Toccata und Fuge d-moll im Gottesdienst?

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Cubus

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Ich habe noch nie im Gottesdienst die Toccata und Fuge d-moll von Bach zum Eingang oder Ausgang gehört. Woran liegt es? Zu lang, zu populär?
 
Ich habe die mal vor Urzeiten in einem evangelischen Gottesdienst an einem 4-registrigen Positiv mit angehängtem 16' im Pedal zum Ausgang gespielt. Zur damaligen Zeit sind die Gottesdienstbesucher während des Nachspiels bereits gegangen, aber bei diesem Mal sind die doch glatt (vor Schreck ?) sitzen geblieben.
 
Ich habe noch nie im Gottesdienst die Toccata und Fuge d-moll von Bach zum Eingang oder Ausgang gehört. Woran liegt es? Zu lang, zu populär?

Toccata und Fuge in einem Rutsch zusammen ist etwas zu lang für einen normalen Gottesdienst, für meinen Geschmack. Toccata zum Eingang und Fuge zum Ausgang sollte von der Länge her eigentlich gut machbar sein. Wenn ein Stück populär ist, ist es für mich auch noch kein Ausschlußkriterium.

Also, ich habe es auch noch nie im Gottesdienst gehört. Bei mir ist aber der Grund einfach: ich selber habe es noch nie im Gottesdienst gespielt und ich gehe sogut wie nie in Gottesdienste, es sei denn, ich habe dort Orgeldienst. :D

Aber: ein Präludium von 3-4min Dauer zu Beginn und die zugehörige Fuge von etwa selber Dauer, das sollte von der Dauer und vom Inhalt absolut passend sein für einen ev. Gottesdienst, wenn es auf Eingang- und Ausgang aufgeteilt wird, und so praktiziere ich es selber auch - es hat sich bisher noch keiner beschwert und um Gnade gewinselt...
 
Ich vermute, dass die Toccata einfach charakterlich für einen Gottesdienst unpassend ist, zum einen wegen des dramatischen Beginns selbst, zum anderen, weil man das Stück meistens mit irgendwelchen zweitklassigen Gruselfilmen verbindet, in denen entweder Kirche / Friedhof als Gruselkammer verwendet oder die Orgelklänge auch in anderem Zusammenhang als Gruselinstrumentenuntermalung zweckentfremdet werden.

Übrigens ist das Stück vermutlich nicht von Bach, wenn man sich das Fugenthema genauer ansieht, ist das recht schnell einsehbar. Wir haben das mal kurz in Musikgeschichte angeschaut. Da man es aber sonst niemandem zuordnen kann, läuft es halt noch unter "Bach". Es gibt ja auch einen Chopinwalzer, der nicht von Chopin ist... :)
 
Ich vermute, dass die Toccata einfach charakterlich für einen Gottesdienst unpassend ist, zum einen wegen des dramatischen Beginns selbst, zum anderen, weil man das Stück meistens mit irgendwelchen zweitklassigen Gruselfilmen verbindet, in denen entweder Kirche / Friedhof als Gruselkammer verwendet oder die Orgelklänge auch in anderem Zusammenhang als Gruselinstrumentenuntermalung zweckentfremdet werden.

Übrigens ist das Stück vermutlich nicht von Bach, wenn man sich das Fugenthema genauer ansieht, ist das recht schnell einsehbar. Wir haben das mal kurz in Musikgeschichte angeschaut. Da man es aber sonst niemandem zuordnen kann, läuft es halt noch unter "Bach". Es gibt ja auch einen Chopinwalzer, der nicht von Chopin ist... :)

Sooo unpassend finde ich die Toccata nun auch nicht für den Gottesdienst. Man kann es ja beim Gottesdienst nach Halloween spielen :floet: :D

Dass die "epidemische", so wie sie früher mal genannt wurde, weil immer gespielt (ich finde, heute hört man sie dafür umso seltener), nicht von Bach sei, geistert ja schon seit langem herum. Die letzteren Publikationen z.B. vom angesehenen Bach-Forscher Christoph Wolff, tendieren wohl doch eher dazu, es als eine Jugendsünde von Bach anzusehen, aber - nix genaues weiss man nicht.

Mich würde interessieren, was du am Fugenthema "unbachisch" findest. Ich schreibe mal, was ich da am "unbachischsten" finde: nämlich, dass der Fugeneinsatz der 2. Stimme nicht auf der Quintstufe einsetzt (was doch eigentlich eine "heilige" Regel ist), sondern auf der Quartstufe. Kenne keine weitere Fuge von Bach, wo das der Fall wäre (kenne aber auch längst nicht alle). Interessant auch, dass das Pedal das Thema mal ganz alleine hat an einer Stelle. Kenne da auch keine andere Fuge Bachs, bei der das der Fall wäre. Gibt sicher noch weitere Dinge, nur: viele Fugen haben irgendein Alleinstellungsmerkmal, also auch das sagt noch gar nix aus.
Also was das Fugenthema selber angeht, verstehe ich nicht, wo man daran Bach direkt ausschließen könnte; es hat ja auch einen gewissen Bezug zum Toccatenanfang - der Lauf des Toccatenanfangs findet sich in jedem 2.Ton des Fugenanfangs wieder. Aber ok, das sagt natürlich auch nix aus, ob Bach oder nicht.

Ob Bach oder nicht, ich finde es trotzdem ein mitreißendes Stück, man darf es eben nur nicht zu oft hören oder spielen.
 
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@ Mindenblues: Das mit der Quinte (Nicht-Quinte) war auch das Hauptkriterium, warum Bach ausgeschlossen wurde. Es wäre für ihn sicher nicht schwierig gewesen, den perkussiven Charakter des Themas beizubehalten und es dabei so umzuformen, dass ein Quint-Comes möglich wäre. Überhaupt finde ich das Thema zwar interessant, aber für Bach ein bisschen zu primitiv, oder? Aber ich will da nicht urteilen, ich gebe nur weiter, was der unpädagogischste aller Dozenten merkwürdigerweise in meinem Hirn hinterlassen hat, ansonsten habe ich vom Orgelspielen und der betreffenden Literatur zugegebenermaßen nur eine äußerst beschränkte Ahnung.
 
Ich habe die Toccata schon einmal zum Auszug gespielt - bei den Katholiken in einer Dorfkirche. Es hat sich keiner beschwert. Sie sind auch nicht schneller oder langsamer aus der Kirche gelaufen als sonst immer (soll heißen, es ist in dieser Kirche sowieso "gute Sitte", sobald der erste Ton des Orgelauszugs beginnt aufzustehen und hinauszulaufen, der Pfarrer und seine Ministranten verschwinden währenddessen direkt durch die Hintertür hinter dem Hochaltar in die Sakristei...).
 
Doch ich spiele es gelegentlich. Zu oft ist allerdings nichts. Ich denke, den Profis ist es einfach zu ausgelutscht. Dazu kommt natürlich gerade im kath. Bereich die Unsitte gleich hinauszulaufen, da fragt man sich natürlich, wozu der Aufwand. In ganz vielen kleinen Dorfkirchen spielen sicher auch Leute, denen das einfach zu schwer ist.

Die Diskussion,ob es von Bach ist und ob es überhaupt ein Orgelstück ist, oder die Bearbeitung eines Violinstückes ist nicht ganz neu. Für mich ergibt sich die Frage, wer es geschrieben haben könnte, wenn nicht Bach? Die zahlreichen Tempobezeichnungen lassen auf einen späteren Komponisten schließen, die Stil ist allerdings nicht galant. Wer kommt infrage? Krebs klingt anders, wäre immerhin eine Möglichkeit. Vielleicht Wilhelm Friedemann?

Grüße
Axel
 
Von der Notwendigkeit des Quint-Comes?

Geehrte Fories,

Ich möchte euch bitten, meine plötzliche Einmischung in eure Plauderei zu entschuldigen, aber ich möchte euch auf eine unsachgemäße Argumentation aufmerksam machen.

Ob dieses wunderbare Werk nun von Johan Sebastian Bach ist oder nicht, ist mir in meinem itzigen Wissensstand weder bekannt noch wichtig. Ich halte es für ein geniales Werk das mich jederzeit neu begeistern vermag, wenn es gut gespielt ist.

Die Argumentation: „Ist nicht von Bach weil der Comes nicht in der Quinte erscheint“ ist meiner Meinung nach unrichtig. Die Organisten, die viel Bach spielen, wissen, dass Bach mehre Fugen geschrieben hat in welcher der Comes in der Quarte erscheint. Aber auch die Pianisten, welche das WTK studiert haben sollten das bemerkt haben, oder stellt ihr die Vaterschaft folgender Bachfugen in Frage?

WTK I
Fuge 3, Fuge 11, Fuge 12, Fuge 13, Fuge 16, Fuge 21, Fuge 24
WTK II
Fuge 1, Fuge 2, Fuge 12, Fuge 14, Fuge 15, Fuge 16, Fuge 17, Fuge 20.

Die Argumentation: „Es wär ein leichtes für Bach gewesen, den Comes in der Quinte auftreten zu lassen“ ist m. E. ebenso unrichtig. Das Fugenthema beginnt auf der Dominante und kreist um diese herum, so dass der Comes mit der Tonika einsetzen muss ansonsten das ganze Tongebilde in der Dominante der Dominante enden würde. Nicht jede Fuge ist eine „Schulfuge“ und solche hat Bach ja keine geschrieben.

Weshalb das Pedalsolo für Aufregung sorgt ist mir ein Rätsel. Es gibt mehrere große Präludien von Bach die ausgedehnte Pedalsoli haben: das große in F-Dur, C-Dur, und sogar die „Dorische“.

Der Argumentation der vielen Tempo Angaben, möchte ich mit großer Vorsicht begegnen, so lang es mir nicht möglich war das Manuskript einzusehen. Notenbüchern traue ich keinen Deut. Ob die Anwesenheit dieser Tempoangaben ein Anlass sein soll, das Werk dem Sohn zuzuschreiben vermag ich nicht zu beantworten. Und, sollte das Werk tatsächlich von Wilhelm Friedemann sein, müsste es dann nicht in dessen Nachlass auftauchen?

Dass das Fugenthema der d-moll Fuge ein violonistisches Thema ist, dürfte wohl kein Geheimnis sein. Zu überlegen wäre blos, ob das Werk nicht der Gattung „Stylus Phantasticus“ oder wenigstens in dessen Sog, ein zu reihen wäre?

Ich weiß nicht, ob mein Beitrag zur Diskussion beiträgt, aber m. M. nach haben sich in den obigen Beiträgen ein paar Unreinheiten eingeschlichen.

Hochachtungsvoll
Pierre Schwickerath
 
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Hmm, nun ja. Je nachdem, welche Stimme zuerst anfängt, entsteht natürlich eine Quarte zwischen den ersten beiden Themeneinsätzen, da sie das Komplementärintervall zur Quinte ist. Die Beispiele aus dem WTK dürften aber noch nicht belegen, dass im 2. Einsatz die Tonart der 4. Stufe angesteuert wird. So etwas habe ich nur einmal in Mozarts D-Dur Messe gesehen, wo es nicht glücklich wirkt.

Ein Vertauschen der Dux oder Comes-Gestalt steht auf einem anderen Blatt. Das gibt es schon in WTK I/1: Die Einsatzfolge ist D, C, C(!), D.

Die Tempoangaben dürften wohl unbestritten sein und keine Zutat des Herausgebers. Es gibt auch ein Faksimile einer alten Handschrift zu kaufen, die aber wohl kein Bach'sches Autograph ist. Ich kenne Wilhelm Friedemanns Nachlass nicht, das habe ich ja auch nie behauptet. Es wäre immerhin eine Möglichkeit. Die Tempowechsel passen nicht zum offensichtlichen Sylus Phantasticus. Wenn ich so ein Notenbild sehe, auch mit den ausgeschriebenen Oktaven in der Toccata, würde ich eher an einen späteren Komponisten denken. Spontan fallen mir die Fantasien von Müthel ein. Wer hat nach JSB einen solchen Stil geschrieben ohne galant zu werden? Carl Philipp eher nicht, seine Sonaten sehen anders aus. Wilhelm Friedemann ist nur eine These von mir, ich würde ihm den späten Ruhm gönnen.

Das Pedalsolo an sich ist nicht das Problem. Erstaunlicher ist, dass hier das Thema ohne Begleitung und ohne jeglichen Kontrapunkt zitiert wird. Selten bei JSB.

Das das Stück gut ist, hat ja keiner bestritten.

Grüße
Axel
 
Liebe Freunde,

Ich hatte mich nicht präzise genug ausgedrückt. Es war nicht meine Absicht zu erklären dass diese, nennen wir sie mal „unregelmäßige“ Fugen auf die vierte Stufe münden, sondern ich wollte betonen dass der angebliche „Quint-Zwang“ nicht gilt. Ich wollte auch drauf hinweisen, dass selbst Johann Sebastian Bach dieses Fugenthema nicht mit einem „Quint-Comes“ hätte aussetzen können, denn wie Axel uns es treffend beschreibt, hängt es ja letzt endlich vom Thema ab ob der Comes eine Quinte steigt oder fällt. Beginnt das Thema mit der Quinte (Dominante), kann der Comes nur auf der Tonika einsetzen. Das wollte ich mit den oben aufgelisteten WTK Fugen verdeutlichen. Und letzt endlich gehorcht die d-moll Fuge diesem Gesetz. Egal wer nun diese Fuge geschrieben hat, es gibt doch nichts an ihr zu beanstanden. Die Suche nach deren wirklichen Schöpfer überlass ich aber lieber der Weltelite der Musikwissenschaftler.

Beste Grüße
PiRath
 
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Aber auch die Pianisten, welche das WTK studiert haben sollten das bemerkt haben, oder stellt ihr die Vaterschaft folgender Bachfugen in Frage?

WTK I
Fuge 3, Fuge 11, Fuge 12, Fuge 13, Fuge 16, Fuge 21, Fuge 24
WTK II
Fuge 1, Fuge 2, Fuge 12, Fuge 14, Fuge 15, Fuge 16, Fuge 17, Fuge 20.

Die Autorschaft stellt sicher niemand in Frage, aber deine These, daß hier das Thema in der Oberquart, bzw. Unterquint beantwortet würde, muß man nicht erst in Frage stellen, denn ein Blick in die Noten belegt, daß du dich irrst: In allen diesen Fugen ist der erste Ton des Themas die Tonikaquint, und nur diese wird im Comes geändert. Schau's dir noch mal genau an, der zweite Themeneinsatz steht in allen von dir genannten Fugen immer auf der Oberquint. Deine Formulierung: "Beginnt das Thema mit der Quinte (Dominante), kann der Comes nur auf der Tonika einsetzen", ist für den Anfangston nicht falsch, aber darf nicht mißverstanden werden als Einsatz auf der Quart; anhand der Fuge 3 des WTK I sei es erläutert:

Die ersten Töne sind:
gis ais gis fis gis eis cis.
Der Comes antwortet mit:
cis eis dis cis dis his gis.

Der Comes ist eindeutig eine Quinte höher als der Dux, nur der erste Ton ist es nicht. "Und letztendlich gehorcht die d-moll Fuge diesem Gesetz", wie du sagst, ist also ein Irrtum, denn in der d-moll-Fuge erscheint der zweite Themeneinsatz vollständig auf der Unterquint. Wenn du belegen willst, daß es dafür zahlreiche Beispiele bei Bach gibt, mußt du andere Stücke nennen. Ich kenne mich in der Orgelmusik nicht aus und schließe nicht aus, daß es tatsächlich ein Beispiel gibt, aber in der Klaviermusik und anderer Musik von Bach ist mir keines präsent. Daran mag jedoch mein schlechtes Gedächtnis schuld sein -- also nur her mit Gegenbeispielen, aber dann bitte tauglicheren!
 
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Lieber Kernbeisser,

Vielen Dank für die aufklärende Worte. Primär ging es mir um den Hinweis dass nicht jeder Comes auf der Quinte auftritt. (Was dessen Anfangston betrifft.) Daß der Comes in solchen Fällen nun auch nicht eine sture Quart-Transponierung des Dux ist, ist mir schon bewusst, auch wenn ich es nicht formuliert habe. Die, im Verlauf des Themas auftretende Intervall Veränderungen, also die Mutationen, sind ja in der Tat nicht zu übersehen – nur wie gesagt hab ich primär nicht nach ihnen geschaut – so dass ich auch wirklich nicht so tief und so weit ausholen wollte.

So möchte ich noch dankend anerkennen, daß mir diese Diskussion, wegen mangelnder Praxis tief vergrabene Informationen, wieder auffrischte.

Vielen Dank & Beste Grüße
PiRath
 
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Die Argumentation: „Es wär ein leichtes für Bach gewesen, den Comes in der Quinte auftreten zu lassen“ ist m. E. ebenso unrichtig. Das Fugenthema beginnt auf der Dominante und kreist um diese herum, so dass der Comes mit der Tonika einsetzen muss ansonsten das ganze Tongebilde in der Dominante der Dominante enden würde. Nicht jede Fuge ist eine „Schulfuge“ und solche hat Bach ja keine geschrieben.

Ganz genauso sehe ich es auch. Wenn im Fugenthema die Dominantenstufe "dominant" auftritt und nicht nur als Durchgangston, lässt Bach die Fuge gerne tonal beantworten, und macht im Comes aus der ursprünglich 5. Tonstufe eine 4. Tonstufe. Ansonsten würde man auf der Doppeldominante statt Tonika landen.
In diesem Fugenthema ist es nun derart extrem, dass das Fugenthema die Töne abwechselnd auf der Dominantenstufe und dann Schritt für Schritt die anderen Tonstufen bedient. Es ist also einfach eine folgerichtige Konsequenz, dann im Comes auf der Quarte loszulegen, und dann genauso Schritt für Schritt die anderen Tonstufen zu bedienen. Wenn Bach oder wer auch sonst, hier lediglich im engeren Sinne tonal beantwortet hätte, also nur aus der Quinte eine Quart gemacht hätte im Comes, und die Quarte belassen hätte, hätte es einen sehr deutlichen Bruch im Thema gegeben. Durch den gemachten Kunstgriff ist das nicht passiert!

Das der Comes bei einer Fuge normalerweise das Thema auf der Oberquinte oder Unterquarte weiterführt, ist die Schulweisheit Nr.1, die jeder Fugenkomponiernovize lernt. Die Konsequenz, die bei dieser Fuge an den Tag gelegt wird, aufgrund der Besonderheit des Themas eben stattdessen komplett auf der Oberquarte weiterzumachen, quasi als folgerichtige Fortführung der tonalen Beantwortung des Themas, spricht für mich eher für als gegen Bach - wer hätte sonst zu sowas den Mut gehabt?

Weshalb das Pedalsolo für Aufregung sorgt ist mir ein Rätsel. Es gibt mehrere große Präludien von Bach die ausgedehnte Pedalsoli haben: das große in F-Dur, C-Dur, und sogar die „Dorische“.

Du hast da was nicht richtig verstanden oder überlesen. Pedalsoli gibt es zu Hauf in Bachs Orgelfugen.

Was die Sache hier einzig macht gegenüber allen anderen Orgelfugen bei Bach ist die Tatsache, dass das Fugenthema solistisch im Pedal vorkommt.
Was wiederum auch nix darüber aussagt, ob es von Bach ist oder nicht. Es ist eben nur ein kleines Alleinstellungsmerkmal gegenüber anderen Orgelfugen von Bach.

Im Übrigen wundert es mich, dass einerseits die Toccata und Fuge in einer einzigen zeitnahen Abschrift von J. Ringk zu uns kam (mit J.S.Bach als Autorangabe!), jedoch die populäre Peters-Ausgabe, aus der hunderte von Einspielungen getätigt wurden, in der Toccata eigenmächtig hier und da Töne geändert oder hinzugefügt hat. Finde ich unbegreiflich, und bei den konkreten Stellen eine "Verschlimmbesserung"!
 
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Liebe Freunde,

Ohne jetzt das gesamte Orgelwerk Bachs durchstöbert zu haben, was ja wesentlich mehr Zeit in Anspruch nehmen würde, möchte ich noch schnell ein paar Gedanken hinzu fügen.

1)Bei folgender C-Dur Fuge tritt der Comes unverändert in der Quarte auf. Marcel Dupré streicht das mit der Bemerkung R. plag (Réponse plagale)
Den Anhang Exemple1a.pdf betrachten Den Anhang Exemple1b.pdf betrachten

2)Mutationen finden sich nicht nur bei einem Quart-Comes wieder, sondern auch bei einem Quint-Comes
Den Anhang Exemple2.pdf betrachten

3)Ein weiteres Beispiel einer „plagalen Fuge“ (weiss nicht ob es diesen Begriff gibt) zeigt eine andere Fuge in d-moll
Den Anhang Exemple3.pdf betrachten

4)Es gilt übrigens noch zu beachten, dass Marcel Dupré nur im Falle eines unveränderten Quart-Comes die Anmerkung „Réponse plagale“ macht, nicht aber bei einem mutierendem.
Den Anhang Exemple4b.pdf betrachten

In der Hoffnung, meine mir oben unterlaufene Fehler bereinigt zu haben ohne neue herbei geführt zu haben, grüße ich herzlichts

PiRath
 
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Im Übrigen wundert es mich, dass einerseits die Toccata und Fuge in einer einzigen zeitnahen Abschrift von J. Ringk zu uns kam (mit J.S.Bach als Autorangabe!), jedoch die populäre Peters-Ausgabe, aus der hunderte von Einspielungen getätigt wurden, in der Toccata eigenmächtig hier und da Töne geändert oder hinzugefügt hat. Finde ich unbegreiflich, und bei den konkreten Stellen eine "Verschlimmbesserung"!

Bach digital gibt an, dass zur Zeit der ersten Peters-Ausgabe (Griepenkerl, Roitzsch, ca. 1840) noch eine inzwischen verschollene Quelle existiert hat, die möglicherweise von Bachs Schüler Kittel stammte.
 
Die Konsequenz, die bei dieser Fuge an den Tag gelegt wird, aufgrund der Besonderheit des Themas eben stattdessen komplett auf der Oberquarte weiterzumachen, quasi als folgerichtige Fortführung der tonalen Beantwortung des Themas, spricht für mich eher für als gegen Bach - wer hätte sonst zu sowas den Mut gehabt?

Leider ist es, neben anderem, etwas, was gegen Bachs Autorschaft spricht. Denn man darf getrost fragen: Hätte Bach den Mut zu so einem unbrauchbaren Thema gehabt?
 
Bach digital gibt an, dass zur Zeit der ersten Peters-Ausgabe (Griepenkerl, Roitzsch, ca. 1840) noch eine inzwischen verschollene Quelle existiert hat, die möglicherweise von Bachs Schüler Kittel stammte.

Danke kristian, für diesen Hinweis! Dann kann es möglich sein, dass die erste Peters-Ausgabe die gegenüber der Ringk-Abschrift vorhandenen Abweichungen aus dieser nun leider nicht mehr nutzbaren Abschrift entnahm.
Die "Neue Bach-Ausgabe" (NBA) verwendet ausschließlich Quellen, die nachprüfbar sind, im Fall von BWV565 eben die Ringk-Abschrift und hat daher an einigen Stellen in der Toccata doch signifikante Änderungen.

Die Konsequenz, die bei dieser Fuge an den Tag gelegt wird, aufgrund der Besonderheit des Themas eben stattdessen komplett auf der Oberquarte weiterzumachen, quasi als folgerichtige Fortführung der tonalen Beantwortung des Themas, spricht für mich eher für als gegen Bach - wer hätte sonst zu sowas den Mut gehabt?
Leider ist es, neben anderem, etwas, was gegen Bachs Autorschaft spricht. Denn man darf getrost fragen: Hätte Bach den Mut zu so einem unbrauchbaren Thema gehabt?

Ich sehe es ganz und gar nicht so, dass diese Fuge ein "unbrauchbares" Thema hat:
Zum einen kann man eine Widerspiegelung des Toccatenanfangs erkennen -jeder 2. Ton des Fugenthemas nimmt einen Ton aus dem Toccatenanfang auf.
Weiterhin - jeder, der selber Orgel spielt, weiß um die Bequemlichkeit, die ein Thema mit wechselnden 16-tel Schritten für das Pedalspiel bedeutet (wegen abwechselndem Spiel mit linkem und rechten Fuß), gerade bei solchen Fugen wie diese hier, die gern schnell gespielt werden wollen. Die meisten Orgelfugen von Bach mit 16-tel-Sequenzen im Thema haben diese Wechselfolgen, angefangen von der berühmten Orgelfuge aus Fantasie&Fuge g-moll BWV542 oder z.B. aus der nicht minder berühmten Orgelfuge aus a-moll BWV543. Bei letzterer kann man sogar sehen, dass Bach eine Stelle im Thema, bei dem die 16-tel-Figur keine Wechselschritte vollführt, das Thema im Pedal so verbiegt, dass diese Klippe dort umgangen wird.
Und schließlich hat Bach, wie Pierre Schwickerath schon schrieb, nie Schulfugen geschrieben; Themeneinsätze finden sich auf so ziemlich jeder denkbaren Tonstufe wieder, also das Bach einen Bogen um ein schönes Thema gemacht hätte, bloß weil es eben nicht in das "schulmäßige" Raster einer Quint-Comes passt, kann und will ich nicht glauben.
Also, auch ohne die Popularität bemühen zu müssen, die ausgerechnet diese Fuge besitzt, sehe ich aus o.g. Gründen das Fugenthema als sehr "brauchbar" an.


Last but not least: vielen Dank an Pierre Schwickerath für das Zusammensuchen weiterer Bachfugen mit "Réponse plagale"! Es zeigt ja zumindest, dass in dieser Hinsicht die Fuge aus BWV565 nicht allein dasteht mit ihrer Quart-Comes.
 
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Liebe Freunde,

Riskiert die Diskussion nicht ins Spekulative abzurutschen? Argumente wie „Mut“ oder „Nicht Mut“ ein Fugenthema zu behandeln finde ich als äusserst dubiös. Und, wieso soll ein Fugenthema, das zur Komposition des populärsten Orgelwerkes verwendet wurde, „unbrauchbar“ sein? Die Existenz dieser Fuge ist doch ein Beweis seiner „Brauchbarkeit“ sonst würde man es ja auf irgend einem Skizzenblatt finden mit dem Vermerk „taugt nichts für eine Fuge“. Es steht mir nicht zu zu urteilen, ob die Fuge nun „gut oder schlecht“ ist, ich nehme zur Kenntnis dass sie existiert und dass sie beliebt ist. Egal wer sie nun geschrieben hat, ihr Autor beherrschte sein Metier und dem zolle ich meinen höchsten Respekt.

Ich habe versucht klar zu machen dass „plagale Fugen“ wenn auch nicht die Regel sind, doch existieren. Ich denke dass die oben angeführte C-Dur Fuge auch von Bach ist. Allerdings will ich den Beweis der Existenz solcher Fugen nicht als Argument für die Vaterschaft Bachs benutzen. Ich denke also dass andersrum argumentiert werden soll.

Das einzige pertinente Argument gegen die Vaterschaft Bachs das ich hier gefunden habe ist Axels Bemerkung über die stilistische Eingliederung des Werkes. Ich kenne auch das Argument des unbegleiteten Pedalsolos das ja im Bachkorpus ein Unikum zu sein scheint, an. In dieser Debatte wurden bereits zwei plausible Argumente gegen die Vaterschaft angeführt. Allerdings müssten diese Argumente nun qualitativ vertieft und ausgebaut werden so wie noch durch andere verstärkt werden.

Bis vor kurzem galt das Werk ja als Jugendwerk. Wahrscheinlich hat man die Ungereimtheiten schon früh erkannt und, sie deshalb mal bequemer Weise, dem „Leichtsinn der Jugend“ zugeschrieben. Nun aber häufen sich die Stimmen und verlangen eine Richtigstellung: das wird die Musikwissenschaftler wohl noch eine Weile beschäftigen und die Gemüter erhitzen.....

Beste Grüße
PiRath
 
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Bis vor kurzem galt das Werk ja als Jugendwerk. Wahrscheinlich hat man die Ungereimtheiten schon früh erkannt und, sie deshalb mal bequemer Weise, dem „Leichtsinn der Jugend“ zugeschrieben. Nun aber häufen sich die Stimmen und verlangen eine Richtigstellung: das wird die Musikwissenschaftler wohl noch eine Weile beschäftigen und die Gemüter erhitzen.....

Gehe d'accord, dass es müßig ist, zu spekulieren, was die Autorenschaft angeht, und auch was mutig ist oder nicht.

Ein unbegleitete Pedalsolo jedoch an sich ist im Bachkorpus kein Unikum, lediglich das unbegleitete Fugenthema im Pedal - so sehe ich es jedenfalls.

Nur, jede Bachfuge ist ein Unikat und viele enthalten Besonderheiten, die es nur dort gibt. Also sind unikate Merkmale an sich auch kein plausibles Argument gegen eine Vaterschaft Bachs.

Zumindest der Bachwissenschaftler Christoph Wolff (u.a. Vorsitzender des Bacharchivs Leipzig) ordnet in seiner unlängst erschienenen Bach-Biographie BWV565 einer Jugendphase Bachs zu, möglicherweise aus Arnstädter Zeit, natürlich nur "vermutlich". Auch die von Axel erwähnten Elemente des stylus phantasticus, die man finden kann, deuten nach Meinung von Wolff auf diese Phase hin.
 
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