Wenn hinter diesen Kompositionsversuchen der Anspruch steckt, „Kunst“ sein zu wollen, stimme ich dir zu. Sagen das diese komponierenden Clavio-Mitglieder denn, die du meinst?
Ich kann nur für mich sprechen: Ja, ich hielt meine Anfängerkompositionen für Kunst, auch die früheren, die ich zu löschen oder was daraus zu machen zu faul bin. Aneinanderreihung von Noten und Notenstapeln, die ungefähr das widerspiegelt, was einem so an Musik beigebracht wurde und was man aktuell davon versteht, und Musik ist doch eine Kunstart, oder? Dass diese naive Haltung manchen Profi entrüstet von wegen Kunst stamme von Können ab ... Wer eine Ausstellung bildender Kunst besucht, wird aus den wenigsten Werken sehen können, welcher Künstler es vermag, eine Hand naturalistisch zu zeichnen mit Bleistiftstärke 2B. Das war zumindest das Kriterium meines letzten Lehrers aus der Schulzeit, ob einer Künstler war. Und doch haben diese Mehr-oder-weniger-Künstler einen Galeristen gefunden.
Man kriegt aus der anonymen, zufällig anwesenden und aufmerksamen Öffentlichkeit kaum verlässliche Kritik. Hat hier auch keinen Anspruch darauf, Musiker sind hier nur in ihrer Freizeit und auch sonst einem zu nix verpflichtet. Und aber wenn es mal verlässliche Kritik gibt, haben wiederum die wenigsten naiven Neulinge die Größe das zu erkennen. Das sagt einer, der hier schon manchen Mist einstellte und einige Mühe hatte vernichtende Kritik zu schlucken, aber wer hat das nicht. Meine Größe das betreffend war eher klein.
Das Problem der Avantgarde sind damit unvergleichlichen wirtschaftlichen Zwängen geschuldet: Berufsmusiker müssen kämpfen heute, um in einer vergnügungssüchtigen Gesellschaft bestehen zu können. Nie war es so einfach auch für Laien, öffentlich aufzutreten, zumindest virtuell, sei es Rundfunk/Schallplatte oder Internet. Aber ob virtuell oder nicht: Wer virtuelle Darbietungen konsumiert, kann nicht gleichzeitig ein Live-Konzert besuchen. Der Drang, drauflos zu experimentieren und gefühlte Erfolge zu vermarkten, gehorcht wirtschaftlichen Gesetzen. Auffallen denjenigen, die den Kram tatsächlich genießen können (Resonanzbeziehung zwischen Darbietung und Seelenleben) oder die ihn lediglich ertragen wollen, selbst oder gerade wenn es Eintritt kostet, um sich unter seinesgleichen als vielseitig interessierten, kritischen Kunstkenner zu gerieren.
Zusammengefasst: Avantgarde, Postavantgarde, whatever, und ihr an Beliebigkeit grenzender Experimentierzwang gäbe es nicht ohne die technische Möglichkeit der zeitlich-räumlichen Entkopplung von Produktion und Konsum von Darbietungen.