Spiel die Töne am Klavier in der richtigen Reihenfolge und merke dir die Melodie, die du dann verwenden kannst, um die Töne anzugeben. Vllt. hat @Rheinkultur ja einen guten Tip.
Dann schaue ich mal, was sich machen lässt.
Etwas weiter ausholen muss ich dazu allerdings. Im Moment der Tonangabe passiert nämlich etwas Entscheidendes, indem der musikalische Leiter seinen Ensemblemitgliedern den Weg "ins Stück" ebnet. Einige Dinge mehr müssen dazu vertraut sein als nur die Höhe des ersten Tones: Das Tempo muss von Anfang an klar und stabil sein, bei Auftakten ist auf den ersten Schwerpunkt und darüber hinaus hin zu singen, die Lautstärke und die Klangfarbe (Vokale) müssen homogen sein, es müssen "Einatmer" und "Ausatmer" auf den Punkt des synchronen Anfangens kommen und so weiter. Vor diesem Hintergrund gibt es kein einheitliches und allgemeingültiges Konzept der einzig richtigen Tonangabe. Ein häufiges Beispiel? Alle Stimmen beginnen auftaktig auf dem gleichen Ton und singen bereits auf die folgende Takteins den kompletten Tonika-Akkord in allen Stimmen. Beschränkt man sich auf die Angabe des einheitlichen Anfangstons, ist mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit bereits der erste Akkord im Stück schon intonatorisch nicht stabil. Gerade bei Laienchören mit begrenztem Leistungsvermögen wird man ein Anfangsintervall oder noch weitere Töne vorgeben müssen und generell darauf bestehen, dass die aufgenommenen Einsatztöne ausgehalten werden. Wenn bereits der Anfang eines Satzes nicht homogen zusammenklingt - was soll dann erst in der Folgezeit passieren? Eben.
Das Stichwort ist bereits gefallen, dass die korrekte Tonangabe Übungssache ist. Stimmt grundsätzlich, aber dazu gehören auch eine Kenntnis und Beherrschung des Zusammenwirkens der Stimmen im Satz und eine klare Vorstellung von Tonqualität und Klangfarbe. Deshalb hat der "Absoluthörer" (ich gehöre auch zu diesen) im Vergleich mit dem "Relativhörer" nur den Vorteil, sich den Anfangston nicht von diversen Hilfsmitteln (Instrument, Stimmpfeife oder -gabel, sogar Handy-Apps gibt es) abholen zu müssen. Alle anderen Arbeitsschritte muss er genauso wie jeder andere erledigen.
Was heißt das für die Praxis, wenn man vor dem Chor steht? "Absoluthörer" nehmen sich die Zeit für die Klangvorstellung und geben erst dann souverän und in Ruhe die Einstiegstöne und Stimmanfänge vor. Dabei vergewissern, dass die Informationen bei den Chormitgliedern angekommen sind, bevor man zur nächsten Stimmgruppe wechselt. "Relativhörer" ermitteln sorgfältig, von welcher Quelle sie ihre Töne am besten abnehmen können. Ich habe genügend Vizedirigenten dabei beobachtet, wie sie fahrig und mit zitternden Händen an einer Stimmpfeife oder dergleichen herumhantieren und ihre Unsicherheit zwangsläufig auf den Chor übertragen. Nehmt Euch für den Einstieg unbedingt ausreichend Zeit - nach verpatztem Einstieg neu beginnen zu müssen dauert immer länger, lieber ein paar Sekunden länger und dafür im Stück angekommen sein.
Dazu kommen gerade bei Laienchören zum Teil außermusikalische Begleiterscheinungen: Unkonzentriertheit, Tuscheln mit dem Nebenmann, optische Ablenkungen, umständliches Suchen der richtigen Stelle in den Notenmappen und vieles mehr beeinträchtigen das sichere Übernehmen von Vorgaben. Zu lange darf es aber mit dem Einstieg auch nicht dauern, weil dann bereits die notwendige Betriebsspannung bei den Akteuren wieder nachlässt. Das ist selbst für erfahrene Chorleiter nicht immer ganz leicht zu händeln.
Vielleicht lässt Dich der/die jeweilige Chorleiter/in ja da mal Töne angeben üben? Damit es nicht so "trocken" ist?
Genau das entgeht so manchem Hauptamtlichen: Stellt Eure Vizedirigenten ruhig öfter unter Eurer Aufsicht vor Euren Chor und lasst sie praktische Erfahrungen sammeln! Schnell erkennen die Chormitglieder, dass der Dirigentenjob weit mehr als ein wenig Herumfuchteln mit den Händen ist - und der Vize arbeitet sich in die Materie ein, bevor er sich vor Publikum bewähren muss, "weil der Chef nicht da ist". Zumal es eine wunderbare Sache ist, dass engagierte Nebenamtliche uns Hauptamtliche oftmals gewaltig entlasten. Mal zwischendurch Tonangabe üben lassen ist zu wenig. Für einen komplett durchgesungenen Chorsatz unter dem Vize sollten sich die paar Minuten Probenzeit schon abzweigen lassen.
Es geht ganz allgemein darum, das zu können und an allen möglichen Stücken anwenden zu können. Haben das heute bestimmt mit 20 verschiedenen Stücken gemacht.
Leider oder Gott sei Dank muss man sich für jeden Chorsatz ein individuelles Konzept ausdenken und dieses auf den jeweiligen Klangkörper bestmöglich ausrichten. Überlegungen wie die folgenden sind zu berücksichtigen:
- Setzen die Stimmen mit unterschiedlichen Einsatztönen ein oder haben alle den gleichen?
- Sind die harmonischen Verhältnisse zu Beginn des Satzes stabil oder gibt es von Anfang an dissonante Reibungen, Vorhalte und Entfernungen vom harmonischen Zentrum?
- Ist der rhythmische Fluss gleichförmig oder ist das Tempo eher nicht konstant?
- Sind die Chormitglieder alle hellwach auf den Punkt da oder brauchen manche länger?
- Welche Vokale dominieren im gesungenen Text?
- Werden bereits zu Beginn Extremlagen in den Chorstimmen erreicht oder dominiert eine bequeme Mittellage?
- Schreiten die Stimmen in eher kleineren oder eher größeren Intervallen fort?
- Erfordert ein schnelleres Grundtempo eine überdurchschnittlich schnelle Tonansprache oder ist der "Einschwingvorgang" eher ruhig?
Man könnte weitere Stichpunkte aufführen. Klar ist sicherlich, dass das Erkennen, Realisieren und Zusammenführen dieser Aspekte seine Zeit braucht. Nehmt sie Euch ruhig - das ist im Interesse aller. Unsicherheiten, Nervosität, Aufregungen aller Art übertragen sich sehr schnell aufs Ensemble - aber das sagte ich schon.
In diesem Sinne frohes Schaffen!
LG von Rheinkultur