Soeben habe ich einen weiteren Artikel gefunden:
Quelle: Märkische Allgemeine, Neue Oranienburger Zeitung, 06.01.2010
Klavierbau mit Wasseranschluss Historie Die Schillersche Pianofabrik in Neubrück nahm vor gut 100 Jahren die Produktion auf / 1943 von Bomben zerstört
Bis nach Amerika wurden die Klaviere exportiert, die die Schillersche Pianofabrik in Neubrück bei Hennigsdorf produzierte.
Von Carsten Dräger
HENNIGSDORF Die Stahlproduktion und der Schienenfahrzeugbau sind die Industriebranchen, die Hennigsdorf weit über die Region hinaus zu einem hohen Bekanntheitsgrad verholfen haben. Sie bestimmen bis heute maßgeblich die Struktur des Wirtschaftsstandortes im Speckgürtel Berlins. Im Zuge der rasanten Industrialisierung zu Beginn des vorigen Jahrhunderts entstanden jedoch viele weitere Firmen, von denen manche nicht mehr existent und schon fast in Vergessenheit geraten sind.
Wer weiß zum Beispiel noch, dass sich im Hennigsdorfer Ortsteil Neubrück ehedem die Betriebsstätte einer renommierten Berliner Pianofabrik befand? Es dürften sich wohl lediglich einige noch lebende Zeitzeugen und historisch Interessierte daran erinnern. Im Jahre 1904 hatte die „Schillersche Pianofabrik“ am Standort Hennigsdorf die Produktion aufgenommen.
Der Firmengründer Johannes Schiller stammte aus Ostpreußen. Zunächst ließ er in der Rosenthaler Straße inmitten Berlins einen Produktionsbetrieb errichten. Von dort aus erfolgten die Geschäftsführung des Unternehmens sowie die Endfertigung, die abschließende Qualitätskontrolle, die Ausstellung und der Verkauf von Klavieren und Flügeln.
Von besonderer Bedeutung für die Fertigung dieser Musikinstrumente war die Qualität des zur Weiterverarbeitung verwendeten Materials. Johannes Schiller reiste im März eines jeden Jahres in seine ostpreußische Heimat, um in den dortigen Wäldern das geeignete Holz selbst auszuwählen und zu ordern. Im Spätherbst und Winter wurden die ausgesuchten Stämme geschlagen und auf dem Wasserweg bis an ihren Bestimmungsort in Hennigsdorf geflößt.
Johannes Schiller hatte sich inzwischen im nördlichen Umfeld Berlins nach einem geeigneten Standort am schiffbaren Wasser umgesehen, an dem er ein Holzlager und ein Sägewerk zu errichten gedachte. Seine Wahl fiel auf ein unbesiedeltes Terrain am östlichen Havelufer, das sich in der Nähe des bereits 1506 erstmals urkundlich erwähnten und später zu einem Gasthaus erweiterten Neubrücker Zollhauses befand.
Das Fabrikgelände und ein eigens errichtetes Wohnhaus entstanden auf einem etwa zwei Hektar großen Grundstück, welches sich vor der Brücke linksseitig der Bahnstrecke von Hennigsdorf nach Heiligensee befand. Johannes Schiller zahlte dem Rittergutsbesitzer Freiherr Werner von Veltheim aus Schönfließ eine Goldmark je Quadratmeter, eine Menge Geld zur damaligen Zeit.
Nach dem Grundstückserwerb entstanden in den Jahren 1903/1904 die Fabrik mit Holzlager, Sägewerk sowie Gehäusefertigung und das sogenannte „Schillerhaus“, ein nach dem Besitzer benanntes Wohnhaus mit 22 Wohnungen. Für die Facharbeiter, die von Berlin nach Neubrück umziehen mussten, wurde somit eine neue Heimstatt geschaffen.
Im Kellergeschoss des etwa 1906 erbauten Südflügels, der 1916 mit einem Teil der Fabrikanlagen ein Opfer der Flammen wurde, ließ Johannes Schiller, der Anhänger der Freikirchlich-Christlichen Brüderbewegung war und nur Arbeiter christlicher Konfession beschäftigte, beim Wiederaufbau eigens einen ab 1930 genutzten Betsaal einrichten.
Zusätzlich zu dem Brand bereiteten der Erste Weltkrieg und die Weltwirtschaftskrise dem Unternehmen arge wirtschaftliche Probleme. Doch Johannes Schiller gab nicht auf. Trotz aller Widrigkeiten war der Wiederaufbau des Standorts Neubrück 1923 geschafft. Die Pianofabrik konnte sich wieder konsolidieren und erfuhr einen neuerlichen Aufschwung. Insgesamt fertigte sie um die 54 000 Klaviere und Flügel, von denen ein beträchtlicher Teil exportiert wurde. Selbst in die USA und Argentinien wurden die begehrten Instrumente per Schiff geliefert.
Der Zweite Weltkrieg beschwor für die Firmenstandorte in Berlin und Neubrück einiges Unheil herauf. Der Warenbestand wurde wegen der ständigen Bombenangriffe von Berlin nach Neubrück ausgelagert. Aber auch auf Neubrück fielen Bomben, als eine von der Fliegerabwehr getroffene Maschine eines britischen Bomberpulks am 26. November 1943 gegen 22.30 Uhr ihre Bombenlast abwarf: 89 Phosphor- und Magnesiumstabbrandbomben zerstörten das Sägewerk und einen Teil weiterer Fabrikgebäude. Das Wohnhaus blieb diesmal verschont.
Die „Schillersche Pianofabrik“ bildete jedes Jahr Lehrlinge aus, die nach dem Erwerb des Gesellenbriefes übernommen wurden. Sie sorgte also selbst für geeignete Fachkräfte. Die Lehrzeit für einen Klavierbauer betrug damals vier Jahre. Während im ersten Lehrjahr in Neubrück eine Grundausbildung im Tischlerhandwerk und im Sägewerk anstand, erfolgte ab dem zweiten Lehrjahr die Ausbildung in der Berliner Endfertigung. Als Gesellenstück musste ein komplettes Klavier angefertigt werden.