Neue Musik

hab ich mir grad angehört und finde es klingt durch und durch nach neo classic. für mich ist das ein nichts sagendes Geplätscher was ich als Hintergrund eines laienhaft erstellten „epic“ Clips zu Computerspielen erwarten würde. Mich langweilt es entsetzlich.

Ich finde auch schwer zu begründen, da die Qualität objektiv zu erkennen. Aber iwie finde ich schon, dass er mit bewusst primitiven Mitteln einen Spannungsverlauf schafft, was bei Neo-Klassiksachen iwe nicht der Fall ist.

Aber mir fällt noch ein Werk für ein manipuliertes Instrument ein, was ich qualitativ auf jeden Fall hoch einschätze undzwar die Tzigane von Ravel.
 
Fortschritt ist manchmal erst auf den zweiten Blick ersichtlich. Man kann doch auch in Rückbesinnung auf die Vergangenheit etwas Neues schaffen. Z.B. der Neoklassizismus hat das gezeigt. Und Carl Orff hat ganz bewusst eine „primitive“ Tonsprache genutzt, mit leeren Quinten u.ä.

Das, was hier amüsant als Bälle-wefen usw. beschrieben wird, ist etwas, das aus der Fluxus-Bewegung der 1960er-Jahre stammt. Ausgehend von John Cage wurde damals das unantastbare „Kunstwerk“ radikal in Frage gestellt und die Handlung auf der Bühne, gerade in ihrer absurdesten Erscheinung, in den Mittelpunkt gestellt. In ihrer Zeit hatte die Fluxus-Bewegung durchaus ihre Berechtigung, aber wer diese Art der Kunst heute noch praktiziert, steht künstlerisch auf keiner anderen Stufe als jemand, der heute wie Beethoven komponiert (wobei dies wesentlich mehr handwerkliches Können erfordert).
das ist genau das was die Kompositionsversuche (ihr wisst welche) hier im Forum ja auch bezeugen. Die sind nicht revolutionär sonder unfassbar langweilig, wenn sie die Tradition nicht kennen. Sie haben ja auch gar keine Chance so, darüberhinauszukommen. Sie wollen nichtmal Zwerge auf den Schultern von Riesen sein, und das ist traurig.
Wenn hinter diesen Kompositionsversuchen der Anspruch steckt, „Kunst“ sein zu wollen, stimme ich dir zu. Sagen das diese komponierenden Clavio-Mitglieder denn, die du meinst? Da wird doch häufig nur sinngemäß geschrieben: Ich habe etwas komponiert, das möchte ich euch mal zeigen. Wünschenswert wäre in diesen Fällen die Formulierung eines bestimmten Aspekts, auf den sich die Rückmeldungen beziehen sollen, aber behauptet wirklich jemand, dass es sich dabei um Kunst handelt? Solange dieser Anspruch fehlt, gibt es doch gar kein Recht, diese Musik an den Kriterien für künstlerische Werke zu messen. Und übrigens gibt es auch keine Verpflichtung dazu, dass alles Veröffentlichte Kunst ist. Ich würde das dann eben als „Sound-Design“ bezeichnen.
 
Man kann doch auch in Rückbesinnung auf die Vergangenheit etwas Neues schaffen.

Ja natürlich. Die große Fuge erwähnte ich bereits, die ist mit Sicherheit von Bach inspiriert. Und bei Reger ist eine Menge von Bach inspiriert. Ravel hat sich auf Couperin bezogen und Bach hat nicht nur Buxtehude, Pachelbel und co. weiterentwickelt, sondern sich bewusst auf französische und italienische, barocke Komponierweisen und auch auf noch ältere Musik bezogen.
Einige Werke haben Generationen von Musik als Quelle gedient, die spanische Folia (Liszt, Rachmaninow...), Bachs Passacaglia in c-Moll (Reger...), Bachs Toccata in d-Moll (538, nicht 565) (Schumann, Prokoviev...), das Wohltemperierte (Chopin...), Klavier Beethovens (und damit indirekt auch Haydns) Klaviersonaten, Chopins Etüden...

Aber mir fällt kein Meisterwerk ein, bei dem ein Stil komplett kopiert wurde.
 
Hat sich irgendwie nicht durchgesetzt, warum bloß?

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Glaubt ihr denn, dass die Entwicklung beim Klavier seit gut 100 Jahren weitgehend tot ist, hat damit zu tun, dass die Kunstmusik angeblich oder wirklich mehr oder weniger tot ist?
 
Durch scharfes Nachdenken fielen mir immerhin vier KomponistInnen ein, die noch nicht genannt wurden, und die ich durchaus interessant finde. Das könnte man doch grundsätzlich hören und/oder spielen. (Fazil Says Stücke auch, der greift mal in den Flügel, präpariert ihn aber nicht vorher.)

Beispiele für Klavier von Heinz Holliger, Haruna Miyake, Jean-Luc Darbellay und Unsuk Chin - die leben alle noch, soweit ich weiß.









 
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Hier noch Unsuk Chin:



Und Thomas Adès wird gerade viel aufgeführt, zum Beispiel:



Wenn so etwas in ein herkömmliches Konzertprogramm eingeschleust wird, könnte man sich schon in die neue Musik einhören, denke ich, und das langsam in den Kanon aufnehmen. Braucht halt Zeit.
 
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Wie sieht es denn mit anderen Instrumenten aus? Die Violine war bereits im 17. Jahrhundert fertig entwickelt.
Der Faden bezieht sich ja nicht ausschließlich auf Klaviermusik. Davon abgesehen stimmt das nicht. Violinen klangen auch zu Beethovens Zeit ganz anders als heute. Der Corpus wurde vieleicht nicht weiterentwickelt, aber Bögen, Seiten...

Das einzige akkustische Instrument, das mir spontan einfällt, das sich auch noch im 21. Jahrhundert kontinuierlich weiterentwickelt, ist die Orgel. Das hat aber wohl auch damit zu tun, dass jedes Stück ein Unikat ist (undzwar wirklich Unikat nicht wie bei zwei baugleichen Flügeln, die sich in Nuancen unterscheiden).
Leider haben sich nach Bach wenige erstklassige Komponisten dem Instrument angenommen. Mendelssohn, ein bisschen Liszt, ein ganz bisschen Brahms, Reger und Messiaen kann man wohl noch zu den besten ihrer Zeit zählen; einige andere Komponisten sind sehr gut, dennoch würde ich selbst Cesar Franck oder Widor, Rheinberger, Vierne, Karg-Elert undco. nicht mit den ganz großen Namen auf eine Stufe stellen.
Und gerade nach 1945 finden sich sehr wenige erstklassige Kompositionen zwischen all dem Schrott. Und undankbar ist, dass man die wenigen Perlen auch erstmal oft für Schrott hält, weil man sich erstmal reindenken muss. Um also fünf Minuten gute moderne Musik zu finden, muss man 10 Stunden lang aufmerksam Schrott anhören.
 

Du liebe Zeit... Ihr (mit scheinbar nur 1 Ausnahme) schreibt genauso wie wenn noch das Jahr... 1983 wäre.

Geht einfach möglichst viele Jahre regelmäßig in eine Abo-Reihe des örtlichen Orchesters.

Boulez, Kagel, Xenakis,... sind längst Klassiker. Längst. Und das ist nur bis ca. 1990 gerechnet.

Dass Messiaen noch lebte, habe ich auch erst erfahren, als er starb *lach* (war 1992). Xenakis übrigens starb 2001, Boulez hielt bis 2016(!) durch.

Wie immer werden Komponisten über mehrere Jahre gehypet wie derzeit Adès. Vor ein paar Jahren war's HK Gruber...

Matthias Pintscher wurde einst hoch gehandelt als der "nächste große deutsche Komponist", nun ist er irgendwie verschwunden.

Vor Zeiten habe ich die Oper "Un re in ascolto" gesehen (in Kassel) und war verdattert, dass das erst 1984 geschrieben wurde. Absolut anhörbar, wer auch nur den "Sacre" ertragen kann.

Ist halt so, dass interessante zeitgenössische Klaviermusik gerne sehr schwer ist. Hier in Clavio gibt's aber auch einen Thread dazu.

Nein, man muss sich nicht an zeitgenössische Musik "gewöhnen". Einfach horchen und sich fallen lassen. Ich sage auch, wenn mir dann etwas zu platt oder (so ziemlich meistens der Fall:) zu lang ist, und entschuldige mich nicht dafür.

:-)
 
Der Faden bezieht sich ja nicht ausschließlich auf Klaviermusik. Davon abgesehen stimmt das nicht. Violinen klangen auch zu Beethovens Zeit ganz anders als heute. Der Corpus wurde vieleicht nicht weiterentwickelt, aber Bögen, Seiten...
Ja, die Violinen wurden später entsprechend verstärkt, damit sie die höhere Saitenspannung für mehr Klangstärke aushielten, aber damals wie heute hatten sie vier Saiten, die mittels Bogen gestrichen wurden.
Das einzige akkustische Instrument, das mir spontan einfällt, das sich auch noch im 21. Jahrhundert kontinuierlich weiterentwickelt, ist die Orgel.
Auch die Orgel war im 16. Jahrhundert quasi "fertig", es waren so gut wie alle Pfeifenbauformen schon vorhanden und Spielanlagen, wie sie heute noch üblich sind.
Es folgten freilich viele verschiedene Konstruktionsweisen und Experimente, doch was hat sich wirklich durchgesetzt? Wirklich neu ist der Einbau eines Vierteltonwerks wie etwa in Kassel, St. Martin nicht.
 
ad Organum: Ist der variabel einstellbare Winddruck noch nicht Standard bei halbwegs ambitionierten Neubauten? (ernst gemeinte Frage/ich würde das gerne selbst mal ausprobieren)
 
Wenn hinter diesen Kompositionsversuchen der Anspruch steckt, „Kunst“ sein zu wollen, stimme ich dir zu. Sagen das diese komponierenden Clavio-Mitglieder denn, die du meinst?
Ich kann nur für mich sprechen: Ja, ich hielt meine Anfängerkompositionen für Kunst, auch die früheren, die ich zu löschen oder was daraus zu machen zu faul bin. Aneinanderreihung von Noten und Notenstapeln, die ungefähr das widerspiegelt, was einem so an Musik beigebracht wurde und was man aktuell davon versteht, und Musik ist doch eine Kunstart, oder? Dass diese naive Haltung manchen Profi entrüstet von wegen Kunst stamme von Können ab ... Wer eine Ausstellung bildender Kunst besucht, wird aus den wenigsten Werken sehen können, welcher Künstler es vermag, eine Hand naturalistisch zu zeichnen mit Bleistiftstärke 2B. Das war zumindest das Kriterium meines letzten Lehrers aus der Schulzeit, ob einer Künstler war. Und doch haben diese Mehr-oder-weniger-Künstler einen Galeristen gefunden.

Man kriegt aus der anonymen, zufällig anwesenden und aufmerksamen Öffentlichkeit kaum verlässliche Kritik. Hat hier auch keinen Anspruch darauf, Musiker sind hier nur in ihrer Freizeit und auch sonst einem zu nix verpflichtet. Und aber wenn es mal verlässliche Kritik gibt, haben wiederum die wenigsten naiven Neulinge die Größe das zu erkennen. Das sagt einer, der hier schon manchen Mist einstellte und einige Mühe hatte vernichtende Kritik zu schlucken, aber wer hat das nicht. Meine Größe das betreffend war eher klein.

Das Problem der Avantgarde sind damit unvergleichlichen wirtschaftlichen Zwängen geschuldet: Berufsmusiker müssen kämpfen heute, um in einer vergnügungssüchtigen Gesellschaft bestehen zu können. Nie war es so einfach auch für Laien, öffentlich aufzutreten, zumindest virtuell, sei es Rundfunk/Schallplatte oder Internet. Aber ob virtuell oder nicht: Wer virtuelle Darbietungen konsumiert, kann nicht gleichzeitig ein Live-Konzert besuchen. Der Drang, drauflos zu experimentieren und gefühlte Erfolge zu vermarkten, gehorcht wirtschaftlichen Gesetzen. Auffallen denjenigen, die den Kram tatsächlich genießen können (Resonanzbeziehung zwischen Darbietung und Seelenleben) oder die ihn lediglich ertragen wollen, selbst oder gerade wenn es Eintritt kostet, um sich unter seinesgleichen als vielseitig interessierten, kritischen Kunstkenner zu gerieren.

Zusammengefasst: Avantgarde, Postavantgarde, whatever, und ihr an Beliebigkeit grenzender Experimentierzwang gäbe es nicht ohne die technische Möglichkeit der zeitlich-räumlichen Entkopplung von Produktion und Konsum von Darbietungen.
 
Hier noch Unsuk Chin:



Und Thomas Adès wird gerade viel aufgeführt, zum Beispiel:



Wenn so etwas in ein herkömmliches Konzertprogramm eingeschleust wird, könnte man sich schon in die neue Musik einhören, denke ich, und das langsam in den Kanon aufnehmen. Braucht halt Zeit.

Dieses Ades-Stück ist ein gutes Beispiel für die typische Wichtigtuer-Neue-Musik.

Kompliziertheit um der Kompliziertheit willen, um zu demonstrieren, was man doch für ein Teufelskerl, intellektuelles Schwergewicht und Avantgardist ist.

Witzigerweise weiß man schon vorher, dass, wenn lauter komische Taktarten, Taktwechsel und n-Tolen zu sehen sind, es garantiert lustigerweise völlig rhythmusfrei, im Grunde amorph und wie "frei rubato improvisiert" klingen wird.

So etwas lehne ich ab. Glücklicherweise gibt es aber auch viele richtig gute Neue-Musik-Kompositionen. Einer, der glaube ich hier noch nicht genannt wurde und ganz exquisite Werke geschaffen hat, ist Dutilleux!
 
Moin, Carnina,

vielen Dank für Deinen Impuls zu einer anregenden und vermutlich niemals endenden Diskussion. Du hast Dir mit Adorno schon mal einen sehr tiefsinnigen Denker und Quasi-Theoretiker der Neuen Musik
zugelegt, "quasi" deshalb, weil Adorno auch selber komponiert hat. Zum zweiten Teil der "Philosophie der Neuen Musik" möchte ich Dir ergänzend noch den Strawinsky-Aufsatz aus "Quasi una fantasia" ans Herz legen, worin Adorno einen Großteil seiner ursprünglichen Kritik an Strawinsky wieder zurücknimmt.

Das terminologische Problem mit der Neuen Musik besteht darin, daß "neu" mehr als eine Stilepoche bezeichnet (die in den Nuller-Jahren des 20. Jahrhunderts einsetzt: Ives und Schönberg fangen an, so um 1906/07 auszuticken, Skrjabin, Strawinsky und Bartok um 1910 herum) sondern auch eine bei den "echten Avantgardisten" anzutreffende, unausrottbare künstlerische Abwehrhaltung gegenüber Vorerwartungen des Publikums.

Du kannst meiner Formulierung eine gewisse Distanz entnehmen. Neue Musik ist meine geistige Heimat, und ich habe sie früher mit Zähnen und Klauen gegen das sogenannte Banausentum verteidigt. Aber mir ist die Kampflust abhandengekommen. Es gibt zuviel Schrott und zuviel Anmaßung in der Avantgarde, und um den von ihr behaupteten Alleinvertretungsanspruch (also die einzig wahre zeitgenössische Musik zu sein) ist es schlecht bestellt; er war eigentlich schon Mitte der 60er Jahre mit dem Aufkommen der Minimal Music erschüttert.

Nur um eines bitte ich: Laß(t) John Cage aus dem Spiel. Im Gegensatz zu den streitwütigen und in sich zerstrittenen Europäern war er friedvoll, die Ruhe selbst. Er hat sich und seine Arbeitsweisen niemals absolut gesetzt...
 
Du kannst meiner Formulierung eine gewisse Distanz entnehmen. Neue Musik ist meine geistige Heimat, und ich habe sie früher mit Zähnen und Klauen gegen das sogenannte Banausentum verteidigt.
die Kampfeslust sollte dir nicht abhanden kommen. Wie will sich das sonst einen breiten Stand sichern wenn Grünschnäbel wie ich auf dem Gebiet keinerlei Orientierung haben. Die treffen dann nur auf die lauten Auswüchse und übersehen die Qualität. Wenn man nichts weis, kann man nichts bewerten, wenn es neu ist fehlt eine gewachsenen Erfahrung zudem wenn es eine Nische ist. Also sind diejenigen die sich wirklich fundiert und tiefgründig damit befassen die einzigen Leitplanken die man in dem unübersichtlichen Terrain hat.
 
Nur um eines bitte ich: Laß(t) John Cage aus dem Spiel. Im Gegensatz zu den streitwütigen und in sich zerstrittenen Europäern war er friedvoll, die Ruhe selbst. Er hat sich und seine Arbeitsweisen niemals absolut gesetzt...
Deinen ersten Satz dieses Zitats verstehe ich nicht: Cage hatte doch einen nicht zu unterschätzenden Einfluss auf die Musik der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Ich meine, deswegen ist es doch gerade wichtig, darüber zu diskutieren, inwiefern sich seine Ideen in der von @Carnina angesprochenen aktuellen Neuen Musik (noch) wiederfinden bzw. ob letztere Weiterentwicklungen von Cage‘s Ideen sind.
 

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