Phrygisch oder ja?

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Flint

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Mal eine Frage an die Kenner hier, z.B. @mick oder so...
Im Folgenden sehen wir ein Bicinium aus dem 16. Jhdt. Ich schreibe gerade die Kadenzen raus und bei der Rot Markierten auf der 2. Seite bin ich etwas stutzig geworden. Wie üblich sind die Akzidenzien ÜBER den Noten vom Herausgeber. Das markierte Eb passt m.E. nicht zur kurz darauf folgenden Kadenz in a-phrygisch. Sollte man es besser bei E belassen?

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Ich habe nun wirklich sehr viel "alte" Vokalmusik gemacht. Ohne jetzt großartig analysiert zu haben: Rot umkringelt: e ohne b.
 
Ohne jetzt großartig analysiert zu haben: Rot umkringelt: e ohne b.
Mit Analyse ist die Sache allerdings nicht mehr so eindeutig. Mit E entsteht durch das nachfolgende B im Diskant ein unharmonischer Querstand (mi contra fa), der in der Renaissance zwar als starkes Ausdrucksmittel vorkommt, aber in einer kadenzierenden Klausel eher fehl am Platze ist.
Ich bin ganz klar für ein Es an dieser Stelle.
 

Schon nur beim Durchlesen glättet dieses Stück meinen Tag. Danke dafür! Soo schöne Musik. Sie harmonisiert die Seele!
 
In dieser Aufnahme hier wird nicht nur an der rot umkringelten Stelle ein e gespielt, sondern auch manche andere Töne anders:

 
In dieser Aufnahme hier wird nicht nur an der rot umkringelten Stelle ein e gespielt, sondern auch manche andere Töne anders:


Joaaa..., interessant. Die nehmen ja ständig das e/h, auch als obere Wechselnote. Dafür von unten ein #. Damit werden aus phrygischen Kadenzen dorische oder "äolische". Keine Ahnung, ob das stilecht ist. Jedenfalls bekommt man so ständig den Tritonus als Rahmenintervall.
Immerhin gut für den Mittelaltermarkt -- immer druff auf die "dorische Sexte".

Scheint diese Fassung zu sein:

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Wir können ja einen "Alte-Musik" Wettbewerb machen: Jeder schreibt die Vorzeichen rein, die er für richtig hält... :-D
 
Wir sollten nicht vergessen, dass Vorzeichen oft nicht so wichtig waren, wie sie im modernen Verständnis von Musiknotation wurden. Das zeigen viele Fälle von authentischen Varianten, die implizit oder explizit unterschiedliche Vorzeichensmuster angeben. Ebenso lässt z.B. Byrds Bearbeitung von Dowlands berühmter Lachrymae-Pavane darauf schließen, dass Vorzeichen nicht zum zentralen Wesen der Melodie bzw. des Stückes gehörten. Insofern muss man nicht in den Kategorien "richtig" und "falsch" denken. Es ist ein bisschen wie, wenn man sich bei einem modern notierten Stück fragt: "Ist diese Note mezzoforte oder forte zu spielen?" Man kann immer für das eine oder andere argumentieren, und im Ensemble lohnt es sich, sich zu einigen...
 
Ich nehme an, Du sprichst von diesen beiden Versionen:

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Was hat das mit der ursprünglichen Fragestellung zu tun? Ich sehe erstens keinen wesentlichen Unterschied in der Melodie und zweitens ist eine Bearbeitung nunmal eine Bearbeitung. Hier geht es aber um Akzidenzien, die nicht notiert wurden, in der Renaissance aber stillschweigend vorausgesetzt wurden, weil die Sänger eine wesentlich gründlichere Ausbildung in Musiktheorie und Improvisation hatten als heute. Heute müssen wir ermitteln, welcher Ton wohl als "selbstverständlich" angenommen wurde.
 
@Flint
Beide Varianten Spielen, Hören ... und dann selbst entscheiden was besser ins Ohr geht.
So würde ich es wohl machen. In einer Analyse würde ich wohl sogar beide Varianten betrachten.

Zur Analyse:
Schau dir mal die Melodien genauer an, und überlege dir, zu welchen "Akkorden" in F-Dur die passen würden (da es nur zwei Stimmen sind, wird das nicht ganz eindeutig sein).

Ich gebe dir ein Beispiel:
Takt 12.
In der Oberen Stimme ein gehaltenes d.
Unten ein D, f, g, b.
In Terzen geschichtet sieht man den Vierklang besser. g, b, d, f ... g-Moll mit Septim, was auf g-dorisch hinweisen würde.

Du hast an der Stelle "phrygisch" notiert ... die Häufigkeit dieses Labels an mMn falschen Stellen, lässt mich vermuten, dass du in den Modi nicht ganz so sicher unterwegs bist.

Für mich steht das ganze Stück insgesamt eher in g-dorisch, als in a-phrygisch.

PS:
Zuletzt noch: Achte auch auf "Durchgangs-" und "Wechselnoten" ... die können bei der Analyse irritieren.
 
Zuletzt bearbeitet:
Schau dir mal die Melodien genauer an, und überlege dir, zu welchen "Akkorden" in F-Dur die passen würden (da es nur zwei Stimmen sind, wird das nicht ganz eindeutig sein).
Ernsthaft? F-Dur? Akkorde?

Den Kontrapunkt der Spätrenaissance mit den Mitteln des 19. Jahrhunderts zu analysieren ist ebenso absurd wie der Versuch, serielle Musik mittels der Funktionentheorie zu erklären.
 
@mick
Dann gib doch mal eine verwertbare Hilfestellung zur Analyse des Kontrrapunktes der Spätrennaissance.
Oder bist du mit den Einordnungen im Eingangspost einverstanden?
 
Ich werde sicher nicht an diesem Ort ein solches Fass aufmachen, zumal das Thema Kontrapunkt ganze Regalmeter füllt.
Zur Eingangsfrage habe ich etwas geschrieben und das auch begründet; für allgemeinen und umfassenden Unterricht ist dieses Forum sicher kein geeigneter Ort.

Ich bin sicher, dass @Flint sich bereits einen recht guten Überblick über die Materie verschafft hat und die Literatur kennt, anhand derer er sich weiterbilden kann. Ansonsten könnte er die durchaus berechtigten und sinnvollen Fragen auch gar nicht stellen, die er hier stellt.

Die Fragen sind nämlich durchaus intelligenter als so manche Antwort…
 
Du hast an der Stelle "phrygisch" notiert ...
Ja, weil es sich hier EINDEUTIG um eine phrygische Kadenz handelt. Wie es sich im Zweistimmigen "gehört", bestehend aus Sopran- und Tenorklausel. Das ganze Stück steht, wie du schon vermutest in G-dorisch. Aber auch Stücke in F-Dur machen ja durchaus mal Kadenzen in C-Dur, gell?

Ich werde sicher nicht an diesem Ort ein solches Fass aufmachen...
Aber meine Frage darfst Du noch beantowrten. :-D
 
Ich nehme an, Du sprichst von diesen beiden Versionen:

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Anhang anzeigen 78324

Was hat das mit der ursprünglichen Fragestellung zu tun? Ich sehe erstens keinen wesentlichen Unterschied in der Melodie
z.B. bei der 5. Brevis (von Takten zu sprechen wäre verwirrend, zumal die von Dir gezeigten Transcriptionen in diesem Aspekt uneinheitlich sind): Byrds kontrapunktische Bewegung schließt eine bei Dowland notierte Erhöhung aus. Der Vergleich mit Dowlands Chorversion zeigt weitere Unterschiede.
und zweitens ist eine Bearbeitung nunmal eine Bearbeitung.
Auch wenn man so anachronistisch argumentieren will, bleibt die Tatsache, dass verschiedene "Bearbeiter" beim Lesen verschiedene Akzidenzien herausgehört/hineininterpretiert haben.
Hier geht es aber um Akzidenzien, die nicht notiert wurden, in der Renaissance aber stillschweigend vorausgesetzt wurden, weil die Sänger eine wesentlich gründlichere Ausbildung in Musiktheorie und Improvisation hatten als heute. Heute müssen wir ermitteln, welcher Ton wohl als "selbstverständlich" angenommen wurde.
Einige nicht notierte Akzidenzien waren "selbstverständlich", ja. Aber 100 Jahre Musikwissenschaft haben gezeigt, dass sich die Annahme letztendlich nicht bewährt, dass die Ergänzung fehlendes altes Wissens das Problem annähernd löse. Jede gründliche praktische Erfahrung wird einem nahelegen, dass diese Frage in sehr vielen Fällen nicht a priori zu entscheiden sind, und dass auch die "in Musiktheorie ausgeblideten Sänger" von damals sie unterschiedlich gehandhabt haben. In anderen Worten: oft hat es nie einen eindeutig selbstverständlichen Ton gegeben. Wenn man heute einen authentischen Ansatz will, wäre es eher: nicht so ein großes Problem daraus zu machen, wie unsere moderne Notationskonvention suggeriert.
 
z.B. bei der 5. Brevis (von Takten zu sprechen wäre verwirrend
Klingt so "schlau", nur wissen wir jetzt immer noch nicht, welches die "5. Brevis" sein soll... weil die Notenwerte sich im Verhältnis 2:1 unterscheiden. Teile uns einfach Takt und Ton mit, den du meinst. Diese Noten sind in Takten notiert und darin stimmen sie auch überein. Man bricht sich keinen Zacken aus der Krone, dieses furchtbar "unqualifizierte" Wort zu verwenden. Das macht sogar Prof. Thomas Daniel regelmäßig in seinen Büchern.
Und da du immer wieder gern auf irgendwelche "Versionen" verweist: verlinke sie doch einfach. Ich suche für dich jedenfalls keine Noten mehr zusammen, die sich am Ende als Flop für deine Statements erweisen.

100 Jahre Musikwissenschaft haben gezeigt, dass...
viel Text für am Ende: heiße Luft. Du plädierts letztlich dafür, alles frei nach Laune zu handhaben. Etwas dünn, wenn du mich fragst. Ein einfaches "mirDochEgal!" hätte hier gereicht. :005: Niemand sucht die "eindeutig richtige" Lösung, sondern Argumente! Als Einziger hat bisher @mick Argumente geliefert. Übrigens hätte sich mit derartiger Beliebigkeit niemals aus der Modalität ein stabiles Dur-moll-System entwickelt.
 
Klingt so "schlau", nur wissen wir jetzt immer noch nicht, welches die "5. Brevis" sein soll... weil die Notenwerte sich im Verhältnis 2:1 unterscheiden. Teile uns einfach Takt und Ton mit, den du meinst. Diese Noten sind in Takten notiert und darin stimmen sie auch überein. Man bricht sich keinen Zacken aus der Krone, dieses furchtbar "unqualifizierte" Wort zu verwenden. Das macht sogar Prof. Thomas Daniel regelmäßig in seinen Büchern.
Und da du immer wieder gern auf irgendwelche "Versionen" verweist: verlinke sie doch einfach. Ich suche für dich jedenfalls keine Noten mehr zusammen, die sich am Ende als Flop für deine Statements erweisen.


viel Text für am Ende: heiße Luft. Du plädierts letztlich dafür, alles frei nach Laune zu handhaben. Etwas dünn, wenn du mich fragst. Ein einfaches "mirDochEgal!" hätte hier gereicht. :005: Niemand sucht die "eindeutig richtige" Lösung, sondern Argumente! Als Einziger hat bisher @mick Argumente geliefert. Übrigens hätte sich mit derartiger Beliebigkeit niemals aus der Modalität ein stabiles Dur-moll-System entwickelt.
Weißt Du eigentlich, wem Du hier so entgegenpampst? Dir ist offenbar nicht bewusst, dass Du mit Kit Armstrong sprichst, einem der intelligentesten Menschen auf der Erde sowie einem Byrd-Experten ersten Ranges? Denn sonst würdest Du Dich deutlich respektvoller ausdrücken!

Wir können froh sein, dass jemand wie Kit Armstrong Lust hat, ab und zu etwas zum Forum beizutragen!
 
Wow, Kit Armstrong. :angst: Jetzt, wo Du es schreibst, fällt mir auf, dass Herrn Armstrongs Profilbild die Kirche Sainte-Thérèse-de-l’Enfant-Jésus in Hirson zeigt. Ist mir vorher gar nicht aufgefallen, obwohl ich Sie kannte. Vielen Dank, Herr Armstrong, dass Sie etwas zum Forum beitragen!
 
Ergänzend zum Wikipedia-link von @agraffentoni noch zwei kurze Texte zur Brevis
... und zur Mensuralnotation allgemein (den Wiki-Artikel als link ... der ist auch recht umfangreich und gut).

Bei Wikipedia wird die Brevis im Hauptartikel (link in #17) einfach als "Doppelganze" erklärt, was aber genaugenommen nicht zur Verwendung und Herleitung in der Mesuralnotation passt ... oder nur zum Teil (siehe 2. link und Wiki-Artikel zur Mensuralnotation).

Das macht die Analyse einer modernen Transcription alter Musik aber auch nicht unbegingt leichter.
 
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