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Mir fällt es ein bisschen schwer, meine Probleme/Fragestellungen in ein einziges klar umrissenes Thema zu fassen, aber ich probiers einfach mal ganz allgemein mit "Dynamik bei Beethoven". Ich habe es grob in 5 Punkte untergliedert, aber eigentlich hängt das alles irgendwie miteinander zusammen. Irgendwie aber auch nicht... ach lest einfach selber wenn ihr Lust habt.
1.
Vermutlich eine extrem einfach zu beantwortende Frage: Mir ist beim Üben und Noten lesen bei den 32 Sonaten aufgefallen, dass Beethoven an absoluten dynamischen Abstufungen nur pp, p, f und ff benutzt. Dazu kommen dann natürlich noch crescendi, decrescendi, sf, fp und dergleichen, aber es tritt z.B. nie ein mf oder mp auf. Ist das irgendwie Beethoven-spezifisch, oder wurden mf und mp erst nach Beethoven überhaupt erfunden (mit z.B. Mozart kenne ich mich ehrlich gesagt überhaupt nicht aus, bei noch früheren Komponisten wie Bach rechne ich gar nicht erst damit)? Aber spätestens bei Beethovens letzten Sonaten hätte ich navierweise eigentlich mit der Nutzung von mp oder mf gerechnet. Eine schnelle Google-Suche nach mezzopiano und mezzoforte war leider vorerst wenig aufschlussreich, wahrscheinlich habe ich ungeschickt gesucht...
2.
Wie deutet man bei Beethoven z.B. die Abfolge "pp - cresc.- p - cresc. - p - cresc. - f" oder ähnliche? Ist das zweite piano dann lauter zu denken/spielen als das erste piano, d.h. mangelt es da Beethoven einfach an zwei notierbaren absoluten dynamischen Zwischenstufen zwischen pp und f, obwohl er aber zwei verschiedene Abstufungen dazwischen haben wollen würde? Oder ist das zweite piano als ein "subito piano" nach dem crescendo zu verstehen? Oder ist das von Fall zu Fall ganz unterschiedlich zu deuten?
Natürlich gibt es auch bei Beethoven mehr als vier absolute Lautstärken. Die Frage ist nur, wie erkennt man, wann sich ein piano von einem piano unterscheidet und wann nicht.
Als Beispiel könnte man die Sonate op. 28 ("Pastorale"), 1. Satz, 2. Themengruppe (ab Takt 62 nehmen, wo in meinen Noten (Henle Urtext) genauso eine Abfolge auftaucht (angehängtes Bild ist von IMSLP genommen, nicht aus dem Henle Urtext):
Takt 77 piano (der erste Takt im angehängten Screenshot ist Takt 73), ab Takt 87 crescendo, Takt 90 auf Schlag 3 dann wieder piano.
Das piano ab Takt 90 würde ich hier gefühlt stärker nehmen als das vorige piano - immerhin ist ab Takt 90 auf 3 hier ja auch die Dominanttonart A-Dur endgültig gefestigt und die Wichtigkeit dieser Stelle muss auch hörbar werden, wie Uhde in seinem Buch dazu schreibt. Uhde spricht aber seltsamerweise über die Takte vor diesem piano von einem "Übergang von sanft ansteigender Spannung (so verhalten, daß nicht einmal ein Crescendo sie unterstreicht) zu befreiter Auslösung, [...]". Das spricht für mich aber eher dafür, dass das piano hier noch immer das selbe piano sein sollte wie zuvor. Aber was ist dann mit dem crescendo.? Ein "subito piano" in Takt 90 kommt mir seltsam vor.
3.
Kann man irgendwie erkennen, wie weit ein crescendo/decrescendo bei Beethoven geht, bei dem nicht explizit ein Endpunkt vorgeschrieben ist? Immer bis zur nächsten Dynamikvorgabe bzw. sf oder dergleichen? Bei späteren Sonaten wie z.B. 1. Satz von op. 110 hat er das erstaunlich pingelig notiert, so dass da eigentlich gar keine Zweifel aufkommen - obwohl gerade in diesem Satz von op. 110 andauernd crescendi gefolgt von subito piano auftreten. Aber da ist das trotzdem immer eindeutig. Bei seinen frühen und mittleren Sonaten aber oft irgendwie nicht, siehe obiges Beispiel aus op. 28.
4.
Die berühmten Crescendi auf einzelnen Tönen, die nicht durchführbar sind... wie geht man mit denen am besten um? Beispielsweise Takt 62 im Menuett in der E-Dur-Sonate op. 14,1 (Überleitungstakt zum Trio). Gut, da muss man sich das crescendo wohl eben einfach "denken", denn spielen kann man es nicht. Aber auch bei op. 28 findet sich eine problematische Stelle, und zwar im Fugato im 4. Satz. Das beginnt Takt 79 im pianissimo und steigert sich bis ins fortissimo von Takt 95, also vom einen Beethoven'schen Extremwert in den anderen. Verrückt genug ist, dass da aber kein durchgehendes crescendo von Takt 79 bis 95 auftritt, sondern dass Takt 79 bis 90 im pianissimo bleibend notiert sind und dann auf nur 4 Takten ab Takt 91 extrem schnell ins ff hinein crescendiert wird. Die Idee dahinter kann ich zwar gut nachvollziehen, aber bei der Umsetzung des cresc. habe ich dann keine Ahnung, wie ich mit dem Basston g umgehen soll. Der wird in Takt 91 auf 1 angeschlagen und bleibt dann über drei Takte einfach liegen und erst in 94 auf Schlag 1 kommt der nächste Basston. Das g kann also das crescendo nicht mitmachen und ist dazu noch eigentlich im pianissimo angeschlagen und verklingt dann quasi unhörbar, während die 5 Stimmen darüber sehr schnell deutlich lauter werden. Damit geht der Bass verloren und das ist eigentlich sehr unschön. Das g lauter anschlagen wäre eine Idee, aber wohl auch unschön, weil da kein sf oder ähnliches steht. Früher mit dem cresc. anfangen würde helfen, aber wäre wohl erst recht unschön und gegen Beethovens Text. Also - was tun? Was Beethoven hier will, ist gedanklich und musikalisch eigentlich absolut klar, wenn man orchestral denkt. Leider ist es nicht auf einem Klavier umsetzbar, also muss man auf irgendeine Art was unschönes machen.
5.
Beliebige weitere Fragestellungen zu Beethoven und Dynamik dürfen hier gerne von jedem im Thread eingebracht werden, das Thema ist mit den paar Spezialbeispielen von mir wohl definitiv nicht erschöpft.
Wenn mir jemand gute Literatur nennen kann, die hier hilft, bin ich auch dankbar. Ich habe was Beethoven angeht nur den Uhde. Der ist zwar toll, aber hilft bei solchen Problemen leider nicht weiter.
1.
Vermutlich eine extrem einfach zu beantwortende Frage: Mir ist beim Üben und Noten lesen bei den 32 Sonaten aufgefallen, dass Beethoven an absoluten dynamischen Abstufungen nur pp, p, f und ff benutzt. Dazu kommen dann natürlich noch crescendi, decrescendi, sf, fp und dergleichen, aber es tritt z.B. nie ein mf oder mp auf. Ist das irgendwie Beethoven-spezifisch, oder wurden mf und mp erst nach Beethoven überhaupt erfunden (mit z.B. Mozart kenne ich mich ehrlich gesagt überhaupt nicht aus, bei noch früheren Komponisten wie Bach rechne ich gar nicht erst damit)? Aber spätestens bei Beethovens letzten Sonaten hätte ich navierweise eigentlich mit der Nutzung von mp oder mf gerechnet. Eine schnelle Google-Suche nach mezzopiano und mezzoforte war leider vorerst wenig aufschlussreich, wahrscheinlich habe ich ungeschickt gesucht...
2.
Wie deutet man bei Beethoven z.B. die Abfolge "pp - cresc.- p - cresc. - p - cresc. - f" oder ähnliche? Ist das zweite piano dann lauter zu denken/spielen als das erste piano, d.h. mangelt es da Beethoven einfach an zwei notierbaren absoluten dynamischen Zwischenstufen zwischen pp und f, obwohl er aber zwei verschiedene Abstufungen dazwischen haben wollen würde? Oder ist das zweite piano als ein "subito piano" nach dem crescendo zu verstehen? Oder ist das von Fall zu Fall ganz unterschiedlich zu deuten?
Natürlich gibt es auch bei Beethoven mehr als vier absolute Lautstärken. Die Frage ist nur, wie erkennt man, wann sich ein piano von einem piano unterscheidet und wann nicht.
Als Beispiel könnte man die Sonate op. 28 ("Pastorale"), 1. Satz, 2. Themengruppe (ab Takt 62 nehmen, wo in meinen Noten (Henle Urtext) genauso eine Abfolge auftaucht (angehängtes Bild ist von IMSLP genommen, nicht aus dem Henle Urtext):
Takt 77 piano (der erste Takt im angehängten Screenshot ist Takt 73), ab Takt 87 crescendo, Takt 90 auf Schlag 3 dann wieder piano.
Das piano ab Takt 90 würde ich hier gefühlt stärker nehmen als das vorige piano - immerhin ist ab Takt 90 auf 3 hier ja auch die Dominanttonart A-Dur endgültig gefestigt und die Wichtigkeit dieser Stelle muss auch hörbar werden, wie Uhde in seinem Buch dazu schreibt. Uhde spricht aber seltsamerweise über die Takte vor diesem piano von einem "Übergang von sanft ansteigender Spannung (so verhalten, daß nicht einmal ein Crescendo sie unterstreicht) zu befreiter Auslösung, [...]". Das spricht für mich aber eher dafür, dass das piano hier noch immer das selbe piano sein sollte wie zuvor. Aber was ist dann mit dem crescendo.? Ein "subito piano" in Takt 90 kommt mir seltsam vor.
3.
Kann man irgendwie erkennen, wie weit ein crescendo/decrescendo bei Beethoven geht, bei dem nicht explizit ein Endpunkt vorgeschrieben ist? Immer bis zur nächsten Dynamikvorgabe bzw. sf oder dergleichen? Bei späteren Sonaten wie z.B. 1. Satz von op. 110 hat er das erstaunlich pingelig notiert, so dass da eigentlich gar keine Zweifel aufkommen - obwohl gerade in diesem Satz von op. 110 andauernd crescendi gefolgt von subito piano auftreten. Aber da ist das trotzdem immer eindeutig. Bei seinen frühen und mittleren Sonaten aber oft irgendwie nicht, siehe obiges Beispiel aus op. 28.
4.
Die berühmten Crescendi auf einzelnen Tönen, die nicht durchführbar sind... wie geht man mit denen am besten um? Beispielsweise Takt 62 im Menuett in der E-Dur-Sonate op. 14,1 (Überleitungstakt zum Trio). Gut, da muss man sich das crescendo wohl eben einfach "denken", denn spielen kann man es nicht. Aber auch bei op. 28 findet sich eine problematische Stelle, und zwar im Fugato im 4. Satz. Das beginnt Takt 79 im pianissimo und steigert sich bis ins fortissimo von Takt 95, also vom einen Beethoven'schen Extremwert in den anderen. Verrückt genug ist, dass da aber kein durchgehendes crescendo von Takt 79 bis 95 auftritt, sondern dass Takt 79 bis 90 im pianissimo bleibend notiert sind und dann auf nur 4 Takten ab Takt 91 extrem schnell ins ff hinein crescendiert wird. Die Idee dahinter kann ich zwar gut nachvollziehen, aber bei der Umsetzung des cresc. habe ich dann keine Ahnung, wie ich mit dem Basston g umgehen soll. Der wird in Takt 91 auf 1 angeschlagen und bleibt dann über drei Takte einfach liegen und erst in 94 auf Schlag 1 kommt der nächste Basston. Das g kann also das crescendo nicht mitmachen und ist dazu noch eigentlich im pianissimo angeschlagen und verklingt dann quasi unhörbar, während die 5 Stimmen darüber sehr schnell deutlich lauter werden. Damit geht der Bass verloren und das ist eigentlich sehr unschön. Das g lauter anschlagen wäre eine Idee, aber wohl auch unschön, weil da kein sf oder ähnliches steht. Früher mit dem cresc. anfangen würde helfen, aber wäre wohl erst recht unschön und gegen Beethovens Text. Also - was tun? Was Beethoven hier will, ist gedanklich und musikalisch eigentlich absolut klar, wenn man orchestral denkt. Leider ist es nicht auf einem Klavier umsetzbar, also muss man auf irgendeine Art was unschönes machen.
5.
Beliebige weitere Fragestellungen zu Beethoven und Dynamik dürfen hier gerne von jedem im Thread eingebracht werden, das Thema ist mit den paar Spezialbeispielen von mir wohl definitiv nicht erschöpft.
Wenn mir jemand gute Literatur nennen kann, die hier hilft, bin ich auch dankbar. Ich habe was Beethoven angeht nur den Uhde. Der ist zwar toll, aber hilft bei solchen Problemen leider nicht weiter.
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