Das besondere der westlichen Musikkultur, Gesellschaft

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chopin92

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Hallo,

ich beschäftige mich zur Zeit im Studium mit der Musiksoziologie und es ist die Frage aufgekommen, was denn das besondere an unserer Musikkultur sei in Hinblick auf soziale Distinktionsprozesse.
Kennt jemand Beispiele was unsere Musikkultur so besonders macht in vergleich zu anderen Kulturen? Natürlich hat jede Kultur etwas besonderes aber gerade die abendländsiche hat sich ja weltweit beliebt gemacht, in Indien wo jedes Dorf quasi seine andere Stimmung hat macht dies ja gerade zu unmöglich.
Hat jemand ein paar Gedankenanstöße besonders auf Hinblick zur Gesellschaft und ihre Distinktionsprozesse zu diesem Thema ?

Viele liebe Grüße
 
Zumindest ist sie weltweit verbreitet und das, so denke ich mir, hat mit der aggressiven Missionierung des Christentums aus Europa heraus und damit auch dessen Kultur zu tun.
 
und das, so denke ich mir, hat mit der aggressiven Missionierung des Christentums aus Europa heraus und damit auch dessen Kultur zu tun.
meinst du, dass die expandierenden Kolonialmächte einzig davon angetrieben waren, überall sakral die Bibel zu verteilen, oder hätte denen vielleicht eher an solchen profanen Angelegenheiten wie Bodenschätzen etc. gelegen sein können? ;);)
 
Was meinst Du denn genau mit gesellschaftlichen Distinktionsprozessen? So etwas wie die Ausdifferenzierung unterschiedlicher Subsysteme, oder eher so etwas wie kollektive Identitätsbildung über Ausgrenzung, oder Elitenbildung...?
 
meinst du, dass die expandierenden Kolonialmächte einzig davon angetrieben waren, überall sakral die Bibel zu verteilen, oder hätte denen vielleicht eher an solchen profanen Angelegenheiten wie Bodenschätzen etc. gelegen sein können?
Das ist doch gar nicht die Frage. Aber ich denke, Beides war gegeben.
 
Das besondere an der europäisch-abendländischen Musikkultur ist sicherlich die Entwicklung eines detaillierten visuellen Notensystems. In anderen Kulturen wurde/wird entweder Musik gar nicht oder anders niedergeschrieben. Das wäre so mein erster Gedanke zu diesem Thema.
 
schlage zusaetzlich begrif "boheme" vor. bsp.: chop., liszt und heine beim intellektuellen talk ueber das von chris genannte notensystem , waehrend george sand gedichte rezitiert. :cool:

schaetze, in zentralafrika gabs das zumindest zu DER zeit nicht.

lg, olli!
 
Ich kann mir unter einem "sozialen Distinktionsprozess" nur begrenzt etwas vorstellen, aber ich würde, zusätzlich zu dem, was Chris schrieb, als einen weiteren Aspekt das Zwölftonsystem anführen.
 
Was ist typisch europäisch? Ich würde sagen:
- Seit Bachs Zeiten eine bestimmte Art der Stimmung (die wohltemperierte), die nahezu unbegrenzte Modulationen ermöglicht.
- Die Dur-Moll-Tonalität, die die Vielfalt möglicher Skalen auf zwei gegensätzliche oder komplementäre reduziert.
- Ein festes Metrum, das das Zusammenspielen einer großen Gruppe von Instrumenten ermöglicht (darauf aufbauend das Orchester mit seiner hierarchischen Struktur und Dirigent).
- Die Zurückdrängung freier improvisatorischer Musikpraxis zugunsten von notierter, komplexer, mehrstimmiger Musik.

Einige interessante Einsichten zu dem Thema finden sich hier:
Dane Rudhyar - The Magic of Tone and the Art of Music - Chapter 9: The European Spirit in Music - Rudhyar Archival Project
(O.T.: Dieser Autor, Dane Rhudhyar hat eine irrationale, "esoterische" Seite, was jedoch nicht ausschließt, dass er teilweise zu wichtigen Einsichten kam. Er schrieb in den 1920er Jahren avantgardistische Musik, v. a. Klaviermusik, die man z. T. auch auf Youtube hören kann. Wäre vielleicht einen eigenen Faden wert.)

Ich möchte jedoch, da bereits die Zwölftonmusik erwähnt wurde, zum Schluss noch eine überraschende und vermutlich kontroverse These aufstellen, in den Worten von Spahlinger: "Alle bisherige Musik [bis 1910] unterscheidet sich untereinander nicht halbwegs so stark wie die Neue Musik von aller bisherigen. Und zwar deshalb, weil alle bisherige Musik tonal war. [...] Und zwar die konventionelle Musik aller Kulturen, nicht nur die europäische." ("Tonal" natürlich nicht unbedingt im Sinne der europäischen Dur-Moll-Tonalität, sondern in einem anderen, den zu erläutern hier zu weit führen würde.)
 
Exakt erfasst, wie ich's gemeint hatte, Toni. Dankeschön!

Mir ging's nicht um die Zwölftonmusik (von der weiß ich zu wenig, um mich darüber auszulassen), sondern das Tonsystem, welches eine Oktave in zwölf Halbtöne unterteilt - ob gleiche oder ungleiche Halbtöne, sei dahingestellt, denn mir geht's hier erstmal nicht um Temperaturen. Ich meinte schlicht die Halbton- bzw. chromatische Skala im Gegensatz zu anderen Skalen, wie z.B. Viertelton- oder pentatonische Skalen.

Andererseits ist vielleicht eher die diatonische Skala, nicht die chromatische, als typisch "westlich" anzusehen? Hmmm...
 

Hallo Chopin, da hast Du ein großes Fass aufgemacht!

Vielleicht müssen wir für das Verständnis der Entstehung unserer heutigen „westlichen“ Gesellschaften an unsere Ursprünge zurückgehen.
Ich versuche nur mal, die Weite dieser Fragestellung durch eine Sammlung von Stichworten ungefähr abzustecken.

Zuerst die Entzauberung und Entgottung der Natur durch die christlichen Missionare (die Donareiche konnte gefällt werden, ohne dass Donar zurückschlug).
Die Möglichkeit, Wissenschaft zu treiben ohne Eingrenzung durch Dämonenglaube im Bewusstsein, dass die Welt Schöpfung Gottes und nicht selbst göttlich ist.

Entstehung von Klosterkultur, kirchlicher Kultur, höfischer Kultur, Minnesang, kirchlicher Gesang, die Stände der Handwerker, die Handwerker auf der Walz, die immer für Informationsaustausch sorgten.

Der Buchdruck spielt bestimmt eine hervorragende Rolle für die Entwicklung unserer abendländischen Kultur. Ebenso die Verbreitung von Musik durch Notendruck, Gesangbuch, Tanz, Volkslied, Gassenmusik, Bläsermusik.

Die Einheitlichkeit der katholischen Kirche hat bestimmt zur Verbreitung gleicher Musik beigetragen.

Instrumentenbau, reisende Handwerker, Austausch durch Händler.

Wo wurden die meisten physikalischen, chemischen, biologischen und medizinischen Errungenschaften geleistet und warum?
Wo wurden die meisten Erfindungen gemacht und warum?

Wie ist das mit der Handwerkskunst und den Baumeistern?
Warum haben z.B. die Moslems hervorragende Architektur hervorgebracht, aber im Maschinenbau nichts usw.? Was ist mit den Indern und anderen Völkern?
Meines Erachtens muss dieser Gesamtkontext abgeklopft werden, wenn man den kleinen Bereich der Musik verstehen will.

Walter

P.s.: Musik zum Lob Gottes ist in ihren Auswirkungen nicht zu verachten: Bach und alles, was ihm seine Komponistenkollegen zu verdanken haben, aber auch die Spirituals der Schwarzen sind Fundamente, auf denen viele aufbauen konnten.
 
Ich bedanke mich sehr für eure zahlreichen Beiträge.

Scheinbar hätte ich genauer definieren sollen, was ich mit sozialer Distinktion meine, jedoch habe ich mich das selbst noch ein bisschen gefragt in Bezug auf das Thema.

Sozialie Distinktion ist ja die Abgrenzug Angehöriger verschieder Gruppierungen, welche Rolle haben die in Bezug auf unsere Kultur.
Und allgemeiner, was hat die Gesellschaft und die verschiedenen Gruppen der Gesellschaft damit zutun wie unsere abendländische Musikkultur ist. Warum ist das wo anders... z.B. in Indien nicht so gelaufen...
Ich finde das Thema sehr interessant, aber unglaublich schwer zu begreifen, wie sich sowas durch die Gesellschaft formt...
 
Luhmann, Die Kunst der Gesellschaft, könnte auch interessant sein (ist aber nicht spezifisch zur Musik)
 

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