Ich weiß, wie alt der Thread ist :)
eine Frage, die bei mir aufgepoppt ist, ist, welchen Zusammenhang es zwischen der technischen Entwicklung der Instrumente (Gußrahmen) und der Entwicklung der Infrastruktur (Eisenbahn) gegeben hat. Meine Vorstellung ist, daß vor der Eisenbahn (in D. 1833, aber halbwegs flächendeckend in den größeren Städten erst 1850+) kein Instrumentenbauer daran gedacht hat, Gußrahmen zu erfinden, weil man die nicht über längere Strecken transportiert bekommt. Diese Broadwoods hatten ja einen Holzrahmen und dadurch (wenn ich das richtig verstanden habe) nicht das ewige Leben... Was mag Beethovens Broadwood-Flügel gewogen haben? Ein Link auf ein etwas älteres Tafelklavier habe ich gefunden. Wiegt 60 kg. Also für Ambitionierte unter dem Arm tragbar ;) Google spuckt für andere Instrumente nichts aus und dieser Thread ist der am wenigsten OT. Waren die Holzrahmeninstrumente spürbar leichter? Oder hat Broadwood im Wesentlichen nur im Großraum London verkauft? Oder war es doch kein Problem die sieben Zentner oder mehr über hunderte km. zu karren...
Sechs Jahre… So holt einen das ein. Die Frage ist etwas anders zu beantworten, als sie gestellt wurde. Die Eisenbahn und der Instrumentenbau haben schon miteinander zu tun, das technisch hier verbindende Glied ist die Art Material, Stahl vs. Schmiedeeisen vs. Holz.
Es ist also nicht so, dass das Vorhandensein der Eisenbahn bedingt hätte, dass Instrumentenbauer Stahlstreben eingebaut hätten. Es ist andersherum, schon VOR der Eisenbahn experimentierten die Briten, in sonderheit der alte John Broadwood, als er noch nicht so alt war, mit dem Einbau stärkerer Stützstrukturen, als sie mittels Holz möglich waren. Zu jener Zeit um 1810 herum waren die Wiener etc. Klavierbauer alle noch hochgradig gut handwerklich ausgelastet „in Holz“ zu bauen, und ein junger Franz Liszt entwickelte es zur Manie, in den heißen Jahren 1830-1850 auf der Bühne immer mal einzwei Konzertflügel zu schrotten… Was ihm der Bösendorfer Ludwig dann verlegte, als es ihm gelang, den Konzertflügel gegen das Listzige Getue bombenfest zu machen.
Nun zum Eigentlichen. Die Wiener waren ja auch nicht doof. Ich weiß nicht wann, aber irgendwann bauten die Streichers den Broadwood-Kram der schmiedeeisernen Streben nach, denn Beethovens über Schiff nach Triest angeliefertes Broadwood-Geschenk wurde zunächst in der Streicher’schen (Nanette Streicher) Werkstatt fit gemacht nach der widrigen Reise.
Und alle diese Jungs (und Mädels) haben mit den Augen „geklaut“.
Richtiger Stahl hingegen wurde erst entwickelt von Bessemer um 1856 herum. Die vorig in Klavieren bzw. Flügeln zu findenden Eisenlängsstreben waren aus „wrought iron“, schmiedeeiserne Dinger, und die Franzosen hielten mal so überhaupt nix davon. Nicht wegen der metallurgischen Inkonsistenz, dass es einer eher handwerklichen Ehre (und keiner genauen Labor-Analytik…) entsprach, mit welchen Eigenschaften der Eisenstab in einem Flügel aufwarten konnte, sondern weil die metallurgischen Erkenntnisse, und die „Prozess-Sicherheit“ im Hochofen und rund um ihn herum erst ca. ab der Zeit von Bessemer vernünftige Wiederholgenauigkeit und damit vorhersagbare, verlässliche, planbar zu nutzende Eigenschaften bot.
Was dann wiederum die Instrumentenbauer auch nutzten – neues Saitenmaterial aus Bessemer-Stahl. DER Grund, warum sich der Steinway-Sound so eminent von den Flügeln der Pariser Ära Erard und Pleyel unterschied. Chopin hatte den modernen Pianosound also nie kennengelernt, weil er sieben Jahre vor dem Bessemer-Patent schon verabschiedet war.
NB Der Steinway-Sound liegt jedoch nicht allein am Stahl der Saiten und der Platten, sondern auch an Alfred Dolge und seiner komplett anderen, weitaus preiswerteren Herstellung des Hämmerchen-Filzes.
Dies war dann auch der Ansatzpunkt der Herren Steinway, die die ursprünglichen Versuche von Babcock in Boston sorgsam wogen, und das Machen des damalig großen Konkurrenten Jonas Chickering, der in der Folge der Babcock’schen Entwicklungen der erste war, der in großem Maßstab Flügel mit Gusseisernen Platten versah.
Die Steinways schnappten sich also quasi den Höchst-Stand der Flügel, den die Franzosen gegen 1840-45 erreichten, und entwickelten ihn mit den darafuffolgenden technischen Neuerungen konsequent weiter, was die Franzosen mangels eigener großer Metallurgie damals, und wegen "Nasehoheit" meinten nicht nachvollziehen zu sollen. Erst die Mangeot-Brüder in Nancy sahen das anders, nachdem Steinway überall auf den internationalen Messen die Preise für erstklassigen Klavierbau abräumte.
Transportieren ließ sich sowas auch damals, durchaus. Das hätte keinen Klavierbauer gehindert.
Aber die Fertigungstechniken und –Möglichkeiten waren in England weiter, und noch weiter und schneller weiter gerieten sie in den USA, wo dann zudem noch die Bürgerkriegsereignisse ihnen Input lieferten, dass die Metallurgie für Eisenbahntransport, für Schießprügel und Kanonen einen weiteren Aufschwung nahm. Ganz zuletzt profitierten in der Folge erst Henry Steinway jr. davon, indem er seine Umsetzung der vom Tafelklavier schon bekannten Babcock’schen Vollgussplatte auch in den Flügel zu stecken schaffte, zusammen mit der für Tafelklaviere auch schon bekannten, aber in Flügeln dann revolutionären Bassüberkreuzung, und mit der Hilfe der weiter entwickelten New Yorker Gießereibetriebe. Zuletzt profitierte sein ältester Bruder Theo, der ab 1871 in Queens eine eigene Gießerei verfügbar hatte, dort solange herumexperimentierte, bis er die Legierungsbestandteile einer Gusseisensorte gefunden hatte, die ca. doppelt so hohe Druck- und Biegefestigkeit wie normaler Grauguss entwickeln konnten.
Guss (einfaches Gusseisen mit lamellar eingelagertem Graphit) war eben auch schalltechnisch weit unkritischer als Stahl. Die stählernen (schmiedeeisernen) Streben, die sowohl Broadwood als auch Bösendorfer als auch andere um 1840 schon recht reichlich in die Flügel steckten, waren als „hell klingende“ Bauteile ein anderer Tort, verglichen mit dem durch den lamellaren Graphit eigentlich dämpfenden Gusseisen der „vollen“ Platten. Insofern war die "Strebentechnik" mit Schmiedeeisen eine technologische Sackgasse. Die taten zwar das, was man erwartete - festere Innereien für höher gespannte Klavierdrähte in verbreiterter Tönezahl zu stützen, aber das erkaufte man mit nicht unerheblichen Nachteilen, die z.b. die meisten Franzosen auf Jahrzehnte noch davon abhielt, es den Briten und Amerikanern nachzutun.
Und auf diesem Stand, Theodore Steinweg..., blieben dann die Amerikaner stehen. Die heutig großen Flügel Steinway A bis D sind bis auf winzige Details immer noch so, wie sie Onkel Theo 1886 fertiggestellt hatte. Also, Pennerei rundum. Selbst Leute, die wie Paolo Fazioli die Klavierkonstruktion revolutionieren wollten, haben dies rein instrumentell getan, für den Konstruktionsprozess per CAD, nicht aber hätten sie die Substanz der Technik weiterentwickelt, die immer noch so aussieht wie beim Centennial-D von 1875, dem Gewinnerflügel der Weltausstellung in Philadelphia 1876.
Und echte, wirklich neuere Entwicklungen, wie das Soundboard aus Carbon, oder die Steg-Agraffen, haben sich nicht durchsetzen können, weil neben der stock konservativen Klavierbranche auch noch die Entscheidungstechniken der Konzerthäuser voll prall konservativ sind, und kein zur Klavierbeschaffung herbeibemühter Konzertpianist seinen Hals zu weit aus dem Fenster strecken mag, um mal einer Stuart'schen Entwicklung (mit Glasboden) oder einem Carbonboard aus der Nutzung bei Steingraeber, damit zu einem teurerem Flügel zu raten.
Nee, die schmeißen die Flügel lieber nach 10 oder 15 Jahren wieder weg, und gehen mit dem selben alten Konzertpianisten dann schon wieder einen neuen Steinway einkaufen...
Wo man doch über die 6.500 Zuhörer von Valentina Lisitsa hinaus, das Maracana-Stadion (nach Corona...) mit 145.000 Zuhörern klaviertechnisch beschallten könnte, wenn denn man das WOLLTE, und hierzu riesige Schalldächer mit 30 Meter langen Basssaiten so benutzte, dass Roboter sie Midi- oder CNC-gesteuert anschlügen.
Aber nee, sowas... viel zu wenig stock konservativ...
Braucht man alles nicht. Trotz der ehrbaren Bemühungen eines Igor Levit, in 15 Stunden siebenhundertachtzig mal die Vexations zu spielen, sagt so mancher, dass nun Corona die klassische Konzertmusik kaputtmachen werde. Wenn bei einem Ereignis in den USA EIN Infizierter Sänger bei EINER Probe von den 73 Chormitgliedern 62 ansteckte, und dann viere an Corona starben. Dann werden sich niemals mehr 6.500 Klavierkonzertbesucher einfinden, geschweige denn 140.000. D.h. die Konservativität des ganzen Betriebes wird implizit auch dafür sorgen, dass die Mitmacherschaft schwindet - zuviel Angst und Sorge. Keine gute Zeit für Konzerte.
Also, kurzum, wenn das richtig sein sollte, dann braucht man JETZT auch nicht mehr die Schalldächer mit Robotik.
Es baut und baute eines auf das andere auf. Wer sich für die Fortschritte des Stahls interessiert, dem sei mal die Entwicklungsgeschichte der Kruppschen Betriebe empfohlen. Manchmal hatten die Briten die Nase vorn, manchmal die mit dem britisch aufgezwungenen, mindere Qualität einst suggerieren sollenden „made in Germany“. So, wie hier die Klaviere „made in China“ teils gedisst werden, so war das einst mit Haushaltswaren etc. aus deutscher Fertigung, die den kompromittierenden Stempel beim Import nach Großbritannien bekamen….
...und Meta, wenn hier welchen das nicht passt, dann kann man in der Sache diskutieren, oder man kann die Adminkeule schwingen, um so 'ne bösen Buben wie mich verschwindibus zu machen.
Und ciao.