Der Prozess des Komponierens - ein Austausch

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23. Okt. 2019
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Eigentlich wollte ich @Stilblüte eine PN schicken, dann dachte ich, dass dieses Thema sicherlich für mehrere Forumsmitglieder interessant sein könnte und dass sich auch noch viel mehr komponierende Teilnehmer daran beteiligen können, z.B. @alibiphysiker, @Rheinkultur, @kitium, @Felix Hack und ....

Meine Idee ist, einen Austausch darüber zu führen, wie der Prozess des Komponierens bei euch abläuft.

Zunächst kurz zu mir: Wenn ich (selten) komponiere, läuft das bei mir aus der Improvisation heraus (meine Haupttätigkeit ist ja auch die Improtheater-Begleitung und das Spielen nach Lead-Sheets).
Es ist bei mir sozusagen eine Kooperation aus Klangvorstellung und Fingerspiel, wobei die Finger oft intuitiv wissen bzw. erkunden, was sie wollen und den Prozess dadurch lenken. Anschließend kristallisiere ich heraus, was zu einer Komposition taugt. Manchmal kristallisiert sich das Stück auch von selbst heraus.

Soweit ich weiß, gehen die meisten Komponisten da anders vor: Die Musik entsteht zuerst entkoppelt vom Instrument im Kopf, dann erst erfolgt die instrumentale Umsetzung. Eine Ausnahme war offenbar z.B. Wagner, der anscheinend (trotz geringer pianistischer Fähigkeiten) so gut wie alle Kompositionen am Klavier entwickelt hat.

Wie ist das bei euch?
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich komponiere Klavierstücke fast immer am Klavier aus der Improvisation heraus. Am Anfang steht eine Grundidee, die ich improvisierend weiterentwickle. Das ist ein Prozess aus Intuition, Kreativität, Erfahrung und Zufall (hin und wieder führen auch Verspieler in eine interessante Richtung). Oft "weiß" ich, wie es weitergeht, weil es sich aus der eben hinzugekommenen Fortsetzung ergibt.

Irgendwann gelange ich an eine Stelle, wo es sich nicht mehr von selbst ergibt. Dann probiere ich entweder verschiedene Möglichkeiten aus, oder - wenn ich damit auch nicht weiterkomme - muss ein oder mehrere Nächte drüber schlafen.

Notiert wird erst, wenn das Stück fertig ist, vorher behelfe ich mir zur Erinnerung damit, die angefangenen Ideen aufzunehmen und bei Bedarf nochmal anzuhören.
Vielleicht probiere ich auch mal eine andere, rationalere, analytischere Möglichkeit der Komposition aus, wo ich erst komponiere und hinterher übe.

Anders sieht es aus, wenn Text dabei ist - da ergeben sich Text und Melodie auseinander, manchmal das eine ein bisschen früher, mal das andere. Da herum baue ich den Rest der Musik - erst Klavierbegleitung, anschließend weitere Melodieinstrumente.
 
@Demian: Schönes Thema!

Meine Musik entsteht zumeist am Klavier, ab und zu auch am Stage Piano, wo ich neben Klaviersounds auch mal diverse neue oder vintage E-Piano Sounds, Orgel oder auch mal Streicher auflege. Eher selten denke ich mir (z.B. unterwegs aus Langeweile) schon mal Sachen vorab im Kopf aus.

Wenn ich zu Hause bin und es mich an‘s Klavier zieht, fange ich zumeist damit an, die Stücke von mir zu spielen, die aktuell intensiv in Bearbeitung sind (sind meistens eine handvoll Stücke) und versuche dann dabei, die ein oder andere Stelle aufzuwerten. Ähnlich wie @Stilblüte schreibt, geschehen Änderungen auch bei mir oft rein zufällig, nicht selten passieren sie mir auch aufgrund von Müdigkeit. Auch ich sichere solche evolutionären Zwischenschritte (natürlich nur, sofern sie denn tendenziell zum Besseren hin sind), dann mit dem MP3-Recorder. Wenn das Ganze sich dann irgendwann stabilisiert, stelle ich manchmal fest, dass ein Stück kaum mehr an seinen Ausgangspunkt erinnert. Dann kann man das ursprüngliche Stück natürlich bedenkenlos recyclen

Wenn ich ein neues Stück anfange, folge ich dabei keinen festen Regeln. Irgendwelche Schemata zu befolgen, hielte ich nicht für besonders hilfreich, das ginge dann doch immer deutlich hörbar auf Kosten von Originalität. Kann aber sein, dass ich es unbewusst vielleicht dann doch ab und an tue. Wenn ich den Eindruck habe, dass gerade etwas Brauchbares entsteht, lasse ich den Recorder mitlaufen. Die Dinge zu ordnen und sich um irgendeine sinnvolle Dramaturgie Gedanken zu machen, kommt dann als nächster Schritt. Manchmal lasse ich aber auch spontan entstandene Stücke einfach so stehen wie sie sind.

Vielleicht charakteristisch für meine „Arbeitsweise“ ist, dass es selten lange Sessions sind, sondern eher viele kurze Auszeiten über den langen Tag verteilt, die ich mir am Klavier nehme, sozusagen immer ein kompletter Reset dazwischen.
 

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