Ernsthaftes Erraten von Klavierwerken

Habe mir die drei Etüden mal angehört. Zusammen mit dem Stück von Skrjabin, das vorgestern im Radio kam, muß ich konstatieren, daß ich davon bisher viel zu wenig gehört habe (bin ja eher im Barock und davor zu Hause). Faszinierend, besonders die Nummer mit den großen Septimen. Danke, Gomez.
 
Gern geschehen!

Ich hab ganz vergessen, daß es an mir ist, ein neues Rätsel zu stellen. Ich mach's einfach: Gesucht wird ein vierhändiges Klavierstück - vom Ausgangsmaterial her das extreme Gegenbeispiel zu Skrjabins, Bartóks und Kapustins Monointervallik.
 
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Ich frage mich die ganze Zeit, was das extreme Gegenbeispiel zu Monointervallik ist. Zuerst dachte ich an etwas Zwölftöniges, aber auch eine Zwölftonreihe kann ja im Prinzip aus gleichen Intervallen bestehen. Etwas mit vielen Clustern käme wohl auch in Frage, aber da gibt es in neuerer Musik so viel, dass die Rätselfrage viel zu viele mögliche Lösungen hätte.

Ich wage mal einen seriellen Versuch: Structures von Pierre Boulez?

LG, Mick
 
Ich frage mich die ganze Zeit, was das extreme Gegenbeispiel zu Monointervallik ist. Zuerst dachte ich an etwas Zwölftöniges, aber auch eine Zwölftonreihe kann ja im Prinzip aus gleichen Intervallen bestehen.

Aber das muß sie nicht.

Ich wage mal einen seriellen Versuch: Structures von Pierre Boulez?

Du denkst in die richtige Richtung. Aber das gesuchte Stück ist drei Jahrzehnte älter.

HG, Gomez
 
Und ich dachte, @mick oder @Rheinkultur hätten fünf Minuten später die Lösung präsentiert.
Komme gerade erst wieder von der Chorprobe zurück.

Das Gegenstück zu Kleinintervallik würde ich auch im seriellen Bereich ansiedeln. Mit den "Structures" von Pierre Boulez hat @mick einen echten Klassiker dieses Genres benannt - aber die für die seriellen Satztechniken charakteristischen Großintervalle finden sich auch in anderen Klavierwerken jener Zeit (z.B. "Mobile" von Henri Pousseur, ebenfalls für zwei Klaviere).

Die erste Allintervallreihe taucht in einem Werk für zwei Pianisten anno 1921 auf:



Damit kam Klein seinem Lehrer Alban Berg zuvor, der erst einige Jahre später eine Allintervallreihe zur kompositorischen Verwendung brachte. Allerdings ist die Satzweise um Lichtjahre abseits der Stücke aus den 1950ern - und Klein orientierte sich später wieder konventioneller, statt stilistisch etwa an der Seite von Stockhausen weiter zu arbeiten, der ebenfalls Werke für zwei Klaviere geschrieben hat ("Mantra").

LG von Rheinkultur
 
Bingo, ich wußte doch: Mick und Rheinkultur funktionieren noch.

Zur Ergänzung: Klein verwendet die von ihm gefundene Allintervallreihe für sein op.1, die "extonale Selbstsatire" "Die Maschine" (auch "Heautontimorumenus" genannt, komponiert 1921). Damals glaubte man, es gäbe nur diese eine Allintervallreihe. Später hat Krenek noch weitere Allintervallreihen gefunden, Eimert hat sie systematisiert und in seinem Theoriewerk veröffentlicht.

Klein trat die Reihe an seinen Lehrer Alban Berg ab, der sie zur Grundlage seiner zweiten Storm-Vertonung und der "Lyrischen Suite" machte.

Diese Anekdoten rund um Kleins Stücks sind interessanter als das Stück selbst. Es ist nett zu hören, aber kein Geniestreich. Klein hat das Komponieren auch früh aufgegeben und sich der Bruckner-Forschung gewidmet. Außerdem hat er die Klavierauszüge von Bergs "Wozzeck" und Kammerkonzert erstellt.
 
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Diese Anekdoten rund um Kleins Stücks sind interessanter als das Stück selbst. Es ist nett zu hören, aber kein Geniestreich. Klein hat das Komponieren auch früh aufgegeben und sich der Bruckner-Forschung gewidmet. Außer dem hat er die Klavierauszüge von Bergs "Wozzeck" und Kammerkonzert erstellt.
Auf den parodistischen Ansatz reagierte das Umfeld von Schönberg, dem sich der Komponist zugehörig fühlte, mit Unverständnis und Ablehnung.

Leider muss ich morgen früh um neun Uhr wieder auf der Orgelbank sitzen - wenn es genehm ist, komme ich morgen nachmittag eventuell wieder dazu, ein neues Rätsel zu präsentieren. Oder hat @mick spontan eine originelle Frage parat?

Gute Nacht für heute sagt
mit LG Rheinkultur
 

Im Nachtrag noch ein bißchen Stilkunde: Wie wenig der Reihengebrauch die Musik prägt, zeigt das Beispiel von Kleins Klavierstück und Bergs Liedvertonung bzw. Streichquartett. Den drei Stücken liegt ein- und dieselbe 12-Ton-Reihe zugrunde; aber die Unterschiede könnten nicht größer sein: Ausschlaggebend ist der Personalstil, nicht die identische Materialgrundlage.

Lied:



Lyrische Suite für Streichquartett:

 
Hoppla, das ging ja wieder schnell. Hindemiths op. 15 ist natürlich richtig.

Das Tristan-Zitat findet sich im "Phantastischen Duett zweier Bäume vor dem Fenster", Rigoletto wird in "Böser Traum. Rigoletto" zitiert - zunächst ein Thema der Ballszene am Beginn der Oper, später gekoppelt mit dem Fluchtmotiv. Hänsel und Gretel kommen in "Programm-Musik: Kuckuck und Uhu - Frei nach Humperdinck" vor: Das Lied "Ein Männlein steht im Walde ganz still und stumm" wird auf die ersten beiden und die letzten beiden Noten der Liedzeile reduziert; dem Satz vorangestellt ist ein albernes Gedicht von Hans Reimann, dem Autor der "Feuerzangenbowle" - es hat mit seiner Textverdreherei eine klare Verbindung zur albernen Kuckuck-Eierschluck-Erbelschluck-Singerei in der Waldszene der Oper.

Schade, dass dieser Zyklus kaum beachtet wird! Er ist expressiv, witzig, virtuos und voller Überraschungen. Etwas besseres hat Hindemith zumindest für Klavier später nie mehr komponiert; allenfalls die kurz darauf entstandene Suite 1922 kann noch mithalten. Bitte unbedingt die von @Gomez de Riquet verlinkte Aufnahme anhören!

LG, Mick
 
Etwas besseres hat Hindemith zumindest für Klavier später nie mehr komponiert; allenfalls die kurz darauf entstandene Suite 1922 kann noch mithalten.
Ganz so hart würde ich nicht urteilen. Die drei Klaviersonaten haben schöne Themen und oft auch interessante Fortspinnungen, abseits vom Hindemith-typischen Schema F. Auch in der Sonate für zwei Klaviere und der Sonate à 4 mains hat Hindemith die (für ihn oft charakteristische) Sprödigkeit überwunden. Der "Ludus tonalis" ist besser als sein Ruf, und das dritte Stück aus der Klavierübung op.37 (Band 1) ist absolut fetzig!

Jetzt wird - um ihn der Vergessenheit zu entreißen - ein Komponist gesucht, der Hindemith sehr nahestand, ohne daß ihm diese Nähe etwas bedeutet hätte. Er hat ein paar Sachen für Klavier geschrieben - mit ziemlich enigmatischen Titeln. Sie heißen: "Dieses Video ist nicht verfügbar. Das tut uns leid" oder "Dieser Kanal hat keine Inhalte".
 
Zu wenig Information? Vielleicht könnte man hinzufügen, daß sich der Komponist (der auch ein hervorragender Instrumentalist war) gegen die Nähe zu Hindemith gar nicht wehren konnte - und es trotzdem ein Leben lang versucht hat.
 
Philipp Jarnach vielleicht? Der galt als pianistisches Wunderkind. Ich mag zum Beispiel seine 2. Sonate sehr gern.

Viele Grüße!
 
Philipp Jarnach vielleicht? Der galt als pianistisches Wunderkind. Ich mag zum Beispiel seine 2. Sonate sehr gern!

Auch eine schöne Idee, Jarnach der Vergessenheit zu entreißen! Aber ihn meinte ich nicht.

Hindemith und der gesuchte Komponist standen sich so nahe, wie kein künstlerisches Anlehnungsbedürfnis je eine Nähe erzeugen kann. Aus Groll über Hindemiths Popularität und die eigene Unbekanntheit versuchte er, sich rein äußerlich immer weiter von Hindemith zu entfernen.

Herzliche Grüße!
 
Hindemith und der gesuchte Komponist standen sich so nahe, wie kein künstlerisches Anlehnungsbedürfnis je eine Nähe erzeugen kann. Aus Groll über Hindemiths Popularität und die eigene Unbekanntheit versuchte er, sich rein äußerlich immer weiter von Hindemith zu entfernen.
Man muss also ein wenig um die Ecke denken. Es dürfte sich um Paul Hindemiths Bruder Rudolf handeln, der als Cellist etliche Aufnahmen eingespielt, eine Neuausgabe der Goltermann-Cellokonzerte auf den Weg gebracht und eben auch komponiert hat. Seine Frau war als Klavierprofessorin in München tätig - und er selbst versuchte dem übermächtigen Schatten seines Bruders zu entkommen, indem er unter diversen Pseudonymen komponierte.

Und hier ist die gnadenlos tote Playlist mit Klavierwerken:
https://www.youtube.com/playlist?list=PLUSRfoOcUe4ZRyWnRMAa7bmS-hDVkFBsh

Es ist nicht die einzige. Für die anderen Suchergebnisse gilt ebenfalls: Der Rest ist Schweigen.

Schade drum.

LG von Rheinkultur
 

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