Analyse-Workshop: Beethovens Waldsteinsonate Op.53

Vielen Dank, Klavigen!

Ich werde demnächst meine Erkenntnisse zur Exposition einstellen. Vielleicht ergibt sich ja eine kleine Diskussion darum. Auf jeden Fall habe ich jede Menge schöner Stellen entdeckt! :eek:

lg marcus
 
Vielen Dank, Klavigen!

Ich werde demnächst meine Erkenntnisse zur Exposition einstellen. Vielleicht ergibt sich ja eine kleine Diskussion darum. Auf jeden Fall habe ich jede Menge schöner Stellen entdeckt! :eek:

lg marcus

Ich freu mich drauf-

ich warte erstmal, was von euch kommt und kann ja dann vielleicht auch weitere Ideen beitragen
 
Waldsteinsonate

Hallo,
da die Waldsteinsonate seit ich 17 bin jahrelang eines der wenigen von mir auswendig gespielten Stücke war, bin ich schon gespannt auf die Themen und Ergüsse an Diskussionen.
Muß ich mir wohl die alten Noten mit den entsprechenden Fingersätzen hervorsuchen, um mindestens den 1. Satz wieder einigermaßen im Tempo durchspielen zu können. Die anderen Noten haben alle einen Fingersatz, der mich stark irritiert, wenn es an die schwierigen Stellen geht, diese auch schnell genug spielen zu können - komme beim Notenlesen ständig aus dem Konzept und muß mich dann zwingen, auswendig zu spielen und mich treiben zu lassen, damit diese Stellen auch flüssig laufen. Ich hatte schon einmal angefangen, die alten Fingersätze zu übertragen, die damals mein KL in mühevoller Kleinarbeit auf meine Hände angepaßt erstellt hatte.
Werde ich dann wohl wieder durcharbeiten.

Ansonsten freue ich mich, wenn diese schöne und gehaltvolle aber auch schwierige Sonate einmal hier durchleuchtet wird.

Gruß Hartwig
 
Ich habe meine Analyse der Exposition unten als PDF angehängt, weil man dort die Grafiken direkt einfügen kann.

Trotzdem stell ich den Text nochmal hier rein:


1.Satz; C-Dur, alla breve, Allegro con brio, pp

Der Satz beginnt mit repetierten Doppelnoten, die an typische Streicherfiguren erinnern. Sie bilden den harmonisch-rhythmischen Hintergrund des Themas. Der orchestrale Stil dieser Begleitung wird noch unterstützt durch das Thema, dessen zwei Motive, dem durchbrochenem Stil nachempfunden, in unterschiedlichen „Stimmlagen“ vorgestellt werden.
Das Motiv 1 setzt auf dem Dominantgrundton an, es folgt ein 16tel Nachschlag. Das Motiv 2 setzt eine Quint höher auf d an und folgt dann dem gleichen Muster wie Motiv 1. (erste Grafik)
Diesen ersten vier Takten folgt kein klassischer Nachsatz, sondern eine Rückung derselben Takte nach B-Dur. Er setzt damit den chromatischen Abgang im Bass C-H-B-(A-As-G) fort. Takt 9 greift Motiv 2 auf und führt deren 16tel Abgang frei weiter zu einem G7-Höhepunkt, der über eine c-Moll Skala und einen gebrochenen c-Moll Akkord schließlich in eine Fermate auf dem Dominantgrundton mündet.
Das c-Moll erweist sich im nächsten Takt als nicht-formgebend. Die Streicherfigur des Anfangs tritt als vitalisierendes Tremolo wieder auf und verleiht der erneuten Themenvorstellung großen Vorwärtsdrang (ich spreche in solchen Fällen gern von einer „Erhöhung der Energie bzw. des Energieniveaus“). Die weitere Entwicklung wird herausgezögert und gleichzeitig umso zwingender gemacht.
Durch eine chromatische Rückung von a nach ais, die einen a-Moll Akkord in einen Fis7 mit hartverminderter Quinte verwandelt, führt uns Beethoven überraschend nach H-Dur. (zweite Grafik)
Wieder benutzt Beethoven das Motiv 2, um uns in eine neue Richtung zu führen.

Die nachfolgende H-Dur Passage (ebenfalls von Motiv 2 ausgehend) bis Takt 30 bietet virtuoses Laufwerk, links Akkordbrechungen. Nach einem kleinen Höhepunkt der drei sf fällt sie in den Bass, wo sogleich ein weiterer Überleitungsgedanke beginnt.
In gebrochenen Oktaven geht Beethoven die E-Dur Tonleiter hinauf, verweilt dabei einen Moment spielerisch bei dem Übergang dis-e und führt dann hinauf zum Seitenthema. Besonders schön finde ich, wie Beethoven hier das a2 repetiert, denn eine Tonleiter an sich hat keinen bestimmten Endpunkt, sondern kann einfach immer weiter hinaufgehen. Das a2 gibt einen Zielpunkt vor und macht das Enden auf gis2 logisch (denn eben diese Erwartung weckt es ja).

Das Seitenthema steht in E-Dur und ist im Wesentlichen eine schlichte Melodie in akkordischer Fortschreitung. „Dolce e molto ligato“ hebt sich vom drängenden impulsiven Hauptthema ab. (dritte Grafik)

Das Hauptthema wurde vier mal wiederholt und ebenso das Seitenthema. Nach seiner Anfangsgestalt hören wir es eine Oktave tiefer und schließlich noch einmal in figurierter Form.
Je nachdem, wie weit man die beiden Themen fasst, sind es natürlich weniger Wiederholungen. Ich habe das Thema jeweils auf seinen Kern reduziert und alles andere als Wiederholungen bezeichnet.

Die in der Figuration eingeführten Triolenketten verwendet Beethoven, um eine weitere Überleitungspassage zu beginnen. Sie führt von E-Dur über A-Dur und Fis7 wieder nach E-Dur.
Dabei wird in den Takten 54-59 ein Verdichtungsprozess durchgeführt. Zunächst geschieht der Wechsel E-Dur – H-Dur halbtaktig, Takt 58 wechselt auf jedem Viertel die Harmonie und Takt 58 schließlich bringt die beiden Harmonien in einem Viertel unter. An diesem Punkt springt der Bass in die Tiefe und E7 führt per A-Dur Tonleiter in einen wilden 16tel Lauf, begleitet von rhythmischen A-Dur Schlägen. Wiederum rückt Beethoven von a nach ais und führt damit wieder zurück nach E-Dur. Die Spannung nimmt deutlich ab. Alles was noch bleibt ist die Vorbereitung der Wiederholung. Über die Stationen E7-a-H7-e-a-H7-C-G7 gelangt Beethoven wieder nach C-Dur.

Der ganze Satz erhält durch Tremoli und Arpeggio-Klangflächen orchestrale Wirkung. Die harmonische Rückung am Anfang hat bereits die harmonische Weite des ganzen Satzes ahnen lassen. Harmonisch und formal ist der Satz äußerst klar gegliedert. Jede neue Episode hebt sich durch andere Satztechnik oder Harmoniewechsel ab.
Durch die Erzeugung bestimmter Erwartungshaltungen z.B. in den ersten Takten und der Erfüllung dieser Erwartungen schafft Beethoven ein einheitlich-zusammenhängendes Werk (Wer wie ich mal selbst komponiert hat, weiß wie schnell einem ein längeres Stück in lauter Einzelteile zerfällt).


Ich hoffe nicht gelangweilt zu haben und freue mich auf jedwede Anmerkung, Korrektur oder Erweiterung.

Lg marcus
 

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freue mich auf jedwede Anmerkung, Korrektur oder Erweiterung.

hallo marcus,

was ist typisch und bleibt im Ohr, wenn man den berühmten Beginn dieser Sonate (auch "L´aurore" Sonnenaufgang) genannt hört - nur das von Dir als erstes Thema so bezeichnete Motiv?

dann könnten ja notfalls die ersten beiden Takte wegbleiben - aber die Wirkung wäre wohl dahin.

Was hältst Du davon, die repetierenden Terzen ebenfalls zum ersten Thema dazu zu nehmen? siehe Notenbeispiel (wobei ich nur den Anfang zitiere)

Gruß, Rolf
 

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hallo marcus,

was ist typisch und bleibt im Ohr, wenn man den berühmten Beginn dieser Sonate (auch "L´aurore" Sonnenaufgang) genannt hört - nur das von Dir als erstes Thema so bezeichnete Motiv?

dann könnten ja notfalls die ersten beiden Takte wegbleiben - aber die Wirkung wäre wohl dahin.

Was hältst Du davon, die repetierenden Terzen ebenfalls zum ersten Thema dazu zu nehmen? siehe Notenbeispiel (wobei ich nur den Anfang zitiere)

Gruß, Rolf
Hallo rolf,

sehr interessant! Ich habe in der Tat diese Stelle bloß als Erweiterung der linken Hand gesehen. Jetzt verstehe ich freilich nicht mehr warum :)
Ich gebe dir völlig Recht, dass es zum Thema dazugehört.

Eine Frage hätte ich ja noch :) Wenn man mal nur die erste Seite betrachtet, fällt einem doch auf, dass alle Phrasen eigentlich halbtaktig gedacht werden. Das wird schon an den ersten beiden Takten deutlich: Wer spielt da in Vierteln?!
Warum macht Beethoven also keinen alla breve Takt daraus?

lg marcus

P.S.: Apropos L'aurore. Brendel schreibt in seinen Essays, dass einmal jemand schrieb, die Waldsteinsonate habe den Beinamen "Horror" :D
 
Gute Idee, Kleines Cis und Marcus! Ich hoffe, ich finde auch Zeit, mitzudiskutieren! (mitlesen werde ich auf jeden Fall!)
 
Also ich bin auch der Ansicht, dass die Terzen als Motiv Teil des Themas sind, einfach wirkungshalber. Aber wenn du noch andere Evidenz haben willst: sie kommen mit, wenn das Thema in der Coda im Bass erscheint.

Was die Themenvorstellung betrifft, will ich noch etwas hinzufügen: Beim zweiten Mal, in 16teln, erscheint ja d-moll statt B-Dur - ich finde, das hat einen bedeutsamen dramatisierenden Effekt! Dass das H-Dur danach überraschend kommt, finde ich nicht. Ich bin nämlich bei a-moll so ziemlich alle Erwartungen schon los (zweimal eine Quinte hinauf in einen Mollakkord - da weiß mein Ohr wohl nimmer weiter :D), finde den ausgeführten Übergang dann aber eigentlich sehr weich und unabrupt - und auf diese Weise äußerst gelungen.
 
Also ich bin auch der Ansicht, dass die Terzen als Motiv Teil des Themas sind, einfach wirkungshalber. Aber wenn du noch andere Evidenz haben willst: sie kommen mit, wenn das Thema in der Coda im Bass erscheint.

Was die Themenvorstellung betrifft, will ich noch etwas hinzufügen: Beim zweiten Mal, in 16teln, erscheint ja d-moll statt B-Dur - ich finde, das hat einen bedeutsamen dramatisierenden Effekt! Dass das H-Dur danach überraschend kommt, finde ich nicht. Ich bin nämlich bei a-moll so ziemlich alle Erwartungen schon los (zweimal eine Quinte hinauf in einen Mollakkord - da weiß mein Ohr wohl nimmer weiter :D), finde den ausgeführten Übergang dann aber eigentlich sehr weich und unabrupt - und auf diese Weise äußerst gelungen.

Dass die Anfangsterzen mit zum Thema gehören sehe ich auch alös zwingend an. Die sind einfach zu charakteristisch für die Sonate.

Und bei a-moll Takt 21 und 22 ist der Übergang natürlich gelungen aber schon auch überraschend. Man denke sich, wie es auch anders hätte weiter gehen können.
Warum nicht statt des hart Verminderten mit dem dann auf a bezogenen Neapolitaner, also B-dur mit kleinem d im Bass wobei dann der Neaopolitaner deutlich würde , woran sich dann wieder viele Varianten denken liessen. Von daher find ich den gewählten Akkord als stärkste Dissonanz sehr gut.

Neapolitaner und Harverminderter stehen ja oft in direkter Konkurrenz, wer wohl die stärkste Disonnanz Wirkung habe.
Ich könnte mir vorstellen, dass Beethoven hier auch einen Moment lang überlegt hat, welchem Klang er den Vorzug gibt.
 
Eine Frage hätte ich ja noch :) Wenn man mal nur die erste Seite betrachtet, fällt einem doch auf, dass alle Phrasen eigentlich halbtaktig gedacht werden. Das wird schon an den ersten beiden Takten deutlich: Wer spielt da in Vierteln?!
Warum macht Beethoven also keinen alla breve Takt daraus?

um absurde Raserei (bzgl. Temponahme) auszuschließen.

In Sachen Hinterfragen des Taktmaßes und Rhythmus würde ich empfehlen, nicht nur "die erste Seite" zu betrachten ;)

retour zum ersten Thema:
Zitat von Jürgen Uhde:
Ein Thema wie dieses findet sich nicht noch einmal in den Sonaten, so sehr ist alles Initiative, Anfangsbewegung, Ausholen. Das Thema gleicht einem großen Auftakt, dessen Ziel zunächst gar nicht in den Sinn kommt. Sein Zeitcharakter ist nicht gegenwärtig, sondern "auf die Zukunft treibend bezogen" (Ernst Bloch)
[Takt 1-4 als Notenbeispiel]
Vibrierende Spannung signalisieren die Akordrepetitionen. Als Kern dieses ersten Viertakters könnte man Takt 2 und 3 ansehen, denn Takt 1 ist nur Anlauf (der sich zunächst im 2. Takt fortsetzt, ehe überhaupt melodisch etwas geschieht), und Takt 4 erscheint als Wiederklang von Takt 3, der in Takt 4 nur variiert wird. Man zögert, das Wort "Echo" hier zu verwenden, weil Takt 4 satztechnisch hervorgehoben ist (zwischen Unter- und Oberstimme plötzlich mehr als 4 Oktaven!) und weil Takt 3 zwar als Ende des anfänglichen Entwicklungsbogens (T.1-3) wirkt, Takt 4 jedoch durchaus als neue Initiative.
[...]
In dem Thema sind zwei Gestaltelemente wirksam:
1. die Akkordwiederholung
[in Achteln],
2. die Bewegungsform punktiertes Viertel - zwei Sechzehntel - Viertel - Viertelpause mit all ihren Ableitungen
[...]

soweit ein kleiner, noch nichts vorweg nehmender Ausschnitt aus der Fachliteratur - ich empfehle zu Beethovens Sonaten den Uhde wärmstens als verständlichen Überblick zu formalen und harmonischen Vorgängen.

Und ich schrecke auch nicht davor zurück, vor und/oder während der Beschäftigung mit dieser Sonate (oder mit anderen Beethovenschen) zu solcher Literatur als Hilfestellung zu greifen.

Gruß, Rolf
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Vielen Dank für den Literaturhinweis, Rolf. Leider ist der Uhde schwierig zu bekommen, teils nur noch antiquarisch. Ich werde mich aber umschauen :)

Sla019, freut mich, wenn es dir gefallen hat :)

Klavigen, interessante Überlegung zum Neapolitaner! Das wusste ich nicht.

herzliche Grüße

marcus
 

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