Tempo Mendelssohn Op. 19 Nr. 3

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pw338

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21. Feb. 2022
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Ich komme, wie schon oft, mit der Tempoangabe eines meiner aktuellen Stücke (das Jägerlied aus den Liedern ohne Worte von Mendelssohn) nicht klar. Tempoangabe ist "Molto allegro e vivace", Takt 6/8. Da würde ich sowas wie 170-190 Achtel pro Minute draus machen. Wenn ich das so spiele komme ich ganz gut durch, kann mich ausdrücken (bilde ich mir ein) und war einigermaßen zufrieden.

Leider bin ich mal wieder bei YT vorbeigekommen, um mir noch ein paar Anregungen zu holen. Und habe dabei gemerkt, dass nur die kleinen Kinder in diesem Tempo spielen (z.B. Katherine Huang). Die Profis sind deutlich schneller, z.B. Leon McCawley macht ~105 punktierte Viertel pro Minute, Barenboim macht mindestens 115 (also 345 Achtel pro Minute) doppelt so schnell wie ich erwartet hatte. Ich finde das dann aber auch ziemlich gehetzt und höre da keine Waldhörner mehr raus. Spielen die das nur so schnell weil sie es können?

Was mich jetzt noch zusätzlich verwirrt hat, ist dass mein Klavierlehrer meinte, man würde in diesem Stück ohnehin eher 3 Achtel pro Schlag zählen und war in der Diskussion nicht davon abzubringen. Aber hätte Mendelssohn das dann nicht anders notiert? Und ~180 punktierte Viertel pro Minute habe ich auch bis jetzt noch bei keinem Profi gehört...
 
Kommt ja immer drauf an, was man jagen will. Für Schildkröten reicht sicher ein gemütliches Tempo, in dem man die Achtel noch als Puls nehmen kann.

Die Vorschrift Molto allegro e vivace macht allerdings unmissverständlich klar, dass hier ein ternärer 2/4-Takt gemeint ist. Es gibt zwar eine gewisse Bandbreite eines angemessenen Tempos, aber es ist ganz offensichtlich eine wilde Treibjagd gemeint und kein geriatrischer Notfall nach stundenlangem Ansitzen auf dem Hochsitz...
 
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Mendelssohn hat es wahrscheinlich so notiert, daß Pianisten seiner Zeit sich einen Reim drauf machen konnten.

Aus Johann Nepomuk Hummels Klavierschule (1828):
Danke für den Link, das kannte ich noch nicht.

Allerdings verwirrt mich das eher noch mehr als dass es hilft. Wenn ich das so nehme, wie in dieser Tab I erklärt, lande ich bei der Tempoangabe und 6/8 eher bei punktierte Viertel = 150 (ungefähre Mitte von "für geschwinde"). Für mick wäre das dann vielleicht schnell genug, aber das höre ich bei anderen Profis ja nun auch nicht?!

Und in der Tabelle auf der nächsten Seite steht z.B. bei Cramer und Allegro agitato (ähnlich zum Tempo beim Jägerlied?) mit 6/8 Takt punktierte Viertel=66. :konfus:
 
Ich denke nicht, dass man sich krampfhaft an irgendwelchen Metronomzahlen festhalten muss.

Der Charakter des Stücks ist einfach lebhaft und das sollte auch das Ziel sein, es entsprechend zu spielen. Wichtig ist, dass Du keinesfalls versuchst, einzelne Achtel zu zählen, sondern eher einen Zweiertakt empfindest (2x3 Achtel). Das hat @mick ja auch schon gesagt.

Ich weiß auch nicht, ob man bei einem "Jägerlied" unbedingt getragen gespielte Waldhörner hören muss. Wenn man sich so eine (wilde) Jagd zu Pferde anschaut, dann ist da ordentlich was los und es gibt vereinzelte Hornsignale, aber das etwas getragenere "Verblasen" steht am Ende der Jagd und nicht mittendrin im Getümmel. (Disclaimer: das soll keine Verherrlichung von Hetzjagden sein, sondern dient nur der Beschreibung.)

Hier ist eine Aufnahme, die mir recht gut gefällt:
 
"Krampfhaft" war auch nicht meine Absicht. Ich versuche nur rauszufinden, warum manche Leute dieses Stück viel schneller spielen, als ich es erwartet hätte. Dein Beispiel ist ja so zwischen 105 und 115, klingt weniger hektisch als bei Barenboim.

Übrigens finde ich Deine Vorstellung einer Jagd sehr nett, aber sie entspricht nicht dem, was ich bei Mendelssohn finde. Dort sind ja die Hörner in Takt 4, 15, 24-32 zu finden. Gegen Ende stellt sich für mein Empfinden der Friede im Walde mit zwitschernden Vögeln wieder ein.
Und von "getragen" gespielten Hörnern kann auch nicht die Rede sein, das machen Hörner ja bei einer Jagd nicht. Aber gehetzt spielen sie halt auch weder in echt noch z.B. im Freischütz.

Naja, ich werde das Rätsel wohl nicht lösen können. Danke trotzdem für eure Hinweise!
 
Ob die Bezeichnung Jägerlied nun von Mendelssohn stammt oder nicht, spielt keine Rolle. Vom Typus her ist das ein Jagdstück mit seinen charakteristischen Merkmalen wie lebhaftem ternärem Rhythmus, Dreiklangsmelodik, Hornquinten etc. Das kommt mehr oder weniger ausgeprägt in hunderten von Stücken vor und wurde immer mit der Jagd assoziiert:











Mendelssohns op. 19/3 reiht sich hier nahtlos ein.
 
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Lieber pw338,

um eine Tempovorstellung zu entwickeln, ist zum Einen Wissen sehr hilfreich, vor allem bzgl. des Zusammenhangs von Metrum, Puls und Rhythmus, stilistischer Merkmale sowie Vortrags- und Tempobezeichnungen. Die bisherigen Hinweise zum ternären 2er-Puls sind dazu sehr wichtig!

Zum anderen ist es sehr hilfreich, eine Klangvorstellung über das Dirigieren o.ä. zu entwickeln.

Dazu nimmst du eine für dich einprägsame Stelle des Stücks, bei der du am ehesten weißt, wie sie klingen soll. Das muss nicht das Thema sein. Wie wäre es mit dieser Stelle:

Mendelssohn op. 19,3.PNG

Vorgehensweise: du dirigierst, klatschst oder klopfst in punktierten Vierteln (2er-Puls) und sprichst, singst oder summst die Melodie dazu. Vorher muss klar sein, wo denn genau die Taktschwerpunkte sind. Bei mir würde sich das gesprochen z.B. so anhören:

Tii - tataTii - tataTii - tataTitatatatataTitatatatataTitatatatataTitatataa - tatataa - tatataa - tatataa - ... . Kann auch ganz anders gesprochen werden. Die fettgedruckten Tii sind die jeweilige Zählzeit 1, die späteren fettgedruckten taa die Akzente auf Zählzeit 2.

Wichtig: bei der Wahl des Tempos entspricht der Puls in punktierten Vierteln dem Molto Allegro e vivace, nicht die Achtel! Der Puls hat also einen lebhaften Charakter! Probiere ein paar Tempi aus und du wirst ein Gefühl für ein für dich sinnvolles Tempo finden. Durch das Klopfen, Klatschen, Dirigieren des Pulses fühlst du dessen Energie und Charakter und kannst die Melodie besser dazu in Bezug setzen. Auf das eigene Gefühl zu hören, zu probieren, zu fühlen, im zweiten Schritt zum Klopfen/Klatschen/Dirigieren mit links die Melodie mit rechts (nur die alleroberste markierte Stimme) zu spielen und sich so einer immer genaueren Tempovorstellung zu nähern, ist sehr sinnvoll. Gern dann auch mit links dazu nur die Taktschwerpunkte (!) spielen und die ganze Sache so sukzessive aufbauen. Das musikalische Gerüst wird so erfahren und mit immer mehr Noten aufgefüllt. Der rote Faden wird hörbar gemacht, der dann auch durchs Ganze führt.

Das gewählte Tempo bestimmt man dann mit einer Metronomzahl, so dass man dieses Tempo immer wieder findet (das Metronom nur zur Tempowahl nutzen, nach dem Anspielen wieder ausstellen!). Möglicherweise wird das Tempo auch später noch modifiziert.

Dann kannst du das gefundene Tempo auf das Thema u.a. in ähnlicher Weise übertragen.

Viel Erfolg und liebe Grüße

chiarina
 
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Ich kenne aus eigener Erfahrung sehr gut, dass ich es mir beim Üben ein bisschen in einem Tempo bequem mache, das noch nicht das Endtempo ist. Wenn das zu lange anhält, dann fällt es mir irgendwann schwer, ein höheres Tempo überhaupt noch zu akzeptieren bzw. als musikalisch richtiger und sinnvoller anzuerkennen. Auf jeden Fall musst du natürlich in hohem Tempo den Puls anders denken, auch die Phrasen werden sich anders anfühlen. Vielleicht hörst du einfach immer mal wieder Einspielungen in dem höheren Tempo an und gewöhnst dich ein bisschen daran.

lg marcus
 

Ich kenne aus eigener Erfahrung sehr gut, dass ich es mir beim Üben ein bisschen in einem Tempo bequem mache, das noch nicht das Endtempo ist. Wenn das zu lange anhält, dann fällt es mir irgendwann schwer, ein höheres Tempo überhaupt noch zu akzeptieren bzw. als musikalisch richtiger und sinnvoller anzuerkennen. Auf jeden Fall musst du natürlich in hohem Tempo den Puls anders denken, auch die Phrasen werden sich anders anfühlen. Vielleicht hörst du einfach immer mal wieder Einspielungen in dem höheren Tempo an und gewöhnst dich ein bisschen daran.

lg marcus
Daher ist es sehr wichtig, sehr bald auch im Tempo zu spielen/ zu üben und dabei logischerweise Töne wegzulassen (stimmenweise üben, harmonisches/melodisches Gerüst üben, Linien finden .....). Das schult das musikalische Verständnis, die Klangvorstellung und technische Umsetzung ungemein! Die musikalischen Strukturen werden untersucht, gehört, gespielt und in unterschiedlichen Tempi je nach den eigenen Fähigkeiten realisiert.

Das eigene Tun ist dem Hören von Aufnahmen dabei absolut vorzuziehen, wobei sich das natürlich nicht ausschließt!

Liebe Grüße

chiarina
 
Danke, chiarina und .marcus., das hilft! :001:

Vielleicht habe ich es (wie auch ein anderes Stück) inzwischen schon zu lange zu langsam gespielt. Aber ich komme für mich immer wieder bei dem Tempo an, das mick "geriatrisch" genannt hat. (Dabei bin ich noch nicht in dem Alter, wo man das Wort normalerweise benutzt.)

Es wird mir auch immer klarer, dass mein aktueller Lehrer und ich nicht zusammenpassen. Mit anfänglich (und ziemlich lange) langsam spielen und am besten immer Metronom dazu habe ich nicht den Eindruck, auch nur eins der Stücke wirklich gut abgeschlossen zu haben. Auch wenn diese Herangehensweise ihm (und vielen seiner Schüler) wohl gute Erfolge beschert hat.
 
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Und in der Tabelle auf der nächsten Seite steht z.B. bei Cramer und Allegro agitato (ähnlich zum Tempo beim Jägerlied?) mit 6/8 Takt punktierte Viertel=66. :konfus:

Und hast Du die Erläuterung zu dieser Tabelle gelesen? Aus dieser Tabelle sieht man, "wie verschiedenartig früher die Ansichten der Autoren über die Bezeichnung der Bewegung ihrer Werke, durch ein und dieselben Worte waren, und wie sie sich selbst oft darin widersprochen haben; diese Übelstände fallen nun weg."
 
Und hast Du die Erläuterung zu dieser Tabelle gelesen? Aus dieser Tabelle sieht man, "wie verschiedenartig früher die Ansichten der Autoren über die Bezeichnung der Bewegung ihrer Werke, durch ein und dieselben Worte waren, und wie sie sich selbst oft darin widersprochen haben; diese Übelstände fallen nun weg."
Ja, aber wenn ich die von Dir gepostete Grafik wörtlich nähmen täte, würde ich halt immer noch bei punktierte Viertel ~ 150 landen. Denkst Du ernsthaft, dass das für dieses Stück sinnvoll ist? Oder verstehe ich das nur immer noch falsch? :denken:
 
Ja, aber wenn ich die von Dir gepostete Grafik wörtlich nähmen täte
Wer sagt denn, dass Du diese Grafik wörtlich nehmen sollst?
Mendelssohn nicht, ich auch nicht.
Es geht nur darum, wie ein Pianist der Zeit um 1830 einen 6/8-Takt normalerweise verstanden hat, wenn dieser z. B. Molto allegro e vivace überschrieben war.
Soll man da einzelne Achtel zählen oder punktierte Viertel?
Und darf das dann 'ziemlich gehetzt' klingen?
 
Danke, chiarina und .marcus., das hilft!
Es wird mir auch immer klarer, dass mein aktueller Lehrer und ich nicht zusammenpassen. Mit anfänglich (und ziemlich lange) langsam spielen und am besten immer Metronom dazu habe ich nicht den Eindruck, auch nur eins der Stücke wirklich gut abgeschlossen zu haben. Auch wenn diese Herangehensweise ihm (und vielen seiner Schüler) wohl gute Erfolge beschert hat.
Dass diese Methode nicht nur nicht funktioniert, sondern auch schädlich ist, kannst du hier im Forum in vielen Fäden finden, gut und oft an konkreten Beispielen genau erklärt.
 
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Wer sagt denn, dass Du diese Grafik wörtlich nehmen sollst?
Mendelssohn nicht, ich auch nicht.
Warum stehen dann da Zahlen dran?
Es geht nur darum, wie ein Pianist der Zeit um 1830 einen 6/8-Takt normalerweise verstanden hat, wenn dieser z. B. Molto allegro e vivace überschrieben war.
Soll man da einzelne Achtel zählen oder punktierte Viertel?
OK, dann kann ich die 150 einfach ignorieren und auch punktierte Viertel=80 spielen? Ich dachte, Du hast das gepostet, weil das eine einfach nachvollziehbare Skala ergibt.
Und darf das dann 'ziemlich gehetzt' klingen?
Äh...?
 

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