Jazz, Klassik, Pop - Unterschiede beim Klavierspielen

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Diese drei Bereiche stellen ja ziemlich unterschiedliche Anforderungen an Pianisten. Qualitative Überlegungen möchte ich dazu nicht anstellen, Ansprüche variieren und man findet sicherlich überall simple, komplexe, großartige und auch langweilige Musik. Allerdings fände ich es interessant, die Unterschiede in Spielweise, Musikempfinden und anderen möglichen Bereichen herauszuarbeiten, die den Pianisten etwas angehen.

Ganz offensichtlich unterscheidet sich das Timing der klassischen Musik erheblich von dem im Jazz und der Popmusik. Agogik ist mir in der Popmusik völlig unbekannt, im Jazz wüßte ich auch kein Beispiel. Das mag auch daran liegen, daß diese Musik in der Tanzmusik wurzelt. Nun geht es aber noch weiter: Z.T. abhängig von der Rhythmik, kann man vor, auf oder nach dem jeweiligen Schlag spielen. Besonders Swing und Reggae benutzen Timings, über die sich Theoretiker schon viel ausgelassen haben. Das sind Feinheiten, die vermutlich auch einem hochmusikalischen klassischem Pianisten entgehen können, wenn er sich nicht damit beschäftigt hat. Den Unterschied hört das Publikum aber durchaus. Diese Art von Timing betrifft natürlich in erster Linie Rhythmusinstrumente, aber das kann ein Klavier auch sein.

Auch dynamisch gibt es erhebliche Unterschiede. Allerdings kann ich hierzu nichts konkretes über Jazz sagen. Die Popmusik benutzt vor allem Stufendynamik und die wird meistens über den Klang und die Tondichte, weniger über die Lautstärke einzelner Töne erreicht. Solostimmen haben im Prinzip jede Freiheit, die wird aber leider nur selten genutzt. Das dynamischste Instrument ist vermutlich das Schlagzeug, aber wir reden ja hier über Klavier.

Harmonisch gesehen haben sich wohl inzwischen zwei Schulen entwickelt, einmal im Jazz und einmal in der Klassik. Und wie ich hier im Forum beobachten konnte, sind die beiden wohl nicht ganz kompatibel. Die Popmusik macht Anleihen bei Beiden, nach meiner Erfahrung eher im Jazz als in der Klassik, ist aber vergleichsweise simpel, obwohl eine Theorie der Banalisierung von Akkordzusammenhängen durchaus interessant sein könnte (manche Begleitungen bestehen z.B. fast ausschließlich aus Dominantseptakkorden).

Ein Bereich, der in der klassischen Musik heutzutage fast in Vergessenheit geraten ist, ist die Improvisation. Sie ist aber ein fester Bestandteil bei Jazz und in vielen Popstücken, und außerdem noch häufig praktiziert von Kirchenmusikern (die ich eigentlich eher zur Klassik zähle). Improvisation ist allerdings ein ganz spezieller Bereich, weil sie Stilsicherheit des Musikers erfordert (jedenfalls könnte es ansonsten ziemlich kurios werden). Also kann man eigentlich nur feststellen, daß das Konzept in der klassischen Musik zwar bekannt aber nicht mehr so üblich ist und ansonsten alle anderen Unterschiede hier zum Tragen kommen.

So, das sind ein paar einführende Überlegungen. Mir ist klar, daß man mit einer simplen Dreiteilung nur sehr pauschale Unterschiede bestimmen kann, aber genau darum soll es gehen. Free-Jazz, atonale Musik, Punk und ein paar andere "Exoten" sollten wir lieber nicht berücksichtigen, ebensowenig alle anderen Musikrichtungen, die absichtlich neue Wege gehen. Auch Schlagermusik und ethnische Musik sollten wir außer acht lassen. Mir geht es eher darum, jemandem eine Vorstellung davon zu vermitteln, was ihn erwartet, wenn er sich für Unterricht mit Schwerpunkt Jazz, Klassik oder Pop entscheidet. Deswegen sollt es auch nicht zu sehr um Details gehen. Wie genau ein Swing-Rhythmus gespielt wird, ist hier unwichtig, wichtig ist nur, daß Rhythmus im Jazz ganz besondere Eigenheiten hat. Etc. blabla, und so weiter. Ich hoffe, daß noch ein paar interessante Beiträge dazu kommen ;)
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Ich hoffe, du hast noch mehr zu dem allgemeinen Thema zu sagen ;)

hallo,

so krass es erscheinen mag: ich empfinde die Unterschiede als gar nicht sooo groß!

a) Qualität
das breite Spektrum von saumies bis super ist in allen drei Bereichen vertreten, wobei (wen wundert´s?) die Population des miesen doch höher als die des guten ist... :)

b) Berührungen, Überschneidungen, Gemeinsamkeiten
- ich spiele gerne Gershwins Rhapsodie in Blue, auch sein Klavierkonzert in F; zudem auch oft genug Milhauds "Scaramouche" an zwei Klavieren, auch Bernsteins "Prelude, Fugue and Riffs". Ich empfinde keines dieser Werke als "jazzig", ich kann da aber auch keinen Unterschied zw. Jazz und moderner Klassik ausmachen - die sind irgendwie beides, wenn auch natürlich "imporvisationsfrei", was aber kein Nachteil ist.
- - was "timing", komplexe Rhythmik und Harmonik betrifft, so finden sich genügend Gemeinsamkeiten zwischen free Jazz und Klaviermusik der "modernen Klassiker" (Skrjabin, Gershwin, Copeland, Villa-Lobos, Ginastera, Messiaen u.a.); was oftmals grauslich rhythmisch kompliziert notiert ist, entspricht cum grano salis "timings"! auch hier ist der Unterschied eher im Anteil des Improvisierens - aber bei aller harmonische Kompliziertheit darf man nicht vergessen, dass gemeinsames Imrpovisieren einen gemeinsamen Plan (Patterns, Schemata) voraussetzt.
- - - ein wenig das "Stiefkind" hierbei, wiewohl kommerziell am erfolgreichsten, ist die Popmusik, die seltener durch musikalischen Ideenreichtum als durch ihre Texte auffällt. Sie verwendet bei sehr reduzierten, vereinfachten Formmustern zugleich möglichst einfache harmonische Muster.

c) speziell am Klavier:
wird das Instrument als Soloinstrument verwendet, so wird dem Spieler oft ein recht großer Aufwand an Virtuosität abverlangt: die erwähnten "modernen Klassiker" sind allesamt ziemlich schwierig bis ultraschwer, die später angefertigten Noten/Transkriptionen von berühmten Jazz-Improvisationskonzerten haben bei aller Formelhaftigkeit ein spieltechnisch ziemlich hohes Niveau; leider kenne ich noch keine gute Rock/Pop-Transkription für Soloklavier (mutmaße aber, dass solche - falls es sie gibt - die keine allzu hohen Anforderungen stellen werden)

Gruß, Rolf
 
Hmm, ich glaube es wird deutlich, dass eine Einordnung von Popmusik in Bezug auf Jazz und Klassik schwerfällt (und mir stellt sich die Frage ob das so einfach möglich ist).

In gewisser Weise ist Popmusik doch die Kunst Musik in 3-Minütigen appetithäppchen zu servieren, sozusagen ein Snack der zwischendurch gefuttert werden kann. Da gibt es recht einfach fritierte Kartoffelchips (Melodie, drei akkorde, einfacher Beat) aber auch kreative Canapés, Tapas, feurig-scharfe Chillischoten und tolle käseplatten. Gegessen wird was gefällt.

Der Klassiker verspeist aufmerksam sein Mehr-Gänge-Menü (Sonatenhauptsatzform), ihm entgeht nichts, gelungene Menüs weiß er zu schätzen, doch ist etwas nicht "à point", dann rümpft er die Nase ;-)

Ich habe den Eindruck, dass die "Klassiker" meinen, Popmusik bestehe nur aus Kartoffelchips. Verkannt wird auch, dass das Ziel der Popmusik eben leichtverdaubares ist. Früher wurde über die Wiener Kaffeehausmusiker gelästert (deren Vibrato längst in die Synfonieorchester eingezogen ist). So manche Operette ist genauso in Vergessenheit geraten wie es viele Musicals sein werden.

Zur Rolle des Klaviers in der Popmusik:

- http://www.youtube.com/watch?v=VXTWDsmOpJI
- http://www.youtube.com/watch?v=Sg0CeRog-yQ
- http://www.youtube.com/watch?v=0q2QpnudlsI
- http://www.youtube.com/watch?v=1GAKOLOnfV4
- http://www.youtube.com/watch?v=okd3hLlvvLw

Es muss davon nicht alles jedem gefallen, klar. Aber dilletantisch sind alle Titel nicht. Alle klanglichen Mittel verfolgen durchaus ihren Zweck und erreichen ihre Wirkung.
Mir geht es eher darum, jemandem eine Vorstellung davon zu vermitteln, was ihn erwartet, wenn er sich für Unterricht mit Schwerpunkt Jazz, Klassik oder Pop entscheidet.

Ich glaube hier sprichst du einen Knackpunkt an. Denn Klavierausbildung erfolgt meist nach Methoden der Klassik, d.h. man hat Noten, die spielt man ab. Will man Pop-Klavier spielen, so wird man eine Weile brauchen, bis man merkt, dass das Nachspielen von lieblosen Pop Arrangements der Charthits der letzten 30 Jahre einen nicht voranbringt.
 
mein ganz ehrlicher Eindruck davon: langweilig! wirkt auf mich wie eine Art aufgeplustertes "Gebet einer Jungfrau": dieselbe Sorte von Imitation von "Schwierigkeiten". Irgendwie Barmusik der Sorte, dass man staunt a la "wow, was hat der drauf"... Ich hätte von dieser Art Musik bzw. ihrer Transkription mehr Rhythmik, mehr perkussives Spielen erwartet.

Gruß, Rolf
 
Zitat von Guendola:
Ich hoffe, du hast noch mehr zu dem allgemeinen Thema zu sagen

Weiß nicht. :p Aber da ich keine Ahnung von Popmusik habe, konnte ich wirklich nicht sicher sein, dass das ein Schreibfehler war...

Zitat von DoctorGradus:
Denn Klavierausbildung erfolgt meist nach Methoden der Klassik, d.h. man hat Noten, die spielt man ab.

:shock: Na, ich weiß nicht... "Noten abspielen"...

Will man Pop-Klavier spielen, so wird man eine Weile brauchen, bis man merkt, dass das Nachspielen von lieblosen Pop Arrangements der Charthits der letzten 30 Jahre einen nicht voranbringt.

Liebloses Spiel von irgendwas bringt nicht weiter, egal was es ist. Aber was willst du damit genau sagen - dass es keinen Sinn macht, Popmusik am Klavier zu spielen, ohne selber zu komponieren?
 
bissle scherzando

Da gibt es recht einfach fritierte Kartoffelchips (Melodie, drei akkorde, einfacher Beat) aber auch kreative Canapés, Tapas, feurig-scharfe Chillischoten und tolle käseplatten. Gegessen wird was gefällt.

...mir gefallen meine vier Katzen, aber ich esse sie nicht :D - gegessen wird, was schmeckt (und die Geschmäcker sind verschieden)

übrigens Danke für die Beispiele, ich habe sie mir angehört!

als Begleitinstrument findet das Klavier natürlich Verwendung, wenn auch öfter in den ruhigen "lyrischen" Sachen. Mit etwas Geschick kann man so eine Originalbegleitung und zugleich die Melodie spielen (was in diesem Fall keine lieblose Bearbeitung wäre), vorausgsetzt dass die Begleitung für sich schon einigermaßen interessant klingt (also nicht zu banal ist).

die etwas "pseudo-virtuosen" Bearbeitungen überzeugen mich nicht sonderlich - mir fällt da gerade Konstantin Wecker ein und sein "gestern ham´s n Willi daschlogn": da ist doch in manchen Abschnitten recht brauchbares "Rock-Klavier" drin (wobei ich weiß, dass man Herrn Wecker nicht eben als Rocker bezeichnen kann)

mir würde je eine zusammenfassende (also eher kurze) "Transkription" der Highlights für Klavier aus den Highlights der Rock Horror Show großen Spaß machen - wenn es denn eine gäbe!... (allerdings habe ich keine Ahnung, wie man Rif-Rafs herrlichen Auftritt mit Motorrad transkribieren könnte)

und so ganz glaube ich nicht, dass Rock/Pop nur quasi Chipse/Flipse/Taccos ist - ich finde, da gibt es auch andere Kaliber (wie eingangs gesagt: in allen Richtungen findet sich wenig gutes und viel weniger gutes...); in diesem Sinne geht es hier weniger um qualitative Unterschiede.

Gruß, Rolf
 
Liebloses Spiel von irgendwas bringt nicht weiter, egal was es ist. Aber was willst du damit genau sagen - dass es keinen Sinn macht, Popmusik am Klavier zu spielen, ohne selber zu komponieren?
Ich hatte eine Weile Gitarrenunterricht mit dem ziel Rock/Pop/Blues zu spielen. Akkordbegleitung, Blues-Soli, und auch etwas auf der Gitarre Rocken.

Im Gitarrenunterricht wurde mir vermittelt was ein Akkord ist, auf welche Weise ich diesen spielen kann (Arpeggiert, fingerpicking, non-Arpeggio sofern das auf der Gitarre möglich ist), in welchen Lagen ich Akkorde spielen kann (Piano-Pendant ist wohl das Voicing). Modifikationen der Klangfarbe bei Akkorden führte auf eine stufentheoretische Harmonielehre.

Ich lernte ein paar Skalen kennen mit denen man Improvisieren kann, ausgehend von Pentatoniken. Obligatorisch das Bluesschema.

Natürlich spielte ich viele Lieder, teils nach Notenvorlage (Gitarrentabulaturen), teils nach Leadsheet.

Thema im Unterricht war auch das Abhören von Musikstücken und notieren.

Quasi Gitarre in allen Lebenslagen.

Leider konnten sich meine Finger nicht so sehr mit dem Instrument anfreunden, was ich sehr bedaure.



Vielleicht kann ja jemand der Klavierunterricht nimmt um Popmusik zu spielen mal beschreiben wie sein Unterricht abläuft. Mich beschleicht der Verdacht (wie schon oben beschrieben), dass man Arrangements lernt und runterspult.

Daran hat man sicherlich seine Freude und macht das auch mit Herzblut.

Insofern mal die Fragen zusammengefasst:
  • Beschränkt sich der Unterricht nur auf das Spielen der Melodie und einer arrangierten Begleitung? (Also z.B. ala "it's easy to play beatles")
  • Wird darauf eingegangen wie ein Klavier in einer Band eingesetzt werden kann?
  • Wird thematisiert wie ein Klavier Teil der Rhythmus-/Begleitgruppe sein kann?
    • Rhythmik
    • Begleitung von Gesang
  • Wird auf die Struktur von Klaviermusik eingegangen?
    • Akkorde
    • Voicings
    • Arpeggios und Figuren wie Walking Bass
    • Improvisation und Skalen
    • Möglichkeiten selbst zu Arrangieren, Passagen umzuschreiben, an eigenes Können anzupassen oder zu verzieren?
    • Auf dem Klavier wohl wesentlich wichtiger als bei den vieltönigen Gitarrenakkorden: Regeln für Vierstimmiger Satz!
  • Gehörbildung und "Abhören von Musik"
Sicherlich kann ein Schüler sich bewusst nur für das spielen von Arrangements entscheiden und damit sein Glück finden. Schade ist aber, wenn eine Disziplin nur darauf reduziert wird.

Daher würde mich interessieren: An alle Clavianer die gerne Pop/Rock-Musik spielen und das mit einem Klavierlehrer tun, was ist bei euch Unterrichtsinhalt?

Mir ist übrigens schon bewusst, dass ich hier einen gewissen "Sprung" unternehme, da ich auf dem Klavier eigentlich keinen Pop spiele und das ganze lediglich von der Gitarre her kenne. Insofern legt nicht alles von mir auf die Goldwaage.
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
und so ganz glaube ich nicht, dass Rock/Pop nur quasi Chipse/Flipse/Taccos ist - ich finde, da gibt es auch andere Kaliber (wie eingangs gesagt: in allen Richtungen findet sich wenig gutes und viel weniger gutes...); in diesem Sinne geht es hier weniger um qualitative Unterschiede.

Mein vergleich ziehlte keinesfalls darauf ab Popmusik als Junkfood zu titulieren, vielmehr wollte ich ausdrücken, dass es sich von großen Menü's (umfassender klassischer Komposition) unterscheidet. Man kann Häppchen auf höchstem Niveau zubereiten.
 

Mir sind im Übrigen hinreichend viele klassische Häppchen mit einer Dauer zwischen einer und fünf Minuten bekannt.
 
Off-Topic: Kartoffelchips

Ich habe den Eindruck, dass die "Klassiker" meinen, Popmusik bestehe nur aus Kartoffelchips.

Verkannt wird auch, dass das Ziel der Popmusik eben leichtverdaubares ist.

Wenn man davon absieht, daß größere Mengen Kartoffelchips
nicht gerade leichtverdaulich sind - warum gibt es niemanden im Pop-Milieu,
der sich dem Zwang zur musikalischen Leichtverdaulichkeit widersetzt?
Aus dem Gefängnis der raschen Konsumierbarkeit ausbricht,
das Standard-Songmuster mit der naiven Aufeinanderfolge Strophe/Refrain durchbricht,
andere Harmoniefolgen als die üblichen ausgelatschten Akkordverbindungen benutzt,
melodische Varianten ersinnt, mit Polyphonie experimentiert, auf Gesang verzichtet
und sich an formal komplexere, rein instrumentale Musik heranwagt?

Finanziell wäre das für den Popmusiker eine Katastrophe -
um so größer wäre längerfristig der künstlerische Gewinn.

Aber dazu fehlt es in der Branche vermutlich an Mut.
 
@gomez: Ich glaube da befinden wir uns am Knackpunkt an dem die Genre divergieren. Wo das Ringen mit der Form und ihren Grenzen die Klassik bestimmt, ist's in der Popmusik ein Zusammenspiel aus Verständigmachen von Gefühl und Groove innerhalb der künstlerischen Mittel der Musiker. Schon mir als durchaus klassikinteressiertem (und von Haus aus geprägten) Hörer fällt es nicht einfach Polyrhythmik, Polyphonie und Formschemata in einem klassischen Stück nachzuvollziehen, ohne in der Partitur mitzulesen bzw. nachzuempfinden (daher auch der Klavierauszugsfaden von mir) und selbst dann ist es eine gewisse Herausforderung der ich mich stelle weil sie mich intellektuell reizt. Wer also Leute möglichst vorbedingungslos erreichen will, bedient sich bestenfalls bekannter Mittel und fügt diese möglichst geschickt zusammen.

Ich würde bestreiten, dass in der Popmusik stillstand herrscht. Vielleicht sind wir, die mit unseren Notenheften in sekundenschnelle von Barockmusik, zur Wiener Klassik, zur Romantik, zu Scriabin und zu Glass wechseln können da auch etwas verwöhnt, was musikalische Entwicklung angeht. Aber es gibt viele Popmusiker die experimentieren, tüfteln, erweitern etc. Ohne Beschränkung der Allgemeinheit würde ich hier mal John Frusciante und vllt. Incubus exemplarisch nennen.

auf Gesang verzichtet
und sich an formal komplexere, rein instrumentale Musik heranwagt?

Das ist letztlich auch oft ein Stilmerkmal. Der Künstler drückt sich in Blues, Pop, Rock aus, erzählt Geschichten, berichtet, gewährt Einblick in seine Gefühls- und Lebenswelt. Ein Instrumentalstück gibt davon ein eher verallgemeinertes Bild ab, kann nie so konkret sein, wie ein Lied. Mit dem Lied kann man besser kommunizieren, es verbindet Sprache mit Musik und ist letztlich auch das, was die Musik in der Angel hält.

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Dazu kommt: Macht jemand extravagante Popmusik wird es meist in die Kategorie Jazz verschoben ;-)
 
Längere und auch komplexe Popmusikstücke gibt es durchaus, sie sind allerdings nur selten bekannt, da kaum ein Radiosender sie spielt, daher eigentlich nicht wirklich Popmusik, da nicht so populär. Die längsten Stücke, die ich kenne, bestehen allerdings in erster Linie aus endlosen Improvisatinoen und sind ansonsten alles andere als komplex.

Aber worin unterscheiden sich z.B. die Inhalte von Jazz-, Klassik- und Pop-Piano-Unterricht, außer natürlich in der Auswahl der Stücke?
 
Der Künstler drückt sich in Blues, Pop, Rock aus, erzählt Geschichten, berichtet, gewährt Einblick in seine Gefühls- und Lebenswelt. Ein Instrumentalstück gibt davon ein eher verallgemeinertes Bild ab, kann nie so konkret sein, wie ein Lied. Mit dem Lied kann man besser kommunizieren, es verbindet Sprache mit Musik und ist letztlich auch das, was die Musik in der Angel hält.
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Dazu kommt: Macht jemand extravagante Popmusik wird es meist in die Kategorie Jazz verschoben ;-)

hallo Dr. Gradus,

das finde ich toll formuliert und ich stimme Dir auch weitgehend zu!

aber ich möchte auf eines verweisen, was mich immer wieder etwas mißtrauisch in Richtung Popmusik macht, obwohl es weniger die Sorte oder Art der Musik, als die Erwartungshaltung ihrer Konsumenten (((ja, ich scheue hier den Begriff "Rezipienten"))) betrifft: man will "i´m sailing" eben doch lieber vom heiser-rauh krächzenden Rod Stewart, als von einem anderen Sänger hören!!!!

Die Personalunion "Künstler = Interpret = Musikstück" weckt bei mir eben das Mißtrauen, dass eine Art Personenkult in der Popmusik von vornherein (vgl. den Begriff "Superstar" usw.) intendiert ist - - - das bedeutet ja nun nicht, dass ein paar von denen nicht doch klasse Sachen machen würden: solche gibt es, und ich wäre der letzte, das nicht begeistert anzuerkennen und zu schätzen!!! - - - aber mein Mißtrauen, wie ein kleines Teufelchen, sagt mir: siehst du, Rolf, deswegen gibt es so wenig Sachen wie den instrumentalen sinfonischen Abschnitt in "April" von Deep Purple...

Ich verstehe nicht, warum sich diese Musik - die wie jede Sorte Musik liebenswertes hervorgebracht hat und bringt - nicht von diesem eher nicht musikalischen Personen- oder Starkult lösen kann und will.

Ich weiß, es gibt da auch (leider eher selten) "Grenzbereiche", also Popstücke, die tolle rein instrumentale "Intermezzi" aufweisen - aber die sind kaum auffällig gegen die Legionen von anderen Sachen.

Person, Text, Zeitumstände (Kolorit) sind außermusikalische Variablen, die in der Popmusik doch sehr beherrschend geworden sind - fast will mir scheinen, dass es weniger um Musik, als um Lebensart geht...

Gruß, Rolf
 

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