Flügelklang hart durch andere pure Klavierstimmung eines anderen Stimmers!? "Setzt" sich eine Stimmung?

Man kann eine solche Aussage eines Klavierstimmers, dass er eine spezielle Stimmtechnik habe, durchaus auch mit Skepsis sehen, selbst wenn die Stimmung für sich spricht.

Was Menschen können ist das eine. Das Können ist oft das Produkt von jahrelanger Erfahrung, Lernwillen, Fleiß und Experimentierfreude, aber auch Hilfestellung und ein bisschen Talent. Es kommt dann dazu, dass Theorien entworfen werden, warum etwas funktioniert.

Ob die Theorie dann valide ist, ist aber wieder eine ganz andere Frage.

Der Steg ist auf dem Resonanzboden verleimt und er hat sowas wie eine "Nulllage". D.h. ohne zusätzliche Kraft wird er in einer Position sein und nicht von allein kippen. Beim Beziehen kann der Steg kippen, das gleicht sich dann aber wieder mit der Zeit aus, weil die dem Resonanzboden inne wohnende Spannung dem Kippmoment entgegen wirkt und der Steg wieder in die Nulllage zurück will, außerdem längen sich neue Saiten noch und die Längung ist in der klingenden Länge am größten (proportional), was dem evtl. erfolgten Kippen entgegen wirkt.

Es gibt auch Anleitungen in der Literatur (z.B. Fenner/Großbach, "Praktisches Handbuch der Klavierkonstruktion"), wie man beim Beziehen dem Kippen entgegen wirken kann. Der Normalzustand ist jedenfalls, dass der Steg nicht gekippt ist.

Dass ein Resonanzboden durch eine Stimmmethode "freier" schwingen kann, halte ich für eine relativ fragwürdige Konstruktion. Wenn man eine Saite verstimmt, so ist - sofern man keine nachhaltige Änderung der Stimmhöhe durchführt - die Spannungsänderung in der Saite sehr gering. Man ist bestrebt, die Spannungsänderung sehr gering zu halten, denn die Stimmung ist eine Balance. Je weniger Spannungsänderung insgesamt, desto stabiler wird die Stimmung sein.

Wenn man eine Saite verstimmt, so wird der Steg durch die anderen Saiten fixiert. Es ist unmöglich, dass der Steg kippt, wenn man eine Saite gering höher stimmt und dann auf die Solltonhöhe ablässt. Da man dies mit allen Saiten nacheinander macht, kann der Steg nicht kippen. Es wird immer nur eine von c.a. 230 Saiten gestimmt und die jeweils anderen Saiten halten den Steg.

Es gibt sehr sehr gute Klavierstimmer, die dennoch ihr Wissen nicht so erklären können, dass irgendjemand daraus klüger wird. Man kann sich z.B. viele Aufnahmen anhören, bei denen Franz Mohr die Flügel gestimmt hat und es steht außer Frage, dass er ein exzellenter Konzertstimmer ist. Wen man ihn beispielsweise zu Oktaven befragt hat, hat er in etwa gesagt, "you make them shine". Jeder junge Stimmer, der etwas über die Streckung von Oktaven lernen will, kann exakt Null aus dieser Aussage lernen. Er hat das nach Gehör gemacht und hatte ein Gefühl dafür, wann es "richtig" klang. Das bedeutet nicht, dass er sein Können in irgendeiner Form erklären konnte (oder wollte (dies wissen wir nicht)).
 
Danke @jensen1 , gut erklärt.
Was der TE hier ansprach, hängt m.E. mit der Spreizung zusammen. Ich hatte mal eine Kundschaft welche darauf bestand den Flügel ohne Spreizung elektronisch zu stimmen - das Ergebnis war für meine Ohren grauenvoll und kommt an die Beschreibung des TE heran.
Kürzlich hatte ich ein Klavier welches von 434 Hz etwas höher sollte, aber 440 Hz jetzt auch nicht unbedingt sein brauchte. (Für das Vorstimmen verwende ich das Stimmgerät), ich stellte meine Maschine auf 440 Hz, in der sicheren Annahme, es stünde dann auf etwa 437 - 438 Hz. Nun nehme ich beim Gerät zum Hochziehen immer die größte Spreizung, da es gerade im Diskant am meisten abfällt während des Hochziehens. Nun ist dieses Instrument allerdings beim Hochziehen um nicht mal ein Hz abgesackt und stand auf 439,2 Hz. Nun ging aber auch die Spreizung nach oben nicht (wie gewohnheitsgemäß) runter, so daß die große Dezime heulte, die Quarte jammerte und die Oktave deutliche Wellen schlug. Normalerweise muß ich nach dem Hochziehen die Oktaven nach Gehör immer etwas nachspreizen, nicht so bei diesem Instrument - das habe ich nach Gehör noch einmal völlig durch stimmen müssen, da es sich entgegen meiner Erfahrungen und Gewohnheiten nicht wunschgemäß beim Hochziehen in die Richtung bewegte, daß man es hätte nur noch ausgleichen (nachstimmen) brauchen.
 
Wer glaubt, dass man den Klang des Klavieres oder Flügels durch eine besondere Methode des Stimmens dauerhaft ruinieren kann, dem empfehle ich dringend sich mit dem Wellpapperussen in Verbindung zu setzen.
Doswiedania :coolguy:
 
Nicht dauerhaft, sondern zum Glück reversibel.
 
Wer glaubt, dass man den Klang des Klavieres oder Flügels durch eine besondere Methode des Stimmens dauerhaft ruinieren kann,

Doch, das geht. stimme zum Beispiel mal einen alten Bechstein b aus den 20iger Jahren auf 443Hz und lausche dem lieblichem Knacken der Gußplatte - ganz gleich welcher Stimmer sich hernach daran dann noch versucht, der wird nie wieder klingen.
 
Doch, das geht. stimme zum Beispiel mal einen alten Bechstein b aus den 20iger Jahren auf 443Hz und lausche dem lieblichem Knacken der Gußplatte - ganz gleich welcher Stimmer sich hernach daran dann noch versucht, der wird nie wieder klingen.

Einen Bechstein aus den 20igern habe ich in diesem Jahr auf 435 Hz gestimmt. Höher würde ich ablehnen! Da ich es noch nie versucht habe auf 440 oder noch höher zu stimmen, kannst du @Henry durchaus recht haben.

:017:
 
Mein Bechstein aus 1879 hält die 440Hz wie ne Eins und klingt dabei sogar noch gut. :-)
Wenn man eine Saite verstimmt, so wird der Steg durch die anderen Saiten fixiert. Es ist unmöglich, dass der Steg kippt, wenn man eine Saite gering höher stimmt und dann auf die Solltonhöhe ablässt.
Wenn es anders wäre, könnte man ne Geige gar nicht stimmen. Da hat der Steg nur minimale Auflagefläche, riesiges Kippmoment, ist noch nicht mal geleimt und wird beim Stimmen nur von 3 Saiten "auf Position gehalten".
 
Ach, mit ordentlich Gaffer-Tape kriegt man das schon wieder hin.

Wie alles.
 

Wenn man eine Saite verstimmt, so wird der Steg durch die anderen Saiten fixiert. Es ist unmöglich, dass der Steg kippt, wenn man eine Saite gering höher stimmt und dann auf die Solltonhöhe ablässt. Da man dies mit allen Saiten nacheinander macht, kann der Steg nicht kippen. Es wird immer nur eine von c.a. 230 Saiten gestimmt und die jeweils anderen Saiten halten den Steg.
Das stimmt m.E. so nicht. Wenn ich eine Saite hochstimme, entsteht aufgrund der Stegreibung im klingenden Teil der Saite eine relative Überspannung im Vergleich zum nicht klingenden Teil der Saite. In doiesem Stadium verhindern die anderen Saten in der Tat, dass der Steg nach vorne kippt. Je mehr Saiten ich jedoch stimme, umso stärker wird deren gemeinsamer Zug auf den Steg, bis schließlich der Spannungsunterschied zwischen Vorder- und Hinterlänge durch Kippen des Steges ausgeglichen wird. Dieser Zusammenhang wurde auch vom zitierten Klaus Fenner beschrieben, und er machte sich diesen Zusammenhang bei Neubezügen umgekhrt zunutze, indem er die Saiten einzeln bis zu einer kleien Terz überzog und dann wieder herunterließ. Dadurch wird der Reibungswiderstand am Steg beim Hochziehen überwunden. Beim Herunterlassen kehrt sich das Spannungsverhältnis um, es gibt in der Hinterlänge eine Überspannung. Durch Stimmung des gesamten Bereichs auf diese Weise kommt es schließlich zu einem Kippen (Aufrichtung) des Steges nach hinten.
 
Wenn der Steg kippt, sollte er wieder festgeleimt werden :rauchen:
 
Mich würde in dem Zusammenhang mal interessieren. inwiefern es irgendeine Bedeutung hat, ob der Teil der Saite, der sich hinter dem Steg befindet, in irgendeinem harmonischen Verhältnis zum Grundton schwingt. Träg die Frequenz dieses kurzen Stück Saite nicht auch zur Reinheit / Unreinheit des Tones bei? oder schwingt es da hinten nur so schwach, dass man das gar nicht hört?
Falls man das ggf, hört, gibt es Klavierstimmer, die da auch für halbwegs klare Verhältnisse sorgen?
 
Mich würde in dem Zusammenhang mal interessieren. inwiefern es irgendeine Bedeutung hat, ob der Teil der Saite, der sich hinter dem Steg befindet, in irgendeinem harmonischen Verhältnis zum Grundton schwingt. Träg die Frequenz dieses kurzen Stück Saite nicht auch zur Reinheit / Unreinheit des Tones bei? oder schwingt es da hinten nur so schwach, dass man das gar nicht hört?
Falls man das ggf, hört, gibt es Klavierstimmer, die da auch für halbwegs klare Verhältnisse sorgen?
 
@OE1FEU , danke für das Video. Scheint ja recht aufwendig zu sein, wird dann wohl beim Bösendorfer ähnlich sein. Gehört vermutlich dann nicht zum Standardumfang einer Konzertstimmung, da durchzugehen?
 

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