Mozart oberflächlich und albern?

Auch wenn hier schon so vieles gesagt wurde zum Thema - eines scheint mir noch nicht erwähnt worden zu sein: Der Einfluss zweier gewisser Herren namens Peter Shaffer und Milos Forman auf das Mozart-Bild unserer Zeit....

Ersterer hat Anfang der 80er ein Bühnenstück geschrieben, und zweiterer hat kurz darauf einen Film daraus gemacht.... "Amadeus" war sowohl als Drama als auch als Hollywood-Streifen extrem erfolgreich - gerade weil darin das überhöhte Bild des musikalischen Edel-Genies Mozart so gründlich auf den Kopf gestellt wurde und stattdessen ein lebensuntüchtiger, ewig pubertierender, kichernder, vulgärer und eben oberflächlicher Kindskopf porträtiert wird. (Übrigens nicht das einzige Zerrbild, das dieser Film in den Köpfen des Klassik-interessierten Publikums festgesetzt hat; dem Konkurrenten Salieri wird der Streifen mindestens genauso wenig gerecht wie Mozart selbst.)
Muss er ja aber auch nicht - schließlich ist es kein Dokumentarfilm, sondern Fiktion. Das aber vergessen viele, die den Film (oder auch das Bühnenwerk) gesehen haben, und halten eben jene Fiktion für bare Realität (zumal das Bild vom ewig zu Scherzen und Blödeleien aufgelegten Wolferl ja auch hervorragend zu weiten Teilen seiner Musik passt).

Ich selbst kann mit Mozart übrigens auch nicht so sehr viel anfangen (vom Requiem einmal abgesehen - das einzige Mozart-Werk, das zu mir spricht, mich emotional anfasst; dafür dann aber RICHTIG!), würde mich jedoch nie dazu versteigen, seine Musik als oberflächlich zu bezeichnen. Wobei ich mich selbst schon mehrfach gegenüber anderen bei dem Satz erwischt habe, erst im Requiem habe Mozart zu seiner vollen musikalischen Größe gefunden... ;-)

Es ist, wie so oft, Geschmackssache. Meine Frau z.B. liebt Mozart - und hasst das Requiem; kann dafür aber mit der Romantik nichts anfangen, der wiederum ich verfallen bin... Scheint also in der Tat eine Korrelation zu geben zwischen Mozart-Ablehnung und Romantik-Zuneigung (wobei Wagner einer der wenigen Romantiker ist, von denen ich wünschte, sie wären nie geboren worden... ;-))
 
Ich selbst kann mit Mozart übrigens auch nicht so sehr viel anfangen (vom Requiem einmal abgesehen - das einzige Mozart-Werk, das zu mir spricht, mich emotional anfasst; dafür dann aber RICHTIG!), würde mich jedoch nie dazu versteigen, seine Musik als oberflächlich zu bezeichnen. Wobei ich mich selbst schon mehrfach gegenüber anderen bei dem Satz erwischt habe, erst im Requiem habe Mozart zu seiner vollen musikalischen Größe gefunden... ;-)

Es ist, wie so oft, Geschmackssache. Meine Frau z.B. liebt Mozart - und hasst das Requiem; kann dafür aber mit der Romantik nichts anfangen, der wiederum ich verfallen bin... Scheint also in der Tat eine Korrelation zu geben zwischen Mozart-Ablehnung und Romantik-Zuneigung (wobei Wagner einer der wenigen Romantiker ist, von denen ich wünschte, sie wären nie geboren worden... ;-))

...die markierten Sätze sprechen für sich... :D

was die Korrelation betrifft: u.v.a haben Rubinstein und Horowitz sowohl Mozart als auch Wagner/Liszt gespielt :) - das schließt einander nicht aus.

Gruß, Rolf
 
was die Korrelation betrifft: u.v.a haben Rubinstein und Horowitz sowohl Mozart als auch Wagner/Liszt gespielt :) - das schließt einander nicht aus.

Nun, Rolf, dann solltest du aber auch erwähnen, dass z.B. Horowitz einen deutlichen Schwerpunkt bei den Romantikern setzte und mit ihnen auch seine größten Erfolge feierte, während er für Mozart-Einspielungen (teilweise auch Beethoven-Interpretationen) vergleichsweise viel Kritik erntete...

Dass ein Pianist Werke eines Komponisten spielt, muss noch lange nicht bedeuten, dass sie ihm auch liegen oder er gar einen Zugang zu ihnen findet. Und um nichts anderes geht es in diesem Thread - um persönlichen Geschmack - aber darüber lässt sich ja bekanntlich trefflich streiten ;-)

nix für ungut...
 
Nun, Rolf, dann solltest du aber auch erwähnen, dass z.B. Horowitz einen deutlichen Schwerpunkt bei den Romantikern setzte und mit ihnen auch seine größten Erfolge feierte, während er für Mozart-Einspielungen (teilweise auch Beethoven-Interpretationen) vergleichsweise viel Kritik erntete...

Dass ein Pianist Werke eines Komponisten spielt, muss noch lange nicht bedeuten, dass sie ihm auch liegen oder er gar einen Zugang zu ihnen findet. Und um nichts anderes geht es in diesem Thread - um persönlichen Geschmack - aber darüber lässt sich ja bekanntlich trefflich streiten ;-)

nix für ungut...

empfehlenswert ist J. Kaisers Buch über die Interpretationen der 32 Beethovensonaten, wo erstaunlicherweise Horowitz ziemlich gut abschneidet (und das beim gestrengen "Kritikerpapst") ;) zeitweilig war es Kritikermode, Horowitz zu unterstellen, er könne nur Liszt & Konsorten spielen - das hat sich mittlerweile doch gelegt (und was Mozart betrifft, genügt ja seine Moskauer C-Dur Sonate KV 330); ach ja: ausgerechnet der Kritikerpapst hat Horowitzens "alla turca" sehr gelobt :)

...dass jemand, der sich vor die Leute trauen darf, ohne fortgejagt zu werden, den Mißgriff begeht, etwas zu spielen, wozu er gar keinen Zugang hat, kommt sicher nicht allzu häufig in dieser krassen Weise vor.

aber die Geschmäcker sind sehr verschieden, völlig richtig (ginge alle in mein Lieblingsrestaurant, müsste ich ewig lange Schlange stehen) - merkwürdig bei aller Geschmacks"freiheit" sind allerdings manche unausrottbaren Vorurteile, etwa wer Wagner mag, schätzt Mozart nicht (als Verdacht oder gar pauschale Aussage). Allerdings würzen krasse Formulierungen immer die Diskussion, und dann macht es halt Spaß, mit solchen ein wenig zu jonglieren - da fallen dann amüsant Kombinationen wie (sinngemäß) Mozart nicht mögen aber dennoch ihn nicht als oberflächlich abtun im Vergleich mit aber den Wagner hätte es besser nie geben sollen auf... ;)

ist halt eine kleine Differenz, ob man formuliert "ich mag XY nicht" oder "XY taugt nix"

Gruß, Rolf
 
ganz sicher würzen die formulierungen.... nur muss man sie auch zu lesen wissen...
wenn ich meine persönliche einstellung zu wagner kundtue, bedeutet das noch lange nicht, dass ich damit sage, dass er nix taugt - sondern lediglich, dass ich (und nur für mich kann ich sprechen) ihn nunmal partout nicht hören kann, genauso wie ich die allermeisten mozart-werke nicht hören kann (oder mag). nicht weniger, aber auch nicht mehr ;-)
ebensowenig kann ich erkennen, pauschaul geurteilt zu haben, dass jeder, der wagner möge, mozart nicht schätze. dass es, wie du meinst, ein solches allgemeines vorurteil gebe, war mir bis zu deinem letzten post, ehrlich gesagt, nicht klar (man verzeihe mir dieses defizit...). vielmehr habe ich nur eine beobachtung, die hier in diesem thread schon öfter angesprochen wurde, mit eigenen beobachtungen verglichen und eine gewisse ähnlichkeit festgestellt.
aber vermutlich ist auch das im umgang mit den größen der musikgeschichte verwerflich....:confused::confused::confused:
 
ganz sicher würzen die formulierungen.... nur muss man sie auch zu lesen wissen...

ein prima Ratschlag! ;)
übrigens bin ich davon überzeugt, dass Du Mozart & Wagner anhören kannst, aber um das diese dabei auch mögen ist es sicher anders bestellt. ;)
mir geht es übrigens beim anhören von Sinfonien von Mendelssohn & Brahms ähnlich, auch Wagners "Holländer" mag ich nicht.
und das halte ich nicht für verwerflich :)
Gruß, Rolf
 
Bezogen auf die Klavierstücke von Mozart muss ich sagen, daß sie mich in keinster Weise wirklich ansprechen. Ich finde es sind recht einfache (also nicht technisch gesehen sondern eher inhaltlich) Stücke.
Aber Geschmäcker sind ja verschieden und wenn niemand Mozart mögen würde, dann wäre er in der heutigen Zeit nicht so berühmt geworden ;-)

Allgemein würde ich aber behaupten, daß jeder Musiker, Komponist, Pianist weder oberflächlich noch albern ist. Das passt einfach nicht zusammen. Das passt wohl eher zu Finanzbeamten :rolleyes:
 
Allgemein würde ich aber behaupten, daß jeder Musiker, Komponist, Pianist weder oberflächlich noch albern ist. Das passt einfach nicht zusammen. Das passt wohl eher zu Finanzbeamten :rolleyes:

:D oberflächlich & albern wäre bei letzteren problemlos zu tolerieren, aber leider sind die zusätzlich gern penibel & akribisch :D

was die Klaviersachen betrifft: eigentlich könnte man beinahe alles aus der Mozartzeit als harmlos wahrnehmen - aber wie Du ja schreibst, gäbe es die sachen heute nicht mehr, wenn alle es so sehen würden.

allerdings widerspreche ich Dir bzgl. der musikalischen Harmlosigkeit, aber das ist egal: ob nun harmlos oder nicht, es muss einem ja nicht partout gefallen. Es gibt sehr feine Fischgerichte, aber nicht alle mögen Fisch :D

Gruß, Rolf
 
Es gibt sehr feine Fischgerichte, aber nicht alle mögen Fisch :D

Gruß, Rolf

ich glaub wäre mozart ein gericht, dann wäre er, um bei den fischen zu bleiben, ein fisch in schnitzelpelz [ein fisch in schafspelz würde glaube ich einige wortvirtuosen auf die idee bringen mozart sei "Wild"... um dann technische vergleiche mit liszts "wilder jagd" zu veranstalten :D]
ich glaube mozart war genial genug brillante und hochkomplexe musikalische ideen und strukturen einfach und natürlich so zu verankern, dass sie gar oberflächlich erscheinen mögen. er kann halt nichts dafür, dass er ein so gescheiter und klrstrukturierter kerl / mensch /musiker war.
um beim jagen / essen zu bleiben: ein brillanter ton"köcher" der glaube ich zumindest als gewürz in jedem anschließend serviertem essen zu finden ist!
ich würde mir niemals trauen zu sagen, dass ein 5 sterne essen nicht gut ist, nur weil ich nicht verstehe, was daran so toll ist. [häufig fallen mir nur die kleinen portionen auf]
und ähnlich gehts mit mozart [und hiermit meine ich auch seine sonaten [jetz nicht auf sonatenstrukturelle formen bezogen]]
 
ich glaube mozart war genial genug brillante und hochkomplexe musikalische ideen und strukturen einfach und natürlich so zu verankern, dass sie gar oberflächlich erscheinen mögen.

Mir ging gerade durch den Kopf, daß Mozart für manche wohl zu perfekt sein könnte, was ja in etwa deine Idee bestätigt.

Ich habe nicht viel von Mozart gespielt, aber die Kompositionen, die ich spiele oder versuche zu spielen, machen auf mich wirklich den Eindruck, daß da nichts dem Zufall überlassen wurde und es trotzdem weder konstruiert noch überladen ist. Wenn man da nicht hinhört, kann es tatsächlich ziemlich glatt wirken. Allerdings kann ich Mozart auch nicht immer hören und ich mag die Ecken und Kanten manch anderer Komponisten eigentlich sogar lieber. Aber "oberflächlich und albern" zu sein kann man eher denjenigen unterstellen, die das über Mozarts Musik behaupten.
 

Späte Antwort nach langem Nachsinnen: Der Eindruck der Banalität trotz aller unfehlbaren Kunstfertigkeit Mozarts ist eben die Perfektion seiner Konstruktionen. Alles paßt! Alles hat seinen klaren Ausdruckswert, nichts verliert vor dem Unsagbaren seine Contenance - alles wirkt zuversichtlich und wie ewige Wahrheiten, selbst da, wo er waghalsig ist. Interessant wirds, wenn Mozarthasser Glenn Gould seine Sonaten spielt, weil er es sich absichtlich unbequem macht.
Aber was hört man eigentlich? Meist eine unproblematische Tonalität, alles bleibt völlig diesseitig. Anders stellt es sich dar, wenn man Aufnahmen mit Orchestern hört, die versuchen, die historische Spielweise zu rekonstruieren (vibratolos, natürliche Intonation, z.B. die Mozart Academy Amsterdam.) Da beginnt alles extrem gefährdet zu wirken, gar nicht mehr stabil, sondern labil wie ein Kartenhaus. Man bedenke auch, daß Mozart mit den 12 Tönen des Klaviers gar nicht zufrieden war, sondern er soll ein System mit 19 Tönen pro Oktave entworfen haben, das ihm mehr harmonische Freiheit und Reinheit gestattet hätte. Da Streicher ja intonatorisch keine Grenzen kennen, wäre die Beachtung der historischen Spielweise, die diese Fragilität gestalten kann, wertvoll.
Der andere Aspekt ist, daß die Spielerei bei Mozart nicht ernst genommen wird. Man gibt sich mit klanglicher Perfektion zufrieden. Es nutzt viel, sich gelegentlich statt Mozart späte Werke von Morton Feldman anzuhören, z.B. "For John Cage" für Geige und Klavier, oder das zweite Streichquartett. Da gibt es ganz behutsame Spiele mit Signalen und Motiven, die hin und hergereicht werden oder die in anmutiger Weise ineinandergreifen - Mozart nun unter dem Aspekt der Ton-Spiele und nicht der (dämlich-)perfekten Harmonie zu betrachten, die angeblich Kühe zu größerer Milchproduktion inspiriert, ergäbe ein ganz anderes Bild seiner Kunst.
 
Späte Antwort nach langem Nachsinnen: (1) Der Eindruck der Banalität trotz aller unfehlbaren Kunstfertigkeit Mozarts ist eben die Perfektion seiner Konstruktionen.
(2) Aber was hört man eigentlich? Meist eine unproblematische Tonalität, alles bleibt völlig diesseitig.
zu (1)
ich verstehe absolut nicht, inwiefern Perfektion (z.B. der Proportionen) einen banalen Eindruck erwecken kann - eigentlich ist eher das Gegenteil der Fall ;-)
zu (2)
das referiert ein beliebtes Fehlurteil: rhythmisch und harmonisch ist Mozart den meisten seiner Zeitgenossen weit überlegen - da muss man nur einen Blick in die Dissonanzen von KV330 oder in das Finale der Iuppiter-Sinfonisch schauen.

Mir ist schon klar, dass der Eindruck von Banalität beim hören derjenigen Werke Mozarts entstehen kann, die ganz dem musikalischen Konversationsstil seiner Zeit verpflichtet sind, z.B. beim Ohrwurm namens kleine Nachtmusik - - das ist aber nicht die Quintessenz der Musik Mozarts! Abgesehen von der kleinen Nachtmusik gibt es halt auch einen Don Giovanni, ein d-Moll Konzert, ein Requiem, eine Krönungsmesse, eine Hochzeit des Figaro, eine Iuppiter-Sinfonie, eine a-Moll Sonate, eine c-Moll Fantasie, eine Zauberflöte - zu seinen Lebzeiten gab es kaum etwas, das diese immense Qualität erreicht hatte.
 
das referiert ein beliebtes Fehlurteil: rhythmisch und harmonisch ist Mozart den meisten seiner Zeitgenossen weit überlegen - da muss man nur einen Blick in die Dissonanzen von KV330 oder in das Finale der Iuppiter-Sinfonisch schauen.
Auch hier merkt man erst in der zweiten Minute, dass das kein später Brahms ist:



Die seltsam schrägen Phrasen und Reibungen im "Dorfmusikanten-Sextett" mögen eine bissige Parodie stümperhaften Musizierens darstellen, nehmen aber Elemente vorweg, die erst im zwanzigsten Jahrhundert wieder anzutreffen sind:



Aus brieflich überlieferten Äußerungen ist zu schließen, dass solche Überzeichnungen nicht unbedingt nur "ein musikalischer Spaß" und Mozart Oberflächlichkeiten und Albernheiten zuweilen sehr zuwider waren. Durch ebenfalls überlieferte derbe Witze aus seinem Munde respektive seiner Feder darf man sich nicht in die Irre führen lassen.

Nicht nur in der Kammermusik kann es überaus tiefgründig zugehen:



Ähnliche Momente begegnen einem in einer Vielzahl von Mozarts Werken, die man nach bewusstem Hören und Miterleben derartiger spannungsgeladener Konstellationen eigentlich nie wieder als "oberflächlich" und "albern" empfinden dürfte.

LG von Rheinkultur
 
Jetzt hab ich aber in letzter Zeit immer häufiger von versch. Leuten in meinem Umfeld gehört, dass sie gerade Mozarts Musik für oberflächlich, albern oder gar dumm halten. (Auffälligerweise meistens Personen, die auf Wagner standen :confused: )
[...]
Oder gibt es da tatsächlich einen Zusammenhang, dass Wagner-Freunde kein Mozart mögen?

Ich oute mich mal. In einer Zeit, als ich jung und dumm war, hatte ich eine lange Auseinandersetzung mit meiner "besten Freundin" (wer schon mal adoleszierende Frau war weiß, was ich meine) zu genau diesem scheinbaren Konflikt. Sie war eine große Liebhaberin von Mozart und ich eine fanatische Wagnerianerin. Das ging so weit, dass wir uns in der Öffentlichkeit gegenseitig niedergesungen haben, sie irgendwas aus der Zauberflöte, ich irgendwas aus dem Ring, eine lustige Kakophonie war das.
(Anmerkung: Ansonsten waren wir sozial, psychisch und schulisch vollkommen unauffällig, stabiles familiäres Umfeld - ihr Vater war Lehrer für Geschichte und Latein, meiner für Mathe und Physik - keine Drogen, nix)

MITTLERWEILE habe ich eine Erklärung für das Phänomen. Wagner prügelt mit der ganz dicken Emotionskeule, wahrscheinlich der dicksten, die es im musikalischen Erbe Europas gibt. Der Rezipient liegt zuckend am Boden und ist buchstäblich zerschmettert, hat früh und freiwillig jede Gegenwehr und Distanz aufgegeben und befindet sich im Zustand der Kataplexie. Ich übertreibe bewusst. :girl:

Das ist bei Mozart gerade nicht der Fall. Auch wenn er tragisch und dunkel ist, er ist nicht ausweglos, er übermannt nicht, er hat den emanzipatorischen Impetus der Aufklärung seiner Epoche. Nach dem tief bewegenden "Contessa, perdono" erlöst wenige Augenblicke später das "Corriam tutti a festeggiar". Oder am Ende von La Clemenza die Tito, als die Situation bedrückender kaum sein kann, löst der Protagonist sie auf mit seinem unvergleichlichen "Sia noto a Roma, ch'io son lo stesso, e ch'io tutto so, tutti assolvo, e tutto oblio". Ganz ähnlich versöhnlich verläuft es stets: Tiefe Rührung & Betroffenheit werden aufgelöst und der geläuterte Blick nach vorn eröffnet.

Ich lernte Mozart erst später schätzen und verehren. Womöglich bedarf es dazu der emotionalen Feinsinnigkeit? Sich von Wagner zu Boden schmettern zu lassen, ist vergleichsweise simpel (ohne Wagners große Musik schmälern zu wollen!!!). Einen frühen Mozart "einfach nur nett" zu finden, ist ebenso simpel. Aber hey, das war ein ganz junger Mensch, der Geld verdienen musste. Der spätere Mozart - das Klarinettenkonzert, die Sinfonien Nr. 40 und 41, die späten Opern u.v.m. ... nimmt einem zwar den Atem, gibt ihn einem aber im Gegenzug auch direkt wieder zurück, und zwar in geläuterter Form. :blume:
 
Bei solchen Diskussionen kann ich immer nur wieder auf Busoni verweisen.

„Entziehen sich die Maße des Erhabenen immer unserer Bemessung? Liegt es nicht vielmehr oft an der Art und nicht an der Größe eines Gedankens, wodurch er erhaben erscheint? Die mahnenden Worte des Comthurs in der Friedhofszene des Mozart’schen Meisterwerkes, mit ihrem gemessenen Rhythmus und den vollen Posaunenakkorden zwischen den losen Sätzen des Seccorecitatives, wirken – kraft der Stellung, die sie einnehmen, und des daraus erfolgenden Kontrastes - erhaben.
Wenn wir das Wesen Beethovens mit der Großartigkeit eines Gewitters verglichen haben, so ist Mozart ein ewig sonniger Tag. Ob dieser Tag eine lachende Flur, ob er die mächtige See oder eine felsige Einöde bescheint, stets ist er hell, freudig, klar. Wenn Heiterkeit und Naivität die Merkmale des Genies sein sollen, Mozart besaß sie in vollem Maße; und in der Tat, kein anderer als Mozart könnte mit größerer Berechtigung auf den Namen „Genie“ Anspruch machen, für dessen Vollgültigkeit seine Werke mit unwiderlegbarster Eindringlichkeit sprechen, tönen und bestehen.

[…]

Auf die häufige, naiv-dilettantische Frage: „wen man wohl für den größten aller Musiker halten soll“, habe ich nie geantwortet, weil die Antwort - die scheinbar nur die bloße Aussprechung eines Namens erfordert – sich in der Tat zu der Länge eines popular-ästhetischen Vortrages ausdehnen müßte. Will man aber eine Antwort darauf, so lautet sie „Mozart“.

Auf die sichere Gefahr hin, schon Bekanntes und als gültig Angenommenes, durch die Zeit und Erfahrung längst Bewährtes wieder anführen zu müssen, kann ich mir nicht versagen – um mich philosophisch auszudrücken – den a priori-Beweis dieser empirischen Tatsache zu versuchen.
Für die bisher unerreichte Größe Mozarts spricht vor allem seine Vielseitigkeit. Auf allen Gebieten und in allen Zweigen der Tonkunst schuf er Vollendetes, erzielte er die absolute Schönheit, wusste er Muster der Art aufzustellen, gelang es ihm, dasjenige, welches die Vorbilder, die er besaß, nur Andeutung enthielten, zu einem Ganzen und Fertigen zu bilden. Er war Lyriker, Dramatiker, Liturgiker und absoluter Musiker; Letzterer war er stets und ohne Ausnahme, und es ist eines der bedeutendsten Merkmale seiner Schaffensart, daß sein Tonsatz, wenn er auch mit bewunderungswürdiger Treue sich einem Texte anschmiegt, auch als Musikstück den gleich vollen Wert bewahrt.
Mit seinen Sonaten erweiterte er die Klaviertechnik, mit den Konzerten bahnte er zuerst die heutige Bedeutung und Selbständigkeit des Instrumentes an; mit seinen Quartetten brachte er Tiefe und Gehalt in das unbefangene vierstimmige Spiel der Streichsätze Haydn’s, ohne deshalb sie ihre Heiterkeit einbüßen zu lassen; mit seinen Symphonien gelangte das Orchester zur vollen Sprache und die Form zu dem monumentalen Charakter, den später Beethoven in Riesenverhältnissen seinen letzten vier ungeradezahligen symphonischen Kolossen einmeißelte; mit dem „Ave Verum“ und dem „Requiem“ liefert Mozart die reinste und treueste musikalische Verkörperung der katholischen Begriffe von Seligkeit und Tod, Auferstehung und Strafe; endlich behandelt er mit gleich unerreichtem Erfolge das musikalische Luftspiel, das Drama und als erster die deutsche Spieloper. Unverkennbar nimmt Mozart seinen Ausgangspunkt vom Gesange aus, woraus sich die unausgesetzte melodische Gestaltung ergibt, welche durch seine Tonsätze schimmert, wie die schönen, weiblichen Formen durch die Falten eines leichten Gewandes. Man verfolge in seinen Partituren beispielsweise die zweite Stimme eines Holzbläsers: Sie ist stets der Alt eines vierstimmigen Gesanges, wohl durch Lage und Stellung, nicht aber in der melodischen Führung untergeordnet; und es ist wahrlich dieser gesangliche Fluß, der Mazarts kontrapunktische Sätze so leicht und gefällig formt, daß man, selbst in der strengsten Führung – weit entfernt davon, die mühevolle Arbeit herauszuhören – vielmehr die reinste Freude und Befriedigung empfindet. Hört euch eine jener bei Mozart so charakteristischen Progressionen an, die ein wunderbares Geflecht harmonischer Feinheit, kontrapunktischer Leichtigkeit und melodischer Gliederung sind, und ihr werdet euch in eine Stimmung versetzt fühlen, die zwischen Weinen und Lachen die Mitte hält, solcher Art wird sie euch zugleich ergreifen und erheitern.

[…]“


Mozart selbst hätte seinen Kritikern sicher seinen schönen Kanon KV 231(382c) entgegengehalten. ;-)
 
Wagner prügelt mit der ganz dicken Emotionskeule, wahrscheinlich der dicksten, die es im musikalischen Erbe Europas gibt.
Hier ganz sicher nicht:







Das ist stilistisch eher noch im Umfeld von Johann Nepomuk Hummel anzusiedeln. Eine Wagner'sche Stilistik mit pianistischen Mitteln umzusetzen, das dürfte Wagners "Bearbeitern" (speziell Liszt) meist überzeugender gelungen sein als ihm selbst.

LG von Rheinkultur
 
Das ist stilistisch eher noch im Umfeld von Johann Nepomuk Hummel anzusiedeln. Eine Wagner'sche Stilistik mit pianistischen Mitteln umzusetzen, das dürfte Wagners "Bearbeitern" (speziell Liszt) meist überzeugender gelungen sein als ihm selbst.

Ausnahme sind vielleicht die Wesendonck-Lieder. Da hat Wagner einen fantastischen Klaviersatz komponiert, bei dem man das Orchester nicht vermisst:



LG, Mick
 

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