30. Todesjahr Bornefeld (+11.2.1990)

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MartinH

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R. I. P.
Wann wird die letzte Orgel abgerissen?

:010:
 
Murrhardt als eine der tatsächlich großen war aber meines Wissens nie auf der Liste. Könnte mit gewissen, nicht ganz günstigen "Verbesserungsversuchen" zu tun gehabt haben. Kannte das Instrument aber nicht live.
Was mich dort irgendwie stört, ist die für Außenstehende etwas undurchsichtige Finanzierung. Es ist zwar von einem Spenderkreis die Rede, aber m.W. war es de facto ein anonym bleiben wollendet Großspender, auf dessen Geheiß das ganze auch recht schnell gehen musste.

Im übrigen hatte Bornefeld auch dort viel mehr Schwierigkeiten als heutzutage (jetzt war es möglich, das Instruemnet mehr vorzuziehen als damals zB)
Wahrscheinlich können die meisten OB mit ihm auch nichts wirklich anfangen (ich befürchte, auch Link damals). Ich denke auch oft, hätte er soviel Mittel, Zeit und nachgiebigen Denkmalschutz wie heute gehabt, hätte da auch noch deutlich Interessanteres rauskommen können. Viel war auch zeitbedingt und die meisten sind auch sehr klein und damit eingeschränkt.
Und natürlich ein Auditorium, das mit wirklich "Neuer Musik" was anfangen kann.
Man lese im übrigen mal seine Kommentare, Befürchtungen etc. Ist alles noch schlimmer geworden (Beispiel: monatslied.de, m.E. gefühliges, unintelligentes und völlig unpassendes Zeug, das im Vergleich mit unserer Musiktradition einfach beschämend ist)
 
Im übrigen hatte Bornefeld auch dort viel mehr Schwierigkeiten als heutzutage
Die Instrumente aus dieser Zeit wurden ja auch von Firmen gebaut, die musikalisch keinen Gegenpart aufweisen konnten und hin und wieder technisch mehr als fragwürdige Lösungen ablieferten.
Ein Rudolf v. Beckerath hätte solche Aufträge mit Sicherheit dankend abgelehnt.
 
Denke ich auch, ist sicher auch nicht einfach, ein so "forderndes" Gegenüber (Bornefeld) zu haben. Wenn es halt auch nur musikalisch wäre, selbst technisch ist das ja meist nicht so das wahre gewesen.
Klanglich wird eine gewisse Neutralität, die uns heute teils langweilig vorkommt, wohl gewünscht gewesen sein.
Selbst Schorndorf Westorgel soll ja technisch erst seit dem sehr aufwendigen techn. Neubau ok sein.
Es ist ja mittlerweile in, über Bornefeld zu lästern, ich bin aber der Ansicht, dass der den meisten heute an Kreativität weit voraus war. (Manche wollen seinen Klangstil ja auch missverstehen als "Barockkopien", was natürlich nicht stimmt)
 

Als Vorführorgel am Firmensitz - klar.
Ich weiß es gerade nicht konkret, aber wahrscheinlich muss man (auch) da dankbar sein, dass Bornefeld sich mit seinen "Verbesserungsvorschlägen" nicht durchsetzte. Ich versuche das zu trennen (und die uns mittlerweile recht ferne Zeit und durchaus verbreitete Sichtweise zu berücksichtigen), ich finde das, was er kompositorisch machte interessant und kreativ und die allgegenwärtige Funktionsharmonik erweiternd/überwindend. Auch im kleinen.. Hatte gerade wieder ein Heft der Begleitsätze in der Hand, gefällt mir gut, leider oft zu hoch stehend, kann man natürlich transponieren, ist aber wieder zusätzlich Aufwand. War die letzten Monate in recht vielen Gottesdiensten und höre immer nur einfachstes Begleiten, da ist das klasse dagegen. (Letzten Sonntag ganz schlimm, eine schöne Orgel vorne nur zum Vor- und Nachspiel, alle(!!) Choräle auf einem Klavier auf die einfachste, mich durchaus nervende Tour. Ist wohl der neue Trend....
 
Hier noch ein Bornefeld-Konzert, Flöten und Klavier, ebenfalls in Heidenheim an der Brenz, seiner Wirkungsstätte (Musikschule), nächsten Sonntag.

http://neuemusik.heidenheim.com/aktuell.html

Ein äußerst rühriger Verein für so eine nun nicht gerade zentrale Kreistadt, die CD aus Murrhardt (RIP) kann ich zB sehr empfehlen...

Martin,
gerade aus St. Peter Köln mit ausgeputzten Ohren kommend. Aber "Orgel" ist das vielleicht weniger als "dynamisches, oft perkussives Geschehen", was wiederum eigentlich auf mehr Interesse stoßen sollte, siehe Vergleich Orgel/Klavier. Letzteres ist wohl auch wegen der perkussiven Anteilen besser im Rennen?
 
Schönes Bornefeld-Klangbeispiel aus Murrhardt (leider recht "flache" und nicht ganz sorgfältig geschnittene Aufnahme, wenn man aber Entstehungszeit und Produzent berücksichtigt, geht das schon klar)
https://walcker.com/

Leider ist auch schon der Choral heute großteils vergessen.....
 
PS Und das ist so tonal (und gut nachvollziehbar, da choralbezogen), da ist der Schritt zu heutiger "Neuer Musik" doch viel größer als der von "allgemein goutierter Barockmusik" zu Bornefeld, David etc.
 
Auszug (aus so vielem Bedenkenswerten):


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Neue Musik beginnt auch für einfache Menschen überall da und dort, wo man (nach Nietzsche) die Kraft hat, "das Allbekannte-zum Niegehörten umzuprägen", wo der Terrorismus einer neurotischen Zwangsharmonik gebrochen wird, wo melodische, rhythmische und klangliche Potenz jenen Normen-Katalog aufsprengt, den ein dekadentes Europa erstellte
(und der übrigen Welt kolonialistisch aufzwängen zu müssen glaubte).

Diejenigen Substanzen, die im Sinne Nietzsches als Allbekanntes "umgeprägt "werden
können, sind -zumindest in unserem deutschsprachigen Kulturbereich- zweifellos das
Volks-und das Kirchenlied. Schon als Student richtete sich mein instinktiver Widerspruch gegen jene falsche "Volkstümlichkeit" und Choralbuch-Routine, der diese an
sich so wertvollen Materialien unterworfen waren. Unsere europäische Harmonik war schön und interessant in ihrem Werden: als Metamorphose ehedem naturaler
Klangkräfte, die in zunehmendem Maß (von Monteverdi bis Wagner) schöpferisch erfüllbar und stilistisch entfaltbar wurden. (In diesen ihren h i s t o r i s c h e n Ausprägungen
wird Harmonik immer unverzichtbar bleiben.) Aber diese produktive Potenz ist seit 100 Jahren erloschen; schöpferisch legitim kann seitdem nur eine "Neue Musik" sein,
die aus ganz andersartigen Kräften sich nährt. (Ein profitabler Historismus allein verstellt uns den Blick für diese Tatsachen.) Der harmonische Funktionalismus ist heute eine
entleerte Hülse, eine sterile Hinterlassenschaft, die in einem überhaupt nicht mehr vorstellbarem Ausmaß Gegenstand kommerzieller Ausbeutung wurde und damit zu jenem
Konsumsound verkam der die kulturellen Restbestände unserer Erde total und global zerstört.

Der Dreiklang als solcher ist also ein Stück naturaler Physik gegen ihn, als "Tonalität" wird keine Musik je sich richten können, solange sie eine "humane Akzeptanz" zum Ziel hat hat.
Harmonischer Funktionalismus hingegen, im Endstadium seiner Totalvermarktung,
ist für jedes Humanum genau so bedrohlich, wie es unsere Zivilisalionsrückstände für die Ökosysteme einer geschundenen Erde sind. Die zunehmende Banalisierung und
Brutalisierung des Globalsounds verläuft haargenau parallel zu den weltweit beängstigend ansteigenden Kurven von Gewalt, Terror, Kriminalität und Drogenmif]brauch.

lch bilde mir bei Gott nicht ein, mit meinem bißchen Musik "die Welt verbessern zu
können". Aber ganz so dumm, wie mir manche Kritiker unterstellen, ist es vielleicht
doch nicht, wenn man sich über das Woher und Wohin unserer Musik ein paar Gedanken
zu machen versucht.

Nach diesem Exkurs wird man vielleicht etwas eher verstehen, warum ich die B e g l e i t s ä t z e für die eigentliche Keimzelle meiner Lebensarbeit halte. Ich liebe ganz
einfach diese melodischen Schätze des Kirchenlieds und möchte sie deshalb in einer Art erschlossen sehen, die ihrer Würde und Fülle entspricht, befreit von entstellender
Übermalung und Verniedlichung. Wenn ihnen dieserweise eine neue Form gegeben wird
-nicht funktionell nivelliert, sondern linear und motivisch angereichert, rhythmisch und
klanglich aktiviert-dann verkörpern sie damit ejn Stück "neuer Tonalität", die für den
Hörer sehr wohl einen gewissen Zugang schaffen kann zu den abenteuerlichen Bereichen autonomer-Progressivität. Selbst an einer traditionellen Kirchengemeinde wird
es nicht spurlos vorübergehen, wenn ihr das "Allbekannte" immer wieder in neuem Licht als "Aufforderung zum Fortschritt" angeboten wird. Die sechs Hefte der Begleit-
sätze (BA 221 2-2217) machen mit allem später Hinzugekommenen weit über 200
Stücke aus; ein Material also, das nicht nur punktuelle Eindrücke, sondern immerhin ein gewisses Continuum ermöglicht.
 
Wenn auch nur im weiteren Sinne passend: ich bin erfreut,endlich mal kritische Meinungen zB zu Cooman zu lesen (und das ausgerechnet in der Superlativ-"Organ"), nicht wenige aktuelle zeitgenössische Komponisten im Kirchenmusikbereich werden doch zu Unrecht gehypt und servieren eigentlich nur kalten Gebrauchs-Kaffee (haben aber durchaus einen anderen Anspruch) - und das auch noch in der Carus-Apotheke, wo es früher eigentlich nur Nahrhaftes und bittere Medizin gab.
Da war Bornefeld & Co. ein ganz anderes Kaliber - meine Meinung.
https://organ-journal.com/artikel/expressions-for-organ/
(und das ist ja der Hammer: https://organ-journal.com/artikel/owl-night-music-for-organ-by-carson-cooman-vol-7)

PS Dass die Amis jubeln, war ja klar, für die ist immer gleich alles great...
 

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