Dynamik bei Beethoven

Dabei seit
9. Sep. 2007
Beiträge
2.276
Reaktionen
1.104
Mir fällt es ein bisschen schwer, meine Probleme/Fragestellungen in ein einziges klar umrissenes Thema zu fassen, aber ich probiers einfach mal ganz allgemein mit "Dynamik bei Beethoven". Ich habe es grob in 5 Punkte untergliedert, aber eigentlich hängt das alles irgendwie miteinander zusammen. Irgendwie aber auch nicht... ach lest einfach selber wenn ihr Lust habt. :-D

1.
Vermutlich eine extrem einfach zu beantwortende Frage: Mir ist beim Üben und Noten lesen bei den 32 Sonaten aufgefallen, dass Beethoven an absoluten dynamischen Abstufungen nur pp, p, f und ff benutzt. Dazu kommen dann natürlich noch crescendi, decrescendi, sf, fp und dergleichen, aber es tritt z.B. nie ein mf oder mp auf. Ist das irgendwie Beethoven-spezifisch, oder wurden mf und mp erst nach Beethoven überhaupt erfunden (mit z.B. Mozart kenne ich mich ehrlich gesagt überhaupt nicht aus, bei noch früheren Komponisten wie Bach rechne ich gar nicht erst damit)? Aber spätestens bei Beethovens letzten Sonaten hätte ich navierweise eigentlich mit der Nutzung von mp oder mf gerechnet. Eine schnelle Google-Suche nach mezzopiano und mezzoforte war leider vorerst wenig aufschlussreich, wahrscheinlich habe ich ungeschickt gesucht...

2.
Wie deutet man bei Beethoven z.B. die Abfolge "pp - cresc.- p - cresc. - p - cresc. - f" oder ähnliche? Ist das zweite piano dann lauter zu denken/spielen als das erste piano, d.h. mangelt es da Beethoven einfach an zwei notierbaren absoluten dynamischen Zwischenstufen zwischen pp und f, obwohl er aber zwei verschiedene Abstufungen dazwischen haben wollen würde? Oder ist das zweite piano als ein "subito piano" nach dem crescendo zu verstehen? Oder ist das von Fall zu Fall ganz unterschiedlich zu deuten?
Natürlich gibt es auch bei Beethoven mehr als vier absolute Lautstärken. Die Frage ist nur, wie erkennt man, wann sich ein piano von einem piano unterscheidet und wann nicht.

Als Beispiel könnte man die Sonate op. 28 ("Pastorale"), 1. Satz, 2. Themengruppe (ab Takt 62 nehmen, wo in meinen Noten (Henle Urtext) genauso eine Abfolge auftaucht (angehängtes Bild ist von IMSLP genommen, nicht aus dem Henle Urtext):
Beethoven28-1.jpg

Takt 77 piano (der erste Takt im angehängten Screenshot ist Takt 73), ab Takt 87 crescendo, Takt 90 auf Schlag 3 dann wieder piano.
Das piano ab Takt 90 würde ich hier gefühlt stärker nehmen als das vorige piano - immerhin ist ab Takt 90 auf 3 hier ja auch die Dominanttonart A-Dur endgültig gefestigt und die Wichtigkeit dieser Stelle muss auch hörbar werden, wie Uhde in seinem Buch dazu schreibt. Uhde spricht aber seltsamerweise über die Takte vor diesem piano von einem "Übergang von sanft ansteigender Spannung (so verhalten, daß nicht einmal ein Crescendo sie unterstreicht) zu befreiter Auslösung, [...]". Das spricht für mich aber eher dafür, dass das piano hier noch immer das selbe piano sein sollte wie zuvor. Aber was ist dann mit dem crescendo.? Ein "subito piano" in Takt 90 kommt mir seltsam vor.

3.
Kann man irgendwie erkennen, wie weit ein crescendo/decrescendo bei Beethoven geht, bei dem nicht explizit ein Endpunkt vorgeschrieben ist? Immer bis zur nächsten Dynamikvorgabe bzw. sf oder dergleichen? Bei späteren Sonaten wie z.B. 1. Satz von op. 110 hat er das erstaunlich pingelig notiert, so dass da eigentlich gar keine Zweifel aufkommen - obwohl gerade in diesem Satz von op. 110 andauernd crescendi gefolgt von subito piano auftreten. Aber da ist das trotzdem immer eindeutig. Bei seinen frühen und mittleren Sonaten aber oft irgendwie nicht, siehe obiges Beispiel aus op. 28.

4.
Die berühmten Crescendi auf einzelnen Tönen, die nicht durchführbar sind... wie geht man mit denen am besten um? Beispielsweise Takt 62 im Menuett in der E-Dur-Sonate op. 14,1 (Überleitungstakt zum Trio). Gut, da muss man sich das crescendo wohl eben einfach "denken", denn spielen kann man es nicht. Aber auch bei op. 28 findet sich eine problematische Stelle, und zwar im Fugato im 4. Satz. Das beginnt Takt 79 im pianissimo und steigert sich bis ins fortissimo von Takt 95, also vom einen Beethoven'schen Extremwert in den anderen. Verrückt genug ist, dass da aber kein durchgehendes crescendo von Takt 79 bis 95 auftritt, sondern dass Takt 79 bis 90 im pianissimo bleibend notiert sind und dann auf nur 4 Takten ab Takt 91 extrem schnell ins ff hinein crescendiert wird. Die Idee dahinter kann ich zwar gut nachvollziehen, aber bei der Umsetzung des cresc. habe ich dann keine Ahnung, wie ich mit dem Basston g umgehen soll. Der wird in Takt 91 auf 1 angeschlagen und bleibt dann über drei Takte einfach liegen und erst in 94 auf Schlag 1 kommt der nächste Basston. Das g kann also das crescendo nicht mitmachen und ist dazu noch eigentlich im pianissimo angeschlagen und verklingt dann quasi unhörbar, während die 5 Stimmen darüber sehr schnell deutlich lauter werden. Damit geht der Bass verloren und das ist eigentlich sehr unschön. Das g lauter anschlagen wäre eine Idee, aber wohl auch unschön, weil da kein sf oder ähnliches steht. Früher mit dem cresc. anfangen würde helfen, aber wäre wohl erst recht unschön und gegen Beethovens Text. Also - was tun? Was Beethoven hier will, ist gedanklich und musikalisch eigentlich absolut klar, wenn man orchestral denkt. Leider ist es nicht auf einem Klavier umsetzbar, also muss man auf irgendeine Art was unschönes machen.

5.
Beliebige weitere Fragestellungen zu Beethoven und Dynamik dürfen hier gerne von jedem im Thread eingebracht werden, das Thema ist mit den paar Spezialbeispielen von mir wohl definitiv nicht erschöpft.

Wenn mir jemand gute Literatur nennen kann, die hier hilft, bin ich auch dankbar. Ich habe was Beethoven angeht nur den Uhde. Der ist zwar toll, aber hilft bei solchen Problemen leider nicht weiter.
 
Zuletzt bearbeitet:
Mir ist beim Üben und Noten lesen bei den 32 Sonaten aufgefallen, dass Beethoven an absoluten dynamischen Abstufungen nur pp, p, f und ff benutzt
Und das mf in op. 2/2, das ppp in op. 106 und op. 109 sowie das ausgeschriebene mezzo piano in op. 111 hast du jedesmal übersehen? :-)

Spaß beiseite: der Fehler liegt schon in der Bezeichnung "absolute dynamische Abstufungen". Die gibt es nämlich nicht. In der Klassik ist das piano der gewöhnliche Konversationston - ein pianissimo kann man sich dagegen als Flüstern vorstellen und ein forte als Rufen.
Auch wenn Beethoven kein mezzoforte schreibt, heißt das deshalb nicht, dass er keines kannte oder wollte. Es erschien ihm halt nicht nötig, das zu notieren. Es gibt trotzdem einige Anhaltspunkte und Abstufungen, die er hin und wieder gebraucht hat - recht häufig piano dolce (ein piano mit geringen Lautstärkeausschlägen), seltener auch rinforzando.

Wie deutet man bei Beethoven z.B. die Abfolge "pp - cresc.- p - cresc. - p - cresc. - f" oder ähnliche?
Das muss man immer von Fall zu Fall entscheiden. Denk an die Konversation - wenn man die Musik wie einen gesprochenen Vortrag oder wie ein Gespräch versteht, ergibt sich vieles von selbst. In den frühen und mittleren Sonaten geht die Dynamik meistens noch mit dem harmonischen Spannungsverlauf konform.

Kann man irgendwie erkennen, wie weit ein crescendo/decrescendo bei Beethoven geht, bei dem nicht explizit ein Endpunkt vorgeschrieben ist? Immer bis zur nächsten Dynamikvorgabe bzw. sf oder dergleichen? Bei späteren Sonaten wie z.B. 1. Satz von op. 110 hat er das erstaunlich pingelig notiert, so dass da eigentlich gar keine Zweifel aufkommen - obwohl gerade in diesem Satz von op. 110 andauernd crescendi gefolgt von subito piano auftreten.
In den späten Sonaten (noch mehr in den späten Quartetten!) entkoppelt sich die Dynamik zunehmend vom harmonischen und melodischen Verlauf. Beethoven blieb gar nichts anderes übrig, als das so genau wie möglich zu notieren. An vielen Stellen würde man sonst intuitiv falsch spielen.

Die Idee dahinter kann ich zwar gut nachvollziehen, aber bei der Umsetzung des cresc. habe ich dann keine Ahnung, wie ich mit dem Basston g umgehen soll. Der wird in Takt 91 auf 1 angeschlagen und bleibt dann über drei Takte einfach liegen und erst in 94 auf Schlag 1 kommt der nächste Basston.
Schau dir mal Beethovens Manuskript an (gibt's bei IMSLP). Dort ist das g nicht übergebunden, sondern wird in jedem Takt neu angeschlagen. Im Erstdruck (gibt's auch bei IMSLP) ist nur der zweite Takt angebunden, im dritten Takt wird das g erneut angeschlagen. (Ich weiß aus dem Stand nicht, ob Beethoven den Erstdruck korrigiert hat - vermutlich nicht.) Wenn das in deiner Ausgabe zweimal übergebunden ist, dann ist das recht offensichtlich falsch.
 
Hi DonBos,
Ein spannendes Thema!! :-):super:

Jede Beethoven-Sonate ist zwar anders, aber es gibt Charakteristika und Muster, die in mehreren auftreten, und die man sich zu Nutze machen kann, bei der Umsetzung.

Zu Punkt 4:

IMSLP, erste Breitkopf-Version:

op. 14,1 T 62: Das cresc. findet man so ähnlich ja auch in T. 51, wo ein Anschwellen beginnen soll, danach folgen ja Noten bzw. mindestens eine ( T 62, das untere e ), und die soll dann schonmal ein bisschen lauter. Denn der Maggiore-Teil beginnt p, und das ist ja immerhin etwas lauter als das pp in Takt 61, man könnte daher vielleicht beim cresc. auch eine „warnende“ Funktion annehmen.

Das „p“ in T 59, das fasse ich zumindest als „subito“ auf.

Zu op. 28:

Vorliegt: Eine der Breitkopf-Versionen aus IMSLP, wegen praktisch.

Das ff in T 95 auf dem ersten Schlag soll m.E. ja nicht heißen, dass dieser und die folgenden Takte komplett ff sein sollen. Sondern innerhalb dieser Takte – so habe ich es zumindest immer aufgefasst - findet ein Dialog statt, innerhalb jedes einzelnen. Schlag 1 ff – dann Antwort die nächsten 3 Achtel! Die leiser! Wobei höchstens leichte Betonung auf dem 3. davon, also dem 2. stacc- Achtel im jew. Takt.

( Man könnte – hab ich früher mal gemacht, aus Jux: Es geht ganz gut – auch bereits die LETZTEN ZWEI Achtel in den besagten Takten schon etwas wuchtiger nehmen. Aber nicht so hart wie den Schlag 1 des Folgetaktes...egal. Steht da nicht, und kann also hier nur meine „Spielerei“ von früher beschreiben. ) Soo..hmm: Ok..weiter:

Das pp ab Takt 79 soll ja diesen schließlich kräftig endenden Dialog einleiten und vorbereiten,
es hätte da keinen Sinn, finde ich, bereits schon härtere Geschütze aufzufahren.

Das crescendo selbst, das Du erwähnst, von T 91 – 95, find ich jetzt nicht soo ungewöhnlich.
Es läuft halt auf den markanten Schlag 1 in 95 hinaus... .


Der Basston „g“ :

In der von mir herzugezogenen Ausgabe bleibt er - wie Mick auch sagte, gibt es sogar noch weitere andersartige Versionen ( z.B. das Manuskript ) - nur für 2 Takte „gehalten“, und wird in T 93 wieder neu angeschlagen. Eine Möglichkeit wäre hier m.E., das „cresc“ pro Takt neu anzusetzen, also JEDEN „leise“ beginnen und die 3-Achtel-Ketten r. u. l. jedesmal neu anschwellen zu lassen, entweder alle 6, oder sogar JEDE für SICH ( links, dann rechts. Nä. Takt: beginnt wieder leise, dann wieder die ersten 3 anschwellen. Dann die nächsten 3! ) Wie WELLEN. Sowas ähnliches wie „Wellen“ kann man sich auch in der Waldsteinsonate an bestimmten Stellen vorstellen.

Mit dem Basston gibt’s dann keine bzw. wenig Probleme, wenn Du es so machst, er ist dann, so wie wir es uns vorstellen, eben zu Beginn des 2. Taktes LEISE – und das brauchen wir, um das neue Lauterwerden jeder Achtelgruppe vorzunehmen. Wir lassen den Ton g einfach ausklingen, im nä. Takt – in meiner Ausgabe – kommt er ja eh neu dran. Am besten leise, denn für ein cresc. sollten wir als erstes: Leise sein, sonst kann man ( wenn man schon laut IST), nicht gut effizient cresc. ausführen.

Bezeichnungen: hab mir nochmal „ppp“ rausgegriffen :

ppp gibt’s auch z.B. in der Waldstein, 3. Satz, kurz vor dem „glissando“-Oktaventeil, kann aber sein, dass das hinzugefügt wurde, ( Breitkopf ), aber auch in der Appassionata ( letzter Klang Satz 1 ).

Dialogstellen: Eine Fundgrube dafür sind die Beethoven-Sonaten, meines Erachtens.
Diese Stellen müssen für Beethoven sehr wichtig gewesen sein.

Besonders markante Beispiele, die mir einfallen, sind:

Waldsteinsonate ( Satz 1 super Dialoge, aber auch späterhin im Werk ),
Appassionata,
„Sturm“-Sonate
eben die o.g. „Pastorale“, wunderschöne Dialogstellen!
Aber auch opus 31,3. Empfehlenswert!

...und noch viele andere Sonaten, und andere Klavierwerke Beethovens.

LG, Olli
 
Zu Beethoven sagt meine KL immer: "Mehr!"
Also nach oben und unten übertreiben. Daher vermute ich, es gibt kein Mittelmaß bei ihm...
 
Wenn mir jemand gute Literatur nennen kann, die hier hilft, bin ich auch dankbar. Ich habe was Beethoven angeht nur den Uhde.
Besorg dir die von Arrau und Backhaus gemachten Editionen der Beethoven Sonaten und Variationen. Spätestens hier wirst du - ohne Texblabla !! - verstehen lernen, wo und wie ein Beethovencrescendo in ein subito piano führt - - das ist typisch für Beethoven. In den späten Sonaten und Quartetten kommen dann wie @mick erwähnt hat spezielle dynamische Vorgaben hinzu.
Beethoven war zu seiner Zeit davon überzeugt, dass man 1. seine möglichst schlank gehaltene Notation versteht (erst wir heute brauchen Arrau & Co wegen crescendo piano) und dass man 2. seine gelegentliche aussermusikalische Intention versteht (gucksdu bei Uhde Sturmsonate etc)
DASS Beethoven sehr wohl mehr als nur p mf f ff notiert hat, hat dir @mick dankenswerterweise deutlich gezeigt

Nahezu jeder Komponist hat seine Werke für die Musikpraxis notiert und sich dabei auf das professionelle Textverständnis seiner Zeitgenossen verlassen! Niemand, kein Beethoven, kein Verdi, kein Bruckner, kein Dvorak hat eigens am Ende eines Phrasierungsbogens ein diminuedo notiert: weil es selbstverständlich ist. Insofern geht deine Frage nach ppp und fff bei Beethoven in die Irre, denn Extreme notierte er mit pp und ff. Mit anderen Worten: natürlich steckt viel extreme Dynamik in Beethovens Sachen.
 
Danke erst einmal für die ganzen Antworten!

Danke vor allem auch an rolf für die Empfehlungen zu Arrau und Backhaus.

Leider bin ich zurzeit unterwegs und habe weder meine Notenausgabe noch den Uhde zur Hand, aber ich werde die erwähnten Dinge nachschauen.

Und das mf in op. 2/2, das ppp in op. 106 und op. 109 sowie das ausgeschriebene mezzo piano in op. 111 hast du jedesmal übersehen? :-)
Zum Teil hab ichs wirklich übersehen (op. 111), zum Teil bin ich mit den Sonaten zu wenig vertraut (op. 2/2) und das mit op. 106 und 109 hatte ich wohl eher vergessen, weil ich da bei beiden schon länger die Noten nicht mehr in der Hand hatte - gesehen hab ich das ppp da im Nachhinein tatsächlich schon einmal, stimmt. Direkt nach dem Erstellen des Beitrags hab ich vorgestern auch beim Blättern in den Noten direkt eine Seite mit einer (zweifach auftretenden) Vorgabe von "mfp" erwischt (op 49/1), aber da war das Kind schon in den Brunnen gefallen bzw. der Beitrag schon verzapft. :-((
Auffällig ist aber trotzdem, dass mf und mp bei Beethoven so verhältnismäßig selten notiert sind, aber warum das so ist haben rolf und du ja schön erklärt...

Spaß beiseite: der Fehler liegt schon in der Bezeichnung "absolute dynamische Abstufungen".
"Absolute dynamische Abstufungen" ist in der Tat eine ziemlich schlechte Formulierung von mir. Gemeint waren damit Bezeichnungen wie ppp, pp, p, mp, mf, f, ff, fff (von denen Beethoven eben nur eine Auswahl regelmäßig nutzt). Dass z.B. ein piano je nach Kontext sehr unterschiedlich laut sein kann und "innerhalb" des piano vor allem nicht jeder Ton gleich laut sein kann/darf ist eigentlich logisch.

In den späten Sonaten (noch mehr in den späten Quartetten!) entkoppelt sich die Dynamik zunehmend vom harmonischen und melodischen Verlauf. Beethoven blieb gar nichts anderes übrig, als das so genau wie möglich zu notieren. An vielen Stellen würde man sonst intuitiv falsch spielen.
Das war mir bewusst, was die späten Sonaten angeht - durch op. 110 habe ich mich intensiv durchgearbeitet (was übrigens nicht heißt, dass ich die Sonate wirklich zufriedenstellend selbst spielen kann :lol:) und da sind die unintuitiven Stellen tatsächlich relativ narrensicher notiert (schon in Takt 4 wäre man mit reiner Intuition da ja bestimmt nicht auf Schlag 1 im piano... etc.).
Was mir aber tatsächlich nicht bewusst war, ist dass Beethoven bei den frühen und mittleren Sonaten noch weniger genau notiert hat (weil es, wie du und ja vor allem auch rolf klarstellt, für diese Werke noch nicht in dem Ausmaß nötig war).

Schau dir mal Beethovens Manuskript an (gibt's bei IMSLP). Dort ist das g nicht übergebunden, sondern wird in jedem Takt neu angeschlagen. Im Erstdruck (gibt's auch bei IMSLP) ist nur der zweite Takt angebunden, im dritten Takt wird das g erneut angeschlagen. (Ich weiß aus dem Stand nicht, ob Beethoven den Erstdruck korrigiert hat - vermutlich nicht.) Wenn das in deiner Ausgabe zweimal übergebunden ist, dann ist das recht offensichtlich falsch.
Ok, ohne Überbindung entfällt das "Problem" an dieser konkreten Stelle. Da muss ich zuhause noch einmal nachschauen, ob ich nicht einfach nur zu dumm zum Noten lesen war, oder ob Henle da wirklich einen falschen Kram gedruckt hat. Wenn ich mir die Stelle im Gehör in Erinnerung rufe, kommt mir die Version mit Anbindung des zweiten Takt und neu Anschlagen im dritten aktuell am vertrautesten vor... aber wie gesagt, ich schaue da nochmal nach.

Das ff in T 95 auf dem ersten Schlag soll m.E. ja nicht heißen, dass dieser und die folgenden Takte komplett ff sein sollen. Sondern innerhalb dieser Takte – so habe ich es zumindest immer aufgefasst - findet ein Dialog statt, innerhalb jedes einzelnen. Schlag 1 ff – dann Antwort die nächsten 3 Achtel! Die leiser! Wobei höchstens leichte Betonung auf dem 3. davon, also dem 2. stacc- Achtel im jew. Takt.
Ich nehme da einfach die Grundlautstärke dieser Takte als sowas wie "stark hervortretend" an (doof zu beschreiben), vor allem im Vergleich mit dem was kurz zuvor war als extrem stark. An anderen Stellen bei Beethoven (vorwiegend in anderen Sonaten) würde ich ein ff aber stärker nehmen als an dieser Stelle in der "Pastorale". Der neu dazutretende oktavierte Bass trägt an dieser Stelle ja auch von sich aus schon zur deutlichen Verstärkung bei, das heißt an dieser Stelle ist "laut" sowieso intuitiv und passiert schon ein Stück weit von selbst ohne dass man zu extrem heftig zulangen muss. So würde ich es zumindest betrachten. Dass dann natürlich nicht jeder Ton innerhalb der ff-Takte auch am Limit und gleich laut gespielt wird, ist wieder logisch (siehe oben).

Das crescendo selbst, das Du erwähnst, von T 91 – 95, find ich jetzt nicht soo ungewöhnlich.
Das crescendo selbst find ich auch nicht ungewöhnlich. Ungewöhnlich finde ich den sehr späten Beginn des crescendo - aber vermutlich ist auch meine Annahme, das pp müsste bis Anfang Takt 91 strikt durchgehalten werden ein Irrglaube (kurzer Youtube-Gegencheck mit einer willkürlich gewählten Einspielung von Kempff zeigt - der crescendiert auch schon viel früher - ist wohl intuitiv...).

Besorg dir die von Arrau und Backhaus gemachten Editionen der Beethoven Sonaten und Variationen. Spätestens hier wirst du - ohne Texblabla !! - verstehen lernen, wo und wie ein Beethovencrescendo in ein subito piano führt - - das ist typisch für Beethoven. In den späten Sonaten und Quartetten kommen dann wie @mick erwähnt hat spezielle dynamische Vorgaben hinzu.
Danke nochmals für die Empfehlung! :super:

Beethoven war zu seiner Zeit davon überzeugt, dass man 1. seine möglichst schlank gehaltene Notation versteht (erst wir heute brauchen Arrau & Co wegen crescendo piano) und dass man 2. seine gelegentliche aussermusikalische Intention versteht (gucksdu bei Uhde Sturmsonate etc)
DASS Beethoven sehr wohl mehr als nur p mf f ff notiert hat, hat dir @mick dankenswerterweise deutlich gezeigt
Soweit ich Uhde zur Sturmsonate im Kopf hab, schreibt er so etwas ähnliches wie, dass schon ca. 20 Jahre nach der Komposition dieser Sonate für Musiker dieser Zeit nicht mehr wirklich klar war, was Beethoven außermusikalisch intendiert hat, dass die Intention für Beethoven selbst aber relativ selbstverständlich war, dass der Verweis auf Shakespeares "Sturm" von Beethoven selbst stammt, die Sonate aber früher eher als "Rezitativsonate" und nicht als "Sturmsonate" bekannt war. ABER: Ich muss in ein paar Tagen nachschlagen, ob das auch wirklich so drin steht (und was sonst noch so). Hab den Uhde wie gesagt derzeit nicht zur Hand und habe schon genug Käse verzapft.

Nahezu jeder Komponist hat seine Werke für die Musikpraxis notiert und sich dabei auf das professionelle Textverständnis seiner Zeitgenossen verlassen! Niemand, kein Beethoven, kein Verdi, kein Bruckner, kein Dvorak hat eigens am Ende eines Phrasierungsbogens ein diminuedo notiert: weil es selbstverständlich ist. Insofern geht deine Frage nach ppp und fff bei Beethoven in die Irre, denn Extreme notierte er mit pp und ff. Mit anderen Worten: natürlich steckt viel extreme Dynamik in Beethovens Sachen.
Dass es unnötig ist, am Ende eine Phrasierungsbogens ein dim. zu notieren ist klar - das ist wohl eine der Sachen, die sich über die Jahrhunderte auch nie wirklich verändert hat. Andere Dinge, die für Beethoven selbstverständlich waren, sind es aber wohl heute leider doch nicht mehr...
Dass viel extreme Dynamik in Beethoven steckt ist mir auch klar, und dass er seine Extreme mit pp und ff notiert war mir (unter den vielen Dingen, die ich über Beethoven nicht weiß) tatsächlich eine der wenigen klaren Sachen. Nach ppp und fff frage ich also explizit nicht (und wenn tatsächlich mal eines auftritt, wie von mick erwähnt und mir entgangen oder entfallen z.B. am Ende des langsamen Satzes in op. 106, dann ist das wohl umso bemerkenswerter). Meine Verunsicherung ging eher um mp und mf. Und um crescendi.

----

Meine frühere Lehrerin hatte mir vor vielen Jahren mal versucht klarzumachen, dass Beethoven eigentlich generell immer sehr sehr genau und ausführlich notiert was er möchte. Allerdings auch: Was er nicht notiert, das möchte er auch nicht haben (sowas wie "Kein crescendo notiert? Dann mach auch keins!") und seine Vorgaben sehr ernst zu nehmen sind. Ich erinnere mich auch dunkel daran, dass wir früh an op. 49/2 gearbeitet haben, wo kaum Dynamik und Artikulation vorgegeben sind. Da hieß es dann sinngemäß, das sei eine Ausnahme und sei für Beethovens Schüler gedacht gewesen, damit sie von selbst lernen, wie man sich sinnvolle Artikulationen und dynamische Verläufe aus der Musik erschließt. Da ich mir das damals aber definitiv noch nicht selbst erschließen hätte können, hat mir die Lehrerin quasi eine gewünschte Dynamik und Artikulation vorgegeben. Irgendwie ist dieser "Quatsch" meiner Lehrerin (bzw. es ist wohl maximal die halbe Wahrheit), dass bei Beethoven immer alles ganz pingelig notiert, und dass unnotierte Dinge auch eigentlich nicht zu tun sind, wohl über die Jahre in meinem Kopf hängengeblieben und drum stolpere ich jetzt wohl über die doch nicht so ausführlichen (weil wohl für Beethoven selbstverständlichen) Vorgaben in den mittleren/frühen Sonaten.

Umso dankbarer bin ich für jeden Input, der beim Beseitigen von Denkfehlern und falschen Denkmustern hilft.

...und jetzt hab ich schon wieder zu viel Blabla geschrieben. Sorry und gute Nacht! :schlafen:
 
Zuletzt bearbeitet:

Zurück
Top Bottom