Mir erschließt sich ehrlich gesagt nicht, was Knabenchorgesang direkt mit Sport zu tun haben soll.
Knabenchorgesang hat nicht unbedingt primär was mit Sport zutun, sekundär hingegen schon.
1. Wie in einer Sportmannschaft kommen (junge) Menschen des gleichen Geschlechts regelmäßig und Anleitung eines professionellen Trainers dazu zusammen, Höchstleistungen zu vollbringen, die sie nur in der Gemeinschaft erzielen können, wobei sich aber auch niemand auf der Gemeinschaft "ausruhen" kann.
2. Das Ergebnis ihrer Bemühungen dürfen die Jungen "Sportler" regelmäßig vor tausenden von Menschen unter beweiß stellen.
3. Gesang ist die natürlichste und körperlichste von allen musikalischen Ausdrucksformen - und damit rückwirkend auch die, die den Menschen am tiefsten in seinem Innersten trifft, wenn er sie ausübt.
4. Chorsingen kann man wie gesagt nicht alleine - im Gegensatz zu Klavierspielen.
Dabei gibt es jedoch meiner Meinung drei große Vorteile gegenüber dem normalen Sport:
1. Musik ist kein Wettkampf. Natürlich will man besser werden. Aber dennoch ist Musik nicht primär darauf besser zu werden im Vergleich zu anderen. Ich muss nicht die Gegenwehr des anderen brechen, ihm ein Tor reinwürgen, um der beste zu sein. Diese Mentalität ist mir persönlich zutiefst zu wider. Ich fasse das gerne selbstironisch so zusammen: Wenn beim Fußball alle auf das gleiche Tor schießen würden, wäre das ganze doch doppelt so effektiv!
2. Musik ist Streben nach einem höheren Ziel, nicht nach körperlicher Leistung als Entelechie. Ich habe nie verstanden, was jetzt daran so toll sein soll, beim Kugelstoßen das Teil noch 1 cm weiter zu werfen, auch wenn ich mir dabei den Arm auskugle. Oder was es mir bringt, hundert Meter in 1 ms schneller zu rennen.
Bei Musik wird man eher dafür belächelt, wenn man den Minutenwaltzer in weniger als einer Minute spielen will. In Musik geht es nicht um Schnelligkeit. In Musik geht es um zwei Dinge: Schönheit und Wahrheit.
Was zählt, ist nicht die Handbewegung des Pianisten, sondern das emergente Produkt, das höhere Ziel.
Und das führt uns zum dritten Vorteil:
3. Musik ist in jeder Form eine geistige Erfüllung.
Sport mach eigentlich nur dann Spaß, wenn ich ihn mache. Und wenn ich zuschaue, dann nur, wenn ich gewinne. Auch hier ist alles darauf ausgelegt, den "Gegner" zu besiegen. Das gefällt mir nicht! Musik will hingegen komponiert werden, analysiert werden, interpretiert werden, gehört werden, rezensiert und kritisiert werden, parodiert werden, funktionalisiert werden, aufgenommen werden, übertragen werden...
Und meiner Meinung nach liegen die Ursachen für diese Nachteile in der Evolutionsgeschichte des Menschen:
Sport ist als körperliche Tätigkeit einfach evolutiv älter, einfacher, urmenschlicher. Sie beruht auf einfachen biochemischen Prozessen, der Ausschüttung von Endorphinen, die mich auch Anstrengung ertragen lassen, um den Feind zu besiegen. Sport ist "Jagd- und Kriegstraining" der Urmenschen. Klingt hart, aber wann sonst soll Sport entstanden sein?
Musik hingegen ist eine Kunst. Sie entstand zu der Zeit, als Menschen sich selbst im Bezug auf andere, die Welt und auch Gott reflektiert haben und dadurch "Kultur" geschaffen haben. Musik ist ein Produkt der Ausbildung des präfrontalen Cortex (ein großer Evolutionsvorteil des Homo sapiens vor dem Homo neanderthalensis!) im Paläolithikum!
Das heißt nicht, dass ich Sport seine Existenzberechtigung abspreche. Das heißt auch nicht, das ich Sport im Sinne eines subjektiv-epistemologischen Wahrheitsbegriffs herabwürdige: Sport kann Menschen sehr erfüllen und das ist wundervoll. Aber es heißt, dass man Sport objektiv-ontologisch nicht mit Kunst, Musik und Literatur auf eine ebene Stellen kann, wie es allzu häufig geschieht, da es sich um grundverschiedene menschliche Ausdrucksformen handelt.
Herzliche Grüße
Euer Lisztomanie