Beethoven - Der Beste, wenns ums Letzte geht

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Ich möchte wieder eine kleine Kontroverse starten :)

Es gibt auf der Homepage des britischen Guardian die Lectures von Andras Schiff. Er bespricht dort jede einzelne der 32 Beethoven-Sonaten (und in zeitlicher Nähe dazu gab es wohl auch den entsprechenden Konzertzyklus). Er hat also die 32 Sonaten in chronologischer Reihenfolge aufgeführt.

Ich bin nun beim Hören einer Lecture auf eine Aussage gestoßen, die ich sehr bemerkenswert fand, weil sie mir völlig neu war.

Zitat von Andras Schiff:
At last we have a movement in sonata form, high time! And what a fantastic movement it is. And here we can see, that... in retrospect, how wonderful the final movements of Beethoven are. We take this for granted, but look at almost all the great composers after him. Even with Schubert often, very often with Schumann, with Brahms. Wonderful works and you say "oh what a pity, the last movement is not really as good as the others." And never with Beethoven, he took very great care that... there is a balance in this sonata: the first two movements are counterbalanced by this incredible finale.
(17:35 - 18:32)

Meinungen bitte!

lg marcus
 
Hallo Marcus,

was Schiff da sagt, also dass Beethoven im Laufe seines Schaffens den Schwerpunkt immer mehr von den Kopfsätzen weg zum Finale gelegt hat, ist grundsätzlich bekannt. Besonders bei seinem Spätwerk (man schaue sich nur die letzten Sonaten oder Sinfonien an) wird das deutlich. Das dies auf die Komponisten nach Beethoven nicht mehr zutrifft kann ich nur bedingt nachvollziehen. Da könnte man bei Schumann zum Beispiel die erste Sonate oder die C-Dur Fantasie nennen, bei Schubert die Wanderer-Fantasie oder bei Brahms dessen erstes Klavierkonzert (dessen Finale ja bekanntlich durch Beethovens drittes Klavierkonzert inspiriert wurde). Was ist mit Szymanowski oder Prokofiev? Beide haben großartige Schlusssätze geschrieben, Chopin nicht zu vergessen. Natürlich gibt es Werke, auf die Schiffs Aussage zutreffen mag. Der letzte Satz aus Brahms zweitem Klavierkonzert konnte mich beispielsweise nie überzeugen, sicher wird man auch bei Schubert ober Schumann fündig, aber ob man das so verallgemeinern kann, ist für mich doch recht fraglich.

Viele Grüße!
 
bei konzertanten Werken, welche sich formal an das Sonatenschema anlehnen, geriet das Finale oft zum spielfreudigsten Abschnitt, gleichsam zum virtuosen Kehraus: das finden wir auch bei Beethoven, in seinen Instrumentalkonzerten; wo diese Abfolge (großer "ernster" Kopfsatz, sentimentaler langsamer Satz, virtuoser Kehraus) ein Abfallen der musikalischen Konzentration, auch des musikalischen Anspruchs mitbeinhaltet, kann man sicherlich leicht sagen: "da ist das Finale schwächer" - aber was, wenn das in der Absicht des Komponisten lag? kurzum: es bestand nicht zu allen Zeiten der "Zwang", eine zyklische Sonatenform als Steigerung (Finale als Höhepunkt in jeder Dimension, z.B. Beethoven op.106, 109-111), als durchgehende "Hochqualität" (z.B. Beethoven 5-7 Sinfonie) oder eben als "Anspruch-Sentiment-Kehraus" (Brahms 1. Klavierkonzert, Tschaikowski 1. Klavierkonzert u.v.a) zu gestalten.

Beethoven hat zu allen drei Ausprägungen gelungene Beispiele geliefert, andere Komponisten allerdings auch. Ein Novum vermag ich da in der als Anlass zitierten Textpassage nicht zu erkennen.
 
Hallo Marcus,

was Schiff da sagt, also dass Beethoven im Laufe seines Schaffens den Schwerpunkt immer mehr von den Kopfsätzen weg zum Finale gelegt hat, ist grundsätzlich bekannt. Besonders bei seinem Spätwerk (man schaue sich nur die letzten Sonaten oder Sinfonien an) wird das deutlich.
Ist ja interessant, dass ihr das Zitat beide auf diese Schwerpunktverlagerung hin zum letzten Satz bezieht. Ich lese den Satz absoluter, nämlich, dass bei Beethoven grundsätzlich der letzte Satz ebenso gut ist wie die anderen Sätze und dass dies bei späteren Komponisten nicht mehr so uneingeschränkt gelten kann. Als Beispiel mag man ja schon Op.2 Nr.1 anführen, das Prestissimo der f-moll Sonate. Aber was heißt das eigentlich, dass ein Satz "so gut ist, wie die anderen (vor ihm)"?

Zitat von rolf:
bei konzertanten Werken, welche sich formal an das Sonatenschema anlehnen, geriet das Finale oft zum spielfreudigsten Abschnitt, gleichsam zum virtuosen Kehraus: das finden wir auch bei Beethoven, in seinen Instrumentalkonzerten; wo diese Abfolge (großer "ernster" Kopfsatz, sentimentaler langsamer Satz, virtuoser Kehraus) ein Abfallen der musikalischen Konzentration, auch des musikalischen Anspruchs mitbeinhaltet, kann man sicherlich leicht sagen: "da ist das Finale schwächer" - aber was, wenn das in der Absicht des Komponisten lag?
Danke, rolf! So habe ich das noch nicht gedacht. Dass der Kopfsatz meist der musikalisch interessanteste und gedankenreichste Satz einer Sonate ist, kann man tatsächlich oft beobachten. Vielleicht meinte Schiff, dass diese Regel bei Beethoven öfter als bei anderen Komponisten nicht zutrifft und das Niveau durchgehend hoch ist.

Zitat von rolf:
Beethoven hat zu allen drei Ausprägungen gelungene Beispiele geliefert, andere Komponisten allerdings auch. Ein Novum vermag ich da in der als Anlass zitierten Textpassage nicht zu erkennen.
Wenn ich an nach-beethovensche Sonaten denke, fällt mir kaum ein Beispiel ein. Bei Chopin ist das Finale der dritten Sonate eher ein virtuoser Kehraus, das Finale der zweiten Sonate dagegen ein rätselhaftes Unikum. Die Sonaten von Schumann sagen mir generell wenig zu. Bei Schubert finde ich die letzten Sätze auch oft weniger interessant, sei es in der großen B-Dur Sonate oder der A-Dur Sonate (D.959).
An welche Beispiele denkst du?

lg marcus
 

Auch wenn ich mich hier wiederhole muss ich noch mal Szymanowski erwähnen. Seine Sonaten und Sinfonien, zumindest die jeweils ersten beiden sind mit klarem Schwerpunkt auf das Finale Ausgelegt und in ihrer Form durch Beethoven inspiriert. Die Schlusssätze der zweiten Sinfonie und der zweiten Sonate sind gewaltige Variationensätze mit einer Fuge zum Schluss, seine erste Sonate ist im Grunde ein einziges Variationen-Werk aus den beiden Themen des ersten Satzes. Auch hier ist der Schlusssatz der gewaltigste, auch wieder mit Fuge. Ein musikalisches Abflachen kann nicht festgestellt werden. Ist in Prokofievs zweitem Klavierkonzert der letzte Satz unbedeutender als die anderen?

Viele Grüße!
 
Wenn ich an nach-beethovensche Sonaten denke, fällt mir kaum ein Beispiel ein. Bei Chopin ist das Finale der dritten Sonate eher ein virtuoser Kehraus, das Finale der zweiten Sonate dagegen ein rätselhaftes Unikum. Die Sonaten von Schumann sagen mir generell wenig zu. Bei Schubert finde ich die letzten Sätze auch oft weniger interessant, sei es in der großen B-Dur Sonate oder der A-Dur Sonate (D.959).
An welche Beispiele denkst du?
Beethoven:
Finale (Rondo) als Nachhall (mehr Gewicht im Kopfsatz) op.13
Kopfsatz und Finale "auf gleicher Höhe": op.53, op.57
Finale als Höhepunkt: op.101, 110

in Brahms fis-Moll und f-Moll Sonate ist das Finale durchaus das Gegengewicht zum großen Kopfsatz (also "auf gleicher Höhe"), dasselbe gilt für Chopins h-Moll Sonate (die in b-Moll ist ein formales Unikat, hat eine gänzlich andere Konzeption)

merkwürdig, dass Schiff diese Bemerkung ausgerechnet zu op.27,2 gemacht hat, einer "Sonata quasi una Fantasia" [sic], deren Finale der eigentliche Sonatensatz ist ;)

ein Kehraus-Finale haben viele virtuose Instrumentalkonzerte, sei es für Klavier, sei es für Violine -- aber eine andere Frage stellt sich schon bzg. der traditionellen Form Kopfsatz-Adagio-(Menuett/Scherzo)-Rondo: kann die Rondoform, deren Anlage buntscheckiger als die konzentrierte Sonatensatzform ist, in Sachen formaler Stringenz mit dem Kopfsatz mithalten? Interessant ist, dass einige Komponisten das Rondofinale vermieden (z.B. Liszt, Skrjabin)
 
Bei Schubert finde ich die letzten Sätze auch oft weniger interessant, sei es in der großen B-Dur Sonate oder der A-Dur Sonate (D.959).

Da gehts mir ganz anders. Gerade bei diesen beiden Sonaten gefallen mir die Schlußsätze sehr gut. Auch bei der späten c-Moll-Sonate von Schubert. Aber ich glaube, dieses Thema hatten wir schon mal... ;)
 
...merkwürdig, dass Schiff diese Bemerkung ausgerechnet zu op.27,2 gemacht hat...

Ich glaube, Schiff meint wirklich alle Werke Beethovens. Er hätte ja "Never with the late Beethoven..." oder "Never with the sonatas of Beethoven..." sagen können, er klammert aber nichts aus und sagt einfach nur "Never with Beethoven...". Er schließt also auch das Rondo als minderwertige Form nicht aus (ist es ja auch nicht, wie Beethoven oft genug bewiesen hat, z.B. op.53). Somit kann ich seine Behauptung weniger als musikwissenschaftlich, sondern eher als subjektives Empfinden deuten da Rolf ja bereits ausgeführt hat, das Beethovens Werke unterschiedlich angelegt sind und der Schwerpunkt nicht immer auf dem Finale liegt. Hier tut er den Komponisten nach Beethoven doch sehr unrecht, da wurden ja schon einige Beispiele genannt. Wie gesagt geht es mir auch so, dass ich zum Beispiel den letzten Satz aus Brahms zweitem Klavierkonzert nicht mag weil ich ihn im Kontext unpassend empfinde, das sagt aber rein gar nichts über dessen Qualität aus, weil es eben nur mein subjektives Empfinden ist. Man kann Schumanns Sonaten mögen oder nicht, die letzten Sätze sind trotzdem nicht minderwertiger, als die anderen. Die erste Sonate ist ein schönes Beispiel für ein tolles Rondo. Brahms g-moll Trio hat ein wundervolles Finale, ebenso seine Sonate für zwei Klaviere op.34b, seine Solo-Sonaten wurden ja schon genannt. Auch an Schuberts Schluss-Sätzen habe ich nichts auszusetzen. Vielleicht brauch man solche Ansichten ja als Motivation, um wirklich alle 32 Sonaten durchzuspielen. :p

Viele Grüße!
 

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