Ruh- und rastlos

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15. Dez. 2009
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Hallo.
Schon lange wollte ich euch dieses Klavier mal vorstellen, nun war ich gerade wieder dort und habe ein paar Fotos gemacht.

Es ist ein Zeitter & Winkelmann, gut 130 cm hoch, gediegen-schlicht, mit einem Dekor das Gedanken an Beerdigungen aufkommen lässt. Holz rotbraun poliert. Passt stilistisch perfekt in seine Zeit: Dieses Klavier ist von 1935.

zw-ralo-zu.jpg


Das Klavier hat 88 Tasten, das war bei den zeitgenösischen Z&W-Großklavieren Standard.
Und es hat das damals ganz normale Z&W-Logo in der Tastenklappe:

zw-ralo-label.jpg


Wenn man dann aber oben in das Klavier schaut, wird es wunderlich. Dort sieht es ganz anders aus als üblicherweise bei den Z&W-Konzertklavieren. Die Mechanik sitzt oben nicht an vier, sondern an drei Bolzen, und die Gussplatte hat eine ganz ungewöhnliche Mittelspreize von cis' nach d', die Diskantspreize ist sehr weit rechts, von h'' nach c'''.

zw-ralo-oben.jpg


Längere Zeit (sprich: mehrere Jahre, div. Stimmtermine) nahm ich das so hin, wunderte mich nur. Doch dann dachte ich nach, was wohl mit dem Patent- und Lizenz-Hinweis oben auf der Platte gemeint sein mag. Hm - ich schaute unten hinein, sah noch deutlicher als oben die außergewöhnlich massiven Plattenverstrebungen und -umrahmungen, und dann dämmerte mir: dieses Klavier muss wohl rastenlos sein.

zw-ralo-unten.jpg


Geht gleich weiter...
 
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Ein rastenloses Klavier - 1935, von jemand anderem als Schimmel?
Schimmel hat 1935 ein rastenloses Kleinklavier entwickelt und gilt m. W. als Erfinder der rastenlosen Klaviere. Womöglich hat es 1935 dann ein Joint-Venture zwischen Schimmel und Zeitter & Winkelmann gegeben. Immerhin haben beide Firmen Wurzeln in Leipzig, Z&W war allerdings 1935schon Jahrzehnte in Braunschweig, Schimmel war 1932 dort hingekommen. Kann also ein, dass das, was Schimmel als Kleinklavier anlaufen ließ, von Z&W in Großform ausgetestet wurde.

Mit Gedanken solcher Art im Kopf, drehte ich dann mal das Klavier um.
Und siehe da: Es findet sich eine lupenreine rastenlose Konstruktion, also auch ohne hinten umlaufenden Rastrahmen.

zw-ralo-reso.jpg


Besonders ungewöhnlich ist dabei der Resonanzboden bei der rechten Blindecke. Dort hat er eine bogenförmige begrenzte Aussparung. Welcher Zweck hier im konkreten Einzelfall damit verfolgt wurde, entzieht sich meiner Kenntnis. Vermutlich wollte man an traditionelle Konstruktionen mit frei schwebenden Reso-Abschnitten anknüpfen, wie sie gerade im "Flügelkrimi"-Faden erwähnt wurden.

Zum Klang: Das Klavier hat einen ausgesprochen kraftvollen Sound mit guter fülliger Sonorität. Man kommt nicht ohne Weitere darauf, hier Rastenlosigkeit und den damit häufig verbundenen subtilen Industrie-Sound zu vermuten. Besonders der Bass ist schön grundtönig und auf klare Weise stark. Allerdings ist der Klang nicht einheitlich über alle Lagen. Von der Mitte zum oberen Diskant hin wird er immer kürzer und perkussiver. Ob das an dem Reso-Loch liegt? Irgendwann teste ich das vielleicht mal, aber dafür müsste ich mir erstmal eine gescheite Versuchsanordnung ausdenken...

Gruß
Martin
 
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