Klassik und freies Klavierspielen - Geht das überhaupt?

Ist es da überhaupt sinnvoll, die Musik verstehen zu wollen? Oder muss man sie nicht eher fühlen und über die eigene Gefühlswelt eine ganz eigene Interpretation erschaffen, die - möglicherweise - mit der Absicht des Komponisten überhaupt nichts zu tun hat?
Im Theater und Musiktheater wird das schon seit langem praktiziert. Mit dem Ergebnis, daß das Publikum in Scharen davonläuft.
 
Ach so, das meinst Du mit Verstehen. Von der Logik her, von der Struktur, der Harmonielehre etc. her. Ja, das geht natürlich. Ich hatte das anders verstanden. Innerlich verstehen, nicht analytisch.
Innerlich verstehen meinte ich. Es ist logisch. Wenn ein Motiv 2 mal kommt und dann wird es in Oktaven verdoppelt und mit staccatopunkt versehen und drunter steht Forte, dann wird auch der Letzte hoffentlich raffen dass hier kein zärtliches Schlummern gemeint ist.

Aber da der Notentext nur eine Empfehlung ist und eine Idee für einen beliebig verwendbaren Tonvorrat, kannst du natürlich daraus auch ein lyrisches Schlummern machen. Das nennt man da wohl künstlerische Freiheit. Wenn z.B. grad die Waschmaschine kaputt ging, kann man sein betrüben so äußern.
 

Aber da der Notentext nur eine Empfehlung ist und eine Idee für einen beliebig verwendbaren Tonvorrat, kannst du natürlich daraus auch ein lyrisches Schlummern machen. Das nennt man da wohl künstlerische Freiheit. Wenn z.B. grad die Waschmaschine kaputt ging, kann man sein betrüben so äußern.
Problem gelöst 🤷🏼‍♀️
 
Ich hatte das anders verstanden. Innerlich verstehen, nicht analytisch.
Musik ist Sprache. Du würdest nie bezweifeln ob du die Stimmung etc. eines anderen Menschen anhand des Tonfalls erkennen kannst oder nicht, selbst wenn du die Sprache nicht sprichst. Warum hältst du es für abwegig das in der Musik erkennen zu können? Dafür brauchst du nur dem Text genau(!) zu folgen und die ganzen Details zu betrachten. Aus denen ergibt sich wie es klingen soll, dann kapierst du auch was dahinter steht. Wenn du vorsätzlich dein eigenes Ding draus machst, dann verpasst du halt den Inhalt. Schade für dich.
 
Auch wenn das sehr häufig so forumuliert wird, bezweifle ich es doch. Musik ist Musik und Sprache ist Sprache und Malerei ist Malerei ...

Sprache ist für mich wesentlich universeller einsetzbar als Musik. So dürfte ein Kochrezept oder die Relativitätstheorie wohl kaum in Musik formulierbar sein. Demgegenüber lassen sich z.B. Affekte in der Musik ganz anders und ausdrücken oder hervorrufen als Sprache dies vermag.
 
Wenn man nur nach Noten das nachspielt, was jemand anderer komponiert hat, erweitert man seinen Horizont mehr? Da ist man doch nur der Imitator bzw. der Nutznießer der Kreativität eines anderen. Hat Chopin nie seine eigenen Sachen gespielt oder Mozart oder Beethoven oder Liszt oder Brahms? Immer nur das, was andere komponiert haben? Ich glaube nicht. 😉
Auch hier gebe ich dir den Hinweis, nicht nur die Extrempositionen zu sehen.
Weder soll man NUR Eigenes spielen, noch NUR das, was andere komponiert haben. Du machst hier eine unzulässige logische Umkehrung. Wer AUSSCHLIESSLICH eigenes spielt, mariniert in der eigenen Suppe. AUCH das von anderen zu spielen erweitert den Horizont mehr als NUR das Eigene.
 
Allerdings ist eben die Frage, wie @Lessamuk schon sagte, ob das überhaupt relevant ist, wenn es um einen Autor oder einen Komponisten oder einen bildenden Künstler geht.
Ja, meiner Ansicht nach ist das relevant, einfach deshalb, weil es zutiefst menschlich ist und ganz automatisch passiert, wo zwei (oder drei) Menschen - Künstler (, Komponist) und Rezipient - miteinander auf eine ganz spezielle Weise interagieren. Da entsteht eine Schwingung, die nur Kunst herbeizuführen vermag. Die Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass sowohl beim Künstler als auch beim Rezipienten die entsprechende Sensibilität und Schwingungsfähigkeit hierfür vorhanden sind. Ansonsten wird nicht verstanden, worum es hier geht.
 
Ob das wirklich Blödsinn war? Unter den gegebenen Zeitumständen? Und den sonstigen Umständen? Hatte es da nicht denselben Stellenwert wie das schöne Gedicht, von dem Du hier sprichst?. Dieselbe Originalität und Kreativität? Da gab es noch keine Tradition, die man hätte studieren können, und doch haben die Leute Geschichten erzählt, Musik gemacht, gemalt, geschnitzt, gebildhauert. Das wäre dann eigentlich gar nicht möglich gewesen. Jemand muss der Erste gewesen sein, damit andere das dann studieren konnten. Wenn sie das wollten. Und die ersten hatten keine Vorbilder, sondern das kam nur aus ihnen selbst.

Ich glaube nicht, dass Originalität NIE am Anfang steht und dass man IMMER aus einer Tradition lernen und sie nachahmen muss. Heutzutage ist das sicher in den meisten Fällen so, weil wir so viel Tradition haben, aber früher? Ganz früher? Als es noch keine Tradition gab? Ich muss die vorangegangenen Epochen nicht kennen, um ein gutes Gedicht zu schreiben oder eine Melodie zu erfinden, sie einfach vor mich hinzupfeifen.

Das ist doch ein No-Brainer, natürlich war die "erste Musik" revolutionär, aber heute eben nicht mehr. Und man kann nicht so tun, als wäre Musikgeschichte nicht passiert, das ist nunmal der Hintergrund, vor dem sich alles Neue messen muss.

Besonders die Melodie wird vermutlich nicht originell sein, weil es schon so viel Musik gibt. Auch das Gedicht eventuell nicht. Aber trotzdem kann ich es schreiben, ohne die Tradition zu kennen, aus mir heraus. Heutzutage gibt es praktisch keine Originalität mehr, weil wir schon so viele Generationen vor uns hatten, die praktisch schon alles durchexerziert haben, aber das heißt nicht, dass man alles kennen muss, um das überhaupt tun zu können. Nur dann, wenn man zum Beispiel in einem ganz bestimmten Stil schreiben, komponieren oder spielen will. Aber ich kann ja auch meinen eigenen Stil erfinden, ohne je irgendetwas von denen, die vor mir waren gehört oder gelesen zu haben. Unmöglich ist das nicht.

Es gibt keine "Erfindung" in der Kunst, nichts war eine "creatio ex nihilo". Eher ein winziger Übergang, aus der Tradition heraus zu etwas Neuem, was aber seine Vorbereitung eigentlich schon hatte. Es lässt sich so selten der Finger darauf legen und man sagt immer wieder so etwas wie "da steckte schon Picasso drin" bevor es Picasso gab, was ja nicht stimmen kann.
Und warum soll deine Erfindung nun etwas anderes sein, als was die Leute schon gemacht haben? Natürlich ist das unmöglich, weil man ohne Vorarbeit die gleichen "Fehler" macht, wie alle anderen auch. So wie auch der Fortschritt nicht von Individuen abhängt, sondern im Material veranlagt ist. Hätte es nicht Beethoven gegeben, dann jemand anderen, der den gleichen Fortschritt brachte, weil es an der Zeit war. Dann vielleicht nicht in genau derselben Ausprägung, aber doch nah verwandt.

Und das behaupte ich nicht aus einem Bauchgefühl heraus, sondern weil ich mich seit Jahren mit Ästhetischer Theorie beschäftige und kann dir auch gern Texte etc. empfehlen, aber ich habe eher das Gefühl, dass du deine Meinung behalten und ausbreiten möchtest, als dich mal kritisch mit der Sache auseinanderzusetzen.
 

Ich glaube nicht, dass Originalität NIE am Anfang steht und dass man IMMER aus einer Tradition lernen und sie nachahmen muss.

Dann überlege mal, wieviel Tradition in Deinem Klavier steckt!
Oktaven, Halbtöne, 12 Stück pro Oktave, ...

Egal, wie 'free' man auf dem Klavier spielt, man folgt schon automatisch einer Tradition,so es 'handelsüblich' gestimmt ist.

Grüße
Härtiker
 
Zuletzt bearbeitet:
Böse! Man schreibt also vor „wie“ frei man spielen darf. Eine Illusion von Freiheit, eine Bevormundung! Systemzwang!! Und dann lässt sich das nicht mal verhandeln 😁🙏

Du, ich hab das mal versucht mit meinem Schimmel auszudikutieren bei einer Problemkerze, aber irgendwie hört es einfach nicht zu.

Grüße
Häretiker

PS:
Ich muss dann wieder an die Kölner denken. :-)
 
Ich empfehle die Geige. Da ist man zumindest was die Tonhöhe angeht sehr viel freier ;-)
 
Ich komme noch einmal auf das Thema Klassik und freies Klavierspielen zurück...

Als das Klavier soweit entwickelt war das man darauf wirklich spielen konnte haben sich
die Tastenkünstler daran gesetzt und und ihre Orgel, Spinett und / oder Cembalo Stücke
darauf gespielt. Das ging auf den Original-Instrumenten viel besser.
Also haben sie es anders versucht: freies Klavierspielen. Es gab ja keine Stücke an denen
man sich üben konnte. Mit der Zeit wurden einzelne Stücke ausnotiert und populär, einige Künstler
fingen an für das Klavier zu komponieren ! Ohne Vorgaben von Kritikern. Was gefiel wurde von anderen
übernommem.
Leider waren dann einige der Meinung das diese "klassischen" Stücke der Sinn des Klavier spielens bzw.
des musizieren sind und jeder Schüler musste durch diese Schule.
In den Vereinigten Staaten bildenten sich sehr früh neue Musikstile heraus auf die die dortigen Pianisten
reagierten. Leider hatten sie oft keine klassische Ausbildung so das sie sich etwas einfallen lassen mussten,
sie spielten Ragtime, Jazz, Boogie Woogie, Rock'n Roll und Pop.
Ich selber spiele akustische Gitarre, und anfänglich etwas Keyboard. Mit diesen geringen Keyboardkenntnissen
habe ich zwanzig Jahre Keyboard und Klavier in einer Rock und Pop Kapelle gespielt, mittlerweile spiele ich
recht gut vom Blatt und auch frei auf meinem Flügel.

Um zum Ende zu kommen: die Extreme nur klassisch oder nur freies Spiel kann nicht Zielführend sein, damit
bleibt dem Musiker der Weg versperrt.
 
Als das Klavier soweit entwickelt war das man darauf wirklich spielen konnte haben sich
die Tastenkünstler daran gesetzt und und ihre Orgel, Spinett und / oder Cembalo Stücke
darauf gespielt. Das ging auf den Original-Instrumenten viel besser.
Also haben sie es anders versucht: freies Klavierspielen. Es gab ja keine Stücke an denen
man sich üben konnte. Mit der Zeit wurden einzelne Stücke ausnotiert und populär, einige Künstler
fingen an für das Klavier zu komponieren ! Ohne Vorgaben von Kritikern. Was gefiel wurde von anderen
übernommem.

Das halte ich für eine sehr fantasievolle, aber völlig unzutreffende Darstellung der Musikgeschichte für Tasteninstrumente.
 

Zurück
Top Bottom