Dichler, technische und musikalische Notation

A

Alter Tastendrücker

Dabei seit
31. Aug. 2018
Beiträge
3.641
Reaktionen
5.045
Ich möchte hier ein neues Thema eröffnen, welches sich mit der spezifisch pianistischen Frage nach der Notation von Klaviermusik befasst.
Es war Dichlers Buch ('Der Weg zum künstlerischen Klavierspiel) wo diese Problematik ausgesprochen und behandelt wird.
Äußerst grob zusammengefasst:
Musikalische Notation: es wird gespielt was dasteht, jeder Schnitt durch sie notierte Musik ergibt genau das klingende Ergebnis. Beispiel Bach Fugen!
Technische Notation: es ist notiert, was wir spielen, durch das Pedal (ev. auch Fingerpedal) entstehen - meist erwünschte!! - Zusammenklänge, die so nicht notiert sind. Beispiel Chopin Etüde op. 10,1 C-Dur: notiert erklingen zu jedem Zeitpunkt meist 3 Töne, durch das Pedal entstehen riesige Akkorde.
 
Einmal hat Betz (? oder jemand anderes) ausnotiert, was man hört, wenn Chopins op 25,12 gespielt wird. Das sieht dann sehr unübersichtlich aus infolge der Haltebögen, es türmen sich Akkorde über 5 Oktaven hinweg auf - die konventionelle Notation ist weitaus "augenfreundlicher".
Immerhin hat dieses Kuriosum einen Vorteil: es macht sichtbar, was der Notentext klanglich bewirkt - aber normalerweise weiß man das (denn Pedaleinsatz ist eigentlich kein verblüffendes Novum)
 
Ich möchte hier ein neues Thema eröffnen, welches sich mit der spezifisch pianistischen Frage nach der Notation von Klaviermusik befasst.
Es war Dichlers Buch ('Der Weg zum künstlerischen Klavierspiel) wo diese Problematik ausgesprochen und behandelt wird.
Äußerst grob zusammengefasst:
Musikalische Notation: es wird gespielt was dasteht, jeder Schnitt durch sie notierte Musik ergibt genau das klingende Ergebnis. Beispiel Bach Fugen!
Technische Notation: es ist notiert, was wir spielen, durch das Pedal (ev. auch Fingerpedal) entstehen - meist erwünschte!! - Zusammenklänge, die so nicht notiert sind. Beispiel Chopin Etüde op. 10,1 C-Dur: notiert erklingen zu jedem Zeitpunkt meist 3 Töne, durch das Pedal entstehen riesige Akkorde.

Lieber Alter Tastendrücker,

ich kenne das Buch nur vom Hörensagen - lohnt es sich, das zu kaufen?

Du hast es in einem anderen Faden schon erwähnt: ich finde besonders die unterschiedliche Behandlung von Pausen faszinierend. Und ich finde die Behandlung manchmal auch unlogisch und verstehe sie nicht.

Ein Beispiel:

Waldsteinsonate, 2. Satz.PNG

Im zweiten Satz der Waldsteinsonate gibt es viele Pausen. Im Beispiel hier halten viele Interpreten (Barenboim...) die gelb markierten Pausen mit dem Pedal durch, so dass die Basslinie durch keine Pausen unterbrochen wird und mit den Akkorden rechts zusammenklingen. Pedalwechsel also nur auf der "4". Die anderen Pausen des Satzes werden allerdings als "Nichtklang", also als echte Pause behandelt und gespielt. Es gibt auch Interpreten (Kissin...), die die gelb markierten Pausen als echte Pausen behandeln und ich sehe das genauso.

Ich kann leider Barenboim u.a. nicht persönlich fragen, aber mit welcher Begründung kann man in diesem Satz notierte Pausen mal, mal so spielen? Wenn Beethoven eine lange Basslinie gewollt hätte, hätte er den Bass doch auch wie in Takt 5 notieren können. Da er das nicht gemacht hat, kann man aus meiner Sicht Takt 8 auch nicht wie Takt 5 (Bass) spielen. Oder gibt es doch eine legitime Erklärung? Nur weil es kadenzierend ist? :denken:

Liebe Grüße

chiarina
 
aber mit welcher Begründung kann man in diesem Satz notierte Pausen mal, mal so spielen?

Die Begründung kann sich beispielsweise daraus ergeben, wie man sich die Stelle instrumentiert vorstellt. Gerade bei Beethoven muss man sehr oft davon ausgehen, dass seine Klaviermusik orchestral gedacht ist. Schaut man sich nun Orchesterstellen an, findet man bei solchen Figuren oft im Takt durchgehende Harmoniestimmen (Holzbläser + Hörner) und die rhythmische Figur in den Streichern (evt. sogar als pizz.). Das kann man imitieren, indem man die durchgehenden Harmoniestimmen mittels Pedaleinsatz simuliert.

Wenn Beethoven eine lange Basslinie gewollt hätte, hätte er den Bass doch auch wie in Takt 5 notieren können. Da er das nicht gemacht hat, kann man aus meiner Sicht Takt 8 auch nicht wie Takt 5 (Bass) spielen.
Die von mir beschriebene Orchestrierung ist nicht so einfach im Klaviersatz zu notieren, und üblich war solch eine Notation zu Beethovens Zeit auf keinen Fall. Eine durchgehende Basslinie würde meiner Meinung nach eine andere Instrumentierung implizieren (nämlich ausgehaltene Noten in Celli und Bässen). Das wiederum ergäbe einen ganz anderen orchestralen Klangeindruck, den man auch am Klavier anders darstellen müsste.

Aber natürlich ist auch eine andere Instrumentierung denkbar - wenn du die Stelle mit ausgehaltenen Pausen spielst, machst du sicher nichts falsch. Nur, wenn man orchestral denkt, passt es eben nicht so gut, weil Beethoven bei solchen Kadenzen auf die Harmoniestimmen in der Regel nicht verzichtet hat.

Das ist wieder ein schönes Beispiel für @Dreiklang, welche Freiheiten man als Interpret hat! Für beide Varianten muss die Ausführung intellektuell begründbar sein, damit man von einer schlüssigen Interpretation sprechen kann. Einfach den Notentext buchstabengenau herunterzuspielen, ist leider in vielen Fällen genau das: buchstabengetreu, aber nicht werkgerecht.
 
Ganz herzlichen Dank, mick!!!:blume: Ich hatte gehofft, dass du antwortest! :)

Ich bemühe mich sehr, orchestral zu denken, ich muss aber sagen, dass mir da noch einiges an Wissen (huhu @Dreiklang :) ) fehlt und ich die Sinfonien etc. noch intensiver studieren müsste!

Liebe Grüße!

chiarina

P.S.: Die Beschäftigung mit so etwas ist keineswegs verkopft, wie man vielleicht denken könnte und was im anderen Faden geschrieben wurde. Ein anderer Klang hat eine andere musikalische Aussage und damit auch eine andere Emotion zur Folge.
 
Zuletzt bearbeitet:
Sehr empfehlenswert ist die Beschäftigung mit der Sonate op. 14/1 - die hat Beethoven selbst für Streichquartett arrangiert. Man kann an dem (fantastischen, genialen!) Arrangement unglaublich viel darüber lernen, wie Beethoven klanglich gedacht hat. Die Behandlung der Streicher im Quartett unterscheidet sich auch nicht so riesig von der Streicherbehandlung im Orchester, die Erkenntnisse sind gut übertragbar.

Wenn man was über Bläser lernen will, dann kann man das Menuett des populären Septetts studieren - es ist eine Übertragung des Menuetts aus der Sonate op. 49 Nr. 2.
 
Ich finde einerseits die Idee mit der virtuellen Orchestrierung sinnig, spiele aber selbst an dieser Stelle auch wirkliche Pausen. Ich möchte den Effekt der langen Pedale am Anfang des Finales NICHT vorwegnehmen.
 
Sehr empfehlenswert ist die Beschäftigung mit der Sonate op. 14/1 - die hat Beethoven selbst für Streichquartett arrangiert. Man kann an dem (fantastischen, genialen!) Arrangement unglaublich viel darüber lernen, wie Beethoven klanglich gedacht hat. Die Behandlung der Streicher im Quartett unterscheidet sich auch nicht so riesig von der Streicherbehandlung im Orchester, die Erkenntnisse sind gut übertragbar.

Wenn man was über Bläser lernen will, dann kann man das Menuett des populären Septetts studieren - es ist eine Übertragung des Menuetts aus der Sonate op. 49 Nr. 2.

Hihi, ich habe das Streichquartett sogar mal gespielt (Cello). Weil ich eher streicherlastig bin, habe ich mir die obige Stelle eben auch pizzicato vorgestellt. Ich habe leider wenig Ahnung von Bläsern - vielen Dank für die Empfehlung des Menuetts! Werde ich machen!

Noch eine letzte Frage, auch an Alter Tastendrücker u.a.: in den ersten zwei Takten des Satzes nehmen Barenboim und manche andere halbtaktiges Pedal. D.H.: auf Zählzeit "3" sind drei (bzw. vier) Töne "F (Oktave)-c-a" zu hören.

Gibt es da eine ähnliche Erklärung? Mich stört der für mich breiige Klang und ich wechsle das Pedal auf der dritten Zählzeit.

Das hat natürlich den Nachteil, dass die F-Oktave im Klang etwas unterbrochen wird. Aber nur wenig, finde ich. Man könnte vielleicht einwenden, dass der Abstand z.T. zu groß ist/wird zwischen den Außentönen, aber das finde ich ja gerade so besonders. Und natürlich ist die Harmonie dann unvollständig, aber auch das finde ich sehr reizvoll. Es klingt etwas leer, wobei beim ersten Mal immerhin die Terz auf Zählzeit 3 zu hören ist. Diese Leere mündet dann in die Pause des zweiten Taktes. So eine tolle Stelle! :)

In der Durchführung des ersten Satzes gibt es auch eine Passage, in der viele Töne liegen bleiben und mit Haltebögen versehen sind. Hätte das Beethoven hier nicht auch gemacht, wenn er Ähnliches gewollt hätte?

Danke und liebe Grüße!

chiarina
 
Noch eine letzte Frage, auch an Alter Tastendrücker u.a.: in den ersten zwei Takten des Satzes nehmen Barenboim und manche andere halbtaktiges Pedal. D.H.: auf Zählzeit "3" sind drei (bzw. vier) Töne "F (Oktave)-c-a" zu höre

Hat lange gedauert bis der Groschen gefallen ist, Du bist also wieder zur Waldstein Sonate gesprungen.
Ich pedalisierte an dieser Stelle (und entsprechenden) auf 1 und dann auf 3, Pedalwechsel auf 4 und auf 6.
Die Lücke ist damit vermieden die tenuto Achtel auf 3 und 6 kriegen etwas Pedalfarbe und die Pausen sind erhalten. Im 2. Takt nehme ich auf 1 das Pedal aktiv weg und pedalisiere die Achtel (sauberer Wechsel !) einzeln. Gerade in diesem Satz bin ich etwas pedantisch mit der Sauberkeit. Klanglich ist mir außerdem wichtig, dass die Bässe relativ leicht bleiben.
 
Hat lange gedauert bis der Groschen gefallen ist, Du bist also wieder zur Waldstein Sonate gesprungen.
Ich pedalisierte an dieser Stelle (und entsprechenden) auf 1 und dann auf 3, Pedalwechsel auf 4 und auf 6.
Die Lücke ist damit vermieden die tenuto Achtel auf 3 und 6 kriegen etwas Pedalfarbe und die Pausen sind erhalten. Im 2. Takt nehme ich auf 1 das Pedal aktiv weg und pedalisiere die Achtel (sauberer Wechsel !) einzeln. Gerade in diesem Satz bin ich etwas pedantisch mit der Sauberkeit. Klanglich ist mir außerdem wichtig, dass die Bässe relativ leicht bleiben.

Das mache ich alles ganz genauso! Sorry für den "Sprung" zurück zur Waldstein! :003: Nur die Bässe müssen aus meiner Sicht ernst und dunkel klingen, aber natürlich nicht zu laut!

Danke und liebe Grüße!

chiarina
 

Man kann das so oder so sehen. Ich würde die Stelle wohl eher halbtaktig pedalisieren (ich spiele die Sonate allerdings bisher nicht) - denn wenn Beethoven den Satz orchestriert hätte, dann hätte er vermutlich das c auf ZZ. 2 und das a auf ZZ. 5 durch ein Horn aushalten lassen. Dieses Horn höre ich schon beim Lesen der Noten.

Außerdem gibt es ja die phrygische Wendung von Takt 1 auf Takt 2 - die ist sehr dünn und wacklig, wenn dort der ohnehin instabile übermäßige Sextakkord auch noch unvollständig erklingt; außerdem löst sich das a des Sextakordes ins gis des folgenden Akkordes auf - wenn diese Stimmführung unterbrochen ist, dann wirkt das gis auf mich, als ob es da nicht hingehört.

Es sei dir allerdings unbenommen, das anders zu hören und zu empfinden!
 
Man kann das so oder so sehen. Ich würde die Stelle wohl eher halbtaktig pedalisieren (ich spiele die Sonate allerdings bisher nicht) - denn wenn Beethoven den Satz orchestriert hätte, dann hätte er vermutlich das c auf ZZ. 2 und das a auf ZZ. 5 durch ein Horn aushalten lassen. Dieses Horn höre ich schon beim Lesen der Noten.

Außerdem gibt es ja die phrygische Wendung von Takt 1 auf Takt 2 - die ist sehr dünn und wacklig, wenn dort der ohnehin instabile übermäßige Sextakkord auch noch unvollständig erklingt; außerdem löst sich das a des Sextakordes ins gis des folgenden Akkordes auf - wenn diese Stimmführung unterbrochen ist, dann wirkt das gis auf mich, als ob es da nicht hingehört.

Es sei dir allerdings unbenommen, das anders zu hören und zu empfinden!

Herzlichen Dank, lieber @mick! :002: Doch, ich höre das ähnlich! Ich höre auch ein Horn am Anfang, allerdings eben c-c-a. Würde ein Horn sowas eher nicht machen, weil Hörner eher mit Liegetönen den Klang färben und nicht die Melodie spielen?

Ich höre auch die Auflösung a-gis, aber eben innerlich. Ich sehe ein, dass das sehr viel deutlicher wird, wenn man das Pedal hält. Aber dieser Klang stört mich so. Es ist halt ein Klavierklang - ein Horn würde keineswegs breiig klingen - und man nimmt dann Pedal zur Darstellung der Orchestrierung. Alternativ probiere ich mal, das Pedal auf Zählzeit "3" zu wechseln und das c mit den Fingern zu halten, mal sehen :D.

Liebe Grüße

chiarina
 
phrygische Wendung von Takt 1 auf Takt 2 - die ist sehr dünn und wacklig, wenn dort der ohnehin instabile übermäßige Sextakkord auch noch unvollständig erklingt;

Das ist aber genau das was ich an dieser Stelle so phantastisch finde, dieser suchende und keinesfalls selbstbewusst sich spreizende Gestus. Das hängt essentiell damit zusammen, dass ich die Sonate als 2-sätzig empfinde und daher die Introduktion als eine Art Generalprobe zur wesentlich ausgeführteren Einleitung der 106er Fuge sehe.
 
Doch, ich höre das ähnlich! Ich höre auch ein Horn am Anfang, allerdings eben c-c-a. Würde ein Horn sowas eher nicht machen, weil Hörner eher mit Liegetönen den Klang färben und nicht die Melodie spielen?
Bei Beethoven würde das ein Horn eher nicht machen. Außerdem wäre das dis'-e' äußerst problematisch auf dem Naturhorn, das hätte Beethoven niemals für Solo-Horn komponiert. Wenn man sich Orchesterpartituren von Beethoven anschaut, wird man ohnehin feststellen, dass es überhaupt nur ganz wenige Hornsoli gibt, und wenn, dann praktisch nur in Durchführungabschnitten. Zu Beginn eines Satzes wäre das in der Tat mehr als außergewöhnlich. In der Hoch- und Spätromantik sieht das völlig anders aus, da steht das Horn für die Naturmysthik des Waldes und hat sich als Soloinstrument im Orchesters immer weiter exponiert.

Alternativ probiere ich mal, das Pedal auf Zählzeit "3" zu wechseln und das c mit den Fingern zu halten, mal sehen

Vielleicht kannst du dann das Pedal sogar erst auf ZZ. 3 treten - ich könnte mir vorstellen, dass die Figur von den Bratschen mit Abstrich-Abstrich-Aufstrich (wegen des tenuto) gespielt wird, so dass ein wenig "Luft" vor der punktierten Note entsteht. Muss man halt ausprobieren - vielleicht wird die Bass-Oktave dann auch zu dünn im Klang.
 
Zuletzt bearbeitet:
Das ist aber genau das was ich an dieser Stelle so phantastisch finde, dieser suchende und keinesfalls selbstbewusst sich spreizende Gestus. Das hängt essentiell damit zusammen, dass ich die Sonate als 2-sätzig empfinde und daher die Introduktion als eine Art Generalprobe zur wesentlich ausgeführteren Einleitung der 106er Fuge sehe.

Tja, schon wieder haben wir festgestellt, dass der Spielraum des Interpreten verdammt groß ist und es etliche Möglichkeiten gibt, mit so einer Stelle umzugehen. Hach, wäre man doch so unbedarft wie so mancher vorlaute Hobby-Interpret - dann könnte man sich die ganzen Überlegungen sparen, sich auf die Musik konzentrieren und würde alles auf Anhieb richtig machen. Ganz bestimmt, oder auch nicht.
:lol:
 
Bei Beethoven würde das ein Horn eher nicht machen. ... äußerst problematisch auf dem Naturhorn, das hätte Beethoven niemals für Horn komponiert.
Wie strikt war denn Beethoven, wenn er sich den Klang eines Orchesterinstrumentes vorstellte, während er für Klavier schrieb? Hat er dabei grundsätzlich die Spielbarkeit auf dem entsprechenden Instrument bedacht, oder gibt's da einige Ausnahmen?
 
Wie strikt war denn Beethoven, wenn er sich den Klang eines Orchesterinstrumentes vorstellte, während er für Klavier schrieb? Hat er dabei grundsätzlich die Spielbarkeit auf dem entsprechenden Instrument bedacht, oder gibt's da einige Ausnahmen?
Darüber kann man nur spekulieren. Ich bin aber sicher, dass ein so versierter Komponist wie Beethoven darüber überhaupt nicht nachdenken musste - sein inneres Ohr konnte vermutlich nicht anders, als richtig und instrumentengerecht zu orchestrieren.
 
Zuletzt bearbeitet:

Zurück
Top Bottom