G
Gomez de Riquet
Guest
Guten Abend!
Ich bin kein Cineast. Aber wenn ein mir besonders nahestehender Komponist Titelfigur eines Spielfilms wird -
und Mahler ist mir einer der liebsten, seine Musik hat mich heil durch die Pubertät gebracht -
dann zieht es mich ins Kino, am besten gleich in die Premiere.
Mahler ist auf der Kinoleinwand ja kein ganz Unbekannter. Den Erstkontakt hatte er 1971 mit Viscontis Verfilmung
der "Tod in Venedig"-Novelle. Visconti modelliert die Hauptfigur geradewegs nach ihm, akustisch unterstrichen durch
den Dauereinsatz des Adagiettos aus der 5.Symphonie cis-Moll (wobei Visconti ein paar Kleinigkeiten übersieht,
z.B. daß Mahler, im Gegensatz zu Gustav von Aschenbach und dessen Erfinder Thomas Mann, manifest heterosexuell war).
1974 folgte Ken Russels "Mahler"-Film, eine verwirrende grelle Pop-Collage mit vielen Rückblenden
und surrealen Einlagen (z.B. in Gestalt der antisemitischen Cosima Wagner als peitschenschwingender Domina) -
ein Film, der mehr über die Mahler-Rezeption britischer Intellektueller der 70er Jahre aussagt als über Mahler selbst.
Nun also Percy Adlon - älteren Forumsmitgliedern bekannt als Regisseur des Films "Out of Rosenheim" -,
der hier zusammen mit seinem Sohn Felix sowohl das Drehbuch verfaßt als auch Regie geführt hat.
Der Titel - "Mahler auf der Couch" - darf wörtlich genommen werden. Biographischer Hintergrund:
1910 befanden sich die Mahlers in einer Ehekrise. Alma betrog ihren Ehemann mit ihrem künftigen zweiten Ehemann,
dem künftigen Bauhaus-Architekten Walter Gropius. Für Mahler war es eine Existenzkrise.
Er bat Sigmund Freud telegraphisch um Hilfe, die beiden trafen sich in der holländischen Stadt Leiden(!),
wo Freud Mahler mit einer Blitzdiagnose wenn schon nicht zu heilen, so doch zu stabilisieren vermochte -
er diagnostizierte bei Mahler eine auf seine Ehefrau übertragene Mutterbindung
und per Ferndiagnose gleich noch bei Alma eine auf ihren Mann übertragene Vaterbindung.
Der Film nutzt Mahlers Schilderungen in der Analyse-Sitzung als ideale Möglichkeit, das Geschehen
durch Rückblenden zu veranschaulichen. Anfangs dachte ich mir: Was für eine Schmonzette!
Aber im Lauf der Zeit gefiel mir der Film immer besser. Es gibt originelle Einlagen darin, quasi-dokumentarische Einschübe,
in denen Figuren aus dem Umfeld des Ehepaares Mahler ihre Sicht der Dinge kundtun: Carl Moll und seine Frau,
Klimt, Zemlinksy etc., und zwar mit direktem Blick in die Kamera. Das erinnert an gewisse Woody Allen-Filme.
Das Spiel der beiden Hauptdarsteller - Johannes Silberschneider als Gustl, Karl Markovics als Siggi - gefiel mir.
Die großartige Eva Mattes hat leider nur eine Nebenrolle.
Der Film ist also ganz nett. Puristische Mahler-Liebhaber können sich freuen, daß fast jedes Detail aus dem Privatleben der Mahlers
so korrekt wiedergegeben wird, wie es die Textquellen bezeugen. Aber das brave Nachspielen biographisch bezeugter Details
ergibt noch keine plausible Filmhandlung, und das scheint mir das Problem von Adlon senior und junior zu sein:
Sie deuten unterschiedliche Lesarten an - die feministische: arme Alma wird von egozentrischem Künstler unterdrückt,
oder die eher traditionelle, vom romantischen Geniekult geprägte: brave Alma geht in der Kunst ihres Mannes auf -,
können sich aber für keine der beiden Lesarten entscheiden.
Bleibt lobend zu erwähnen, daß als leitmotivisch wiederkehrende Musik nicht das Adagietto aus der 5.Symphonie,
sondern das Adagio Fis-Dur aus der unvollendeten 10.Symphonie den Film untermalt,
manchmal der vollständige Orchestersatz, manchmal auch nur einzelne Stimmen daraus -
insofern passend, als Mahler versucht hat, in dieser Musik seine Ehe- und Existenzkrise zu verarbeiten.
Gruß, Gomez
Ich bin kein Cineast. Aber wenn ein mir besonders nahestehender Komponist Titelfigur eines Spielfilms wird -
und Mahler ist mir einer der liebsten, seine Musik hat mich heil durch die Pubertät gebracht -
dann zieht es mich ins Kino, am besten gleich in die Premiere.
Mahler ist auf der Kinoleinwand ja kein ganz Unbekannter. Den Erstkontakt hatte er 1971 mit Viscontis Verfilmung
der "Tod in Venedig"-Novelle. Visconti modelliert die Hauptfigur geradewegs nach ihm, akustisch unterstrichen durch
den Dauereinsatz des Adagiettos aus der 5.Symphonie cis-Moll (wobei Visconti ein paar Kleinigkeiten übersieht,
z.B. daß Mahler, im Gegensatz zu Gustav von Aschenbach und dessen Erfinder Thomas Mann, manifest heterosexuell war).
1974 folgte Ken Russels "Mahler"-Film, eine verwirrende grelle Pop-Collage mit vielen Rückblenden
und surrealen Einlagen (z.B. in Gestalt der antisemitischen Cosima Wagner als peitschenschwingender Domina) -
ein Film, der mehr über die Mahler-Rezeption britischer Intellektueller der 70er Jahre aussagt als über Mahler selbst.
Nun also Percy Adlon - älteren Forumsmitgliedern bekannt als Regisseur des Films "Out of Rosenheim" -,
der hier zusammen mit seinem Sohn Felix sowohl das Drehbuch verfaßt als auch Regie geführt hat.
Der Titel - "Mahler auf der Couch" - darf wörtlich genommen werden. Biographischer Hintergrund:
1910 befanden sich die Mahlers in einer Ehekrise. Alma betrog ihren Ehemann mit ihrem künftigen zweiten Ehemann,
dem künftigen Bauhaus-Architekten Walter Gropius. Für Mahler war es eine Existenzkrise.
Er bat Sigmund Freud telegraphisch um Hilfe, die beiden trafen sich in der holländischen Stadt Leiden(!),
wo Freud Mahler mit einer Blitzdiagnose wenn schon nicht zu heilen, so doch zu stabilisieren vermochte -
er diagnostizierte bei Mahler eine auf seine Ehefrau übertragene Mutterbindung
und per Ferndiagnose gleich noch bei Alma eine auf ihren Mann übertragene Vaterbindung.
Der Film nutzt Mahlers Schilderungen in der Analyse-Sitzung als ideale Möglichkeit, das Geschehen
durch Rückblenden zu veranschaulichen. Anfangs dachte ich mir: Was für eine Schmonzette!
Aber im Lauf der Zeit gefiel mir der Film immer besser. Es gibt originelle Einlagen darin, quasi-dokumentarische Einschübe,
in denen Figuren aus dem Umfeld des Ehepaares Mahler ihre Sicht der Dinge kundtun: Carl Moll und seine Frau,
Klimt, Zemlinksy etc., und zwar mit direktem Blick in die Kamera. Das erinnert an gewisse Woody Allen-Filme.
Das Spiel der beiden Hauptdarsteller - Johannes Silberschneider als Gustl, Karl Markovics als Siggi - gefiel mir.
Die großartige Eva Mattes hat leider nur eine Nebenrolle.
Der Film ist also ganz nett. Puristische Mahler-Liebhaber können sich freuen, daß fast jedes Detail aus dem Privatleben der Mahlers
so korrekt wiedergegeben wird, wie es die Textquellen bezeugen. Aber das brave Nachspielen biographisch bezeugter Details
ergibt noch keine plausible Filmhandlung, und das scheint mir das Problem von Adlon senior und junior zu sein:
Sie deuten unterschiedliche Lesarten an - die feministische: arme Alma wird von egozentrischem Künstler unterdrückt,
oder die eher traditionelle, vom romantischen Geniekult geprägte: brave Alma geht in der Kunst ihres Mannes auf -,
können sich aber für keine der beiden Lesarten entscheiden.
Bleibt lobend zu erwähnen, daß als leitmotivisch wiederkehrende Musik nicht das Adagietto aus der 5.Symphonie,
sondern das Adagio Fis-Dur aus der unvollendeten 10.Symphonie den Film untermalt,
manchmal der vollständige Orchestersatz, manchmal auch nur einzelne Stimmen daraus -
insofern passend, als Mahler versucht hat, in dieser Musik seine Ehe- und Existenzkrise zu verarbeiten.
Gruß, Gomez
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