Eher aufschlußreich zu erleben, wie sich Unbedarfte von KI blenden lassen. Keine Ahnung von Musik haben, aber mit dem Brustton der Überzeugung behaupten, das klinge wie Mozart!
Kann man tatsächlich so sagen. Weiterführend hilfreich ist es, die Arbeitsweise eines professionellen Komponisten zu kennen, was am besten gelingt, wenn man selbst ein solcher ist. Natürlich bin ich nicht Mozart, habe aber Komposition studiert und viele Werke geschrieben und veröffentlicht. Dieses Elaborat der Künstlichen Intelligenz ist nicht so entstanden, wie eine einigermaßen ernstzunehmende Komposition eines einigermaßen ernstzunehmenden Komponisten entsteht. Formell findet zwar ein Kompositionsvorgang statt: der Dur-Moll-Tonalität zugehörige musikalische Muster, Strukturen und Elemente auf dem stilistischen Niveau der zweiten Hälfte des achtzehnten Jahrhunderts sind der Software zugänglich und werden miteinander kombiniert, bis so ein virtuelles Notenblatt voll ist. Der Komponist hingegen ruft nicht einfach nur vorhandenes Material ab und reiht eins ans andere, sondern modifiziert es fantasievoll und feingliedrig assoziativ, was ihm beispielsweise ermöglicht, verbindende Merkmale zweier unterschiedlicher Themen herauszuarbeiten, wie es gewissermaßen die "Maschine" niemals täte. Der "Mozart" auf dem Speicherchip kennt die gängigen harmonischen und melodischen Muster auf allen Tonhöhenstufen und kann diese nur im Sinne vorgegebener Verarbeitungsroutinen variieren und kombinieren. Einem spieltechnisch limitierten Pianisten ist die zuverlässig die Spielmuster abspulende "Maschine" zwar überlegen, einen raffinierten Umgang mit dem musikalischen Material vermag sie nicht zu leisten - und das auch noch auf viele Jahre hinaus. Während menschliche Kreativität mit Herz, Gefühl und Seele gepaart ist, kann die Künstliche Intelligenz nur durch den Programmierer vorgegebene Arbeitsroutinen absolvieren.
(Verstörend ist für mich die Annahme, dass es wohl immer besser, d.h. schlimmer wird. Aber vielleicht gibt es schon eine Software die anspruchsvolle Klaviermusik kreieren - komponieren kann, Sonaten und Klavierkonzerte im Stile grosser Komponisten, ohne dass es qualitätsmässige Unterschiede gibt?)
Gesteigerte Speicher- und Rechenkapazitäten werden sicherlich mit der Zeit verbesserte Resultate ermöglichen, die beispielsweise unkritischen und anspruchslosen Hörern für den akustischen Konsum genügt. Funktionale Musik, die einfach nur Raum ausfüllt, ohne sich aufzudrängen - das kann es geben. Aber die Arbeitsweise wirklich großer Komponisten ist grundverschieden und weitaus differenzierter.
Bezogen auf meinen heute gespielten Orgeldienst könnte ich folgende Parallele heranziehen: Orgelimprovisation beruht teilweise ja auch auf dem Abrufen bekannter musikalischer Muster, die fantasievoll gestaltet werden sollten, damit das Ergebnis überzeugt. Die Künstliche Intelligenz bringt Organistenzwirn hervor, wie man zu sagen pflegt. Aber eben keine musikalisch überzeugende Improvisation, die zu mehr taugt, als irgendwie in einem bestimmten Idiom Spielzeit auszufüllen. In Spätbarock und Frühklassik gab es eine förmliche Massenproduktion unterhaltender orchestraler und konzertanter Literatur, die wie gegenwärtig kursierende Easy-Listening-Literatur kaum höheren Ansprüchen genügt. Solche Sachen sind in Reichweite nichtmenschlicher Tonsetzer von Chip und Platine - aber nichts, was wirklich von Interesse wäre.
LG von Rheinkultur