensch sieht die Maus und die Katze, ein Vogel sieht uns alle drei. Aber darüber gibt es noch etwas, etwas Ewiges. Das dimensionale Gefühl, das sich mit dieser Gewißheit einstellt, macht mich stark.

Auf die Musik übertragen heißt das: Diejenigen, die nur die Noten und das Instrument sehen, ähneln der Maus. Aber da sind auch solche, die die höheren Schwingungen empfangen, jene seltenen, die das in ihrer Interpretation mitschwingen lassen. Diese metaphysischen Kräfte, die vom Moment, von der Musik, vom Publikum ausstrahlen - wenn es mir gelingt, darauf einzuschwingen, dann bin ich nur ein Medium, das diese Energie transponiert. Ich versuche gar nichts, sondern es geschieht mit mir.

Klingt verdammt esoterisch, war aber vor dem 2. Weltkrieg für viele große Musiker wie Furtwängler oder Pablo Casals einmal selbstverständlich. Ist das der Grund, warum Interpretationen von Gestern manchmal eine geistig-seelische Dimension haben, die wir heute vergeblich suchen? Unser Hörbeispiel, eine der ergreifendsten Passagen aus Bachs "Sonaten und Partiten", läßt sich daraufhin mit zahllosen hervorragenden Interpretationen vergleichen...
Quelle: tonspion.de
 
Mozart und Clara Haskil

Die Klasse von Mozart-Interpretationen durch Clara Haskil ist auch meiner Meinung nach herausragend und wird von vielen später Spielenden nicht erreicht.
Ich höre mir immer wieder gern ihre Aufnahme vom d-Moll Klavierkonzert an.

Gruß Hartwig
 

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