Üben und Interpretation

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philomela

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12. Jan. 2011
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Hallo,

angeregt durch den Thread "Fehler einüben" möchte ich hier eine Frage aufwerfen, hier auf Anfängerniveau bezogen.

Es geht darum, wie man übt: Schaffe ich erste eine möglichst gute Grundlage, das heißt, ich lerne den Notentext bestmöglich, einschließlich der vorgegebenen Dynamiken und "schalte" dann meine eigene Interpretation dazu?

Oder lasse ich diese schon früh beim Erarbeiten des Stücks mit einfließen?

Kann und sollte man überhaupt die eigene Interpretation, das eigene Gefühl beim Musizieren, soweit ausklammern und sich nur auf die gedruckte Vorgabe konzentrieren?

Viele Grüße
philomela
 
Es geht darum, wie man übt: Schaffe ich erste eine möglichst gute Grundlage, das heißt, ich lerne den Notentext bestmöglich, einschließlich der vorgegebenen Dynamiken und "schalte" dann meine eigene Interpretation dazu?

Oder lasse ich diese schon früh beim Erarbeiten des Stücks mit einfließen?

Kann und sollte man überhaupt die eigene Interpretation, das eigene Gefühl beim Musizieren, soweit ausklammern und sich nur auf die gedruckte Vorgabe konzentrieren?

Hallo Philomela,

Meiner Ansicht nach, ist es für einen Anfänger unmöglich von vornherein Interpretation einfliessen zu lassen.

Die Grundvoraussetzung für die Interpretation ist es, dass man das Stück in seiner Ganzheit erfasst und verstanden hat. Das bedeutet wiederum, dass man die Fähigkeit mitbringen müsste, allein vom Notenbild eine so umfassende Vorstellung des Klanges zu bekommen, dass man auf Basis dieser Vorstellung sich eine Interpretation erarbeiten kann. Ich würde sogar behaupten, dass das nur wenige, sehr weit fortgeschrittene Hobbypianisten können.

Erschwerend kommt dazu, dass selbst, wenn man schon genau weiss, wie ein Stück klingen sollte, die technische Grundlage fehlt, um diese Vorstellungen umzusetzen.

Wenn ich ein neues Stück beginne, schaue ich mir zuerst den Notentext an, achte auf den Rhythmus, auf die dynamischen Vorgaben, den Fingersatz, identifiziere Stolperstellen, und erst dann beginne ich mit dem Üben des Stückes. Beim Üben muss ich alle Konzentration darauf verwenden, die richtigen Tasten zum richtigen Zeitpunkt in der richtigen "Qualität" anzuschlagen. Fehler müssen von vornherein konsequent vermieden werden. Bevor ich in die Verlegenheit komme, irgendeine Taste zu drücken, weil ich nicht mehr weiss, was ich da eigentlich tue, breche ich ab, schaue mir die Noten noch einmal an, versuche sie, in Gedanken auf die Tasten zu bringen und fange dann noch einmal in reduziertem Tempo an. Also da gibt es bei mir sicher keine freien Kapazitäten, die es mir erlaubten, auch nur einen kleinen Gedanken an Interpretation zu verschwenden.

LG, PP
 
Hallo,

angeregt durch den Thread "Fehler einüben" möchte ich hier eine Frage aufwerfen, hier auf Anfängerniveau bezogen.

Es geht darum, wie man übt: Schaffe ich erste eine möglichst gute Grundlage, das heißt, ich lerne den Notentext bestmöglich, einschließlich der vorgegebenen Dynamiken und "schalte" dann meine eigene Interpretation dazu?

Oder lasse ich diese schon früh beim Erarbeiten des Stücks mit einfließen?

Kann und sollte man überhaupt die eigene Interpretation, das eigene Gefühl beim Musizieren, soweit ausklammern und sich nur auf die gedruckte Vorgabe konzentrieren?

Viele Grüße
philomela

Liebe philomela,

Interpretation kann erst dann kommen, wenn man das Stück beherrscht und in möglichst all seinen Facetten beleuchtet hat. Man lernt also das Stück erst mal kennen! Und spielen :p !

Wenn man nämlich "einfach" nur spielt, was da steht, klingt das Stück schon toll. :p Wie klingt jede Stimme für sich? Welche Bewegungen muss ich machen, damit die Töne so klingen, wie sie da stehen und wie ich es mir vorstelle? Wie klingen einzelne Stimmen zusammen und wie beeinflussen sie einander? Welche Entwicklung gibt der Komponist vor? Welche Vortragszeichen hat er hineingeschrieben? Also "einfach" nur spielen und hören, was alles drin steckt in der Musik.

Erst wenn man sich intensiv mit einem Werk auseinandergesetzt und es kennen gelernt hat, kann man Entscheidungen treffen. Auf welcher Grundlage sollte das sonst gehen? Und Interpretation ist nichts anderes, als Entscheidungen zu treffen, wie groß z.B. ein crescendo sein soll, in welchen Relationen ich Dynamik und wie ich Phrasen gestalte etc. etc.. Das ist allerdings bei Fortgeschrittenen ein schleichender Prozess, bei dem man nicht sagen kann, 'so, jetzt hab ich das Stück kennen gelernt, ab jetzt interpretiere ich'. :D

Im Gegenteil ist es ein wechselseitiger Prozess des Hörens, Gebens und Nehmens. Ich finde, es reicht erst mal durchaus aus, zu spielen und zu hören, was da steht und auf diese Weise sein inneres Erleben mit dem Notentext zu verbinden.

Liebe Grüße

chiarina
 
Hallo chiarina und PP,

ja, das klingt einleuchtend.
Ich muss ein Stück erst wirklich verstanden haben, um es interpretieren zu können und dazu muss ich es selbstverständlich auch technisch beherrschen.
Die Interpretation ist ein kognitiver Prozess, in dem ich mich für bestimmte Klangweisen entscheide. Hab ich euch richtig verstanden?

Liebe Grüße
philomela
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Hi,

noch ein Punkt von mir:

klar, Interpretation kann erst beginnen, wen man das ganze Werk im Überblick hat und auch genug "technische" Souveränität, um Varianten und Feinheiten auszuprobieren.

Aber ich würde als Hobbyspieler die Interpretationsarbeit nicht so hoch hängen. Es ist viel wichtiger mit musikalischer, mentaler und lebendiger Qualität wie

Leichtigkeit, Ausdrucksstärke, schöner Ton, rhythmische Lebendigkeit, Exaktheit, Konzentration, ...

zu spielen und zu üben. Diese Qualitäten kann und sollte man mM aber schon sehr früh oder am besten von Anfang an beim Üben berücksichtigen. Am besten geht das, wenn man ein Stück in kleinen musikalischen Unter-Abschnitten (ca. 1-8 Takte je nach Anforderun der Stelle) erarbeitet und sich beim Üben wechselseitig auf bestimmte Qualitäten konzentriert (Prinzip der rotierenden Aufmerksamkeit).

Gruß
 
Erst wenn man sich intensiv mit einem Werk auseinandergesetzt und es kennen gelernt hat, kann man Entscheidungen treffen. Auf welcher Grundlage sollte das sonst gehen?

Liebe chiarina,

auf Anfängerniveau, auf welches sich philomela bezog, spielen wir aber doch viele Stücke, die vom Hören her bekannt sind, oder sich beim Spielen schnell erschließen.

Mal ein ganz bekanntes Beispiel, welches jeder Anfänger wohl kennt.
Das Menuett in G-Dur von Petzold aus dem Notenbüchlein von A.M. Bach.

In Takt zwei falle ich, brutal mit den Akkordtönen von G ins Haus.
Aber damit nicht genug, nein, dieses G soll nun auch Staccato reingehämmert werden, damit jeder Depp begreift, in welcher Tonart wir uns noch bewegen. Und dann noch doppelt??
Nö, beim besten Willen, nicht mit NewOldie! :D

Bevor ich dies Stück gespielt habe, war mir klar, dass bei mir vom Stakkato höchstens eine Andeutung übrigbleibt.
Warum? Ich will keine Tanzmucke spielen.

Und damit habe ich bereits im 2 Takt als blutiger Anfänger experimentiert und meine Interpretation gefunden.

Ich denke du hast eher die Waldsteinsonate vor Augen, deren Notentext sakrosankt sein sollte, bevor man darin zu viel herumspielt.

Liebe Chiarina, ich schätze die Meinungen der erfahrenen Pädagogen hier sehr - und ich werde jetzt immer an dich denken, bevor ich zu experimentierfreudig werde. :p

Bin ich jetzt ein Junger Wilder? :D

Lieber Gruß, NewOldie
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Born to be wild :D

Liebe chiarina,

auf Anfängerniveau, auf welches sich philomela bezog, spielen wir aber doch viele Stücke, die vom Hören her bekannt sind, oder sich beim Spielen schnell erschließen.

Mal ein ganz bekanntes Beispiel, welches jeder Anfänger wohl kennt.
Das Menuett in G-Dur von Petzold aus dem Notenbüchlein von A.M. Bach.

In Takt zwei falle ich, brutal mit den Akkordtönen von G ins Haus.
Aber damit nicht genug, nein, dieses G soll nun auch Staccato reingehämmert werden, damit jeder Depp begreift, in welcher Tonart wir uns noch bewegen. Und dann noch doppelt??
Nö, beim besten Willen, nicht mit NewOldie!

Bevor ich dies Stück gespielt habe, war mir klar, dass bei mir vom Stakkato höchstens eine Andeutung übrigbleibt.
Warum? Ich will keine Tanzmucke spielen.

Und damit habe ich bereits im 2 Takt als blutiger Anfänger experimentiert und meine Interpretation gefunden.

Ich denke du hast eher die Waldsteinsonate vor Augen, deren Notentext sakrosankt sein sollte, bevor man darin zu viel herumspielt.

Liebe Chiarina, ich schätze die Meinungen der erfahrenen Pädagogen hier sehr - und ich werde jetzt immer an dich denken, bevor ich zu experimentierfreudig werde.

Bin ich jetzt ein Junger Wilder? :D

Lieber Gruß, NewOldie


Also, lieber New Oldie,

ich weiß ja nicht, wie du so tanzst :D ! Ich glaube, ich will's auch gar nicht wissen!:D !!! "Brutal mit den Akkordtönen von G ins Haus" - schade, mir gehen die Smilies aus! Reimt sich sogar.

Staccato = hämmern, aha, aha .....*grins³*.

Stell dir doch mal eine graziöse wunderbare Tanzpartnerin vor, so ähnlich wie Aschenputtel aus "Drei Nüsse für Aschenbrödel" ( als Frau kennt man den, hach.......). Und dieses zauberhafte Wesen kommt nun auf dich zu, schaut dir tief in die Augen und fordert dich zum Tanz auf. Und dann schwebt sie vor deinen Augen graziös und anmutig wie eine Feder und du verwandelst dich vom stampfenden Ochsen in einen smarten, ebenso graziösen Prinzen, der mit seiner Angebeteten sanft auf der Tanzfläche einhergleitet....... .

Ich finde Experimente, wie du sie machst, absolut super! Gerade was Artikulation angeht, sind wir ja mit Bachschen (oder hier Petzoldschen) Anweisungen nicht gerade gesegnet und müssen auch experimentieren. Herauszufinden, wie ich artikulieren will, ist für mich aber noch keine Interpretation. Wahrscheinlich fasse ich diesen Begriff höher als du und wir sind uns ganz einig. Für mich ist eine Interpretation ein musikalisches Gesamtkonzept eines Stückes, wobei ich aus der Vielzahl der Möglichkeiten Entscheidungen treffen muss.

Die Vielzahl der Möglichkeiten herauszufinden, gehört aber noch nicht zur Interpretation, allerdings ist der Übergang fließend.

Wenn du dich z.B. bei dieser Stelle nach Ausprobieren mehrerer Möglichkeiten für deine Variante entschieden hast, könnte man es schon als einen kleinen Teil einer Interpretation begreifen (wobei dieser Begriff natürlich bei größeren und längeren Werken noch eine weitreichendere Bedeutung bekommt).

Allerdings stellt sich die Frage, ob du denn auch wirklich alles ausprobiert hast. Ich finde, dass die beiden g's in Takt 2 absolut leicht und luftig gespielt werden sollten, was auch durch den Bogen in Takt2 von d2 nach g1 klar angegeben wird. Wenn man dann z.B. die "1" von Takt 1 anschlägt ( eher voller Klang) und anschließend die "1" von Takt 2, klingt der gleiche Ton d2 in der rechten Hand mit dem begleitenden einzelnen "h" in der linken als Terz von G-Dur ganz anders, schwebender. Da passt es doch nicht, wenn man die staccati da reinhämmert *muss immer noch grinsen*.

Auch bekannte Stücke können auf diese und andere Weise erst einmal "durchgehört" werden. Man kann Stücke von ganz verschiedenen Seiten kennen lernen, wenn man will, und zwar von Seiten, die man in einem Konzert oder einer Aufnahme gar nicht wahrnimmt. So lernt man auch Musik verstehen.

Wenn ich mich aber entschieden habe, diese staccati nun leicht und luftig zu spielen, ist das eben noch keine Interpretation, wie schon oben geschrieben. Dazu kommen alle Parameter der musikalischen Gestaltung und noch mehr zusammen und vereinen sich zu einer musikalischen Aussage.

Aber ich finde, du bist auf einem guten Weg. Als mein armer und geplagter :D Schüler müsstest du aber immer deine Entscheidungen begründen und auch meinen Argumenten etwas entgegensetzen. Oder eben nicht - *kicher*.

Das schult....!

Lass deiner wilden Seele also ruhig freien Lauf, schalte aber ab und zu das Hirn ein und begründe deine Entscheidungen.

Liebe Grüße

chiarina
 
Hi,
Aber ich würde als Hobbyspieler die Interpretationsarbeit nicht so hoch hängen. Es ist viel wichtiger mit musikalischer, mentaler und lebendiger Qualität wie

Leichtigkeit, Ausdrucksstärke, schöner Ton, rhythmische Lebendigkeit, Exaktheit, Konzentration, ...

zu spielen und zu üben. Diese Qualitäten kann und sollte man mM aber schon sehr früh oder am besten von Anfang an beim Üben berücksichtigen.

Gut, dass du das schreibst, Bachopin!
Ich befürchte nämlich, dass, wenn ich dieses musikalische Spielen um der reinen Technik und Stückbeherrschung ausblende, ich es später nicht mehr dazuschalten kann.

Überhaupt lese ich hier immer wieder Interpretation in Zusammenhang mit Entscheidung. So, als sei die Interpretation ein rein kognitiver Prozess.

Ich denke, mit zunehmender Komplexität der Stücke muss man sich auch innerlich mehr damit auseinandersetzen. Aber meine Anfänger-Mini-Stücke (spiele seit November) erschließen sich mir doch eher schnell.

Wenn ich die Noten dann einigermaßen flüssig spielen kann und ich mich auf das Stück einlasse (also mehr fühle als denke), kommt eine Dynamik von ganz allein. Da überlege ich doch nicht: "jetzt wird abphrasiert, da muss ich ein decreszendo machen" oder "jetzt ab der Eins creszendieren". Das passiert dann einfach so, oder eine Stelle wird etwas verzögert, um dann zu Beginn der neuen Phrase a tempo weiter zu gehen. Ich hoffe natürlich, dass, mit zunehmender Übung, meine Finger noch mehr das tun, was die Musik mir sagt.

Macht ihr das wirklich so, dass ihr bewusst überlegt und 'entscheidet', wie ihr an welcher Stelle spielen wollt? Arbeitet ihr die Stücke komplett aus und überlasst nichts der momentanen Intuition?

Vielleicht gehe ich da ja ein wenig zu naiv ran?

Viele Grüße
philomela
 
Allerdings stellt sich die Frage, ob du denn auch wirklich alles ausprobiert hast. Ich finde, dass die beiden g's in Takt 2 absolut leicht und luftig gespielt werden sollten, was auch durch den Bogen in Takt2 von d2 nach g1 klar angegeben wird. Wenn man dann z.B. die "1" von Takt 1 anschlägt ( eher voller Klang) und anschließend die "1" von Takt 2, klingt der gleiche Ton d2 in der rechten Hand mit dem begleitenden einzelnen "h" in der linken als Terz von G-Dur ganz anders, schwebender. Da passt es doch nicht, wenn man die staccati da reinhämmert *muss immer noch grinsen*.

Hallo chiarina,

wir sind auf einer Linie!

Oh je, welches grausames Bild musst du von mir haben? :bongo:

Mit meinem Schreiben wollte ich doch andeuten, dass ich mich nicht an die Anweisungen halten und nicht brutal mit staccato und Akkordtönen ins Haus fallen mag. Ist aber echt blöde geschrieben.
Und ich habe wohl den grünen Grinser vergessen :p

Also, sei beruhigt, deine zauberhafte Fee ist bei mir in guten Händen.
Bei mir wird das Menuett nur pastellfarben hin-gehaucht ...

Lieber Gruß, NewOldie
 
Hallo chiarina,

wir sind auf einer Linie!

Oh je, welches grausames Bild musst du von mir haben? :bongo:

Mit meinem Schreiben wollte ich doch andeuten, dass ich mich nicht an die Anweisungen halten und nicht brutal mit staccato und Akkordtönen ins Haus fallen mag. Ist aber echt blöde geschrieben.
Und ich habe wohl den grünen Grinser vergessen :p

Also, sei beruhigt, deine zauberhafte Fee ist bei mir in guten Händen.
Bei mir wird das Menuett nur pastellfarben hin-gehaucht ...

Lieber Gruß, NewOldie


Lieber NewOldie,

ich habe nur das allerbeste Bild von dir :D! Was ich aber unbedingt sagen wollte, ist, dass die Artikulation, so wie wir beide sie anscheinend für richtig halten, genau da steht! Die Anweisungen ( Bogen, kein Grundton im Bass etc. ) sind genau so! Hämmernde "G"s würden vielmehr die Anweisungen missachten.

Aber ich nehme natürlich alles zurück und würde selbstverständlich sehr gern mit dir ein Tänzchen wagen ( bin aber keine zauberhafte Fee :p ).

Gut, dass du das schreibst, Bachopin!
Ich befürchte nämlich, dass, wenn ich dieses musikalische Spielen um der reinen Technik und Stückbeherrschung ausblende, ich es später nicht mehr dazuschalten kann.

Überhaupt lese ich hier immer wieder Interpretation in Zusammenhang mit Entscheidung. So, als sei die Interpretation ein rein kognitiver Prozess.

Ich denke, mit zunehmender Komplexität der Stücke muss man sich auch innerlich mehr damit auseinandersetzen. Aber meine Anfänger-Mini-Stücke (spiele seit November) erschließen sich mir doch eher schnell.


Liebe philomela,

anscheinend habe ich mich ganz missverständlich ausgedrückt! Erstmal kann man bei Anfängerstücken nicht unbedingt von einer Interpretation sprechen ( wobei ich z.B. das G-Dur-Menuett nicht als ein solches Anfängerstück ansehen würde. Da steckt mehr drin, als man denkt...). Als Anfänger muss man ja erst mal Musik kennen und spielen lernen, da geht es erstmal vorwiegend um Hören und Fühlen.

Was ich aber schon mit Anfängern immer mache, ist, die Form eines Stückes zu analysieren ( z.B. ABA-Form), die Länge der einzelnen Teile wahrzunehmen ( z.B. 4 Takte) und die Phrasen zu gestalten, also nach Höhepunkten zu suchen, die Spannung und Entspannung einer Phrase zu hören und zu fühlen. So etwas steckt schon in der einfachsten Melodie drin. Selbstverständlich kann man das auch einfach nach Gefühl machen, ich finde es aber gut, wenn man den Aufbau und die Gestaltungsmöglichkeiten von Musik früh kennen lernt.

Das hat aber nichts mit Interpretation zu tun. Und Interpretation ist auch kein rein kognitiver Prozess, sondern hat viel mit Erfahrung, innerem Erleben und Hören des Spielers zu tun. Es ist sehr schön, wenn man bei großen Stücken, die auch in ihrem Notentext eine Menge Spielraum bieten, die Möglichkeit hat, sich individuell auszudrücken. Und peu a peu kann man einem Anfänger immer mehr Wissen, Hörschulung und Erfahrung an die Hand geben, um ihm dies auch eines Tages zu ermöglichen.

Es ist faszinierend zu hören, wie verschieden manche Interpretationen von ein und dem selben Spieler in verschiedenen Entwicklungsstufen ( Jugend, Alter ....) sind. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass die Entscheidungen, die getroffen werden, mit den eigenen Erfahrungen, Vorlieben und der eigenen Persönlichkeit zusammenhängen.

Ich hoffe, es ist jetzt klarer.

Liebe Grüße

chiarina
 
Liebe chiarina,

danke für deine Erläuterung, jetzt verstehe ich besser, was du meinst (hoffe ich).
Ich habe auch gar nichts gegen Theorie und finde es wichtig, sich sowohl mit dem theoretischen Aufbau, als auch mit den inhaltlichen und geschichtlichen Zusammenhängen auseinanderzusetzen (sofern die Stücke das hergeben). Bloß halt nicht, während ich das Stück spiele. Diese Auseinandersetzung sollte vorher gelaufen sein, so dass mein Spiel nicht nur mit meinem musikalischen Gefühl übereinstimmt, sondern auch mit der Intention des Komponisten. So, wie ich dich jetzt verstanden habe, hältst du ja auch nichts vom rein verkopften Musizieren.

Mein Problem ist, dass ich zwar Klavieranfängerin bin, ansonsten aber schon ganz gut Musik hören und fühlen kann (ich singe klassisch - Chor und Solo). Und natürlich wird mein Klavierspiel meinem musikalischen Anspruch bei weitem nicht gerecht. Ich kann aber eben dieses musikalische Fühlen beim Üben nicht abstellen und gerate schnell in diesen Fluss, wirklich Musik machen zu wollen, was dann aber technisch natürlich noch nicht geht.

Kennst du diesen Widerspruch oder siehst du da überhaupt einen?

Liebe Grüße
philomela
 

Ich habe auch gar nichts gegen Theorie und finde es wichtig, sich sowohl mit dem theoretischen Aufbau, als auch mit den inhaltlichen und geschichtlichen Zusammenhängen auseinanderzusetzen (sofern die Stücke das hergeben). Bloß halt nicht, während ich das Stück spiele. Diese Auseinandersetzung sollte vorher gelaufen sein, so dass mein Spiel nicht nur mit meinem musikalischen Gefühl übereinstimmt, sondern auch mit der Intention des Komponisten. So, wie ich dich jetzt verstanden habe, hältst du ja auch nichts vom rein verkopften Musizieren.

Mein Problem ist, dass ich zwar Klavieranfängerin bin, ansonsten aber schon ganz gut Musik hören und fühlen kann (ich singe klassisch - Chor und Solo). Und natürlich wird mein Klavierspiel meinem musikalischen Anspruch bei weitem nicht gerecht. Ich kann aber eben dieses musikalische Fühlen beim Üben nicht abstellen und gerate schnell in diesen Fluss, wirklich Musik machen zu wollen, was dann aber technisch natürlich noch nicht geht.

Kennst du diesen Widerspruch oder siehst du da überhaupt einen?

Liebe Grüße
philomela


Liebe philomela,

ah, jetzt weiß ich, wo ich dich einorden kann - du bist die Sängerin :p !

Da hast du natürlich musikalisch schon Einiges gelernt und ich kann mir vorstellen, dass du beim Klavierspielen innerlich fühlst, was du eigentlich hören willst, aber die Umsetzung noch nicht ganz klappt. Deswegen sehe ich auch keinen Widerspruch - nur wenn du weißt, wie es klingen soll, also eine Klangvorstellung hast oder entwickelst, kannst du doch an deinem Spiel arbeiten. Das ist doch wunderbar!

Rein verkopftes Musizieren finde ich grauenhaft und ich weiß nicht, ob es das überhaupt gibt. Aber musikalische Gestaltungsmittel wie Phrasierung, Artikulation, Dynamik, Agogik etc. sind eben wunderbar, um die eigenen Gefühle auch wirklich zum Ausdruck zu bringen. Man höre sich eine Phrase von Maria Callas an, die oft so wunderbar gestaltet und voller Nuancen und Farben ist und uns deshalb so fesselt. Deshalb ist Phrasierung keinesfalls Theorie, sondern verhilft uns als eines von vielen Gestaltungsmitteln, die Schönheit und den Charakter des Stücks in Verbindung mit unseren Gefühlen darzustellen.

Natürlich ist eine Melodie einer Anfänger-Klavierschule nicht von solcher Ausdrucks- und Aussagekraft. Aber ich finde, dass man auch schon dort hören kann, dass eine schöne und klare Phrasierung ausdrucksvoller klingt. Man versteht dann auch das Stück besser.

Letztendlich geht es immer um den Klang. Er berührt uns, er spricht uns an und unser Bestreben muss als Klavierspieler sein, daran so intensiv wie möglich zu arbeiten. Das kann man nur, wenn man versucht, das zu spielende Stück in all seinen Facetten zu beleuchten und zu erfahren.

Liebe Grüße

chiarina
 
(...) Aber musikalische Gestaltungsmittel wie Phrasierung, Artikulation, Dynamik, Agogik etc. sind eben wunderbar, um die eigenen Gefühle auch wirklich zum Ausdruck zu bringen. (...)

...sachte... .... ne Menge Komponisten haben diese Sachen nicht dem Gutdünken anheimgestellt, sondern ziemlich deutlich vorgeschrieben... :D:D:D

oh supi, da steht f also spiel ich laut, boah obersupi, da steht p also spiel ich leise - oh Wonne ich mache gerade Interpretation... ... ...

ich hoffe sehr, die sehr schlichte Erkenntnis, dass man mit der Realisierung aller im Notentext notierten Anweisungen noch lange nicht "interpretiert", wird sich vielleicht doch eines Tages durchsetzen!

herzliche Grüße,
Rolf
 
Kann und sollte man überhaupt die eigene Interpretation, das eigene Gefühl beim Musizieren, soweit ausklammern und sich nur auf die gedruckte Vorgabe konzentrieren?

Ich denke, mit zunehmender Komplexität der Stücke muss man sich auch innerlich mehr damit auseinandersetzen. Aber meine Anfänger-Mini-Stücke (spiele seit November) erschließen sich mir doch eher schnell.

Wenn ich die Noten dann einigermaßen flüssig spielen kann und ich mich auf das Stück einlasse (also mehr fühle als denke), kommt eine Dynamik von ganz allein. Da überlege ich doch nicht: "jetzt wird abphrasiert, da muss ich ein decreszendo machen" oder "jetzt ab der Eins creszendieren". Das passiert dann einfach so, oder eine Stelle wird etwas verzögert, um dann zu Beginn der neuen Phrase a tempo weiter zu gehen. Ich hoffe natürlich, dass, mit zunehmender Übung, meine Finger noch mehr das tun, was die Musik mir sagt.

Macht ihr das wirklich so, dass ihr bewusst überlegt und 'entscheidet', wie ihr an welcher Stelle spielen wollt? Arbeitet ihr die Stücke komplett aus und überlasst nichts der momentanen Intuition?

...sachte... .... ne Menge Komponisten haben diese Sachen nicht dem Gutdünken anheimgestellt, sondern ziemlich deutlich vorgeschrieben... :D:D

oh supi, da steht f also spiel ich laut, boah obersupi, da steht p also spiel ich leise - oh Wonne ich mache gerade Interpretation... ... ...

ich hoffe sehr, die sehr schlichte Erkenntnis, dass man mit der Realisierung aller im Notentext notierten Anweisungen noch lange nicht "interpretiert", wird sich vielleicht doch eines Tages durchsetzen!

Lieber Rolf,

genau das habe ich schon ziemlich oft in diesem Faden geschrieben. Leider aber so, dass offensichtlich der Eindruck entstanden ist, dass Musizieren eine rein verkopfte Sache sein könnte.

In meinem Beispiel der Phrasierung eines Anfängerstücks hatte philomela das als Theorie oder theoretischen Aufbau bezeichnet, während ich das als reine ( und notwendige) Praxis empfinde. Man spielt das, was komponiert ist, aber manchmal braucht es ein bisschen Übung, um dies zu erkennen, gerade wenn keine Phrasierungsbögen oder andere Vortragszeichen da sind.

Da sie nach eigenem Bekunden eher aus dem Gefühl heraus spielt, was ja wunderbar ist, war unter diesem Aspekt meine Formulierung als Aufmunterung zu verstehen, dass die Realisierung des Notentextes keine verkopfte Sache ist, sondern hilft, "die Schönheit und den Charakter des Stücks in Verbindung mit unseren Gefühlen darzustellen." ( Zitat aus meinem letzten post)

Es ging also gar nicht mehr um Interpretation. Dass die Beschäftigung mit Phrasierung, Artikulation, Dynamik etc. noch lange keine Interpretation ist, hatte ich vorher ja schon deutlich formuliert.

Aber wer weiß das schon - in diesem Faden habe ich schon so viele Missverständnisse ausgelöst - vielleicht kriege ich ja einen Orden :D.

"Anfängerniveau" ist halt auch ein nicht klar definierter Begriff. Man kann darunter ja auch noch Tschaikowskis Jugendalbum fassen und diese Stücke sind musikalisch wirklich Kleinode.

Ich hoffe, ich habe dich, philomela, nicht verunsichert. Geh du weiter deinen Weg. Du scheinst ja schon ein schönes Gefühl für Musik zu haben und das ist ein wahrer Schatz. Ich für mich finde es trotzdem auch bei Anfängerstücken gut, die Musik in ihren Wesenszügen kennen zu lernen. Wenn man damit erst bei komplexeren Stücken anfängt, die ja oft auch manuell schwieriger sind, kommt man manchmal kaum noch nach. Deshalb arbeite ich mit meinen Schülern von Anfang an musikalisch.

Liebe Grüße - ob jetzt alle Klarheiten beseitigt sind :p

chiarina
 
Mir ist natürlich bekannt, was in der Klassikwelt unter "Interpretation" verstanden wird.

Dennoch halte ich einen anderen Gebrauch des Wortes für zweckmäßig.

Normalerweise bedeutet Interpretation ja einfach "Deutung", wie z.B. bei einem Text oder Gemälde. Man sagt ja auch im Alltag: "Wie würdest Du die Äußerung von XY interpretieren? Mag er mich oder nicht?"

Genauso verwende ich den Ausdruck im Unterricht.

Denn es ist gar nicht möglich, einen Notentext "einfach nur genau zu befolgen" und so eine "neutrale, nicht interpretierende Fassung" zu spielen! Jeglicher Versuch, das zu tun, endet in einem lächerlichen, unmusikalischen Zerrbild!

Jeder Notentext ist nur eine ungefähre Landkarte, und es erfordert immer die Musikalität des Spielers, um herauszufinden bzw. zu er-hören / er-spüren, was mit dem, was da steht, gemeint sein könnte.

D.h. es findet im oben genannten Sinne immer Interpretation statt.

Ich halte es für total falsch, dies Einsteigern zu verschweigen und ihnen zu suggerieren, sie sollten doch erstmal einfach genau spielen, was da steht - denn dann wird Hören und Musikalität ausgeschaltet!

LG,
Hasenbein
 
Hi,

ich schlage mich auf die Seite von hasenbein. ;-)

Interpretation findet eigentlich immer statt, da der Spieler aus dem Notentext die Musik ja neu erzeugen muss und das ist immer ein kreativer (mal mehr mal weniger guter) interpretierender Schaffungsprozess.

Aber mM meint man mit Interpretationsarbeit mehr das Herausarbeiten der grösseren Bezüge (Architektur, Form) eines Werkes. Die einzelnen musikalischen Einheiten (Phrasen) sind da schon nach den Anweisungen des Komponisten realisiert.

Und ich wiederhole mich, ich finde ein Hobbyspieler sollte sich zuerst einmal auf das Spielen der kleineren musikalischen Sinn-Einheiten mit möglichst hohen musikalischen Spiel-Qualitäten (Leichtigkeit der Ausführung, schöner Ton, rhythmische und dynamische Lebendigkeit, Exaktheit, Konzentration, ..) konzentrieren. Das ist nämlich wichtiger und die Grundlage der höheren musikalischen Schaffungsprozesse.

Gruß
 
Mir ist natürlich bekannt, was in der Klassikwelt unter "Interpretation" verstanden wird.

Dennoch halte ich einen anderen Gebrauch des Wortes für zweckmäßig.
.................................
Denn es ist gar nicht möglich, einen Notentext "einfach nur genau zu befolgen" und so eine "neutrale, nicht interpretierende Fassung" zu spielen! Jeglicher Versuch, das zu tun, endet in einem lächerlichen, unmusikalischen Zerrbild!

Jeder Notentext ist nur eine ungefähre Landkarte, und es erfordert immer die Musikalität des Spielers, um herauszufinden bzw. zu er-hören / er-spüren, was mit dem, was da steht, gemeint sein könnte.

D.h. es findet im oben genannten Sinne immer Interpretation statt.

Ich halte es für total falsch, dies Einsteigern zu verschweigen und ihnen zu suggerieren, sie sollten doch erstmal einfach genau spielen, was da steht - denn dann wird Hören und Musikalität ausgeschaltet!

LG,
Hasenbein


Lieber hasenbein,

ich kann dich schon verstehen. Natürlich ist ein Notentext eine Art Codierung der klanglichen Entwicklung eines Werkes. Aber ich würde die Entschlüsselung des Notentextes trotzdem nicht mit Interpretation gleichsetzen, denn diese ist zwar nicht davon zu trennen, geht aber doch weit darüber hinaus.

Wollte man die chinesische Sprache erlernen, würde man doch auch die entsprechenden Schriftzeichen nicht interpretieren, sondern ihre Bedeutung, ihre sprachliche Umsetzung entschlüsseln und üben.

Also muss der Schüler doch genau so lernen, was der Notentext mit seinen vielfältigen Zeichen bedeutet und vor allem, wie er in seiner Umsetzung erklingt.

Schriftzeichen -----> Sprache
Notenbild ------> Klang

Das würde ich aber nicht "Interpretation" nennen. Vielleicht bin ich ja zu klassisch fixiert, aber um interpretieren zu können, muss ich m. M.n. schon Einiges an musikalischen und in unserem Fall pianistischen Erfahrungen gesammelt haben, um überhaupt in der Lage zu sein, verschiedene Aspekte oder klangliche Möglichkeiten eines Notentextes zu erkennen.


Die Realisierung des Notentextes klingt natürlich sprachlich relativ nüchtern, ist es aber nicht. Hören und Musikalität sollten absolut nicht ausgeschaltet sein :p . Wenn eine Pause im Notentext steht, muss ich erfahren, was eine Pause überhaupt ist, nämlich ein "Nicht-Klang", der im Kontext des Stückes unterschiedliche Wirkungen haben kann, aber gerade bei der Vielzahl von Tönen in einem Stück als klangliches Ereignis ( z.B. Stille) sehr wichtig ist. So gibt es eine Vielzahl von Beispielen, aus denen hervorgeht, dass die Realisierung des Notentextes ein sinnliches Erlebnis ist, bei dem man klangliche und physische Erfahrungen macht ( Hören und Fühlen).

Interpretation baut m.E. auf dieser Realisierung auf, fasst aber die gemachten Erfahrungen zu einem musikalischen Gesamtkonzept zusammen, hinter dem eine klare musikalische Aussage steht. Das Werk wird als Gesamtheit gedeutet und das kann man erst, nachdem man schon tief in das Werk eingestiegen ist und es spielen kann. Eine Interpretation braucht also ein tiefes Verständnis des Werkes. Sie wächst, wie man so schön sagt.

Bei Anfängerstücken a la Klavierschule 1. Band kann man noch nicht interpretieren, das gibt der Notentext einfach noch nicht her. Man kann aber lernen, den Notentext zu entschlüsseln und zu schauen, was alles in den paar Noten steckt. So ist es m. M.n. nicht möglich, "Summ, summ, summ" zu interpretieren. Man kann aber damit experimentieren, improvisieren, man sollte m.E. Phrasierung und Atmung u.ä. an dieser Kleinform erarbeiten und so schon Grundlegendes über Musik lernen, was im Laufe der Jahre immer weiter ausgebaut werden und dann allmählich zu Interpretationen führen kann.

Bei Stücken wie Tschaikowskys Jugendalbum oder auch dem o.g. Menuett können aber schon zumindest interpretatorische Ansätze vermittelt werden. Wichtig finde ich auch wie du, hasenbein, dass der Schüler lernt, aufmerksam mit dem Notentext umzugehen und vermittelt bekommt, dass dieser immer nur eine Codierung darstellt, die auch auf dem jeweiligen Instrument entschlüsselt werden muss.

Liebe Grüße

chiarina
 
Hallo und vielen Dank für die interessante und anregende Diskussion.

Offenbar ist nicht nur 'Anfängerniveau' ein undefinierter Begriff, sondern auch 'Interpretation'.

Ich sehe sie (die Interpretation) nicht als Heiligtum, das erst Werken ab einer bestimmten Schöpfungshöhe zuteil werden kann. Und dies auch erst nach einer intensiven theoretischen Auseinandersetzung mit dem Werk.

Für mich fängt Interpretation tatsächlich da an, wo ich etwas von meiner Persönlichkeit (meiner Seele, meinem Gefühl) in das Werk einfließen lasse. Und ich befürchte fast, dass sich das gar nicht vermeiden lässt (auch schon bei Anfängerstücken aus Band 1).
Natürlich innerhalb der vom Komponisten (und nicht vom Verleger) gesetzten Grenzen und Möglichkeiten. Aber auch hier gibt es einen gewissen Spielraum und es haben ja, vor allem frühere Komponisten, nicht alle jede Kleinigkeit ausformuliert.

Doch, und ich finde, sogar "Summ, summ, summ" gibt eine gewisse Möglichkeit der Interpretation. Das können schon meine Kindergartenkinder, wenn ich sie bitte, dieses Lied mal traurig und mal fröhlich zu singen. Hier scheint mein Interpretationsbegriff von dem in der Klassik üblichen abzuweichen.

'Musikalisch arbeiten', liebe chiarina, das fordert mein (Gesangs-)Lehrer auch, ebenfalls von Beginn an. Er legt dabei Wert auf auswendiges Vortragen, das immer aus dem Gefühl, aus der Musikalität entstehen soll. Abweichungen vom Notentext werden dabei eher toleriert als ein gefühlsarmer und damit langweiliger und unberührender Vortrag. Ob einem das gelingt, hat weniger mit der kognitiven Auseinandersetzung zu tun als mit der Fähigkeit, Gefühle zur Musik entstehen zu lassen und diese dann auch zu transportieren. Aber vielleicht kann man nicht so ohne weiteres eine Parallele herstellen zwischen Gesang und Klavierspiel.

Ich fühle jedenfalls auch schon bei Anfängerstücken was und ich arbeite daran, dieses Gefühl in mein Klavierspiel zu übertragen.

Herzliche Grüße
philomela
 
Vielleicht wäre es hilfreich, einige Begriffe zu klären, ich fange einfach mal an:

1. Üben.
Ähnlich wie im Training beim Sport sehe ich als das Ziel von „üben“ an, die manuellen (und weiteren körperlichen und geistigen) Voraussetzungen dafür zu schaffen, bestimmte „Notenfolgen“ auf eine bestimmte Art spielen zu können. In der Regel sind das allgemeine „Bausteine“, die in der Klavierliteratur vorkommen, also Tonleitern, gebrochene Akkorde, Oktaven-,Sexten- und Terzenläufe usw. Das verstehe ich unter Technik erwerben. Allerdings: Es geht natürlich nicht nur darum, diese Elemente irgenwie herunter zu hämmern, sondern in allen dynamischen Schattierungen und den verschiedenen Anschlagarten bewußt und konzentriert spielen zu können. Das Ziel ist also ein völlig anderes, als das, was wir gewöhnlich verfolgen, wenn wir an einem Stück arbeiten. Und deshalb ist auch die Vorgehensweise etwas anders: Wiederholen, langsam, schnell und immer wieder, bis Finger, Hand und Arm und Gehirn die entsprechende Kondition haben. Mit Interpretation hat das garnichts, aber schon viel mit Musikalität zu tun.

2. Ein Stück erarbeiten.
Das Ziel dieser Tätigkeit ist, das Stück fehlerfrei und musikalisch ansprechend spielen zu können. Wenn es dabei an der Kondition mangelt (z.B. Tonleitern nicht schnell genug gespielt werden können oder Oktaven zu Verkrampfung und Ermüdung führen) – zurück auf 1. oder die Technik am Stück selbst üben. Letzteres birgt m.E. die Gefahr, daß man das Stück – wenn es sehr viel technische Vorbereitung erfordert – regelrecht zerübt.

Die Arbeit am Stück selbst konzentriert sich damit im Laufe des Prozesses immer mehr auf die musikalische Seite und die Vortragsbezeichnungen: Dynamik, Tempo, Anschlag, Pedal usw.
Das Ergebnis ist dann im Idealfall eine ästhetisch/musikalisch ansprechende, ruhig auch individuell gefärbte, möglichst fehlerfreie Wiedergabe. Das wäre, denke ich, ein Ziel für Hobbymusiker, die neben Musik noch andere Dinge im Kopf (und manchmal auch in den Händen) haben müssen.

3. Interpretation.
Ein wirkliche Interpretation setzt zunächst die Fähigkeit voraus, bis 2. zu kommen. Aber – ich meine, Rolf hätte vor einiger Zeit darauf hingewiesen – dazu gehört mehr, nämlich, pauschal gesagt, das Stück in seinen kuturellen, musikhistorischen und biografischen Hintergrund einordnen zu können und das Ergebnis dieser Analyse auch hörbar zu machen. Ich will versuchen, das an einem Beispiel zu zeigen: Cortot schreibt zu Debussys Musik (ich hoffe, ich gebe das halbewegs korrekt wieder), daß die emotionalen Bezüge hier nicht, wie etwa in der deutschen Romantik (Schubert, Schubert) aus dem Seelenleben des Komponisten kommen (Freude, Verzweiflung, Angst usw.) sondern aus dem Erleben der Außenwelt, allerdings in Debussys speziellem Fall nicht direkt, sondern vermittelt, durch die Malerei der Impressionisten und durch die Poesie einiger seiner Zeitgenossen. Und Debussy kommt in diesem Punkt dem Interpreten entgegen, indem er vielen Stücken einen Hinweis als Titel voransetzt oder – bei den Preludes – nachsetzt. Dabei handelt es sich in der Regel nicht um ein Programm, das die Stücke zu Programmusik machen würde, sondern um Hinweise auf die Stimmung (!!), die dem Stück zugrundeliegt. Und das wiederzugeben, würde ich als Interpretation bezeichnen – was hier vergleichsweise einfach, weil vom Komponisten skizziert, im Falle einer Beethovensonate oder einer Bach’schen Fuge aber ungleich schwerer sein dürfte.

LG

Pennacken
 

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