Ist der Preis gerechtfertigt? Broadwood 1816, baugleicher Beethovenflügel

  • Ersteller des Themas daydreamer0815
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@Wiedereinaussteiger :

Ein SUPER Beitrag, ich ziehe meinen Hut ( die Kappe, von meinem Vater, zerfällt schon fast, habe sie mit nem Nietengerät mal neu genietet, 6 drumrum und 1 größere in der Mitte. )

Das sind hammer-Infos, man kann das nicht so einfach zusammengefasst finden, ich z.B. habe nur so ein Klaviernummern-Buch. Besser: Heft.

Was ich mal gehört hatte, waren die Chickering-Aktionen, es gab da wohl auch mal Sonderfälle, ( L.M. G.' s beide Flügel z.B., wg. Umwelteinflüssen und Anforderungen Spezialanfertigungen ), aber alles weitere: Ist fernab zumindest meiner Erfahrungswelt.

Ich weiß, dass es von IBACH die sog "Tropenklaviere" gab / gibt, auch sie sind Spezialanfertigungen, wg. zum Beispiel hoher Luftfeuchtigkeit ( es gibt, vielleicht noch online, einen Ibach-Katalog, wo solche abgebildet sind oder auch normale, und eine Diss. "Klavierbau im Raum Wuppertal" ) aber...:

Ich bin schon ruhig, habe insgesamt KEIN bzw. viel zu wenig Wissen über diese ganzen Sachen und verbleibe

mit herzlichen Grüßen,

Olli!!
 
Hallo Olli,

den Wuppertaler Klavierbau habe ich als Buch hier, wie auch den Münsteraner Klavierbau. Als ich mal bei Piano Micke in Neubeckum einen Knake-Flügel von 1850 sah - klar, Geradsaiter.Ich befasse mich nunmehr mit wechselnder Intensität ja auch ca. 10 Jahre nun mit der Klavierbau-Technik und -Historie, und da ich erkannte, dass so manche Firmenanthologie eher nur das Gute des Hauses trasportiert, na man kann es ihnen nicht verdenken..., so ist dann auch mal quer und unangenehm Gedachtes hier reinzutragen. Dass eben nicht alles so klasse, plietsch und wunderfein war.

Als erstes waren mir da die Geschichten rund um die Firmen Steinway einerseits, und Mangeot Freres andererseits in Nancy, dann in Paris "aufgestoßen"; wie man erst gutwillig in Sachen Ausstellungserfolge kooperierte, dann aber das Tun derer Mangeots den Herren William und Theo Steinweg im Weg war, als sie ab 1875 Anläufe unternahmen, sich "nach Seesen" dann wieder ein eigenes Standbein in Europa zu schaffen - und hierzu ihre Kooperationspartner absägten. Den Kooperationsvertrag aufkündigten, und dann wohl in schneller Folge die armen Mangeots wegen "counterfeiting" gerichtlich belangten, Urheberrechtsverletzungen, illegale Nachbauten..., als die die Reste der Ware noch zu Flügeln zusammenzusetzen und zu verkaufen wagten...

Dann bin ich - gebürtiger Westfale - zufällig auch einer, der ein quasi elefantöses Faktengedächtnis mit sich herumschleppt. Ich habe es nicht immer zitierfähig parat liegen und müsste immer mal suchen, wo das stand, wenn mir wer "Belege !!!" abverlangte, aber ich WEISS, was ich gelesen, habe, UND ich kann das eine mit dem oder den anderen rekombinieren, woraus sich nicht selten dann ein etwas anderes Bild zusammensetzt, als es die Firmen-Hagiographen wohl gerne geschrieben läsen...

Daher der "Böse Bube": Die Klavierbauhistorie ist - wie auch fast alle Technikgeschichte - voller kregler Gestalten, die menschentypische Eigenschaften und Eigenheiten mit sich brachten, und wo nicht immer jedermann (und jederfrau) sauber spielte. Was man zumeist nirgendwo richtig liest. Diese ganzen Dinge machen mir große Freude. Das Lesen, das Ansammeln nutzlosen Wissens über eine alte oder uralteZeit. Und verbunden mit der Musik, mit kundigen Erklärungen geht es bis dahin, dass ich mich in einen Pariser Salon der 1840er Jahre "hineinträumen" kann, wo der Verleger einlud, und nach dem Diner dann die Ehefrau einen der Gäste bittet, ob man eventuell, wenn nicht indisponiert, seiner Kunst an den Tasten teilhaftig werden dürfe.

Dann spielt er die Berceuse, um die kleinen Mädchen zu Bette zu geleiten, dann die verträumten Nocturnes, um das bei den großen Mädchen zu versuchen... Und ich bin beinahe dabei. zu träumen. Von einer uralten Zeit, in der nicht alles traumhaft war.
So ein pöhser Bube bin ich dann.
 
Was ich mal gehört hatte, waren die Chickering-Aktionen, es gab da wohl auch mal Sonderfälle, ( L.M. G.' s beide Flügel z.B., wg. Umwelteinflüssen und Anforderungen Spezialanfertigungen ), aber alles weitere: Ist fernab zumindest meiner Erfahrungswelt.

Ich weiß, dass es von IBACH die sog "Tropenklaviere" gab / gibt, auch sie sind Spezialanfertigungen, wg. zum Beispiel hoher Luftfeuchtigkeit ( es gibt, vielleicht noch online, einen Ibach-Katalog, wo solche abgebildet sind oder auch normale, und eine Diss. "Klavierbau im Raum Wuppertal" ) aber...:
Klaviere in Tropenausführung gab und gibt es von Bechstein, Steinway, Blüthner und einigen anderen. Teils werden andere Lacke verwendet, teils verschraubt man intensiver, z.B. bei Blüthner und Steinway die Stege mit dem Resonanzboden gegen eine in den Tropen entstehen könnende Entleimung, man nutzt anderen Leim etc., man rüstet das Holz (anzunehmen) teils gegen Termiten aus... (DER Horror der Klavierhersteller, in einem zur Sanierung hereingeholten Flügel dann Termiten zu finden, und sich nicht ganz sicher zu sein, ob die Biester uU., schon Verwandschaft ins Holzlager entsandt hätten...)

Und auch Dottore Fazioli wird den F-308 für Seine kgl. Hoheit Sultan Hassan al-Bolkiah in Brunei tropenfest ausstaffiert haben, obschon die Sultanspaläste einer steten Klimatisierung gewiss nicht mangeln...

Tropenfest sind auch die Soundboards von Phoenix in Südengland für diverse Klavierhersteller, Lizenznutzung auch bei Steingräber, oder die Glasböden, die Stuart in Australien macht - auf Wunsch mit Steg-Agraffen.

Der Louis Moreau Gottschalk, der alte Kreolien-Bewohner..., der spielte auf Besuch in Europa auch Liszts Klaviere, Erard-Konzertflügel. In den Staaten und drumherum (Südamerika-exkurison, deren letzte ihn das Leben kostete), spielte er die Instrumente von Jonas Chickering aus Boston.

Ein kleines Schmankerl übrigens, ein "Missing Link" zwischen dem frühen Tod Chopins im Oktober 1849, und dem späten Start Steinway 1853, wo ja ca. vier Jahre Klavierbau bzw. sechs Jahre Flügelbau fehlen, wenn man 1856 nimmt, als das erste Steinway'sche Konzerterpäärchen in den 700er Nummern fertiggestellt wurde ...

Es gab die berühmte schwedische Sängerin Jenny Lind, die in den 1840er Jahren in Europa sowas wie heute Madonna war, DER Star an den Bühnen. Diese Miss Jenny Lind machte sich 1847 daran, eventuell Mrs. Jenny Lind Chopin zu werden. Die beiden lernten sich in Paris kennen, und die schon merklich schwindende Gesundheit hinderte die Lind nicht, ihren Plan einer Heirat mit Chopin zu verfolgen, hinderte aber Chopin - der seinem Freund, dem Cellisten Auguste Franchomme, klagte, ach wäre ich doch jünger... (Da war er 37..., als er es nicht wollte, sich mit der musikalisch kongenialen (und kreglen) Miss Lind einzulassen. Man darf annehmen, dass Chopin seinen letzten Sex um 1843 mit George Sand hatte. Danach nur noch krank und kränker. Musikalisch aber hatten die beiden, beim Klavierspiel und Gesang, mächtig Spass miteinander, in 1847/48.)

Auch bei der Reise Chopins gen England und Schottland, die seine Sekretärin Jane Stirling einfädelte, hatte es bei der Rückreise zwei abendliche Diners gegeben, wo zur Überraschung Chopins niemand erschien - außer Jenny Lind. Geschickt eingefädelt über Jane Stirling... Auch der finanzielle Support, den Chopin in seinem letzten jahr dann bekam, wird teils der "Hintergrundmusik" Jenny Lind zugerechnet, weil wohl uU. Jane Stirling doch allein nicht reich genug dafür war. Je ne sais-pas, exactement...

So..., dann starb Chopin, die Lind hatte vom europäischen Musikbetrieb ihr hübsches Näschen voll..., und schon länger bebaggerte sie der US-Impressario Phileas Barnum, ja genau der, der später den Zirkus machte. Er offerierte ihr zu ungeheuren Konditionen eine Konzertreise USA. Die Jenny Lind im Sommer 1850 anstartete. Ich weiß jetzt nicht, ob es das Premierenkonzert war, vielleicht war sie zuerst in Boston, aber ich meine mich schwach zu erinnern, sie sei zuallererst im Vorgänger der Steinway Hall und Vorgänger der Carnegie Hall aufgetreten - auf der Bühne ein Konzertflügel von Chickering, zwecks Begleitung der schwedischen Nachtigall.

Auf die Bühne vor der Lind kletterte ein Mann schon fortgeschrittenen Alters, der sich den Chickering-Flügel extrem genau ansah, und den man mit einigem Nachdruck von der Bühne zerren musste, damit dann endlich das Konzert der Lind starten konnte.

Dieser Mann war Heinrich Steinweg, kurz zuvor erst mit seiner Familie von Seesen über Hamburg und London in New York angelandet. Boss, Patriarch der nicht unbeträchtlichen und schon im Wachsen begriffenen Familie, die später "Steinway" in die Dokumente eintrug. Schon zu der Zeit, oder kurz darauf, waren seine Juniors mit Damen zusammen, und min. eine Tochter, die am längsten überlebte, Minna, war mit einem jungen Herrn Ziegler verbandelt, der mit im selben Haus in anderer Etage wohnte, Hester Street, kurz darauf trug sie einen kleinen Ziegler unterm Herzen - der, der später Theos technisches Erbe betreute. zu einer Zeit, die VOR 1853 lag, und in der sie auch schon Klavierbauteile privat in Heimarbeit fertigten, und wohl VOR der berühmten Nummer #483 das eine oder andere Tafelklavier über Händler und Händlernamen gelabelt an den Briadway zum Verkaufen trugen - wie man heute nach den Forschungen recht sicher weiß. Ziegler, der den A- und B-Flügel von 85 auf 88 Tasten verbreiterte, 1891/92 dann.

Man kann es böse sagen..., die Steinway-Saga sei dann doch voller Lügen... Ich sehe das anders, es geschah noch viel mehr, und Interessantes, als die offizielle Geschichtsschreiberei einen wissen lassen mag...

Generell war es zu jener Zeit noch so, dass kein Pianist irgendwelche amerikanischen Musikinstrumente gen Europa trug, im Gegenteil: diejenigen, die aus Europa kommend die USA bereisten, brachten mit ihrem Schiff im Regelfall mehrere Flügel im Gepäck, machten ihre Tournee, und vertickerten die Flügel dann an hochwohlhabende US-Einwohner zu satten Preisen. Das waren zuvorderst französische Pretiosen, wie Erard hauptsächlich, Erard Paris und Erard London, und der eine oder andere Pleyel mag auch auf diese "Touren" über den Teich geschippert sein.

Von einer nennenswerten "Immigration" österreichischer Klavier war da auch noch nichts bekannt, mag aber sein, dass der eine oder andere Londoner Klavierbauer auch seine Produkte in den USA los wurde. Wahrscheinlich die damalig Großen, Collard & Collard als Fortsetung von Muzio Clementi & Comp. , und John Broadwood gelegentlich.

Die Vorrangstellung Chickering und des Bostoner Klavierbaues schwand, als die Fertigung von Chickering abbrannte (irgendwann um 1855), dann Jonas Chickering eine ca. doppelt so große Fabrik mit gewaltigen Anstrengungen errichtete, das damals zweit größte Gebäude von tout l'America nach dem Kongressgebäude, und kurz darauf verstarb. Sein Sohn Frank Chickering war nicht ganz von gleicher Machart wie der Herr Papa, den man in aller Regel im Kittel in der Fertigung antreffen konnte.

Die Vorrangstellung deutscher Klaviere entwickelte sich i.w. erst nach der Reichseinigung unter Bismarck nach dem Frankreichkrieg 1870/71, und basierte dann schon zu nicht unwesentlichen Teilen auf dem Austausch von Ideen und Fertigungstechniken, die der über den Teich hin und her pendelnde Theo Steinweg mit seinen Hannoveraner und Wiener und Stuttgarter Kumpanen machte.

Es ist ja nun nicht so, dass die Fa. Steinway das Klavier oder den Flügel "erfunden" hätte, aber der in-ten-si-ve Austausch an Technik, an Physik, Metallurgie, Ingenieurswissenschaft geht eben doch zu starken Anteilen auf das Tun der Herren Heinrich Steinweg, Henry junior, und den Ältesten Theo zurück. Theo hatte in Seesen an der Jacobson- Hochschule studiert, eine Art Mittelding von mathematisch-technischem Gymnasium und einer TU - das dann genutzt, mitsamt ihren Vernetzungen in Europa, und der Möglichkeit, überall das allerbeste mit den Augen und Ohren "klauen" zu gehen, und es teils frecherdings in New York dann zum Patent eintragen zu lassen.ZB. ist das Sostenuto von 1874 auch nur eine leichte Abwandlung dessen, was Boisselot in Marseille schon um 1850 ausbaldowert hatte.

Dann kam noch hinzu, dass die Steinways erkannten, dass die Auditorien immer größer werden würden, immer mehr Menschen würden im Zuge der Wirtschaftsentwicklung abends in Konzerte gehen..., und dazu brauchte man LAUTE Klaviere, weit tragende Instrumente - auch ein Ding, das den Intentionen eines Chopin oder Pleyel diametral entgegenstand - obschon die Basis der Steinway'schen Entwicklungen mal der Konzertflügel von Erard gewesen war - allerdings äußerst flugs dann in der technischen Entwicklung die Franzosen hinter sich gelassen.

Man wisse, dass das aller-allererste Patent, was Steinway erteilt wurde, eine kleine Verbesserung der Erard-Mechanik durch Henry jr. war. Man startete 1856 mit Flügeln, und schon 1858 war Henry jr. beim Bau der ersten Bassüberkreuzung des Flügels. ... mit dieser Geschwindigkeit Steinways ging in der gesamten Welt niemand mit.

Zu recht darf Henry S jr. "Vater des modernen Flügels" genannt werden. OK ca. zwei Drittel Henry, ein Drittel Theo.

Chopin, Jenny Lind, Heinrich Steinweg, wahrscheinlich war Henry Jr. mit im Konzert, und dann Theo. Das ist die Linie.

Nur falls einer das "Missing link" suchen sollte, was denn die Flügel Steinways mit der Musik Chopins zu tun hätten..., wo diese Ereignisse doch paar Jahre auseinander lagen.
 
Ich weiß, wie alt der Thread ist :)
eine Frage, die bei mir aufgepoppt ist, ist, welchen Zusammenhang es zwischen der technischen Entwicklung der Instrumente (Gußrahmen) und der Entwicklung der Infrastruktur (Eisenbahn) gegeben hat. Meine Vorstellung ist, daß vor der Eisenbahn (in D. 1833, aber halbwegs flächendeckend in den größeren Städten erst 1850+) kein Instrumentenbauer daran gedacht hat, Gußrahmen zu erfinden, weil man die nicht über längere Strecken transportiert bekommt. Diese Broadwoods hatten ja einen Holzrahmen und dadurch (wenn ich das richtig verstanden habe) nicht das ewige Leben... Was mag Beethovens Broadwood-Flügel gewogen haben? Ein Link auf ein etwas älteres Tafelklavier habe ich gefunden. Wiegt 60 kg. Also für Ambitionierte unter dem Arm tragbar ;) Google spuckt für andere Instrumente nichts aus und dieser Thread ist der am wenigsten OT. Waren die Holzrahmeninstrumente spürbar leichter? Oder hat Broadwood im Wesentlichen nur im Großraum London verkauft? Oder war es doch kein Problem die sieben Zentner oder mehr über hunderte km. zu karren...
Broadwood had agents in various towns and cities in England, Scotland and Ireland - this was one of the reasons that he was so successful. Before the railways were built transport in Britain was by cart, or around the coast by ship. My Broadwood square piano of 1804 was delivered from Broadwood to the Swan Hotel in Holborn Bridge, London, for delivery by "Lye's Waggon" to Bath. Lye had the contract to run regular wagons for goods traffic from London to Bath and Bristol.

It is clearly not true that " You will never again have the opportunity to acquire such a historical instrument " because a very similar instrument, Broadwood no. 7131 of 1816, was sold by Piano Auctions Ltd in London a few weeks ago for £ 9,500 (picture below). However, it is not easy to acquire such an instrument - of the 8,500 Broadwood grand pianos built up to the end of 1820, only about 230 survive according to the well-researched list of surviving Broadwood grands. On average only about 7 survive for each year. I do not suppose that many of today's pianos will still exist in 2220!

2020-09-27 a auc104r.JPG
 
Zuletzt bearbeitet:
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But I guess that you have to pay far more for repair before you can enjoy playing it - my impression is that many strings are broken.
 

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