Fassbares und Unfassbares

des weiteren erstaunlich ist, dass die Harmonik in diesem Notenbeispiel schon direkt das enthält, was man gerne "Tristanakkord" nennt

Weil ich es gerade wieder gehört habe und immer wieder begeistert bin...

Aus dem Klavierauszug welcher Oper stammt folgendes Beispiel?

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Da das Beispiel mit einem der berühmtesten Akkorde bzw. Motive der Musikgeschichte beginnt, würde man wohl den Tristan vermuten. Tatsächlich ist es aber aus der Oper, die genau als diatonisches Gegenstück zum chromatischen Tristan gedacht war, also aus den Meistersingern. Schaut man sich an, was an jener Stelle gesungen wird, wird einem auch der Hintergrund klar.



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Sachs singt:

Mein Kind, von Tristan und Isolde
kenn' ich ein traurig Stück:
Hans Sachs war klug und wollte
nichts von Herrn Markes Glück.


Hier haben wir also ein Leitmotiv, das Wagner über die Grenzen einer Oper hinaus auch in einer späteren Oper verwendet und über den Text klarstellt, dass das nichts als die volle Absicht war. So wie er in der Walküre auf den Tristan vorausblickt, so blickt er in den Meistersingern noch einmal zurück.

Ich weiß, das Beispiel ist sehr bekannt, mich begeistert es aber immer wieder. Fassbar für den Hörer und unfassbar genial komponiert.

Viele Grüße!
 
Statt dieses einzigartige "work in progress" als Ganzes zu überfordern, empfehle ich dir, gut dokumentierte Abschnitte, Details zu betrachten. So sind z.B. alle Kompositionsskizzen samt etlichen Briefen bzgl. der "Todesverkündung" in der Walküre erhalten...

Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, mir die entsprechende Literatur zu besorgen, aber ich habe mir dennoch in den letzten Wochen einige Gedanken zu dieser tollen Szene gemacht. Ich werde mal versuchen, meine Gedanken dazu zusammenzufassen.

Es geht also um folgendes Motiv am Beginn der vierten Szene des zweiten Aktes der Walküre…

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(Klindworth-Klavierauszug Seite 162)

Dem Leser erschließt sich, dass der klangliche d-Moll-Akkord, enharmonisch verwechselt nicht als solcher notiert ist, sondern statt dem f dort ein eis steht. Glücklicher Weise steht einem ja bereits der gesamte Ring zur Verfügung und man kann sich ansehen, was später aus dem Motiv noch wird. Auch in der Götterdämmerung ist es eines der zentralen Motive. So stirbt Siegfried ebenso wie sein Vater, zu diesem Motiv. In der Götterdämmerung sieht das dann aber so aus.

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(Klindworth-Klavierauszug Seite 316)

Hier sind nun also vier Töne notiert und es ergibt sich der Akkord e-cis-fisis-h. Transponiert man diesen Akkord auf die Situation zu Beginn der Todesverkündung, würde sich der Akkord d-eis-a-h ergeben, das h fehlt also eigentlich.

Den Ausgangsakkord kann man also als d-eis-a-(h) annhemen. Dieser Akkord dient wiederum als Vorhalt für den Akkord d-eis-gis-(h), ein äquidistanter Akkord bestehend aus kleinen Terzen, also ein verkürzter Dominantseptnonakkord mit kleiner None (im Folgenden Dv). Ein Dv ist bekanntlich mehrdeutig und lässt diverse Weiterführungen zu. Eine Möglichkeit wäre, diesen Akkord als Dominante zur eigentlich notierten Tonart fis-Moll zu nutzen und entsprechend nach fis-Moll aufzulösen, dann wäre eigentlich alles in Butter, passiert hier aber nicht. Stattdessen gleitet das d nach cis und das h wird nun auch mitnotiert, es ergibt sich also der Akkord cis-eis-gis-h was nichts anderes ist, als der Cis-Dominantseptakkord, der hier im Kontext auch die Dominante wäre und somit nach fis-Moll aufgelöst werden könnte.

Das erstaunliche an der Sache ist, das vom Ausgangspunkt d-eis-a bis zum Zwischenergebnis cis-eis-gis-h im Grunde kein Harmoniewechsel stattgefunden hat. Der vermeintlich klangliche d-Moll-Akkord, ist also eigentlich bereits ein Cis-Dominantseptakkord mit a und der kleinen None d als Nebentöne bzw. Vorhalte, die schrittweise aufgelöst werden.

Es wird also der Cis-Dominantseptakkord als Zwischenergebnis erreicht. Würde nun nach fis-Moll aufgelöst werden, wäre das schon bis hier hin eine ziemlich interessante Sache, es geht aber noch weiter. Statt nach fis-Moll aufzulösen, wird das gesamte Motiv einfach einen Ganzton höher wiederholt und landet auf dem Dis-Dominantseptakkord.
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(Klindworth-Klavierauszug Seite 162)

Auch nun wird nicht wie zu erwarten fortgesetzt, indem nach gis-Moll aufgelöst, stattdessen schließt sich das Todesklage-Motiv beginnend mit einem fis-Moll Akkord an, es erklingt nun also die Tonika, allerdings aus einem harmonisch entstellten Kontext heraus. Und auch dieses Motiv endet mit einem Dominantseptakkord, diesmal auf fis, worauf sich natürlich wieder keine Harmonie auf h anschließt.
Wagner lässt also die Septakkorde unaufgelöst stehen, das Ergebnis der harmonischen Entwicklung ist somit kein konsonanter Akkord mehr.

Es kommt aber noch schlimmer. Rein klanglich gesehen, beginnt ja das Motiv mit einem konsonanten Akkord, nämlich einem d-Moll Akkord. Im Kontext und perfekt vorbereitet durch die Überleitung zu dieser Szene wirkt dieser Akkord aber dissonant (ist er ja eigentlich auch…also irgendwie). Dieser Effekt wird durch das Crescendo (das wirkt durch die Bläser weit besser, als wenn man das am Klavier probiert) bis zum Taktende und bis zum Auflösen des ersten Vorhalts (a=>gis) verstärkt. Beim Erreichen des Cis-Dominantseptakkordes geht die Dynamik subito wieder zum Pianissimo zurück und in der Kombination dieser Effekte, wirkt der eigentlich dissonante Dominantseptakkord nun konsonant auf den Hörer.

Wagner setzt zum Schluss noch einen drauf. Am Ende der Oper kommt während des Feuerzaubers folgende Stelle.*

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(Klindworth-Klavierauszug Seite 314)

Enharmonisch verwechselt haben wir zunächst dieselben Töne, nämlich d-f-a, der weitere Verlauf unterscheidet sich aber dadurch, dass nicht nach Cis7 sonders nach E-Dur aufgelöst wird, also wirklich konsonant.

Harmonisch stellt sich das aber gegenüber dem Schicksalsmotiv komplett anders dar, denn hier wird der d-Moll-Akkord wirklich im d-Moll-Kontext und somit subdominantisch verwendet und notiert. Der erzielte, klangliche Effekt ist hier ganz anders. Es ist fast so, als würde hier Wagner noch mal darauf hinweisen, dass ihm durchaus bewusst war, was er da vorhin komponiert hat und dass er da bewusst etwas gemacht hat, was völlig von der Norm abweicht.

Gehen wir zurück zum Ausgangsakkord d-eis-a-h. Wenn man die Töne anders anordnet, erhält man h-eis-a-d. Wenn man diesen Tonvorrat transpositioniert, ist der Akkord identisch mit dem Akkord f-h-dis-gis und das ist nichts anderes, als der Tristanakkord. Wie zum Beginn des Tristans wird auch hier ein D7 als Zielakkord erreicht, nur ohne chromatisches Viertonmotiv und ohne der (Doppel-)Dominantfunktion des Tristanakkords.

Für Korrekturen und Diskussionen jeglicher Art wäre ich dankbar.

Viele Grüße!

*Es gäbe noch einen einmaligen Zwischenschritt in der Motiventwicklung, wenn Siegmund Brünnhilde „zu ihnen folg‘ ich dir nicht!“ antwortet, den ich jetzt bewusst ausgelassen habe.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sicherlich interessante Beobachtungen und Schlußfolgerungen. Nur - wenn Du zu den Notenbeispielen noch die Ausgabe des Klavierauszugs und die Seitenzahlen angäbest, wäre es für Normalsterbliche leichter, die Dinge im größeren Kontext und am Instrument nachzuvollziehen. Nicht jeder ist bei Wagner so sattelfest wie ich es von @rolf und @mick annehme.
 
Harmonisch stellt sich das aber gegenüber dem Schicksalsmotiv komplett anders dar, denn hier wird der d-Moll-Akkord wirklich im d-Moll-Kontext und somit subdominantisch verwendet und notiert.

Das ist harmonisch anders als das Schicksalsmotiv, aber so richtig subdominantisch ist das trotzdem nicht. D-Moll wäre im E-Dur Kontext zwar eine Wechselsubdominante; weil aber der subdominantische Kontext hier völlig fehlt (es gibt weit und breit weder A-Dur noch a-Moll), sehe ich das eher als phrygische Kadenz, auch wenn der charakteristische Halbtonschritt in der 3. Posaune und damit in einer Mittelstimme liegt.

LG, Mick
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich bin leider noch nicht dazu gekommen, mir die entsprechende Literatur zu besorgen, aber ich habe mir dennoch in den letzten Wochen einige Gedanken zu dieser tollen Szene gemacht. Ich werde mal versuchen, meine Gedanken dazu zusammenzufassen.
zu dieser in der Tat tollen, außerordentlichen Stelle hatte Wagner in einem Brief an Liszt geschrieben:
Zitat von Wagner:
[...] ich bin nun an der Stelle, da Brünnhilde Siegmund den Tod verkündet - ja kann man das überhaupt noch komponieren nennen?? [...]
die verschiedenen Kompositionsskizzen zur Walküre zeigen eindrücklich, dass Wagner sehr mit dieser Stelle zu kämpfen, rätseln und probieren hatte, bis er die endgültige Notation gefunden hatte; und das ist kein Wunder, denn genau an dieser Stelle (Todverkündung) entwickelt er erstmals seine epochale Tristanharmonik (einige Jahre vor dem Tristan!)

darf ich dir beim Gedanken zusammenfassen ein wenig helfen?

das melodische Motiv allein (a-gis-h) ist ohne harmonischen Kontext erstmal völlig konventionell (eine unaufgelöste Fragefloskel quasi, bei Beethoven kommt dieser Motivsplitter beispielsweise öfters vor, sogar in sehr ähnlichem Rhythmus)

Der Musikwissenschaftler Prof. Werner Breig (Erlangen; Herausgeber und wiss. Leiter der Wagnerbriefe) hat das Schicksalskundemotiv einer sehr ausführlichen harmonischen Analyse unterzogen und die innovativen Besonderheiten aufgezeigt. Und dabei als Vergleichsmaterial u.a. die f-Moll (lamento) Invention von Bach verwendet.

Deine Beobachtung, dass die Akkordfolge d-eis-a => cis-eis-h bei gleichbleibendem Motiv (a-gis-h) am Ende effektvoll zu einer sakral wirkenden Auflösung umgebaut wird (d-f-a => e-gis-h) ist völlig richtig! Warum wirkt das am Ende irgendwie sakral? d-Moll => E-Dur wäre zwar nach herkömmlicher Funktionsharmonik unaufgelöst (d-Moll als Subdominante, E-Dur als Dominante) - aber diese beiden Dreiklänge nebeneinander waren in der frühbarocken Kirchenmusik eine gelegentlich verwendete Kadenzformel; allerdings ist diese ungebräuchlich geworden. (ob Wagner das wusste, lässt sich nicht ermitteln)

aber zurück zu der Stelle, die Wagner solche Schwierigkeiten machte:
Todverkündung Klindworth.png
(Klindworth Klavierauszug "version primitive" - die schwierigere (bessere) Version habe ich leider nicht im Notebook, sondern nur als fetten Notenband (und bin zu faul, das um diese Uhrzeit zu scannen))
Du hast recht, dass die unaufgelöste Harmoniefolge d-eis-a => cis-eis-h sequenziert wird - aber du übersiehst dabei, dass das cis im Bass bleibt: das cis führt (quasi orgelpunktartig) zum verblüffend nach dem Dis-Dur Septakkord richtig klingenden fis-Moll bei "sie hält an"

Und jetzt schau dir die letzten vier Takte des Notenbeispiels genau an: am Ende Fis-Dur7 .... transponier das mal so, dass am Ende E-Dur 7 herauskommt ...... dann guck mal im Tristan nach .... ..... Überraschung :-):drink::-) das ist die berühmte Akkordprogression im Tristan ("Tristanakkord"), wobei lediglich hier die beiden vorletzten Akkorde im Vergleich zum Tristan vertauscht sind - die Wirkung ist dieselbe: der Septimakkord am Ende der Phrase wirkt als Auflösung der harmonischen Spannung.

Natürlich ist der fahle Klang (Orchestration) von d-eis-a - was man natürlich als Moll Dreiklang hört - schon eine Besonderheit: man hört einen Moll Dreiklang, der aber keiner ist. Der Hörer wird absichtlich harmonisch in die Irre geführt, die Akkordik scheint bodenlos zu sein - und das umso mehr, als ja in dieser Szene ständig die harmonisch korrekten Walhallakkorde als Kontrast auftauchen. Das hat der Wagner wirklich toll gemacht! Die bodenlose, scheinbar orientierungslose freie Harmonik als Klangsymbol für die Todverkündung, die Walhallkadenz als harmonisches Paradies. (Wagner konnte Effekte steuern! Ohne diesen Kontrast der Harmoniken (!) wäre die ganze Szene sinnlos bzw. nur kurios - in einem Brief an Hans von Bülow hatte Wagner das verwenden harmonisch scharfer Gewürze sehr eindrücklich erklärt (Bülow hatte ihm eine Komposition geschickt, die nur aus komplizierten Akkordverbindungen bestand - Wagner hatte diese streng kritisiert, weil sie nur aus den scharfen Gewürzen bestand...(!!)...)

wenn ich mich richtig erinnere, gab es mal vor paar Jahren einen Faden über verrückte Akkorde - da war die Todverkündung auch drin
 
Zuletzt bearbeitet:
Warum wirkt das am Ende irgendwie sakral? d-Moll => E-Dur wäre zwar nach herkömmlicher Funktionsharmonik unaufgelöst (d-Moll als Subdominante, E-Dur als Dominante) - aber diese beiden Dreiklänge nebeneinander waren in der frühbarocken Kirchenmusik eine gelegentlich verwendete Kadenzformel; allerdings ist diese ungebräuchlich geworden.

So ungebräuchlich ist die gar nicht - in Mozarts Rezitativen kommt diese (phrygische) Kadenz hin und wieder vor - z.B. in der Sprecherszene, wenn Tamino singt "Wann also wird die Decke schwinden?". Die Stelle hat Wagner bestimmt gekannt.
 
Zuletzt bearbeitet:
...wirkt die phrygische Wendung in Mozarts Rezitativ wie ein richtiger Vollschluss? Natürlich tauchen solche Wendungen quasi als exotische Momente in allerlei Musik der Wiener Klassik auf, z.B. bei Haydn. Aber das erklärt die Wirkung, die Wagner am Ende der Walküre erzielt, nicht. Für diesen NACH allem voran gegangenen so überzeugenden und feierlich sakral klingenden Schluß gibt es noch einen weiteren Grund. Der Sturm, der Sigmund zu Sieglinde scheucht und die tragisch unausweichlich Handlung auslöst (Wotans Geheimplan) wütet in d-Moll - Wotans Abschied und Feuerzauber glänzen hochemotional in E-Dur! Hier schließt sich der harmonische Bogen der ganzen Oper.
Ähnlich im Tristan, der in a-Moll beginnt und in H-Dur endet.
Die Schluß Wendung fasst emotional noch mal die tragische aber auch hoffnungsvolle Handlung zusammen.
 
Zuletzt bearbeitet:
Vielen Dank, für die Antworten!

aber du übersiehst dabei, dass das cis im Bass bleibt: das cis führt (quasi orgelpunktartig) zum verblüffend nach dem Dis-Dur Septakkord richtig klingenden fis-Moll bei "sie hält an"

Stimmt, das habe ich wirklich übersehen. Dabei fällt das gerade am Klavier noch mehr auf, als wenn das die Pauke im Orchester macht.

das ist die berühmte Akkordprogression im Tristan ("Tristanakkord")

Nur wenig später kommt der Tristanakkord sogar in der "richtigen" Transpositionsstufe, nämlich bei der zuvor am Rande angesprochenen Antwort Siegmunds "zu ihnen folg' ich dir nicht!"

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(Klindworth-Klavierauszug Seite 169)

Auf dem "dir" hat man die Tristan-Akkordtöne h-f-dis-gis beisammen und auch hier verwendet Wagner das Motiv wieder als Dominante wie zuvor im Todesklage-Motiv und später im Tristan, im Gegensatz zum Tristan löst er hier aber konsonant nach E-Dur auf und nicht nach E7.

Was ich am eigentlichen Schicksalsmotiv so toll finde ist die Tatsache, dass wie angesprochen eigentlich kein Harmoniewechsel stattfindet ausgehend von einem vermeintlichen Moll-Akkord, hinter dem sich im Grunde schon der Tristan-Akkord verbirgt. Die Akkordprogression (wenn man davon reden kann) in diesem Motiv ist somit funktionslos, die Schluss-Regeln greifen nicht mehr und die Systematisierbarkeit als wesentlicher Bestandteil der Tonalität entfällt. Das ist schon für jene Zeit ein starkes Stück.

Eine Sache verstehe ich nicht. Auch in der Götterdämmerung wird das Motiv häufig verwendet. Wenn Siegfried stirbt, enthüllt Wagner doch noch das wahre Gesicht dieses Akkord in Form des Tristanakkordes nun auch im Schicksalsmotiv.

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(Klindworth-Klavierauszug Seite 316)

Warum macht er das hier? Warum zieht er das Konzept des Schicksalsmotivs nicht bis zum bitteren Ende durch und lässt die Septime cis im ersten Akkord weg? Enthüllt sich hier das Schicksal?

Viele Grüße!

@koelnklavier
Ich habe die Ausgaben und Seitenzahlen im oberen Beitrag ergänzt.
 
...wirkt die phrygische Wendung in Mozarts Rezitativ wie ein richtiger Vollschluss?

Nein, danach singt der Sprecher ja in a-Moll weiter. Es geht mir mehr um den Charakter dieser phrygischen Wendung - in der Klassik wird sie oft als Stilmittel eingesetzt, wenn eine Phrase fragenden Charakter bekommen soll. Eine geniales Beispiel dafür ist z.B. auch die kurze Kadenz, mit der Mozart das Duett "Crudel! perchè finora" aus dem 3. Figaro-Akt einleitet – mit nur drei Akkorden ist der an Susannas Aufrichtigkeit zweifelnde Graf perfekt charakterisiert.

Im Feuerzauber ist die harmonische Situation natürlich anders, aber auf mich wirkt der phrygisch klingende Einschub des Schicksalsmotivs ebenfalls wie eine Frage, ein Zweifel an der ganzen E-Dur-Herrlichkeit. Eine gewisse Schlusswirkung tritt nur deshalb ein, weil danach noch etliche Takte reines E-Dur folgen, in denen man den d-Moll-Fremdkörper wieder ein wenig vergisst. Aber es bleibt ein fragiles Ende, und es ist klar, dass das Werk hier noch weitergeht.

LG, Mick
 
Ich bewundere Euch, wie Ihr dasjenige harmonisch analysieren könnt, was beim Rezipienten mit einem Sinn für all diese Assoziationen (aber leider defizitären Harmonielehrekenntnissen) das einzigartige Ring-Erlebnis mit all seinen Andeutungen, Verweisen, Verknüpfungen auslöst!
Natürlich ist der fahle Klang (Orchestration) von d-eis-a - was man natürlich als Moll Dreiklang hört - schon eine Besonderheit: man hört einen Moll Dreiklang, der aber keiner ist. Der Hörer wird absichtlich harmonisch in die Irre geführt, die Akkordik scheint bodenlos zu sein - und das umso mehr, als ja in dieser Szene ständig die harmonisch korrekten Walhallakkorde als Kontrast auftauchen. Das hat der Wagner wirklich toll gemacht! Die bodenlose, scheinbar orientierungslose freie Harmonik als Klangsymbol für die Todverkündung, die Walhallkadenz als harmonisches Paradies. (Wagner konnte Effekte steuern!

Wagner als Komponist kommt mir vor wie ein Hexenmeister. Ausdrücklich ohne es überhöhen zu wollen: Es hat etwas Dämonisches an sich. Wenn man sich auf die assoziative Leitmotivik des Rings einlässt, fällt es schwer, danach wieder einen klaren Gedanken zu fassen. Es ist im Wortsinne "überwältigend".

Wenn man den Ring live in der Oper erlebt, kann man all die inneren Spannungen der Fatalität, des Schicksals und all der verstörenden Ganzheitserlebnisse wenigstens durch frenetischen Applaus abbauen und somit den halbwegs klaren Kopf zurückgewinnen, den man braucht, um auf der Heimfahrt nicht das Auto an die Leitplanke oder einen Brückenpfeiler zu steuern. Den Ring daheim im stillen Kämmerlein zu hören, ohne dieses "erdende" Ventil hernach, macht sonderbare Dinge mit einem.

Hinsichtlich der musikalischen Effekte empfinde ich Wagner als hemmungslos und auch rücksichtslos. Ein Mozart löst solche bleischweren Momente auf mit einem "Sposi, amici, al ballo, al gioco!" oder einem "E noi tutti, o buona gente, ripetiam allegramente l'antichissima canzon" oder dem erlösenden "Sia noto a Roma, ch'io son lo stesso, e ch'io tutto so, tutti assolvo, e tutto oblio." Ein Richard Strauss beendet seinen Rosenkavalier auch noch irgendwie leichtfüßig. Wagner (und einige Komponisten in seinem Gefolge, die das Spiel mit dem emotionalen Vorschlaghammer allerdings nicht so "überwältigend" beherrschten) entlässt die Zuhörer platt am Boden, und setzt diesen Effekt auch bewusst ein.

Schrieb er nicht zum "Tristan", sinngemäß: Die Leute sollen nach der Oper das Bedürfnis haben, sich in Nichts aufzulösen (oder sich umzubringen oder etwas Sinngemäßes)?
 

"Ich arbeite für die Erwachenden."...........Richard Wagner

In einer Phase meines Lebens, ca. 20 Jahre zurück, habe ich ein halbes Jahr nichts Anderes gemacht, als den Ring im Kreis anzuhören.

Nach einer gewissen Zeit bin ich in eine andere Welt eingetaucht. Insgesamt war es ein Erlebnis der Sonderklasse.

Ich konnte auch keine andere Musik mehr hören, war mir Alles zu nichts sagend.

Warum was Anderes hören, wenn Wagner die beste Musik der Welt macht.

Allerdings folgte dieser Phase dann eine Phase der absoluten Musikabstinenz und nach sehr lange Zeit wieder eine allmähliche Annäherung zur Musik allgemein.
 
Nach einer gewissen Zeit bin ich in eine andere Welt eingetaucht. Insgesamt war es ein Erlebnis der Sonderklasse.

Ich konnte auch keine andere Musik mehr hören, war mir Alles zu nichts sagend.

So erging es mir auch. :girl: Man verliert sein reales Selbst dabei - irgenwie. Manche Wagnerianer kommen aus diesem Circulus auch nicht mehr raus. Mittlerweile sehe ich das kritisch - es hat etwas "Ungesundes", ich würde es vielleicht mit "Drogenkonsum" vergleichen.
 
So erging es mir auch. :girl: Man verliert sein reales Selbst dabei - irgenwie. Manche Wagnerianer kommen aus diesem Circulus auch nicht mehr raus. Mittlerweile sehe ich das kritisch - es hat etwas "Ungesundes", ich würde es vielleicht mit "Drogenkonsum" vergleichen.

Es soll der Tristanakkord sein, der schon manchen in die Tiefen gezogen hat.
Dieser Akkord soll mit Vorsicht genossen werden.
 
Es soll der Tristanakkord sein, der schon manchen in die Tiefen gezogen hat.
Dieser Akkord soll mit Vorsicht genossen werden.
kein Grund zur Sorge: das chromatische Motiv #g-a-#a-h inklusive des schmachtenden Rhythmus taucht schon bei Mozart (Fantasie d-Moll) und Beethoven (Pathetique) auf, ebenso der Septakkord der 2. Stufe der Mollskala (Tristanakkord) - von den paar Tönen strömen keine bewußtseinsverändernden Drogenviren aus :-D
 
von den paar Tönen strömen keine bewußtseinsverändernden Drogenviren aus :-D

OT: Die bewusstseinsverändernde Gefahr besteht bei mir viel eher bei den ewig langen sheets of sounds beim späten Coltrane:angst:, ein Wagnerianer werde ich in diesem Leben nicht mehr;-). Aber wie Barratt schon geschrieben hat: Faszinierend, wie tief ihr in die Materie eindringen könnt.
 
In einer Phase meines Lebens, ca. 20 Jahre zurück, habe ich ein halbes Jahr nichts Anderes gemacht, als den Ring im Kreis anzuhören.(...) Ich konnte auch keine andere Musik mehr hören, war mir Alles zu nichts sagend(...)
So erging es mir auch. :girl: Man verliert sein reales Selbst dabei - irgenwie. Manche Wagnerianer kommen aus diesem Circulus auch nicht mehr raus. Mittlerweile sehe ich das kritisch - es hat etwas "Ungesundes", ich würde es vielleicht mit "Drogenkonsum" vergleichen.
Da gibt es übrigens noch eine weit kuriosere Form der (temporären?) Süchtigkeit: es gibt "Drogenabhängige", die in Wagners Texten - vornehmlich im Ring - eine Art "heiligste Schrift" zu erblicken wähnen, und dann haarsträubende Textdeutungen liefern; so z.B. dass das Libretto der Walküre just in Hundings Hütte die Erkenntnisse der modernen Archäologie über die Wohnverhältnisse der Germanen vorweg genommen habe... :lol::lol::lol: (eine Gruppierung solcher...hm... religiöser Eiferer pflegt in einem mittelmässigen Hotel in Bayreuth während der Festspielzeit Einführungsvorträge abzuhalten, die in der Regel einerseits das religiöse Credo des Referenten und andererseits eine scharfe Ablehnung jeglicher Inszenierung und Regie bieten... wer nach Bayreuth geht, sich sowas nicht antun will, aber auch keinen Bock auf Mikischs Witzeleien am Klavier hat, der sollte sich die Einführungen des Wagnermuseums reinziehen)

@Roodol Foa Npadre und @Barratt obwohl ich zwei jahrzehntelang Wagners Musikdramen rauf und runter gehört habe, mehr als oft genug in Byreuth war, und nach wie vor von Tristan, Walküre, Meistersingern, Siegfried, Götterdämmerung und auch Lohengrin begeistert bin: diese Art von einseitiger Vereinnahmung hat mich in all der Zeit nicht heimgesucht.
Allerdings zugegeben: was die Lebenszeit von Wagner als aktivem Komponisten betrifft, so ab 1848 (Uraufführung des Lohengrin) bis 1882 (Uraufführung des Parsifal) so findet sich nichts in den Opern, was ernsthaft ein Gegengewicht zu Wagner bieten würde. --- bis auf eine Ausnahme: der Guiseppe auf der anderen Seite der Alpen!

Und diese beiden - Wagner und Verdi - verbindet ihr ungeheueres dreifaches Talent:
1. als unübertroffene Melodiker*) ihrer Zeit
2. als unübertroffene Meister der Effektsteuerung (Proportionen usw.)
3. als unübertroffene Meister des Opernorchesters
Das führt dazu, dass es in den Hauptwerken der beiden keine Sekunde Leerlauf, keine Sekunde Qualitätsdurchhänger gibt; und leitmotivisch-thementransformierend "durchkomponiert" sind die Hauptwerke von beiden. (man kann ja mal Lohengrin und La Traviata abklopfen)

Das hatte Folgen: in der Oper hat man nach Wagner nicht mehr isolierte schöne Stellen (Nummernoper) zusammengestellt: Puccini, Richard Strauß usw. sind "Durchkomponierer".

Allerdings gibt es eine Nummernoper, die zu Lebzeiten Wagners uraufgeführt wurde, und die Wagner voller Wut und Hass abwertend als Operette bezeichnet hatte: Offenbachs Hoffmans Erzählungen. Und im fernen Russland, unbemerkt von Richard und Guiseppe, mischte der Modest mit seinem Boris Godunow die Opernwelt auf, der Alexander Borodin lieferte mit seinen Polowetzer Tänzen einen Ensemblehammer, neben dem der Walkürenritt geordnet und züchtig wirkt :-):drink:

_________________________________________
*) was nützt die genialste Struktur, wenn das, was die Leute singen sollen, mau ist? Ohne Melodien, die diesen Namen auch verdienen, kann die Oper des 19. Jhs. nicht sein.
 
Es gibt noch mindestens eine weitere Oper, die mit Wagners und Verdis Bühnenwerken mithalten kann - ebenfalls eine Nummernoper. Uraufgeführt wurde sie 1875 in Paris und ist zurecht bis heute ein Repertoire-Dauerbrenner. ;-)
 
@mick ...du musst dem Nietzsche nicht alles glauben ;-):-D aber schöne Stellen hat die Zigarettenfabrik- und Schmuggleroper:-)
 

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