FAZ: „Erhalt uns, Herr, die Obrigkeit“ singt keiner mehr

Hier ein sehr schöner Artikel im Feuilleton der FAZ zum Thema "Gesangbücher und Kirchenlieder".

Kirchenlied:„Erhalt uns, Herr, die Obrigkeit“ singt keiner mehr

Wirklich sehr lesenswert und sehr schön geschrieben.
Angesichts des neu erscheinenden Gotteslobs, mit dem sich katholische Kirchenmusiker gerade vertraut machen, sicherlich kein unzeitgemäßer Artikel. Von Interesse ist die Fragestellung, ob es zwischen Zeitgeist und Textaussage Wechselwirkungen gibt, die in dem Artikel aufgeworfen und durchaus in einigen Aspekten beantwortet wird. Bezeichnend im Sinne der Überschrift: Nach zigfach stattgefundenem Macht- und Kompetenzmißbrauch wird die "Obrigkeit" heute differenzierter und kritischer betrachtet, wofür es gute Gründe gibt.

LG von Rheinkultur
 
Nichts gegen Hermann Kurzke, der ja der Experte für Hymnologie in Deutschland ist und viele gute Sachen geschrieben hat, aber mir klingt das alles ein bisschen zu sehr nach der "guten alten Zeit". Ich bin kein Riesenfreund vom NGL, aber auch da gibt es gute Sachen und nicht nur "Tingeltangel". Dagegen bezweifle ich sehr, dass viele Gläubige an einer erotischen Beziehung zu Maria mittels Kirchenlied wirklich interessiert sind (bei manchen Pfarrern siehts vielleicht anders aus ;) ).

Auch finde ich die ausschließliche Fixierung der hymnologischen Forschung auf die Texte reichlich einseitig. Werden Lieder wirklich vor allem wegen des Textes gesungen? Hätte "Von guten Mächten" so eine Verbreitung gefunden, wenn nicht Fietz eine einschmeichelnde Melodie Dur-Melodie dazu komponiert hätte? Kann man aus so einem beschränkten Ansatz heraus so weitreichende Folgerungen ziehen, wie Kurzke es hier macht? Ich habe da meine Zweifel.
 
Werden Lieder wirklich vor allem wegen des Textes gesungen? Hätte "Von guten Mächten" so eine Verbreitung gefunden, wenn nicht Fietz eine einschmeichelnde Melodie Dur-Melodie dazu komponiert hätte?
Davon gibt es noch andere Vertonungen, auch in Moll - es ist nicht verwunderlich, dass diese eher selten ausgewählt und gesungen werden. Bei Trauergottesdiensten ist die Fietz-Melodie ausgesprochen beliebt, möglicherweise weil sie eben trostspendend und nicht noch trauriger machend herüberkommt.
 
@ dussek: Ich glaube, es geht hier auch nicht um eine explizit erotische Beziehung weder der Gläubigen noch der Geistlichkeit zu Maria, sondern, ähnlich wie bei der Exegese des Hohenliedes oder der Hochzeit zu Kanaan um zwei Dinge:

1. Die Kirche bzw. der christliche Glaube ist keinesfalls sinnesfreudenfeindlich! Natürlich gibt es gewisse Grenzen, aber Sexualität und ähnliches gehören mit zur Schönheit der Schöpfung und sind sogar heilig - weshalb sie unter besonderem Schutz stehen.

2. Der Gläubige soll in einer auch sinnlichen - also typisch menschlichen - Beziehung zu Gott und auch zu den Heiligen stehen - ganz im Sinne der unio mystica, deren trauriges Dahinschwinden ich ja an anderer Stelle schon genug beweint habe. Alles, was wir aus der Bibel über unsern Glauben wissen, sind Dinge, die sich auf das tägliche sinnliche Leben der Menschen beziehen: Es geht um Essen und Trinken, Wein und Brot, Leiden und Freuden, Glück und Unglück, Unwetter und reiche Ernten, Tod und Auferstehung, nicht um theologisch komplexe Gedankengebäude - und dennoch ist die Bibel keineswegs ein oberflächliches Bauernleben-Handbuch, sondern verbindet die Lebenswirklichkeit der Menschen auf mystische Weise mit dem Göttlichen zu einer Einheit: Das soll sich auch im Leben der Gläubigen widerspiegeln, deren Beziehung zu Maria also nicht erotisch, sondern besser sinnlich - also echt menschlich - geprägt sein soll. Das vermisse ich auch oft an manchen evangelischen Gottesdiensten: Das Fehlen dieser Ganzheitlichkeit - und Ganzheitlichkeit lässt sich eben am besten sinnlich - also mit den Sinnen - wahrnehmen. Das zählt für mich zum inkarnatorischen Prinzip, was sich schon im Leben Christi verdeutlicht und hat nichts mit unterdrückter und nun auf Maria ausgerichteter Sexualität zu tun! :D

Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie

dessen Namensvetter meines Wissens auch dieser Ansicht war...:D
 
1. Die Kirche bzw. der christliche Glaube ist keinesfalls sinnesfreudenfeindlich! Natürlich gibt es gewisse Grenzen, aber Sexualität und ähnliches gehören mit zur Schönheit der Schöpfung und sind sogar heilig - weshalb sie unter besonderem Schutz stehen.
:D:D:D:D
das ist eine spektakuläre Neuigkeit - sag, warum interessiert sich dann jegliche Kirche reglementierend so sehr für die Unterleibstätigkeiten ihrer Schäfchen?
 
Die Antwort auf Deine Frage ist bereits in dem von Dir zitierten Zitat enthalten...:D

Aber ich muss zugeben - die Kirche hatte und hat ein recht angespanntes Verhältnis zur "Unterleibstätigkeit" - wie Du es nennst. Aber das ist zum einen historisch bedingt. Zum anderen stellt sie somit auch ein gutes Korrektiv in unserer hypersexualisierten Gesellschaft dar. :D Aber in den letzten Jahren entdeckt auch die Kirche den Wert der Sinnlichkeit wieder stärker und versucht ihn zwar in gewisser Form zu reglementieren - aber eher aus Gründen besonderen Schutzes als aus Verteufelung. Nachzulesen auch im KK, Youcat oder sonst wo, wobei auf manchen Feldern immer noch Nachholbedarf herrscht...:D Ganz im Sinne unseres Erzbischofs: Die Kirche ist eine "ecclesia semper reformanda".

Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie

P.S.: Lies Dir mal das Hohelied des Salomo durch. Selten so laszive Literatur gelesen..:D - Aber dennoch im Kontext des Hoheliedes der Liebe im ersten Korintherbrief zu interpretieren, nicht im Kontext irgendwelcher Exzesse pornokratisch beeinflusster Päpste - die es leider in der Geschichte auch gab.
 
Aber das ist zum einen historisch bedingt. Zum anderen stellt sie somit auch ein gutes Korrektiv in unserer hypersexualisierten Gesellschaft dar. :D
...na, das hat die Kirche vermittels ihrer predigtbefugten Angestellten in letzter Zeit ja sehr spektakulär unter Beweis gestellt... ;):D

P.S.: Lies Dir mal das Hohelied des Salomo durch. Selten so laszive Literatur gelesen.. - Aber dennoch im Kontext des Hoheliedes der Liebe im ersten Korintherbrief zu interpretieren, nicht im Kontext irgendwelcher Exzesse pornokratisch beeinflusster Päpste - die es leider in der Geschichte auch gab.
in dieser Hinsicht finde ich den Propheten Hesekiel viel amüsanter, aber um mit den Forenregeln nicht zu kollidieren, zitiere ich ihn lieber nicht :D
"pornokratisch beeinflusste Päpste"... Sachen gibt´s... (buhu, keine Grinseköppe mehr)
 
Dann wollen wir hoffen, dass von den Reformen zu unseren Lebzeiten noch etwas spürbar sein wird....
 
Davon gibt es noch andere Vertonungen, auch in Moll - es ist nicht verwunderlich, dass diese eher selten ausgewählt und gesungen werden. Bei Trauergottesdiensten ist die Fietz-Melodie ausgesprochen beliebt, möglicherweise weil sie eben trostspendend und nicht noch trauriger machend herüberkommt.
Es soll sogar um die 50 Vertonungen geben, wobei ich noch nie eine andere als die in Dur von Fietz und die in Moll von Abel (EG 65) gehört habe. Bei evangelischen Trauerfeiern wird bei uns meist die Abel-Version gewählt wenn gesungen wird, bei rein instrumentaler Wiedergabe die von Fietz. Bei den Katholiken ist die von Abel gänzlich unbekannt.
Wäre der Text wirklich das All-Entscheidende, dann gäbe es dieses große Ungleichgewicht wohl nicht. Will damit sagen: Ob und warum ein Kirchenlied breit rezipiert wird hängt von mehreren Faktoren ab, nicht nur von ein paar sinnstiftenden textlichen Wendungen.
 
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Auf kath. Seite wird die Melodie von Grahl schon mal gesungen.
 

Das soll sich auch im Leben der Gläubigen widerspiegeln, deren Beziehung zu Maria also nicht erotisch, sondern besser sinnlich - also echt menschlich - geprägt sein soll ... Das zählt für mich zum inkarnatorischen Prinzip, was sich schon im Leben Christi verdeutlicht und hat nichts mit unterdrückter und nun auf Maria ausgerichteter Sexualität zu tun!
Deine Ausführungen in Ehren, aber Kurzke spricht in dem Zusammenhang explizit von "religiöser Erotik".

Und wenn ich an die 20-minütigen Ausführungen eines Pfarrers kürzlich nach der Messe zurückdenke, der vor lauter Begeisterung über seinen letzten Fatima-Besuch schier einen Herzinfarkt bekommen hat (oder ähnliches ;) ), dann frag ich mich schon, von was der nachts träumt. Aber das ist jetzt OT.
 
Naja, eine erotische Beziehung zu Maria hatte Liszt ja auch nicht nötig, dafür hatte er schließlich seine Marie:D

Marienfrömmigkeit spielt in Liszts geistlicher Musik aber generell keine besondere Rolle, oder?
der hatte es eher mit der heiligen Elisabeth ;):D

übrigens wollte mal in den 60er Jahren die katholische Kirchenmusik reformieren, eckte damit aber im Vatikan an und leß es beleidigt bleiben :)
 
Es ging mir nicht darum, das Liszt etwas mit Maria oder Marie oder Elisabeth oder Carolyn oder sonst wem auch immer hatte - sondern:

Er war auch Vertreter eines gläubigen, aber nicht "trockenen" Katholizismus. :D

Und die ganzheitliche Auseinandersetzung mit Heiligen oder Gott erkennt man ja schon in den von Liszt erhaltenen religiösen Werken für Klavier solo.

Sie zählen für mich mit zum schönsten Teil seines kompletten Opus:

Zum Beispiel:

Liszt - In festo transfigurationis - YouTube

Liszt - Sancta Dorothea, S.187 (1877) - YouTube

Oder auch seine Legenden.

Im Zusammenhang damit steht folgendes Liszt-Zitat:

"Mein Hang zum Katholizismus rührt von meiner Kindheit her und ist ein bleibendes und mich beherrschendes Gefühl geworden."

Quelle: Liszt, Franz, Briefe, Hrsg. von La Mara, Leipzig 1893-1904, Bd. I-VIII


Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie
 
Erst mal noch vielen Dank für den schönen Artikel, Lisztomanie!

Am neuen geistlichen Lied haben wir (die etwas älteren unter uns :)) miterlebt, wie der Zeitgeist die geistlichen Lieder beeinflusst. Wir erleben dabei auch, dass manches sich sehr schnell überlebt. Singt man noch "Danke für diesen guten Morgen"? :rolleyes: In meiner Gegend zum Glück nicht.:D:D

Mir fällt auch auf, dass nicht nur ihres Textes wegen manche Lieder aus dem Repertoire einer Gemeinde herausfallen. Eine Freundin von mir wünschte sich für ihre kirchliche Trauung u.a. "Geh aus mein Herz und suche Freud" von Paul Gerhardt, das immerhin im evangelischen Gesangbuch steht. Obwohl die Gemeinde durchaus eine ganze Reihe von regelmäßigen Kirchgängern umfasste, waren die meisten nicht in der Lage, die verhältnismäßig anspruchsvolle Melodie zu singen. Ähnliche Fälle gibt es auch im Gotteslob. Vielleicht verschwinden also manche Gesänge auch, weil ihre Melodien nicht mehr zeitgemäß oder einfach "zu schwierig" sind?
 
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@ Anna Lema:

Dabei hatte dieser NGL-Klassiker sogar vor nicht allzu langer Zeit den 1. Preis beim Wettbewerb der Evangelischen Akademie Tutzing für neue geistliche Lieder gewonnen.

Aber bezüglich Deiner Ausführungen, das Lied werde nicht mehr gesungen: Du glaubst nicht, was in Schulgottesdiensten für Lieder gesungen werden, da ist das hier noch das schönste...:D

Einen schönen Paul Gerhardt hört man hingegen eher selten. Wobei ich bei uns im Dom noch Glück habe: Da wird eig. jede sonntägliche Messe (zumindest die Hauptmesse um 10:00 Uhr - die ganze anderen Messen, Andachten etc. über den Tag verteilt haben da nicht so viel Glück..:D ) von einem unserer Chöre gestaltet, die Orgel spielt sowieso immer super und die Gemeinde ist auch recht sangesfreudig, was dazu führt, das man sich gegenseitig so richtig "aufwiegelt" und bei Klassikern wie "Großer Gott, wir loben Dich" ich auch schon mal sorge hatte, der Hochchor würde über mir zusammenbrechen...:D

Herzliche Grüße

Dein Lisztomanie

der die einende Kraft von gutem Gemeindegesang sehr zu schätzen weiß. :D
 

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