möchtest du deinen Schülern die Fähigkeit absprechen, dass diese nach 2-3 Jahren Unterricht nicht in der Lage sind die Grundlagen einem Anfänger bei zu bringen?
Auch während meines Studiums war es normal, dass Studienarbeiten der Erstsemester von höheren Semestern betreut worden sind. Selbst Vorlesungen im Grundstudium wurden teilweise von Studentischen Hilfskräften abgehalten.
Hier werden zwei Dinge vermischt. Der Klavierunterricht fängt meistens mit weniger Hintergrundwissen des Schülers an, als ein Studium, in dem oben genannter Fall auftritt. Vieles "muss" man da schon können bzw. hat es in der Schule gelernt: Sicher mit Sprache umgehen, Dateien ordentlich formatieren, zitieren, sich Wissen aneignen, die eigenen Gedanken strukturieren, Wissen suchen. "Nur" der Inhalt ändert sich: Man lernt inhaltlich und thematisch etwas Neues, wendet die bereits angelegten Fähigkeiten darauf an und erweitert sie. Es ist eine überwiegend geistige Tätigkeit (Wissen anhäufen, Zusammenhänge erkennen, Denkprozesse üben, kreatives Denken üben usw.)
Klavierspielen beginnt mit unterschiedlichem Vorwissen: Fünfjährie haben manchmal gar keines, wenn sie bisher nicht gesungen oder viel Musik gehört haben. (Aber auch hier kann man auf bereits Gekonntes zurückgreifen, nämlich das Sprechen und sich Bewegen, bei älteren auf das Schreiben / Leserichtung usw.)
Bei Älteren geht der Kenntnisstand schon viel weiter auseinander, je nach Erfahrung aus der Schule, Singen, andere Instrumente, bestimmte Sportarten, Tanzen usw. usw.
Dennoch: Das Klavierspielen verbindet hochkomplexe motorische mit geistigen Fähigkeiten und verlangt Wachheit in vielen Sinnen. Ähnlich übrigens wie beim praktizierenden Arzt: Man kann auch nicht in zwei Jahren Herzchirurg werden, sondern braucht Anleitung von jemandem, der das schon länger durchführt.
Hier passt vielleicht das vielzitierte
Höhlengleichnis. Man kann nach zwei Jahren Unterricht überhaupt nicht überblicken und einschätzen, was man alles noch nicht kann, sieht und hört. Das macht es auch so schwierig, einen guten Klavierlehrer zu erkennen, denn man weiß gar nicht, was der einem eigentlich beibringt. Diese Erkenntnisse kommen manchmal sofort, aber manchmal auch erst Jahre oder Jahrzehnte später.
Wenn ein Kind Zugang zu einem Instrument findet weil der Nachbar ihm die ersten Schritte zeigt spricht da doch überhaupt nichts dagegen. Besser wie wenn das Kind nie zur Musik findet. Und lieber später Fehler ausbügeln als dass es nie zu diesen Fehlern kommt.
Das ist natürlich richtig. Wenn die Wahl steht zwischen "Kind spielt nie Klavier" und "Kind spielt mit Fehlern" wäre der zweite Fall zu bevorzugen. Aber er ist nicht das Ideal und auch nicht gleichzustellen mit einem guten Unterricht von Anfang an.
@chiarina hat dazu einen sehr, sehr, sehr guten und richtigen und gut erklärenden Beitrag geschrieben.
Ganz genau darum geht es. Wozu auch sich noch weiter anstrengen, wenn man sowieso keine echte Chance hat.
Die große Frage ist doch: Chance auf was? Chance auf einen Gewinn beim Tschaikowsky-Wettbewerb? Vermutlich nicht. Chance auf Freude und Spaß am Klavierspielen? Die hat jeder, der einen inneren Zugang zum Instrument findet, was natürlich mit einem guten Unterricht deutlich leichter fällt.