Mitfühlen

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Amfortas

Guest
Mich würde mal interessieren wie ihr Folgendes seht:

Ich habe mich mit meiner Großmutter a weng "gestritten". Sie ist Sängerin, war früher an der Oper, heute arbeite sie im Fränkischen SÄngerbund als Stellvertretende Bundeschorleiterin. Sie ist also eine Musikerin mit Ausbildung und allem möglichen.
Jetzt habe ich heute mit ihr geredet. Es ging mal wieder um Musik, bzw. um Ausdruck. Ich war der Meinung, dass man traurige Stücke besser spielt wenn man traurig ist, fröhliche besser wenn man fröhlich ist, usw.. Und wenn man nun ein trauriges Stück spielen möchte, dann sollte man sein Gefühl meiner Meinung nach so einstellen, wie das Stück ist. Also ich selber vertiefe mich in das Stück, fühle im Stück, durchs Stück, mit dem Stück.
Meine Großmutter sagte mir dann, dass das genau falsch ist und man nie wirklich mitfühlen sollte.

Was ist eure Meinung dazu? Mitfühlen oder nicht? Was ist richtig?

oli
 
Selbstverständlich soll man mitfühlen - das ist es schließlich, worums bei der Musik geht. Es gibt allerdings Musiker, für die Kontrolle, "Perfektion" und Schönklang über alles geht - zur Not auch auf Kosten des ehrlichen Ausdrucks.

Also: nicht unterkriegen lassen - Perfektion ist nicht alles!

Haydnspaß
 
*Such... such... gefunden!*

http://clavio.de/forum/showthread.php?t=1755

Nochmal meine Aussage: Ein Klavierspieler versucht, mit dem Spielen eines Werkes natürlich auch eine Stimmung rüberzubringen. Und sei es Freude an dem Wohlklang der Musik. Wenn er das unabhängig von seiner eigenen Stimmung kann, umso besser.

Dennoch halte ich es für praktisch, sich in ein Stück hineinversetzen zu können, damit man weiß, wie sich die Stimmung anfühlt, die man selber rüberzubringen versucht.
 
Was ist eure Meinung dazu? Mitfühlen oder nicht? Was ist richtig?
Wenn Du Masochist bist: bei traurigem, verzweifelten Stück mitfühlen, je doller desto besser!

Im Ernst, was für Dich richtig ist entscheidest Du. Wenn mit Deiner Gefühlsadaption am Ende etwas herauskommt, das Dir "besser"/"stimmiger" gefällt und Dir das am Herzen liegt, dann mach das.

Ob es professionell ist und zum bestmöglichen Ergebnis führt, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten. Folgendes sagt zwar ein Schriftsteller (Thomas Manns "Tonio Kröger", der, weil Frühling ist, nicht richtig arbeiten kann) zu einer Malerin, aber es betrifft genau diesen Aspekt von Gefühl und Kunst:

"Das Gefühl, das warme, herzliche Gefühl ist immer banal und unbrauchbar, und künstlerisch sind bloß die Gereiztheiten und kalten Ekstasen unseres verdorbenen, unseres artistischen Nervensystems. Es ist nötig. daß man irgend etwas Außergewöhnliches und Unmenschliches sei, daß man zum Menschlichen in einem seltsam fernen und unbeteiligten Verhältnis stehe, um imstande und überhaupt versucht zu sein, es zu spielen, damit zu spielen, es wirksam und geschmackvoll darzustellen. Die Begabung für Stil, Form und Ausdruck setzt bereits dies kühle und wählerische Verhältnis zum Menschlichen, ja, eine gewisse menschliche Verarmung und Verödung voraus. Denn das gesunde und starke Gefühl, dabei bleibt es, hat keinen Geschmack. Es ist aus mit dem Künstler, sobald er Mensch wird und zu empfinden beginnt."

Deine Oma ist also nicht so allein. Aber vielleicht sind das auch zwei Paar Schuhe: Dein spielerisches Gefühlskostüm und das echte Gefühl. Von letzterem kennt man aus eigenem Tagebuch das Phänomen, dass es sich eher peinlich ergießt, wenn man der Meinung ist, nur die Kunstform wäre der Erhabenheit und Mächtigkeit des aktuellen Gefühls angemessen :D

Grüssle, Manfred
 
Es ist aus mit dem Künstler, sobald er Mensch wird und zu empfinden beginnt."

Uiuiui, und weil der Tonio Kröger so etwas sagt, deshalb stimmt es auch?
Da müßten wir erst mal Thomas Mann fragen, wie er darüber denkt. Thomas Mann ist schließlich nicht Tonio Kröger :)

Mein Einwand wäre der: wenn ich in der Kunst Gefühle vortäusche, die ich garnicht selbst erlebe, dann wäre die Kunst ja ein Riesenschwindel. Naja, oft hat man den Eindruck... :cool:
 
Mein Einwand wäre der: wenn ich in der Kunst Gefühle vortäusche, die ich garnicht selbst erlebe, dann wäre die Kunst ja ein Riesenschwindel. Naja, oft hat man den Eindruck... :cool:
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Kunst ist ja auch ein Schwindel...Ich spiele "Für Elise" obwohl ichs für meine Oma spiel, die nicht Elise heißt. Oder ich spiel das Regentropfen-Prélude bei Sonnenschein. Kunst ist immer etwas vormachen, außer beim Improvisieren. Man sollte das Musik machen (das "Vom Blatt spielen/Auswendig spielen") so sehen, wie als würde man ein Märchen oder irgendeine Geschichte erzählen. Gewissermaßen ist es auch ein rießen Schwindel wenn ich meine Stimme veränder, wenn der Wolf im Rotkäppchen vorkommt, weil ich ja weiß, dass das nur eine Geschichte ist. Aber trotzdem veränder ich die Stimme, damit es für das Kind echter klingt. Wenn ich eine Traurige Stimmung vortäusche, dann nur damit es echter klingt.

Im Ernst, was für Dich richtig ist entscheidest Du. Wenn mit Deiner Gefühlsadaption am Ende etwas herauskommt, das Dir "besser"/"stimmiger" gefällt und Dir das am Herzen liegt, dann mach das.

Irgendwie wusste ich, dass irgendjemand wieder damit anfängt, dass nur das richtig ist was ich für richtig empfinde. Ich wollte nur eure Meinung dazu wissen, nicht um meine zu ändern, sondern um zu schaun, wem es noch so geht.



oli


P.S.:Wenn Mann zitiert wird zitiere ich meinen geliebten Schiller (Verbrecher aus verlorener Ehre): "ntweder der Leser(Spieler) muss werden wie der Held(das gespielte Stück), oder der Held wie der Leser erkalten." Auch wenn Schiller der Meinung ist, das zweite wäre das bessere, halte ich das erste für besser, allein schon deswegen, weil kein Komponist ein Stück schreibt, dass so ist wie wir(also kalt).
 
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Oder ich spiel das Regentropfen-Prélude bei Sonnenschein.

Was, echt, das machst du? Welch ein Frevel... :p

Kunst ist immer etwas vormachen, außer beim Improvisieren. Man sollte das Musik machen (das "Vom Blatt spielen/Auswendig spielen") so sehen, wie als würde man ein Märchen oder irgendeine Geschichte erzählen. Gewissermaßen ist es auch ein rießen Schwindel wenn ich meine Stimme veränder, wenn der Wolf im Rotkäppchen vorkommt, weil ich ja weiß, dass das nur eine Geschichte ist.

Ich denke, hier gibts ein gewisses Mißverständnis was den Begriff "vormachen" betrifft. Natürlich ist ein Märchen oder ein Theaterstück etwas "Erfundenes", aber auch wieder nicht so erfunden, daß man sich in die handelnden Figuren nicht hinversetzen könnte. Sowohl der Schauspieler als der Zuhörer versetzt sich in die Personen (oder auch Tiere) hinein und ist in dem Moment nicht mehr die Person, die er normalerweise ist. Das ist psychologisch außerordentlich interessant. Es sollte sich aber nicht um ein Vortäuschen von Gefühlen handeln, sondern um ein wirkliches Erleben der imaginierten Situation.

Nun wieder zurück zum Thema:

ich kann im Sommer bei 30 Grad im Schatten die "des pas sur la neige" von Debussy einfach nicht überzeugend spielen, da kann ich mich anstrengen so viel ich will. Ich kann aber im eisigsten Winter Frühlings-, Sommer- und Herbstmusik spielen. Warum weiß ich auch nicht. Und das Regentropfenprelude bei strahlendem Sonnenschein und Vogelgezwitscher zu spielen kommt mir irgendwie ein bißchen pervers vor :D

allein schon deswegen, weil kein Komponist ein Stück schreibt, dass so ist wie wir(also kalt).

Du scheinst Satie und seine "Pieces froides" nicht zu kennen :p

Haydnspaß
 
Mir kommt es so vor, als ob du ungefähr meiner Meinung bist, aber vll. irr ich mich auch.

Wolln wir nicht weiter über Regen und Sonne reden. Lieber über Musik.

Ich möchte wenn ich spiele, das erreichen, was sicher viele wollen. Ich will mitreißend sein. Das Publikum soll nicht Publikum sein, sondern Gesprächspartner, es soll mitten drin sein. Und dazu muss ich auch mitten drin sein. Wenn ich erreichen will, dass das Publikum bei einem Stück weint, muss ich weinen(wie traurig...).

Und eigentlich hat Haydnspaß teilweise recht (soweit ich es in meinem Fall beurteiln kann), ich mache Gefühle vor, ich täusche sie vor, lüge damit das Publikum an. Aber, das ist nur Anfangs so. Aus den vorgetäuschten Gefühlen werden echte. Und wenn eine Zuhörerin dann zu mir kommt, und sagt dass sie an ihren ersten Kuss denken musste, als sie mich spielen hörte, dann weiß ich, dass ich das erreicht habe, was ich wollte. Der Zuhörer war dabei, der Zuhörer hat nicht nur gehört, er hat gefühlt, gespürt....(Das mit der Zuhörerin ist mir wirklich passiert, als ich in der Schule ein Stück von mir vorgespielt hab. Vll. lags auch nur am Stück, weiß nicht)


oli


P.S.: Ich hoffe das was ich sage klingt nicht zu übertrieben und komisch.
 
P.S.: Ich hoffe das was ich sage klingt nicht zu übertrieben und komisch.

Nein nein, das war schon ganz gut beschrieben, und ich denke, wir sind da von unserer Einstellung zum Musikmachen garnicht so weit voneinander entfernt. Ich denke eben beim Musikmachen nur nicht so viel ans Publikum, ich denke mehr an den Komponisten, bzw. an das Stück und was darin ausgedrückt wird. Ob nun Zuhörer dabei sind oder nicht, spielt eigentlich keine große Rolle.

Haydnspaß
 
Aber es lässt sich leichter abschätzen wies rüber kam wenn Publikum da is.

Ich selber spiel eh lieber für mich allein.

oli
 

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