Das System der "Stimmungen" – wer erklärt es mir?

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Tinnitus

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27. Sep. 2022
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Liebe Freunde des resilienten Elfenbeins,

ich wende mich heute mit einer Musiktheorie-Frage an euch.
Im Schulunterricht, Fach Musik, wurde dereinst (vor ca. 15 Jahren) auch das Thema Stimmungen besprochen.
Leider bin ich daraus absolut nicht schlau geworden.
Ich bilde mir ein, es ging um das System, wie sich aus Schallschwingungen bestimmter Frequenzen "unser" tonales System mit zwölf Stufen innerhalb einer Oktav bilden lässt.
Weiters bilde ich mir ein, dass dort unterrichtet wurde, es gäbe verschiedene historische Ansätze für diese "Stimmungen", die aber alle verworfen wurden, als sich – ich sag mal ganz plum – "Fixtoninstrumente" durchsetzten; ansonsten müsste man z. B. jedes Klavier neu stimmen, wenn man die Tonart ändert.
Und ebenso – aller guten Dinge sind drei – glaube ich verstanden zu haben, dass mit dem "modernen Stimmungssystem" zwar Instrumente wesentlich interkompatibler geworden sind, gleichzeitig aber von der Melodik her kein Unterschied mehr innerhalb der Dur- bzw. Moll-Tonarten wahrgenommen werden kann.

Sprich, habe ich eine Melodie in Dur und transponiere sie in eine andere Dur-Tonart, so merkt man zwar dass der Melodieverlauf rauf- oder runtergeht, der "Charakter", die "Blume" der Musik ändert sich aber nicht.

Meine Frage nun:
Kann mir irgendjemand dieses System erklären?
Wenn Willy Tanner zu Alf sagt, er solle in seinem Liebeslied an Rhonda lieber F-Dur wählen, da dies emotionaler klänge, hat das aus musikalischer Perspektive Hand und Fuß?
Oder ist es im Grunde vom Klangergebnis her egal, welche Tonart gewählt wird?

Liebe Grüße
der Tinnitus
 
Wenn Willy Tanner zu Alf sagt, er solle in seinem Liebeslied an Rhonda lieber F-Dur wählen, da dies emotionaler klänge, hat das aus musikalischer Perspektive Hand und Fuß?
Oder ist es im Grunde vom Klangergebnis her egal, welche Tonart gewählt wird?
Irgendwo hier im Forum gibt es eine Diskussion darüber, die kein endgültiges Ergebnis hat. Kurz zusammengefasst: Bevor es die wohltemperierte Stimmung gab, konnte man einer bestimmten Tonart tatsächlich einen mehr oder weniger stark ausgeprägten Charakter zuordnen. Mit der wohltemperierten Stimmung verschwand zwar der individuelle Charakter der Tonarten, aber es hatten sich bereits bestimmte Konventionen herausgebildet, u.a. forciert durch theoretische Schriften zu Tonartencharakteristiken wie die von Mattheson. Und diese trugen sich z.T. über Generationen hinweg fort, sodass z.B. C-Dur eine andere Konnotation hat als z.B. F-Dur. Das Klanggedächtnis kann sich zudem
bestimmte Tonarten merken und bringt diese mit bestimmten Charakteren von Musikstücken in Verbindung.

Ein weiterer wichtiger Faktor ist, dass bestimmte Instrumente eine bestimmte Atmosphäre erzeugen. Und manche Tonarten liegen für bestimmte Instrumente besser als andere, sodass z.B. Bb-Dur von Schumann in seinen Waldszenen gerne genutzt wurde, weil Bb-Dur mit dem Klang von Waldhörnern assoziiert werden kann.
 
Tonarten haben auch heute unterschiedlichen Charakter. Das liegt u.a. daran, dass Akkord-Voicings in unterschiedlichen Tonarten unterschiedlich klingen (je nachdem ob sie höher oder tiefer erklingen) bzw. man je nach Tonart, um die angestrebte Klanglichkeit zu erreichen, andere Voicings (z.B. andere Umkehrungen) verwenden muss.

Einfaches nachvollziehbares Beispiel für Anfänger: Spiele in der kleinen Oktave einen C-Dur-Dreiklang in Grundstellung. Klingt OK, ne? Dann spiele etwas tiefer (also in der großen Oktave) einen G-Dur-Dreiklang in Grundstellung. Klingt schon irgendwie zu "grummelig", right? (Nein, Beethoven und Brahms waren da speziell, die sind kein Argument, dieses tiefe Voicing zu verwenden.) Das gleiche Voicing einfach eine Oktave höher gespielt lässt es jedoch bereits an Bass vermissen, auch nicht so gut. Daran hört man also, dass man eine Begleitung in G-Dur anders voicen würde als in C-Dur, mithin der Sound des gleichen Songs je nach Tonart unterschiedlich ist.
 
Ich glaube, da verwechselt Du etwas, liebes @hasenbein ! Bei einer gleichschwebenden Stimmung macht es für den (Nicht-Absoluthörer) klanglich keinen Unterschied, ob auf einem Instrument mit festen Tonhöhen das Stück in F-Dur oder Fis-Dur erklingt: Die Intervallverhältnisse sind immer gleich. Was das von Dir beschriebene Voicing angeht, macht es allerdings in der Tat schon einen Unterschied, ob das Stück eine Quint höher oder tiefer gespielt wird. Im Baß erklingt ein Akkord in enger Lage halt wesentlich kompakter, als wenn er eine Quint oder eine Okrtav höher gespielt wird. (Aber ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.)
 
Dann sag das doch!
 
Habe ich gesagt - Du hast es nur irgendwie falsch aufgefasst.
 
Dann ist es ja gut, daß wir darüber geredet haben.
 
Ich find's immer lustig, dass so sehr viele Musiker sich die Ohren fett zukleistern, sobald von Tonartencharakteristik die Rede ist - nämlich mit dem grottigen Argument, in einer mathematisch gleichstufigen Temperatur (12te Wurzel von 2) könne es keine Tonartencharakteristik geben. Und dennoch gibt es Leute, die das Gegenteil erleben.

Man braucht nicht einmal Konventionen (Dreiklangsthemen sind meistens Es-Dur usw.) zu bemühen. Es gibt so viele Möglichkeiten, aus der gehörten Musik die Tonart zu erfühlen. Allein, dass jede Tonart unterschiedlich im eigenen Körper sitzt (so verstehe ich @hasenbein) Dass die Instrumente in unterschiedlichen Tonarten anders klingen.

Hat gedauert, dass Synästhesie (Farbenhören usw.) ernst genommen und erforscht wird (seit ca. zwanzig Jahren). Bei den Charakteristiken von modernen Tonarten wird es wohl noch zehn-zwanzig weitere Jahre dauern, bis auch Musiker dieses Phänomen endlich akzeptieren...
 
Zuletzt bearbeitet:
Sprich, habe ich eine Melodie in Dur und transponiere sie in eine andere Dur-Tonart, so merkt man zwar dass der Melodieverlauf rauf- oder runtergeht, der "Charakter", die "Blume" der Musik ändert sich aber nicht.
Doch.
Meine Frage nun:
Kann mir irgendjemand dieses System erklären?
Vermutlich wirst Du Dir selbst alles zusammentragen müssen. Einiges scheinst Du ja verstanden zu haben.
Wenn Willy Tanner zu Alf sagt, er solle in seinem Liebeslied an Rhonda lieber F-Dur wählen, da dies emotionaler klänge, hat das aus musikalischer Perspektive Hand und Fuß?
E-Dur ist noch emotionaler. Wenn der Sänger nicht gerade ein (echter) Sopran ist, liegt E-Dur besser in der Gurgel.

Es hängt davon ab, wer singt. Ein guter Solosänger kann alle Tonarten singen - gleichzeitig merkt er aber auch die Unterschiede. Das spielt eine große Rolle, wenn ein Lied transponiert werden soll. Dumm einen Halbton oder einen Ganzton runtersetzen, klappt oft nicht, weil schlecht oder komisch singbar. Da gibt es viele kleinteilige Erfahrungswerte.
Oder ist es im Grunde vom Klangergebnis her egal, welche Tonart gewählt wird?
Nicht egal.
 

Anderes Beispiel: Wenn man eine Aufnahme des Coltrane-Quartetts hört mit einem dieser typischen modalen Stücke, bei dem McCoy Tyner immer wieder diese fetten Power-Quinten in der linken Hand reinhaut, weiß man, dass das Stück in c-moll oder d-moll ist, weil da die Quinten am fettesten klingen, ohne schon "grummelig" zu werden. (cis-moll ginge eigentlich natürlich auch, aber das ist eine ungewohnte Tonart für Jazzer.)
 
Sehr einleuchtend wird der Tonartencharakter, wenn man dem originalen Anfang der Mondscheinsonate (cis-moll) den Anfang der entsprechenden Heumann-Bearbeitung (d-moll) gegenüberstellt: Nur ein Halbton Unterschied, aber die Atmosphäre ist eine völlig andere.
 
Zuletzt bearbeitet:
Ich find's immer lustig, dass so sehr viele Musiker sich die Ohren fett zukleistern, sobald von Tonartencharakteristik die Rede ist -
Das ist mir bislang noch nicht widerfahren!
Ich kenne persönlich keinen Musiker, der die Unterschiede im Klang und in der Charakteristik der Tonarten in Frage stellt! Auch auf dem Klavier fühlen sich A-Dur und As-Dur komplett unterschiedlich an und das wussten ALLE Komponisten, die eine Beziehung zum Klavier hatten.
 
Das ist mir bislang noch nicht widerfahren!
Ich kenne persönlich keinen Musiker, der die Unterschiede im Klang und in der Charakteristik der Tonarten in Frage stellt! Auch auf dem Klavier fühlen sich A-Dur und As-Dur komplett unterschiedlich an und das wussten ALLE Komponisten, die eine Beziehung zum Klavier hatten.
Dann hast Du im Leben viel "Glück" gehabt.

Schon gut - ich treffe auch nicht jeden Monat einen Tonartenleugner. Einer meiner großen KL wollte es auch nicht wahrhaben... allerdings "gab" er gleich selbst "zu", dass B-Dur dunkler klinge als A-Dur, obwohl einklich höher.

Die Tonartenleugner finden sich aber massiv bei Musici von Alter Musik. Dass die natürlich bei jedem Viertelkomma in Verzückung gerathen, sey ihnen vergönnt, aber im kalten modernen mathematischen Tonsystem Farbigkeit zu verläugnen, ist irrig.
 
Man braucht nicht einmal Konventionen (Dreiklangsthemen sind meistens Es-Dur usw.) zu bemühen. Es gibt so viele Möglichkeiten, aus der gehörten Musik die Tonart zu erfühlen. Allein, dass jede Tonart unterschiedlich im eigenen Körper sitzt (so verstehe ich @hasenbein) Dass die Instrumente in unterschiedlichen Tonarten anders klingen.
Ich glaube, da hast du Hasenbein falsch verstanden. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe. Angenommen, ich nehme ein Klavierstück in A-Dur als Midi File auf. Dann transponiere ich es auf As-Dur. Beides lasse ich mit einem super Digitalpiano Klang abspielen. Glaubst du, dass du da eine andere Charakteristik wahrnimmst?
 
Mit der wohltemperierten Stimmung verschwand zwar der individuelle Charakter der Tonarten,
Nein.

Die "wohltemperierte Stimmung" ist nicht zu verwechseln mit der gleichschwebenden Stimmung.

Bachs WTK war auf die Werckmeister III Stimmung ausgelegt.

Diese , damals als "wohltemperierte Stimmung bezeichnet" hatte sehr wohl charakterlich sehr unterschiedliche Tonarten.

Durchgesetzt hat sich schlußendlich die gleichstufige Stimmung.

Aber auch die kann man nicht als charakterlos ansehen - man kann es zum Beispiel mal mit dem Regentropfenprelude ausprobieren; transponiert man diesen in As Dur, erscheint "der Regen" deutlich wärmen, hingegen in E - Dur, wird s schon arg frostig.
 
Angenommen, ich nehme ein Klavierstück in A-Dur als Midi File auf. Dann transponiere ich es auf As-Dur. Beides lasse ich mit einem super Digitalpiano Klang abspielen. Glaubst du, dass du da eine andere Charakteristik wahrnimmst?
Das ist exakt das, was in der Realität vernünftigen Musizierens nicht vorkommt und sinnfrei ist. Das in A-Dur gespielte Stück bleibt - musikalisch gesehen - in A-Dur auch wenn es mit technischen Hilfsmitteln nach As-Dur oder nach C-Dur versetzt wurde! Der Interpret hat in A-gespielt, jede Position, jeden Klang, schlicht alles in A-Dur gespielt und empfunden. Die Tonartencharakteristik, oder das, was davon in der gleichschwebenden Stimmung noch übrig ist, hängt am Vorgang des Spielens auf einem realen Instrument. Ich denke, dies gilt sogar in einem gewissen Umfang für Absoluthörer.
Wenn jemand die Etüde op. 10,1 von Chopin in Cis-Dur einübt und spielt, dann kommt aufgrund der völlig veränderten Situation auf dem Instrument eine Cis-Dur Etüde heraus, die mit der elektronisch von C-Dur nach Cis-Dur versetzten C-Dur Etüde nurmehr wenig zu schaffen hat.

Es ist allerdings zu befürchten, dass in naher Zukunft ein Pianist diese Etüde auch in Cis-Dur genauso glatt, wie in C-Dur spielen kann und damit eine Perversion schafft, die man nicht wirklich gut finden muss.

Auf den Streichinstrumenten ist diese Argumentation wegen der klanglichen Besonderheiten der leeren Saiten noch offensichtlicher!
 
Ich find's immer lustig, dass so sehr viele Musiker sich die Ohren fett zukleistern, sobald von Tonartencharakteristik die Rede ist - nämlich mit dem grottigen Argument, in einer mathematisch gleichstufigen Temperatur (12te Wurzel von 2) könne es keine Tonartencharakteristik geben. Und dennoch gibt es Leute, die das Gegenteil erleben.

Ich höre auch keinen 'prinzipiellen' Unterschied. Da empfinde ich Dein 'die Ohren fett zukleistern' schon als kleine Beleidigung.

Oder ist das lediglich eine Art Kritikimmunisierung? So wie:
"Wer die Überlegenheit des real existierenden Sozialismus nicht erkennt, ist hat sich nicht genug beim Denken angestrengt".


Hat gedauert, dass Synästhesie (Farbenhören usw.) ernst genommen und erforscht wird (seit ca. zwanzig Jahren).

Aber ... Du weisst, dass das nicht bei jedem gleich ist? Ich kenne z.B. zwei Leute, die Zahlen mit Farben assoziieren. Deren beide System sind total unterschiedlich.

Grüße
Häretiker
 
Ich glaube, da hast du Hasenbein falsch verstanden. Aber ich bin mir nicht sicher, ob ich dich richtig verstanden habe. Angenommen, ich nehme ein Klavierstück in A-Dur als Midi File auf. Dann transponiere ich es auf As-Dur. Beides lasse ich mit einem super Digitalpiano Klang abspielen. Glaubst du, dass du da eine andere Charakteristik wahrnimmst?

Bei einem Halbton ist in der Tat kein charakterlicher Unterschied feststellbar.

Joplins Entertainer zum Beispiel, kannst auch in H oder Des spielen - des merkst ned groß.

Transponierst Du diesen aber in G, so klingt er schon deutlich anders.
 

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