klar, wenn man sich auf den vorsokratischen Standpunkt von Protagoras stellt - (Platon paraphrasiert es so) "Wie ein jedes Ding mir erscheint, ein solches ist es auch mir, und wie es dir erscheint, ein solches ist es wiederum dir" - kann man so ziemlich restlos alles als
so erscheint es mir aber darstellen. Die Frage ist, ob eine solche Haltung noch Sinn macht, wenn eindeutige Fakten vorliegen, welche dem subjektiven Eindruck eindeutig widersprechen.
Um das an einem Beispiel zu verdeutlichen: der dritte Satz der zweiten Chopinsonate hat die Überschrift
Marche funèbre: Lento und ich möchte nicht darstellen müssen, was von einem (vorgeblichen) erleben dieses Satzes als mimimi-ich-empfinde-das-als-Freudentanz zu halten ist.
aber nicht gleich wutschnauben wegen des krassen Exempels! Bei der Bruckner Sinfonie bieten sich aufgrund ihrer Entstehungsgeschichte schon etliche Mystifizierungen an - wow! Da wäre zuerst die kuriose Widmung an den lieben Gott, die man in den erhaltenen Autographen nicht findet... "überliefert" ist sie nur aus dritter Hand: von Bruckners Arzt Dr. Heller den beiden ersten Brucknerbiografen (Göllerich, Auer) erzählt. Ähnlich wie im Spiel stille Post kann dann aus der unbelegten/unbewiesenen Widmung leicht eine solche vermeintlich sichere Behauptung werden:
Bruckner hat sie ja "dem lieben Gott" gewidmet. Es ist sein Zwiegespraech mit ihm.
(ich frage mich, ob dann das Scherzo der freche Hinweis des Komponisten an den lieben Gott sein könnte, seiner Schöpfung mehr rhythmischen Drive zu verpassen...)
Bruckner nimmt mich mit auf eine Wanderung in die Alpen. Klarer Ausblick, angenehme Kühle, großes Panorama, in welchem der Protagonist klein und zuweilen einsam ist.
Klangwogen, Klangkathedralen, Klanggebirge, Klangmassiv, Klanglandschaft etc sind oft gebrauchte Metaphern bei der Beschreibung vor allem spätromantischer sinfonischer Werke, insofern bist du mit deiner Alpenwanderung samt Panorama im sozusagen "normalen" Bereich. Und wenn man bei diesen Bildern bleibt, könnte man stur konsequent fortissimo Tutti als Klanggipfel oder Matterhorn und pianissimo kleinere Besetzung als Tal oder Tiefebene (oder Abstieg tief runter ins Bergwerk*) sogar) bildhaft umschreiben. Und sogar eine "Klangwanderung" mit verdammt vielen anstrengenden Höhenmetern durch solche alpine Klanglandschaft ist - im Bild gesprochen - nicht völlig abwegig, wenn man sich dabei bewußt bleibt, lediglich als Notbehelf zur Versprachlichung der eigenen Eindrücke Metaphern zu verwenden.
Irrtümlich aber wird das ganze, wenn man der Sinfonie quasi als inneres Programm eine Alpenwanderung unterstellen würde, denn die Brucknersche Neunte ist keine Programmmusik wie Finlandia oder Fantastique.
Wie dem auch sei, es lohnt sich, verschiedene - persönliche - Eindrücke darzustellen, und sie mit allerhand anderen Informationen zu vergleichen.
völlig d´accord - mit dem Hinweis allerdings, dass die "anderen Informationen", sofern es sich um die Partitur handelt (samt allem "Musikkram"), solche persönlichen Eindrücke gegebenenfalls als abwegig erweisen können. Und obendrein schön wäre, wenn die subjektiven Eindrücke nicht in Aussagesätze und Behauptungen gekleidet wären.
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*) allerdings nicht zu den versklavten unterirdischen Malochern wie im Rheingold, denn es fehlt ambossige Niebelungenrhythmus
