Die Poesie der Dinge

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19. Jan. 2011
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Nach Monaten öffne ich mein Tafelklavier. Die Stimmung ist noch einigermaßen erhalten, bis auf ein paar übliche Töne im Diskant und den abgesackten Bass. Die Saiten sind kürzlich neu aufgezogen worden. Hebt man den Deckel, entströmt dem Instrument der Geruch von altem Holz. Aber nach längerer Zeit ist noch eine andere Note da, von Rauch. Ob das Klavier im Rauchhaus eines wohlhabenden Bauern gestanden hat? Oder eines Bürgers mit Kachelofen? Oder eines Adligen im Salon mit offenem Kamin? Es kam vor ein paar Jahren aus Kopenhagen hierher, drei Vorbesitzer sind mir mittlerweile bekannt, aber die haben es immer nur weiterverkauft. Man weiß es also nicht.

Das Stimmen geht mittlerweile recht flott von der Hand, auch wenn jeder Wirbel so seine Eigenheiten hat. Ein Profi könnte mehr herausholen. Ich spiele die ersten Töne, ein B muss nachgestimmt werden. Dann meinen Scarlatti... Zart klingt das Instrument, etwas gebrechlich, nicht immer rein. Die Sonne Spaniens scheint noch einmal für einen Moment herein, in das alte Kopenhagener Bürgerhaus. Man hat den Ofen angeheizt. Die hoffnungsvollen Töchter, die hier ihre ersten Stücke gelernt haben, was ist aus ihnen geworden? Man weiß es nicht.

Vieleicht wurde der Kreis der Musizierenden erweitert, um eine Geige und ein Cello, unter sentimentalen Blicken, vielleicht wurde gesungen. Die Dielen knarren, Staub tanzt im Licht, der Vater schaut zur Jugend herein, das Pfeifchen im Mundwikel. Vielleicht kam der Bankrott, das Klavier zum Trödler, vielleicht kam der Erfolg und ein neues, größeres Instrument, das alte auf den Dachboden. Man weiß es nicht.

Die Seele der Dinge steckt nüchtern betrachtet nicht in den Dingen selbst, sondern in uns. Und manchmal ist die Seele umso größer, je weniger wir von ihr wissen.


Es grüßt
Die Drahtkommode
 

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Hübsch, wenngleich auch etwas sentimental. Aber genau das ist der Grund, warum so viele Leute älteren oder alten Instrumenten den Vorzug gegenüber neuen, hervorragend gebauten und klingenden Instrumenten geben. Ein Hauch von Nostalgie umweht ein solches Instrument wie einen Oldie aus den 20er Jahren, sei er Musik, ein Kleid, ein Film, eine Diva oder ein Auto.

Wem solches gefällt, der soll es sich anschaffen oder x-mal überholen, bis es auseinanderfällt.

Natürlich haftet solchen Instrumenten ein gewisser Charme an. Ich jedoch brauche einen solchen nostalgischen Charme weder im Klang noch im Aussehen.

Mir genügt ein Instrument, welches meinen musikalischen Ansprüchen genügt und technisch und verarbeitungsmäßig so hochwertig ist, dass es mindestens 30 Jahre lang seine Qualitäten behält oder innerhalb dieser Zeit ohne allzu häufigen und dann mit möglichst geringem finanzeiellen Aufwand immer auf dem Niveau ge- und erhalten werden kann, welches das Instrument zur Zeit meines Erwerbs hatte. Dabei spielt es für mich keine Rolle, ob es zu der Zeit ein neues oder ein gebrauchtes Instrument war.

Und sollte es mir gefallen und ich es erwerben, dann hat es mit Sicherheit eine Seele, welches das Instrument auch noch nach vielen Jahren und auch nach, (hoffentlich nicht so häufigen), Reparaturen, Regulierungen, Instandsetzungen oder Generalüberholungen behält.

Aber:

Ich lebe im Jetzt. Ich habe einen modernen Klang im Ohr, mit dem ich aufgewachsen bin. Natürlich kenne ich auch die alten knisternden Schallplatten, alte Filme mit "rauschender", w.h. verzerrter Musikwiedergabe. Natürlich kenne ich den Klang historischer oder reproduzierter Instrumente nach historischen Vorbildern und ihrer Darbietung nach historisierender Aufführungspraxis.

Dennoch bevorzuge ich einen modernen Klang auf modernen Instrumenten. Denn die Entwicklung ist ja nicht stehengeblieben und hat sich nicht nur negativ entwickelt.

Bach wäre sicher vom Klang eines modernen Flügels begeistert und würde seine Klavierwerke sicher lieber auf einem modernen Flügel hören als auf einem Cembalo, dessen Klang er, historisch belegt, immer gehasst hat, (weshalb er auch lieber auf einem Clavichord als auf einem Cembalo oder Spinett geübt hat - auch historisch belegt). Ebenso würde er lieber eine Frauenstimme anstatt Countertenöre bevorzugen, da er selbst ja dafür gekämpft hat, dass seine Frau in den Kirchenkonzerten die Sopranarien singen darf, anstatt sie, wie damals üblich, Knaben singen zu lassen, gegen den Protest der Kirchenältesten. Und weil Bach ein Sohn des Barock war, der sich eben nicht durch Zirpen und Reduktion ausgezeichnet hat sondern durch Üppigkeit, Prunk, pralle Lebensfreude und viele Kinder, (niedliche und zahlreiche Putten in den barocken Kirchen sind ein Sinnbild für die barocke Lebensart und ihres Lebensverständnisses auch der Gebär- und Zeugungsfreudigkeit). Herr Bach war weder im Bett ein Schlappschwanz noch ein Kostverächter sowohl bei Tafel, im Bett als auch in der Musik.

Und er war Innovator und Befruchter seiner zeitgenössischen Instrumentenbauer, wie Beethoven ein paar Jahrzehnte später, der auch nie mit den Fähigkeiten und Klangmöglichkeiten der Instrumente seiner Zeit zufrieden war; wieviele Instrumente hat er zerkloppt, weil sie seinen Anforderungen nicht standgehalten haben??

Die schmächtige, klangreduzierte Musikreproduktion Bach's Werke will so recht nicht ganz zu der Üppigkeit seines Bauches, seiner reichhaltigen Musik und zu seinen vielen Kinder passen.

Wer also nicht nach Nostalgie sondern nach einem Instrument sucht, auf welchem er das spielen und musikalisch ausdrückken kann, was er ausdrücken möchte, und das Instrument das auch viele Jahre lang ermöglichen soll, der wird sicher andere Kriterien zur Auswahl "seines" Instrumentes haben als ein sentimentaler Nostalgiker.

LG

KLavierfreund56
 
Lieber Klavierfreund,

ich stimme dir in fast allem zu, sogar darin, dass mein gestriger Beitrag etwas sentimental ist. Er ist auch als Replik auf den Faden "Klavier nach 30 Jahren verschrotten?" gedacht gewesen und hat sich quasi so in der Situation ergeben.
Ich stimme auch zu, dass ein modernes Instrument viel mehr Möglichkeiten bietet und schließe mich der Vermutung an, dass Bach von einem modernen Flügel geträumt hätte, wenn er geahnt hätte, dass so etwas überhaupt möglich ist.

Nur halte ich alte Instrumente nicht nur in nostalgischer Sicht für interessant, sondern auch in musikalischer. Gerade in der Beschränkung, die ein frühes Hammerklkavier oder ein Cembalo auferlegen, wächst die Musikalität, die Überlegung: WIE stelle ich es an, wie mache ich, dass es trotzdem musikalisch schön wird? Man beginnt, über Agogik, Tempo, Metrum, Rubati, Pausen etc, neu nachzudenken. Und das beeinflusst mittlerweile auch mein Spiel auf dem modernen Klavier. :klavier:

Es grüßt
Die Drahtkommode

PS: "I like the sound of it!" (Glenn Gould)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Man beginnt, über Agogik, Tempo, Metrum, Rubati, Pausen etc, neu nachzudenken.

Meinst Du etwa, ich hätte das nicht auch auf den neuen Instrumenten getan und täte das nicht ständig auf jedwedem Instrument, sei es neu oder alt? Das war Betsandteil meines Musikstudiums und ist davon unabhängig, auf welchem Instrument man spielt sondern davon, wieviel man über die Musik, deren Geschichte und Stilistik gelernt hat, und ob man nur so dahinklimpert oder sich mit der Musik konstruktiv auseinandersetzt, Formenkunde, Musikgeschichte und Stilkunde quasi als Interpretationsgrundlage einsetzt.

Ich habe auf neuen Klavieren, auf alten und neuen Pfeifenorgeln, auf Geigen mit Darmsaiten, aluminiumumsponnenen und auf Stahlsaiten gelernt. Doch was Du meinst, ist Spiel- und Artikulationstechnik, die einer stilsicheren Kenntnis der jeweiligen Epoche und des jeweiligen Komponisten bedarf. Dazu brauche ich kein klangreduzierendes Instrument oder Instrumentarium.

Das Einzige, was ich gelten lasse, auf historischen Instrumenten zu musizieren, sind der musikwissenschaftliche Aspekt, eine etwas eigenwillige Klangästhetik, eine wehmütige sentimentale Nostalgie und auch der, meist sinnlose, Versuch, etwas heutigen Ohren wiederzugeben, was original niemand von heute jemals gehört hat, sozusagen als klanghistorisch gemeinte Ästhetik. Doch war niemand von uns dabei, um zu sagen, wie es damals wirklich geklungen hat und wie man zu der Zeit wirklich musiziert hat. Es gibt jedoch schriftliche Überlieferungen davon, wie schlimm es damals geklungen haben muss.

Mir gefällt Beethovens Hammerklaviersonate dennoch besser auf einem modernen Flügel als auf einem Hammerklavier, ein weiblicher Sopran besser als ein Knabensopran und besser als ein Countertenor oder ein Altus.

LG
Klavierfreund56
 
Hallo Klavierfreund56,

im Prinzip könnte ich Deine Ausführungen zu 100 % unterschreiben, aber ein anderes Instrument - und das kann auch ein altes sein - kann im Umgang mit den Ausdrucksmitteln inspirierend wirken und jemanden auf andere Ideen bringen. Beispiel: Martin Stadtfeld spielt die r.H. bei seinen Goldbergvariationen (also natürlich Bach's Goldb.V.) an manchen Stellen eine Oktave höher (wenn ich mich nicht verhört habe). Ich weiß nicht wie er drauf gekommen ist, aber so eine Idee könnte einem ja kommen, wenn man gerade vor einem neuen Instrument sitzt und feststellt, dass der Diskant genial-goldig klingt, und spielt darin eine Passage, die original eine Oktave tiefer notiert ist und denkt sich: die Stelle spiele ich jetzt immer so ...

Gruß
Bassplayer
 

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