Auch junge Instrumente haben Geschichte.
Für alle, die noch nicht sooo lange im Forum sind, hier in komprimierter Form die Love Story zwischen der Gräfin (heute sind wir vertrauter und ich nenne sie Sissi:floet:) und mir.
Zum ersten Mal gesehen habe ich sie, als ich nach einem Besuch meiner Mutter, die auf Kur weilte, noch Zeit hatte und zufällig :D einer der größten Gebrauchthändler Deutschlands auf dem Weg lag. Ich hatte gerade ein halbes Jährchen Klavierunterricht und übte fleissig auf Jackson, einem rabenschwarzen U1 aus den 70ern, der meine Tochter nun schon fünf Jahre begleitete. Aber so wie Fischer niemals über eine Brücke gehen können, ohne gründlich nach dem Leben unterhalb Ausschau zu halten, so wenig können frisch Klavierverrückte an so einem Laden vorbei.
Erfreulicherweise war kein einziger Kunde da und der Besitzer ließ mich ungestört gewähren. Ca. 100-150 Klaviere galt es zu streicheln und anzuklimpern. Selbst wenn manche vorneweg links liegen gelassen wurden, so war das doch eine Aufgabe, die sich in Stunden maß. Die Ausstellung war natürlich "strategisch" aufgebaut und so blieben am Schluss die "großen Namen" mit ebensolchen Preisschildern. Alles junge Hüpfer, mehrere Bechstein, ein älteres Pfeiffer, ein S&S-K132, mehrere V-125 und ein Bösendorfer Concert. Alle ganz nett - das Bösendorffer grandios, aber mit irgendeiner Play-alone-Apparatur. Dazwischen stand sie: die Gräfin. Hochglänzend, strahlend, rot (!!!!) mit irisierenden Farbchanchierungen im roten Holz (Sapeli-Pommelé). Genauso faszinierend und irritierend wie eine schöne Frau mit knallrotem Haar. Klar, dass ich mir das bis zum Schluss aufhob (oder hab ich mich nicht recht rangetraut?:rolleyes:).
Langer Rede kurzer Schluss. Mir blieb die Luft weg. Sie war mit nichts zu vergleichen - lediglich das Bösi konnte mithalten, aber das war ja so ein riesiger schwarzer Kasten mit unseliger Elektronik.
Erfüllt, bewegt - vor allem irritiert - bin ich nach draussen gewankt und nach Hause gefahren. Ich habe mir nicht zugestehen wollen, als Novize überhaupt eine Klavierqualität beurteilen zu können und war auch vom sublim-erotischen Charakter der ganzen Angelegenheit wie vom Preisschildchen recht verstört. Die nächste Zeit ertappte ich mich immer wieder, wie ich auf der S&S-website die Crown-Juwel-Modelle zu verkaufsförderndem Muzak beäugte.
(Zwischenruf: Hey, das ist aber nicht kurz und bündig! Antwort: Sch..egal, mir steht gerade der Sinn nach Prosa - kannst ja das Lesen aufhören:!:)
Nach Tagen - oder waren es Wochen? - habe ich meine Tochter ins Auto gepackt und vor dem Laden mit der Order entlassen, Sie möge nicht auf Preisschildchen schauen, sondern einfach mal das beste Klavier dort herausfinden. Mit einem Buch habe ich mich für 2, 3 Stunden in die nächste Kneipe verzogen. Meine Tochter erwartete mich voller Stolz ob der Bewältigung dieser für eine Zwölfjährige doch sehr verantwortungsvollen Aufgabe. Natürlich präsentierte sie in frühpubertärer Schwärmerei zunächst einen kleinen Grotrian-Steinweg Stutzflügel, der den schönsten Anschlag hatte, den ich bis heute kennengelernt habe. Bei den Klavieren war es aber definitiv: die Gräfin.
Ich erspare nun dem Leser das ganze Hin und Her bezüglich des Flügels sowie des drohenden Abschieds vom geliebten Jackson, der flugs von U-1 zu M-1 (=meins!) umbenannt wurde. Nun war der Ankauf der Gräfin plötzlich von einer lächerlichen Verliebtheit zu einer nachdenkeswerten Angelegenheit geworden. Meine Herzallerliebste ist ein großzügiger Charakter, der durchaus klar ist, dass Männer in meinem Alter auf schlimmere Verrücktheiten kommen können, als ihre erotischen Phantasien an Klavieren auszuleben. Somit ergaben erste, vorsichtige Sondierungen zuhause nur Zustimmung. Bis auf die Tochter - die blökte im Trennungsschmerz "Mei-heins bleibt da!".
Die endgültige Entscheidung brachte die KL. "Familie auf Wasser und Brot setzen - kaufen!" war ihr lapidarer Kommentar. Und so wurde der Kauf getätigt.
Mit stolzgeschwellter Brust bin ich heimgerast, habe den Rechner angeworfen und mich flugs bei S&S als neuer Herr (habe ich damals gedacht) der Gräfin zu erkennen gegeben. Nun, es dauerte gerade mal 5 Minuten (das ist tatsächlich wohl die übliche Reaktionszeit bei S&S, wie spätere Tests ergaben!), da klingelt das Telefon und mir wurde die ganze schändliche Vergangenheit meiner, ach so geliebten, strahlenden Gräfin offenbart.
So müssen sich frischgebackene Ehemänner fühlen, denen - noch bevor die Braut im Haus ist - mitgeteilt wird, die Angebetete habe sich lange Zeit in Militärbordellen verdingen müssen. Ach, was war mir schlecht auf einmal.
Die Gräfin wurde 2001 in Hamburg zur Welt bebracht und sollte in all Ihrer Pracht unsere bayerische Landeshauptstadt zieren. Dort wohnte in einem ganz fürchterlich noblen Stadtteil in einer ebenso noblen Villa eine Dame, die wohl nicht ganz so nobel war, wie das Umfeld vermuten ließ. Sie hatte ein Töchterlein, das Klavier lernen sollte. Aber nicht auf irgendeinem Klavier, nein, die Gräfin sollte es sein. Leider war das Bankkonto nicht gänzlich mit der zur Schau getragenen Noblesse kompatibel und so vereinbarte man, die Gräfin zu mieten... (Dazu sag ich erst mal nix ...).
Das Töchterlein hat wohl ein wenig, aber nicht allzuviel, geklimpert. Und derweil wurde das Bankkonto immer inkompatibler mit der Noblesse. So wurde nach und nach der Hausrat in bare Münze umgewandelt und auch die Gräfin wurde davon nicht verschont. Der noblen Dame mag entfallen sein, dass sie gar nicht Besitzerin war - sie verkaufte sie (für nicht wenig Geld) an "meinen" Händler und als die Mietzahlungen ausblieben, fanden die wackeren Gesellen von S&S lediglich eine leere Villa vor. Nachforschungen ergaben eine kurze Sichtung der Dame in Österreich auf der Weiterreise nach Südamerika. Die Gräfin aber war und blieb verschollen.
Derweil stand sie - ungeliebt, ungespielt - fast vier Jahre in klimatisierten, kahlen Räumen und je länger sie litt, desto gräflicher und unnahbarer wurde sie. Nun, wenn es etwas gibt, das einen Mann wie mich reizt, dann ist es genau das...
So kamen nun Vergangenheit und Heute zusammen. Und ich sass da, traurig, verwirrt, enttäuscht und bangend, wie sich nun diese vertrackte Situation lösen ließe. In dieser Zeit haben mir hier ganz viele liebe Leute Beistand gegeben und meinen Klavierkrimi "in Echtzeit" mitfiebernd und mitbangend begleitet. Euch allen nochmals Dank dafür. War eine tolle, wilde Zeit!
Und jetzt mach ichs kurz: Kraft meiner Moderationsfähigkeiten habe ich es glücklicherweise geschafft, dass alle Beteiligten recht unbeschädigt, mit maximal einem hellblauen Auge, dem ganzen Dilemma entkamen. Der Händler lädt mich immer noch zu seinen Events ein (wenngleich seine Frau etwas giftig war - Weiber!), S&S hat sich (noblesse oblige) mit einem maßgefertigten Traumhocker bedankt, den der Geschäftsführer höchstpersönlich vorbeibrachte (fast 300 km!) und ... ja, die Gräfin, die zeigt tagtäglich, was es ausmacht, wenn ein Klavier geliebt wird.
Ich muss aber ehrlicherweise zugeben, dass ich (noch) kein geeigneter Partner (alte Männer und junge Frauen) für sie bin - im Gegensatz zu meiner Tochter, die sie inzwischen heiß und innig liebt. Nichtsdestotrotz: Sie wird weicher, versöhnlicher, je älter sie wird (daher empfehle ich hier auch so gerne ältere Klaviere). Aber so wie die Situation im Moment ist, würde ich sagen, dass aus der heißen Liebe eine etwas ruhigere Freundschaft geworden ist, während sich zwischen meiner Tochter und ihr so eine typische Frauen-unter-sich-Geschichte entwickelt hat.
Das stört mich aber gar nicht, denn mein Kumpel, der feuriche Franz, bietet mir all dass, was die werte Dame mir noch verwehrt.
So, und wenn Ihr nun brav Eure eigenen Geschichten erzählt, erzähle ich vielleicht auch irgendwann die Geschichte vom feurichen Franz. Gute Nacht!