Mitsuko Uchida über Mozart

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Gelöschte Mitglieder 1722

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12. Sep. 2008
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Hallo,

vielleicht eine ganz doofe Frage. Muss man immer das verstehen, was Künstler denken?

In einem Interview mit der "Zeit" sagt Mitsuko Uchida über Mozart: "Seine Werke interpretiere ich inzwischen anders als vor 25 Jahren, als ich die Sonaten aufnahm. Das liegt allerdings weniger an mir als an Mozart selbst. Seine Musik verändert sich von Tag zu Tag."

Hä? Nix verstehen. Was soll sich verändern, wenn nicht die Wahrnehmung und Interpretation der Musik durch den/die Pianisten/in? Die Noten sind doch die gleichen, oder? Fehlt mir irgendwie künstlerisches Denken? Das würde ich übrigens nicht ganz ausschließen. ;-)

Gruß,
Pigpen
 
hallo,
keine Bange, dir fehlt kein künstlerisches (meint sicher kunstverstehendes) Denken!
In Musik ist es - gottlob - so, dass die Partitur nur das Gerüst des Kunstwerks ist: dieses fängt ja erst bei der praktischen Realisierung an, lebendig zu werden. Letztere ist dann im weitesten Sinne abhängig von "gesellschaftlichen" Gegebenheiten (Verstehenskontexte ändern sich, z.B. weiss man heute mehr über Liszts Sonate, als man um 1860 wusste, was aber nicht heisst, dass man sie heute "besser" spielt).
Natürlich ist das "Gerüst der überlieferbaren Notation" schon irgendwie "heilig", will sagen, wer Mozarts Noten besserwisserisch korrigiert, legt sich vor aller Welt mit Wolgang Amandeus an -- das kann nur schiefgehen :) :)
also: das Verständnis wandelt sich ständig, die Haltung - daraus folgt, dass das fixierte Gerüst zwar feststeht, aber damit ist das mus. Kunstwerk noch nicht total erfasst und ausinterpretiert für alle Zeiten ---- wäre es das. dann müsste mans hinter Glas in ein Museum stellen.
vergleichs einfach mit Theatertexten: klar sind Schillers Texte fertig für alle Zeiten - aber sie gehören auf die Bühne, und da tut sich doch einiges.
ok?
Gruß, Rolf
 
...wenn man das hochgestochen formulieren wollte, so wie das Ästhetiker und Philosophen tun, würde man ungefähr sagen: das Kunstwerk ist ständig im Dialog mit der sich wandelnden Zeit. Also ist es als Ausgangspunkt zwar an sich vollendet, aber als zeitgebunden ist es für sich im Wandel.
...wow... die Philosophen...
Chopin sagte das schlichter: "ich deute an, und der Hörer muss es vollenden" - das ist frühsymbolistische Kunstauffassung, aus der Romantik kommend, und irgendwie genügt mir Chopins Ansicht über Musik. Ewige Noten, erkenntnisproduzierende Interpretationen.
Wesentlich für jedes Kunstwerk ist ja, dass es immer "offen" bleibt für ständig weitere (das Verstehen erweiternde) Interpretationen. ein "zu Ende interpretiertes" Kunstwerk wir zum Museumsexponat.
also hat Frau Ushida durchaus recht und sagt keinen Quatsch: sie spricht vom lebendigen Musikstück - na und was lebt, das wächst gedeiht, wird schlauer, macht abi usw. ---- und wenn das Kind von Mozart ist, dann lebt es deutlich länger, als wir kleinen Zwerge :) :) :)
Gruß, Rolf
 
Hi rolf,

danke für deine ausführliche Antwort. Ich verstehe wohl inzwischen, dass man nicht nur die überlieferte notierte Musik (die sich eigentlich nicht verändert) und den Interpreten im Blick haben muss, sondern auch das Umfeld / Gesellschaft / Zeitgeist, in dem sich das alles abspielt. Aber ich versuche mich lieber jetzt nicht in musik-/kunsttheoretischen Ausführungen. Das kann nur schiefgehen. :cool:

Gruß & schönes Wochenende,
Pigpen
 
das Kunstwerk ist ständig im Dialog mit der sich wandelnden Zeit. Also ist es als Ausgangspunkt zwar an sich vollendet, aber als zeitgebunden ist es für sich im Wandel.
Ja, aber dieser Wandel kann eben nur ein äußerer sein. Für die manifestierten Noten gibt es keinen Wandel durch die Zeit mehr. Wenn überhaupt, ist die wandelnde Zeit und der Mensch im Monolog mit Mozart.
 
hallo Ayberk,
du hast recht - wenn man Mozart allein auf die Noten reduziert. Stell dir vor, man würde ein Bild von Monet nur in einem Schwarzweissfernseher sehen können - würde uns das genügen, da wir doch wissen, dass da Farben sind? Natürlich hinkt mein Vergleich ein wenig, aber ich bilde mir ein, dass damit etwas klar wird: die Mozartschen Noten (und es sind seine, seine einzigartige Persönlichkeit steckt darin) sind für sich allein genommen noch ohne Klangfarbe, ohne Ausdeutung. wie ein schwarzweiss-Monet - tja, Monet hatte es besser, er konnte (und hat) die Farben festlegen. Mozarts Zeichensystem - die Notenschrift - kann a priori (als System) diese eindeutige Festlegung nicht herstellen. Sonst würde ja das lesen der Noten genügen - erinnert an Platons Höhlengleichnis: wer von Geburt an kein Gehör hat, was finge der mit den Noten an?
Vielleicht sind wir ja nur mit dem im Dialog, was wir unter Mozart verstehen...
-- das wär doch ein gemeinsamer Nenner?!
Gruß, Rolf
 

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