Alter Flügel mit neuen Teilen - eine "Wundertüte"?

Marlene

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In diesem Thema steht folgendes:

Beim Bechstein wurde sehr viel erneuert - habe eine Auflistung vom verkäufer bekommen, wo alles drinnen steht. Das Geschäft hat jedoch keinen Klaviermacher, somit wurde der Flügel irgendwo gemacht und ein Teil vom Geschäft.

Daraufhin hat @OE1FEU konstatiert:

Da allerdings schrillen bei mir alle Alarmglocken.

Aufgrund der Rückfragen von @Jacqueline13 und mir dann dies:

Weil es dadurch zur Wundertüte wird - man weiß nicht, was drinsteckt. Klaviere haben sich in 130+ Jahren in vielerlei Hinsicht verändert und wenn man dem nicht Rechnung trägt, dann wird aus dem viel neu verbauten viel neu verbauter Murks, den zu richten dann doch viel Geld kostet.

Bei der Beschreibung dieses Blüthners, Baujahr 1894, steht das:

Neu: Saiten, Stimmwirbel, Hammerstiele, Hammerköpfe, Hebeglieder, Dämpfung, Lackierung, akustische Anlage bearbeitet, voll reguliert, intoniert, Aliquot-System, moderne Mechanik (Doppelrepetition), Klang typisch Blüthner, leicht singend, schwebend elegant.

Wissbegierig wie ich bin wüsste ich gerne:
Wie schafft es ein Klavierbauer bei so vielen Veränderungen dem Instrument wieder zu seinem in der Beschreibung genannten typischen Flügelklang zu verhelfen? Durch Intonation, Regulierung? Gemäß der Aussage von @OE1FEU dürfte dieser Blüthner vermutlich auch eine "Wundertüte" sein, oder?
 
@Marlene: sehr gutes und interessantes Thema :-) und sehr schöner Blüthner-Flügel! (selbes Baujahr wie mein auf der Liste stehender Bechstein)
 
Wissbegierig wie ich bin wüsste ich gerne:
Wie schafft es ein Klavierbauer bei so vielen Veränderungen dem Instrument wieder zu seinem in der Beschreibung genannten typischen Flügelklang zu verhelfen? Durch Intonation, Regulierung?
Möglich ist das schon. Es ist nur die Frage, was ich haben will: ein möglichst originales historisches Instrument mit möglichst wenigen „neuen“ Bauteilen (sozusagen ein gepflegter „Oldtimer“) oder einen alltagstauglichen Flügel, der den Charme des Alten mit der Modernen verbindet. Zudem: wir wissen zwar, wie ein alter Flügel heutzutage klingt. Aber wir wissen nicht, wie dieser Flügel geklungen hat, als er ein „neuer“ Flügel war. Resonanzboden, Filze, Saiten - all das ist einem Alterungs- und Verschleißprozeß ausgesetzt.
 
Wie schafft es ein Klavierbauer bei so vielen Veränderungen dem Instrument wieder zu seinem in der Beschreibung genannten typischen Flügelklang zu verhelfen?

Da kommt ja noch die Zusammenarbeit mit den Zulieferern hinzu - Klavierbauer weiß in der Regel welche Materialien ein Instrument braucht, hier sind dann die Firmen Abel, Hellerbaß, Renner usw. gefragt, daß richtige Material zu liefern.

Berstellt ein Klavierbauer aus umsatztechnischen Gründen, Billigware aus Fernost oder Ostblock, kann das Instrument vielleicht durchaus noch klingen, ist aber nimmer das selbe wie es einst war.
 
Bei diesem Thema musste ich an die Bechstein-Restaurierung denken, die ich vor ein paar Jahren auf YouTube mitverfolgt habe. Die Pianistin hat ihren alten Bechstein vor der Restaurierung sehr geliebt, aber es gab eben auch einige Sachen, bei denen er nicht so gut funktionierte. Dann hat sie ihn fachmännisch restaurieren lassen, und danach war sie nie mehr zufrieden damit. Bis sie sich dann letztendlich von ihrem geliebten alten Flügel getrennt hat:

 
Klavierbauer weiß in der Regel welche Materialien ein Instrument braucht, hier sind dann die Firmen Abel, Hellerbaß, Renner usw. gefragt, daß richtige Material zu liefern.

In den Flügel wurden Hebeglieder, Hammerköpfe, Hammerstiele etc. von Renner eingebaut.

Bestellt ein Klavierbauer aus umsatztechnischen Gründen, Billigware aus Fernost oder Ostblock, kann das Instrument vielleicht durchaus noch klingen, ist aber nimmer das selbe wie es einst war.

Es sind also gute Materialien verbaut worden, es ist somit - wie @Cheval blanc schön formuliert hat - ein alltagstauglicher Flügel, der den Charme des Alten mit der Modernen verbindet.

Aber niemand weiß, wie der Flügel damals geklungen hat und ich weiß nicht, wie ein Aliquot-Flügel klingen sollte. Würde ich das Anspielen und den Kauf dieses/eines Blüthners in Betracht ziehen, dann ginge es für mich Unwissene darum, ob mir der Klang gefällt oder nicht.

Irgendwo im Forum hat meiner Erinnerung nach jemand geschrieben, dass man den Unterschied zwischen einem Flügel mit und ohne Aliquotsaiten nicht hören könne. In Anbetracht meiner in Kürze neuen Hörgeräte frage ich mich, ob ich damit den Unterschied doch hören könnte. Vielleicht "läuft" mir mal ein Blüthner mit Aliquotsaiten über den Weg der mir ermöglicht, das zu testen.
 
Aber niemand weiß, wie der Flügel damals geklungen hat und ich weiß nicht, wie ein Aliquot-Flügel klingen sollte. Würde ich das Anspielen und den Kauf dieses/eines Blüthners in Betracht ziehen, dann ginge es für mich Unwissene darum, ob mir der Klang gefällt oder nicht.
Letzteres ist doch für fast alle Privatmusiker/Instrumentenkäufer das einzige sinnvolle Kriterium: Gefällt mir das Instrument in dem Zustand, in dem es JETZT ist. Wenn ja -> Kauf. Wenn nein, dann nicht.

Irgendwo im Forum hat meiner Erinnerung nach jemand geschrieben, dass man den Unterschied zwischen einem Flügel mit und ohne Aliquotsaiten nicht hören könne.
Was "man" so alles kann...
Man-che können. Andere können nicht.

In Anbetracht meiner in Kürze neuen Hörgeräte frage ich mich, ob ich damit den Unterschied doch hören könnte. Vielleicht "läuft" mir mal ein Blüthner mit Aliquotsaiten über den Weg der mir ermöglicht, das zu testen.
Ich nehme stark an, dass die Qualität des Hörgeräts einen viel größeren Einfluss auf den von dir wahrgenommenen Klang hat, als es die Aliquotsaiten je könnten.
Das schließt natürlich nicht aus, dass du einen Unterschied hören kannst. Es gibt wohl nur einen Weg, das herauszufinden. ;-)
 
wenn die Hammerköpfe im Lauf der Jahre ein paarmal abgezogen wurden, ist das selbst aktuell bei originalem Material nicht mehr möglich.

Vor diesem Tag - der irgendwann zwangsläufig auf meinen Bechstein zukommen wird - habe ich Bammel.

Es gibt wohl nur einen Weg, das herauszufinden. ;-)

So ist es. :-)

Vielleicht "läuft" mir mal ein Blüthner mit Aliquotsaiten über den Weg der mir ermöglicht, das zu testen.
 
Wenn ich ... einen alten Blüthner wollte, dann einen mit Aliquot UND mit der Blüthner-Patent-Mechanik.

Patrick aus dem Emsland hat sowas, das ist sehr ansehnlich.

Die Blüthner-Mechanik rausreißen und gegen Standard-Renner umstricken kann man tun, aber man sollte sich zeigen !!! lassen, wie der Umbauer die Hebelei gerechnet hatte, und man sollte verstehen..., was er da tat - Stichwort Hammer-Anschlagpunkte, Stichwort Kräfte, Kraftdynamik, Auswiegung.

Ich bin nun kein Blüthner-Patent-Spezialist, also hier mal nur lästige Theorie:

1- Wenn die Hammer-Anschlagpunkte stimmen, aber die Hebelverhältnisse nicht, könnte das klangliche Ergebnis - bei Hämmern, deren Aufbau den Blüthner-Hämmern gleichkommen - OK sein, aber sich das Ergebnis uU. sehr eigenartig anfühlen, im Vergleich zu normalen Flügeln... Das könnte... zur Folge haben, dass man auch die Waagebalkenstifte längs der Tasten versetzen muss, also uU. auch einen modifizierten oder neuen Klaviaturrahmen erfordern. Das kostet, und das gewiss nicht schlecht.

2- Wenn die Hebeleiverhältnisse stimmen und auch die Auf- und Niedergewichte, aber die Hammeranschlagpunkte nicht..., dann wird der Klang vermutlich leiden.

Vielleicht weiß der Agraffentoni, wie es sich bei Blüthner-Umbauten verhält. Ansonsten würde ich mir das mal in einem Blüther-Flügel ausmessen und mit den exakten Maßen aller Saitenfelder mal zur Debatte stellen.

Eine ... Wahrheit wird sein, dass die Materialien, eine Blüthner Patent zu sanieren, zwar verfügbar sind, aber eine Größenordnung teurer sein mögen. Daher der Verdacht, dass der Sanierer uU. primär sparen wollte?

Letztlich hat man dann einen Hybriden, es ist kein echter Blüther-Aliquot-Patent mehr, wird das auch nicht, und es ist noch kein Bösendorfer-Bechstein-Steinway-Steingraeber etc.

Ist übrigens der gleiche Vorwurf, den ich erhebe, wenn ich mal richtig mitbekam, wie die New Yorker alte "C-Flügel" vor 1886 "sanierten"; in der Ära, als Bill Youse das Geschäft organisierte und die Sanierflügel der Kunden in der normalen Produktion mitschwimmen sollten. Die haben (laut Auskennern der "freien" Flügelsanierer, also Konkurrenten...) neuere C-227-Flügel-Soundboards am Rand kleiner befräst, damit sie reinpassten - OK..., aber die haben die alten Rippenpositionen nicht wieder getroffen oder hergestellt, sondern für die neueren und anderen Rippenpositionen des C-227 dann neue Taschen (neben die alten) in den Rim eingebracht ...

Dabei sind just die ollen Vor-C-227-Soundboards himmlische Ware gewesen, die man m.b.M.n un-be-dingt hätte erhalten sollen, wann immer es geht, aber DAS ist eben exakt gegen die Steinway-Philosophie des Sanierens... Schade, das. Das ist dann Steinway mit Steinway-Teilen saniert, das gibt das Finanzierungstechnische nützliche "100 percent Steinway" Certificate, für z.B. all die schlauen Bankster, die die Kohle nichht bar haben, also sich die Sanierung finanzieren lassen wollen..., aber es ist dann ein Hybrid - und bis ich so einen mal würde spielen können, wäre ich IMMER - EXTREM - SKEPTISCH für das Ergebnis, weil ich die Originale kenne.

Ich habe mehrere dieser Parlor Grands gespielt, bei sehr unterschiedlicher Spielmechanik (von Erste Sahne bis absolut grottig) war der Klang ... der alten Teilchen immer sehr kostbar.
Seither bin ich, wie OE1FEU, skeptisch bei Umbauten.
 
Zuletzt bearbeitet:

Vielleicht "läuft" mir mal ein Blüthner mit Aliquotsaiten über den Weg der mir ermöglicht, das zu testen.

Heute ist es passiert, das gute Stück war recht alt.

Wenn ich ... einen alten Blüthner wollte, dann einen mit Aliquot UND mit der Blüthner-Patent-Mechanik.

Vermute ich es richtig, dass man die Blüthner-Patent-Mechanik nur erkennen kann, wenn die Mechanik rausgezogen wird?
 
das sehr leichtgängig und gleichmäßig ist.
Wenn die Mechanik gleichmäßig ist, wurde sie gut reguliert. Das gilt generell.

Auch eine vollenglische Mechanik kann sehr leichtgängig sein.

In der Zeit, in der Blüthner die Patentmechanik eingesetzt hat, waren die Mechaniken generell etwas leichter.

Möglich, dass die Patentmechanik tendenziell leichter ist, aber als verlässliches Unterscheidungsmerkmal taugt das nicht. Lieber ein paar Sekunden ins Instrument schauen.
 
Man muss nur die Tastenklappe ein bisschen runterklappen unter drunter her lugen. Wenn man da Drähte erkennen kann, ist es eine Patentmechanik.
Übrigens: Blüthner selbst hat auf besonderen Wunsch auch "normale" Doppel-Repetitionsmechaniken ab Werk eingebaut. Allerdings haben diese ziemlich kurze Tastenhebel.
 
Wer sagt denn, dass der besagte Blüthner nicht von vornherein eine solche Doppel-Repetitionsmechanik hatte? Leider sieht man auf den Fotos die Mechanik nicht, sonst könnte man das prüfen.

Mein eigener Blüthner von 1907 hat ebenfalls so eine "moderne" Mechanik ab Werk, weshalb ich mich schon länger damit beschäftige, welche Besonderheiten diese Konstruktion hat und wie sie sich von dem heute üblichen Mechaniken unterscheidet. Zum Vergleich sammle ich fleißig Bildmaterial unrestaurierter Originale.

Unter anderem haben die Hammerstiele keine Röllchen, sondern integrierte Nocken. Weshalb Blüthner das so konstruiert hat, entzieht sich meiner Kenntnis - aber wenn die "Wundertüte" ebenfalls solche Hammerstiele hat, dann hat sich der Restaurator schon Gedanken gemacht. Anbei Bilder dazu - eines zeigt meine restaurierte Mechanik, andere zeigen originale Doppel-Repetitionsmechaniken unrestaurierter alter Blüthner-Flügel.

Übrigens: Blüthner selbst hat auf besonderen Wunsch auch "normale" Doppel-Repetitionsmechaniken ab Werk eingebaut. Allerdings haben diese ziemlich kurze Tastenhebel.
Was genau meinst Du damit?
 

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Beim Bild 3157 sieht man klassisch die Erard-Hertz-Repetition in dem markanten Dreiecks-Rähmchen. Im Gegensatz zum Dreiecksrähmchen ist die Blüther-Mimik eher T-förmig. Platzsparend. Was im Falle, dass sie umzubauen sei auf Erard-Hertz, dann Probleme von bissele wenig Platz machen wird.

Man mache sich die simple Dreifaltigeit der Tastenmimik klar.
* Unten Taste,
* oben Hämmerchen,
* und dazwischen irgendwas Schlaues, genannt "Repetition", was die Kraft von unten nach oben trägt.

Beim Screenshot 231 schwummert es mir... Der Abstand von Finger / Taste zu Waagebalken ist für meine Begriffe verflixt kurz... Entscheidend ist auch tasten-längs dahinter - die Frage, in welchem Abstand vom Waagebalken sitzt die Pilotenschraube (oder der Gelenkstößel...), der die Repetition hochtreibt?

Der Screenshot 201 sieht nach vielem entleimten Hammerfilz aus, und nach sehr viel Arbeit... bis die Karre wieder flott ist.

Im Generellen sieht man alls Relevante tatsächlich erst, wenn man mal einen Satz Hämmerchen hochschwenken konnte - das wiederum geht ja leider eben nur, wenn die Mech rausgezogen ist. Solange man nicht etwas Oberschlägiges hat ... - was aber extrem ungewöhnlich ist... und hier nur Bildungsprotz ist... :-P

Und hier für alle suuper duuper Neugierigen plus Mutigen..., die jieperig sind auf das Rausziehen - auch wenn der Griff des Klaviermachers in die "Schublade" zum Rausziehen so simpel aussieht - das ist es recht oft nicht. Man muss ganz genau wissen, was alles abzubauen ist, und, ob man das Haltepedal treten muss oder nicht, und was ist los mit dem Sostenuto-Pedal... Also, wenn keine Ahnung, dann bitte bitte nicht drauflosschrauben, sonst Unglücksgefahr. Entweder Hammerkopfabriss..., oder sei es, dass man vergisst, beim Wiederreinschieben auf den letzten 5 cm das Haltepedal mit dem Schwenkbrett drinnen zu liften, damit die Tastenenden unter die Dämpferhebel packen können und nicht - viel zu früh das Hereinschieben zu limitieren - nutzlos davor stoßen ....

Bei meinem Flügel weiß ich, was los ist, nachdem ich in Hannover beim Kauf und dann hier beim Klaviermacher selig genau zugucken konnte, was geht beim Klaviaturziehen Aber an Steinways mit Sostenuto späterer Baujahre traue auch ich mich nicht ran, weil da mit dem Sos irgendwas spezielles ist, und ich erstmal meine Max-Matthias-Service-Bibel befragen müsste, vor ... einem mutigen Schubladenzug.

Also, kurz:
bei Keine Ahnung FINGA BESSA WECK... :-P
 
Danke für diese interessanten Gedanken. Instinktiv hatte ich mich bislang beherrscht, selbst an der Mechanik herumzuzupfeln. Jetzt weiß ich auch, warum das richtig war und weiterhin richtig ist.
 

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