Ich habe mir ein paar Gedanken dazu gemacht und bin beim Beispiel Beethoven im Eröffnungsthread hängen geblieben, welches ich für etwas problematisch halte. Ich habe op. 28 (D-Dur) vor etwa zwanzig Jahren unter Anleitung meines damaligen Klavierlehrers in einem Konzert im Hagener Freilichtmuseum aufgeführt und habe zur Vorbereitung die Ausgabe des Henle-Verlages mit dem Fingersatz von Hansen benutzt. Damit bin ich als Schüler im Alter von achtzehn Jahren gut zurecht gekommen.
Einige Jahre später habe ich mir die angesprochene Arrau-Ausgabe von Peters gekauft. Wenn ich die Fingersätze vergleiche komme ich zu dem Schluss, dass in den zahlreichen Bindungen der Außenstimmen im ersten Satz Arraus Ideen musikalisch logischer sind. Man wird den Verdacht nicht los, dass Hansen sich hin und wieder gedacht haben mag „Da benutzt der Spieler eh das Pedal, also kommt es auf den Finger nicht so an.“, Arrau dagegen gedacht haben mag „Die Bindungen müssen erst mal sauber und logisch aus den Fingern geführt werden.“.
Wenn dem so ist, was bedeutet das dann im Hinblick auf Anfänger und Fortgeschrittene? Eignet sich der Arrau-Fingersatz für Anfänger weniger, weil er auf den ersten Blick „unbequemer“ erscheint? Oder ist er nicht gerade für Anfänger der sinnvollere der beiden, da man gar nicht erst zum „Pfuschen“ animiert wird? Und überhaupt (und deswegen habe ich Probleme mit dem Beispiel „Arraus Beethoven“): Hatte einer der beiden überhaupt einen Anfänger im Blick, als er den Fingersatz entwickelt hat? Denn von Anfängerliteratur kann man ja nun nicht wirklich sprechen in diesem Beispiel (ich war damals ja auch kein „Anfänger“). Oder noch weiter: Hat einer der beiden überhaupt konkret eine bestimmte Zielgruppe im Blick gehabt?
Ich übe aktuell drei Werke parallel, alle ebenfalls in einer Henle-Ausgabe. Ich übe dabei zunächst einmal der Einfachheit halber nach dem angegebenen Fingersatz. Sobald ich während meines Übeprozesses merke „Seltsam, Steen-Nokleberg gibt an der Stelle den Ringfinger vor, ich nutze aber irgendwie konsequent den Mittelfinger“, beginne ich Fragen zu stellen. Zum Beispiel: Wo ist bei meinem Fingersatz der Haken? Eckt ab einem gewissen Tempo meine Bewegung im Allgemeinen, vernachlässige ich irgendeine (versteckte) Stimmführung, was auch immer. Schon in manchen Fällen habe ich mich insgeheim beim Autor hinterher bedankt und habe meinen Fingersatz dem vorgegebenen angepasst. In manch andern Fällen stellte ich auch durchaus keinen Haken bei meiner Variante fest (bisher…). Und so lege ich den Fingersatz zunächst einmal natürlich so aus, dass meine Bewegungen, der gesamte motorische Apparat rund, weich und flüssig funktionieren.
Ich tippe also, um anzuknüpfen, vielmehr auf genau diesen Antrieb der Herren Hansen und Arrau, was ihre Fingersätze für die Beethoven-Sonaten angeht, weniger auf das Ansprechen von Zielgruppen, die weniger (oder auch mehr) fortgeschritten sein mögen. Überdies denke ich, dass (um beim Beispiel der Pastorale zu bleiben) die meisten Anfänger (wie immer man das definiert) mit dem Werk ihre Probleme haben werden, unabhängig davon, welchen der beiden Fingersätze sie wählen. Ich finde das Festhalten an Fingersätzen recht wichtig, da (zumindest in meinem Fall) sie Grundlage einer flüssigen und ökonomischen Bewegung sind.
Eine Antwort auf die Frage ob es nun Fingersätze gibt, die für Anfänger partout nicht geeignet sind lasse ich damit allerdings offen, das ist mir bewusst. Wenn mein Klavierlehrer mir erklärte warum Fingersatz X besser ist als Y, den ich benutzte, habe ich ihm vertraut und X geübt, auch wenn mir das anfangs umständlicher schien. Und wenn ich meinem Klavierlehrer gesagt habe, dass ich so dazu neige zu verkrampfen o. ä. hat er mir gezeigt, wie ich es ohne diesen Mangel hinbekomme und in aller Regel hat das auch immer geklappt. Ich bin mir also nicht sicher, ob ein Spitzen-Fingersatz wirklich eine Hürde für den Anfänger sein kann, im Endeffekt dient er doch der Unterstützung eines sicheren Bewegungsapparates.