Wie lange üben Profis an Beethoven-Sonaten oder vergleichbaren Stücken?

Keybert

Keybert

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31. Okt. 2019
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Hallo erstmal, ich habe vor allem eine Frage an alle diejenigen, die klassisch unterwegs sind und möglicherweise auch zu professionellen Tastendrückern und -drückerinnen gehören: Wie lange braucht ihr, bis ihr einen Sonatensatz von Beethoven oder anderen vergleichbar schwer komponierten Stücken soweit erarbeitet habt, dass man an die Feinheiten der Interpretation herangehen kann?
Hintergrund meiner Frage ist folgender:
Ich bin Amateur, habe mit zwölfeinhalb Jahren mit dem Klavierspiel begonnen, knapp neun Jahre bei einem sehr netten Organisten Klavierunterricht genommen, dann habe ich fürs Studium (keine Musik) die Heimat verlassen und in meiner Unterkunft für Jahre kein Klavier gehabt. Erst nach etwa fünf Jahren konnte ich das Instrument nachholen, es blieb aber zunächst nur wenig Zeit zum Spielen und Üben, und das während des gesamten Berufslebens.
Ich war immer lausig schlecht beim direkten Spielen vom Blatt. Mein Pianolehrer war aber immer sehr erstaunt, dass ich alle meine Stücke, die ich zu üben hatte, nach gewisser Zeit auswendig und recht leidlich dann zu Gehör bringen konnte. Am Ende meiner Unterrichtszeit hatte ich einige Sonatensätze von Beethoven für Amateurverhältnisse recht gut drauf. Während meiner Berufszeit spielte ich sehr gern Ragtime, etwas Blues und Boogie, bevor ich seit 2019 mal wieder meinen Beethovenband reaktiviert hatte. Das meiste, was ich während meiner Jugend begonnen hatte, konnte ich nach einigen Übungswochen erfolgreich reaktivieren, und dann fasste ich einen folgenschweren Entschluss:
Ich wagte mich, obwohl der Blick auf die Noten in mir keinerlei richtige Vorstellung von der Musik wachrufen konnte, an die Erarbeitung mir unbekannter Sonatensätze von Beethoven. Mein bescheidenes Ziel war, meine kümmerlichen Fähigkeiten, nach Noten zu spielen, auf ein höheres Level zu hieven, um das alternde Hirn (ich bin inzwischen 71) zu trainieren. In jungen Jahren habe ich immer dann kapituliert, wenn ich es mit heftigen Arpeggien und disharmonischen Akkorden zu tun gekiregt hatte. Nun mache ich die wunderbare Erfahrung: Was Beethoven an Musik geschaffen hat, ist mit das Genialste, was es auf diesem Planeten überhaupt gibt - mit anderen Worten: Ich bin regelrecht infiziert vom Beethoven-Virus, es lässt mich nicht mehr los!
Nun aber zum Kern meiner Frage: Ich habe in mancher Biografie von Profis gelesen, sie könnten alle Beethoven-Sonaten spielen, dazu fast alles von Bach, Rachmaninov, Chopin und noch mehr spielen. Ich dagegen sitze an einem Sonatensatz meistens monatelang, bis die Bewegungsabläufe einigermaßen sicher sind. Erfreulicherweise ist mein Notenverständnis inzwischen deutlich besser als in meiner Jugend, es gelingt mir erstmals, nach und nach Sätze zu erarbeiten, die ich vorher nicht gehört habe, z.T. ganz bewusst, um mich nicht zu demotivieren in der Art: Das ist eh nicht zu schaffen. Letztlich ist mir das nun auch egal, ich muss ja nicht auftreten. Nur: Wenn ich wieder was Neues gefunden habe, geht das Vorangegangene nach und nach schon wieder vergessen. Nur die ersten 16 Sonaten alle spielen zu können, dafür wird mir dieses Leben sicher nicht mehr reichen - was auch nicht weiter schlimm ist. Aber wie beherrscht man denn die 32 Sonaten und noch so viel mehr - also: Wie lange braucht der Profi, um einen ganzen Satz zu spielen: Sieht er oder sie die Noten und kann sie direkt zum Tönen bringen, sich also gleich um Feinheiten kümmern? Ist der Fingersatz beim ersten Ansehen im Wesentlichen schon klar? Und: Wie lange sitzt man als Profi an den Tasten? Als Amateur übe ich etwa eineinhalb bis zwei Stunden täglich, aber das geht so auch erst, seit ich in Pension bin.

Danke, wenn jemand diesen Sermon bis hier gelesen hat - ich freue mich sehr auf Antworten oder Hinweise auf bereits in diesem Sinne geführte Diskussionen in diesem Forum - die Suchfunktion hat leider kein Ergebnis gebracht.
Grüße aus dem schönen Taunus!
 
Hallo Keybert,
ich hatte das Thema in meiner letzten Klavierstunde. Meine Lehererin ist Konzertpianistin und hatte zum Einstudieren für eine ihr unbekannte Sonate von Beethoven, die ca. 40 min lang ist, 3 Wochen zum Üben und musste dann mit dem Orchester auftreten. Das Konzert ist wohl gut gelaufen :001:. Allein die Vorstellung war der blanke Horror für mich.
Ich spiele seit zwei Jahren und fange jetzt mit der Sturmsonate 3. Satz an. Ich hoffe, ich komme nach drei Wochen durch die ersten zwei Seiten (das wäre mehr, als ich gerade erwarte), dann ist wieder Klavierstunde. Ich rechne mit 6 Monaten für den ganzen Satz. Ich beiße mich aber auch eher fest.
 
Wer's richtig kann sieht in den Noten eben keine einzelnen Töne oder zu drückende Tasten, sondern die Musik, und spielt dann die Musik, keine einzelnen Töne.
 
Es hängt auch immer von der Klaviersonate ab. Op. 2,1 verinnerlicht man wesentlich schneller als op. 106. Das ist ja aber eigentlich sowieso klar.

Was jedoch nicht jedem klar sein dürfte, ist, dass das Erlernen komplexer Klaviermusik nicht linear verläuft im Sinne von „ich übe jetzt den ersten Satz ein, dann den zweiten, dann den dritten usw.“, sondern das da ganz viel über Erschließen, Auswendiglernen, Weglegen, wieder auffrischen, mental üben, probeweise aufführen, wieder weglegen usw. läuft. Das sind teilweise lebenslange Prozesse. Wann war denn Brendel „fertig“ mit den Beethoven-Sonaten: nach der ersten, der zweiten oder der dritten Gesamteinspielung?
 
Wer's richtig kann sieht in den Noten eben keine einzelnen Töne oder zu drückende Tasten, sondern die Musik, und spielt dann die Musik, keine einzelnen Töne.
Leichter gesagt als getan.

Wer es efnst meint mit der Musik, der „übt“ an Bach und Beethoven ein Leben lang - und wird doch nie fertig. Das ist auch keine Schande, sondern das schiere Glück!
 
Hallo Keybert,
ich hatte das Thema in meiner letzten Klavierstunde. Meine Lehererin ist Konzertpianistin und hatte zum Einstudieren für eine ihr unbekannte Sonate von Beethoven, die ca. 40 min lang ist, 3 Wochen zum Üben und musste dann mit dem Orchester auftreten. Das Konzert ist wohl gut gelaufen :001:. Allein die Vorstellung war der blanke Horror für mich.
Ich spiele seit zwei Jahren und fange jetzt mit der Sturmsonate 3. Satz an. Ich hoffe, ich komme nach drei Wochen durch die ersten zwei Seiten (das wäre mehr, als ich gerade erwarte), dann ist wieder Klavierstunde. Ich rechne mit 6 Monaten für den ganzen Satz. Ich beiße mich aber auch eher fest.
Was war das denn für eine interessante Sonate mit Orchester?
 
Zunächst: An Beethovensonaten, wie auch an Bachs pianistischem Gesamtkunstwerk sitzt man auch als Profi sein Leben lang.
Die Herangehensweise ist von Mensch zu Mensch unterschiedlich.
Beethoven ist für mich ein Scheinzwerg: Sehe ich die Noten zum ersten Mal, sagt alles in mir: Super, geht gut in´s Hirn und in die Finger, ich fühle den Überblick.
Je länger ich dann daran arbeite, desto komplexer wird das Stück, dann wird Beethoven zum Riesen.
Um den Satz einer Sonate aus seiner mittleren Schaffenszeit zu lernen, brauche ich ca zwei Wochen. Dann ist er im Kopf und dann geht es ad infinitum an die Feinarbeit. Für mich das Allerschönste, was ich auf dem Klavier tun kann. Ich liebe dieses Üben!
 
Tatsächlich muss man bedenken, dass Amateur und Profi (ich nenne sie nur mal der Einfachkeit halber so - wir könnten auch "Niveau A und Niveau B" sagen...) nicht von derselben Stufe aus starten, und der Profi nur schneller zum Ziel kommt.

Sondern: Wenn ein erfahrener Spieler Musik spielt, klingt es im Kopf und auf den Tasten sofort anders. Die Musik wird anders wahrgeonmmen, anders verstanden, anders überblickt und der Klang damit sofort anders geformt. Selbst wenn ein Profi schlecht vom Blatt spielt kann verständigere Musik herauskommen, als wenn ein Amateur gut vom Blatt spielt. Damit meine ich nicht, dass es unbedingt schöner sein muss (und ich kann, wie ich schon oft schrieb, gerade auch der amateurhaft dargebotetenen Musik im herzenssinne sehr viel abgewinnen), sondern tatsächlich verständiger.

Im Detail bedeutet das zum Beispiel: Vorhalte, Auftakte, Schlüsse werden "formelhaft" sofort musikalisch sinnvoll gespielt, Dissonanzen, Akkorderweiterungen, Klangbalancen sofort durchgehört, Phrasen sofort sinnvoll geformt, Formen überblickt und entsprechend in Richtung gespielt.

Dieses ganze "sofort" resultiert in einem musikalisch logischen Spiel, ähnlich, wie wenn ein Schauspieler einen Text vom Blatt sehr gut liest. Diese ganze "Feinarbeit" ist eine Beschäftigung mit der Interpretation, also mit persönlicher Auffassung und auch Entscheidung, welche von vielen Möglichkeiten oder Wahrheiten man am Ende zeigen möchte.

Natürlich gibt es manchmal auch technische Fragen zu lösen, Unhandliches zu üben, Fingersätze auszutauschen oder zu finden etc., aber hier ist es wie mit den musikalischen Bausteinen oben: Das Meiste kennt man schon, darum geht es schnell. Gerade Beethoven hat aber manchmal sehr unangenehme Figuren, gerade z.B. auch Begleitfiguren in der linken Hand, die man sonst nie oder fast nie spielt und darum wirklich üben muss.

Zur Dauer: Es kommt schon drauf an, wie viel Zeit man pro Tag investiert, ob man noch unterrichtet, ein Privatleben hat etc., oder sich in einer Spezialphase auf ein kurzfristiges Einspringen vorbereitet. Ein Profi kann eine Beethovensonate oder ein Mozart-Klavierkonzert in ein bis zwei Wochen sicher konzertreif üben. Allerdings ist es dann noch nicht wirklich ins Hirn "eingesunken" - nach einigen Monaten wird es u.U. nochmal etwas anders klingen, selbstverständlicher, freier, souveräner, ausgefeilter.
 
Wie lange übt der Profi dann effektiv pro Tag in den ersten zwei Wochen?
 
Du meinst, wenn man sich intensiv auf etwas kurzfristig vorbereitet? Vermutlich so 5-8 Stunden. Das ist wirklich sehr individuell, kommt stark auf das Stück und den Spieler an.
 

Und zack werden aus einer Profi-Übewoche 3-4 Amateur-Übewochen. Mindestens.
Klar, einer der wichtigen Gründe, warum Profis oft besser spielen als Amateure, ist ja die Übezeit - Erfahrungsvorsprung. Beziehungsweise, wenn vermeintliche Amateure aus Gründen über einen längeren Zeitraum plötzlich mehrere Stunden pro Tag üben, werden sie im Übrigen auch zu Profis, so wie einzelne Beispiele aus dem Forum es schon mehrfach bewiesen haben.
 
Wie lange übt der Profi dann effektiv pro Tag in den ersten zwei Wochen?
Aus eigener Erfahrung: Nicht so viel. Es wird dann aber deutlich mehr, wenn das Konzert näher rückt und man den Ernst der Lage allmählich erkennt. :lol:

Aber zum Thema - für eine mittelschwere Beethoven-Sonate würde ich so eine Woche kalkulieren, bis die anhörbar auswendig sitzt. Die großen Sonaten aus der mittleren Schaffensperiode dauern länger und die späten Sonaten nochmal länger. Op. 106 ist dann der ultimative Brecher - damit habe ich mich mehrere Jahre beschäftigt, bevor ich die öffentlich gespielt habe. Und wenn ich sie erneut auf ein Programm setzen sollte, würde ich nochmals wochenlang intensiv daran arbeiten. Dieses Ding ist so extrem garstig, dass man soviel üben kann wie man will - es wird immer zu wenig sein.
 
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