Es geht dabei nicht nur um die Demokratisierung des Referenzwissens (Wikipedia), sondern auch um die Demokratisierung aktueller Forschungsergebnisse (Open Access) und um die Demokratisierung von Wissens- und Könnenvermittlung auf Universitätsniveau
Lieber Pianovirus,
ich kann völlig verstehen, wie sehr dir dies am Herzen liegt! Und da treffen wir uns, denn ich finde es auch sehr wichtig! Wenn Udacity ermöglicht, dass Studenten unabhängig von der politischen Situation ihres Landes an für sie und ihr Studium wichtige Informationen kommen können, ist das großartig und sprengt Grenzen, denen viele ausgeliefert waren. Es könnte sogar umgekehrt auch manche politische Situation beeinflussen.
Aber ist Wikipedia nicht etwas anderes? Ich finde, es ist etwas völlig anderes, weil dort jeder schreiben kann! Von Universitätsniveau im Bereich Musik kann in der deutschen WP keine Rede sein! Ich finde es sogar sehr schädlich und ineffektiv, wenn viele Leute viel Falsches lesen können. Der Halbbildung wird dann doch eher Vorschub geleistet, oder nicht?
Nun meinst du, lieber pianovirus, dass man dann doch selbst Hand anlegen könnte. Dazu später mehr.
Was die englischsprachige Wikipedia angeht, muss ich sagen, dass ich sie bis jetzt so gut wie nicht kannte (danke, Nica! - ich nehme jetzt Nica und Dreiklang gleich mit ein :p ). Sie scheint wirklich erheblich besser zu sein. Trotzdem gilt auch hier, dass man nicht weiß, wer den Artikel geschrieben hat (Fachmann oder Laie) und so
WP kann man zunächst einmal dazu verwenden, um zu erfahren, daß es den Gegenstand xyz überhaupt gibt; denn auch die Encyclopedia Britannica kann natürlich diese Fülle an Lemmata nicht haben. Aber - das sage ich immer dazu - ohne Gegenkontrolle geht es nicht, und die macht nun halt ein bißchen Mühe und kollidiert nicht selten mit der Einstellung "was ich nicht im Internet finde gibt es nicht".
muss man eben immer Fachliteratur zu Rate ziehen, um Gegenkontrolle zu gewährleisten - na, dann kann doch gleich die nehmen! Im Internet kann man, wenn man die richtigen Begriffe in die Suchmaschine eingibt, dahingehend sehr fündig werden (bei Musik allerdings ist das zuweilen schwierig).
Ich glaube
keineswegs, dass Geisteswissenschaftler technikfeindlich sind oder grundsätzlich anders denken! Ich bin auch nicht in einem Elfenbeinturm und schaue wie Prinzesschen höchstselbst auf die Niederungen der Naturwissenschaften. :D
Ich glaube vielmehr, dass es am Thema liegt, also am Fach selbst.
Die Grundlagen für musikwissenschaftliches Arbeiten sind Quellen, Schriften und Notentexte. All das ist in der Regel historisch und muss interpretiert und in einen Zusammenhang gebracht werden. Gleichzeitig geht es beim aktiven Musizieren auch um Ausdruck, Persönlichkeit, lebendiges Spiel, Gefühle u.v.a.m.. Die Naturwissenschaft (bitte korrigieren, wenn ich Quatsch rede - hier kenne ich mich nicht so aus!) befasst sich vor allem mit aktuellen Forschungsergebnissen, bei denen beobachtet, gemessen, erklärt ..... wird, und setzt sie (natürlich) in Korrelation zu bisherigen Ergebnissen. Nach meinem Eindruck ist sie wesentlich klarer, pragmatischer und eindeutiger.
Damit kommen wir zum zweiten Punkt:
Du hast recht, Grundvoraussetzung für ein fruchtbares Gespräch über die Dinge ist die einvernehmliche Klärung der zugrundeliegenden Begriffe; das ganze Frühwerk Platons gilt diesem Problem. Wie verträgt sich das aber mit Deiner Auffasssung, man können Begriffe dennoch "nach eigenem Gusto" verwenden? Wenn man das tut, kann man sich eben nicht mehr intersubjektiv über Gesprächsgegenstände austauschen.
Ich glaube, dass Begriffe bei Naturwissenschaften viel klarer definiert sind. Über Musik kann man leider Gottes viel schwafeln. Wenn von der "Sentimentalität Chopins" die Rede ist, ja, was soll man davon halten? Vielleicht hat der Ersteller des Artikels es anders gemeint, aber so, wie dieses Wort im Allgemeinen verstanden wird, ist es einfach katastrophal falsch.
Der dritte Punkt ist m.M.n., dass es so viele Musikwissenschaftler im Vergleich zu Naturwissenschaftlern nicht gibt - dem steht aber eine unglaubliche Vielzahl von Laien gegenüber, die an Musik interessiert sind. Grundsätzlich ist es ja genau das, was wir wollen, aber da man über Musik leichter reden kann als über Naturwissenschaft, ohne fachliches Wissen zu haben, schreiben eben auch viele Laien zumindest im deutschsprachigen WP.
Und da kommen wir zu deiner Frage, lieber pianovirus, warum denn Fachleute so wenig dazu tun, diesen Missstand zu beheben.
Ich kann nur aus meiner Sicht und für mich sprechen, aber mir graust es förmlich davor. Die deutschsprachige WP in Bezug auf Musik ist so schlecht, dass man gar nicht wüsste, wo man anfangen sollte. Es reicht eben nicht, einen Aspekt zu korrigieren, man müsste alles neu schreiben. Dann aber müsste man sich soviel Arbeit machen (abgesehen davon bin z.B. ich keine Musikwissenschaflerin und kenne mich viel zu wenig aus!), dass es den Umfang einer Examensarbeit annehmen würde. Es widerstrebt mir außerordentlich, halbe Sachen zu machen, die dann auch noch im Netz stehen würden und die jeder lesen würde. Wozu gibt es Fachliteratur!?! Im Netz gibt es bzgl. Musik leider nicht so viel, aber die Grundzüge und -kenntnisse kann man sich auch ohne WP anlesen. Es kommt für mich überhaupt nicht in Frage, einen Wikipedia-Artikel zu verbessern, denn dann müsste ich ihn neu schreiben und ich fühle mich dazu nicht kompetent (wie gesagt, bin keine Musikwissenschaftlerin). Ich habe einen bestimmten Anspruch, bei dem ich nicht bereit bin, Kompromisse einzugehen, was z.B. einen Artikel über Liszt angeht. Ganz anders wäre es, wenn man musikwissenschaftliche Vorlesungen im Netz übertragen würde, bei denen auf Universitätsniveau informiert wird. Da wäre ich sofort dabei!!!
Liebe Grüße
chiarina