Bach - die Dynamik im Wohltemperierten Klavier

Refrather

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Guten Abend zusammen,

bei den Präludien und Fugen aus dem Wohltemperierten Klavier von J. S. Bach ergibt sich für mich und sicherlich auch andere Bachfans das Problem, die Dynamik einer jeden einzelnen Note zu erfassen und die Stücke korrekt zu spielen. Leider habe ich in meinen Urtext-Ausgaben in den Vorwörtern keinen Hinweis dazu gefunden. Bach hat dazu im WTK keine Angaben gemacht. In den vergangenen Jahrzehnten hat mir auch kein Klavierlehrer die Dynamik umfassend erläutert. Wie also sich helfen?

Im Internet stieß ich auf das Buch von Siglind Bruhn. Die Musikwissenschaftlerin hat die Präludien und Fugen analysiert und die Dynamik detailliert beschrieben. Am Beispiel des Präludiums Nr. 1 (BWV 846) wird deutlich, welche Bandbreite die Dynamik in dem Stück hat - von piano bis forte ändert sich in jedem Takt die Lautstärke über 11 Energieniveaus.

Endlich konnte ich dieses Stück einmal in der jeweils richtigen Lautstärke spielen!

Ich füge beide Seiten des Präludiums mit den eingetragenen Lautstärken bei.

Frank


Ich habe beide Seiten als JPG-Dateien nochmals hochgeladen.
 

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Was sind Energieniveaus ? Und welche Dynamik war auf den Instrumenten verfügbar, für die Bach komponiert hat?

Gruß
Rubato
 
Siglind Bruhn verwendet diesen Begriff. Gemeint sind die Lautstärkeangaben. Ich nehme an, dass Bach für das Cembalo komponiert hat. Die Möglichkeiten zur dynamischen Gestaltung sind geringer gewesen im Vergleich zu einem modernen Klavier. Das Präludium selbst ist nicht auf ein bestimmtes Tasteninstrument beschränkt. Ein modernes Klavier erlaubt eine breite dynamische Gestaltung, die natürlich im Einklang mit der Natur der Komposition steht (wenn sie richtig ist).

Gruß
Frank
 
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Hallo CW,

das Buch von Siglind Bruhn hat den Titel "J. S. Bachs Wohltemperiertes Klavier - Analyse und Gestaltung". Es ist online lesbar unter http://edition-gorz.de/bruhn4.html

Gruß
Frank
 
Wie war es denn überhaupt in technischer Hinsicht mit der Dynamik der damaligen Tasteninstrumente
und was war vom Komponisten gewollt bzw. nicht gewollt?
Letztens hörte ich im Konzert Bachs Partita auf einem Steinway Flügel vorgetragen, da dachte ich mir, dass es zu damaliger Zeit sicherlich anders klang, anhand der Technik. Genau kann mans natürlich nicht wissen, war ja keiner von uns heutigen dabei..........
Gruß Ivory
 
Vom bekannten C-Dur-Präludium aus dem WTK habe ich vor Ewigkeiten (bestimmt ein Jahrzehnt her) mal ein PDF von allpianosheetmusic.com runtergeladen, welches Dynamik-Anweisungen notiert hat. Das Stück beginnt p, hat in Takt 3 einen Crescendo und soll in Takt 5 dann f gespielt werden, gefolgt von Takt 6 in p usw. Klingt so auch nicht schlecht. Kann man es auch völlig anders spielen?
 
Siglind Bruhn analysiert das Präludium wie folgt: "Das erste Präludium besteht aus nichts als gebrochenen Akkorden; seine Aussage ist also überwiegend harmonischer Natur. [...] Das Präludium besteht aus insgesamt vier Abschnitten ganz unterschiedlicher Länge: Takt 1-4, Kadenz nach C-Dur, Takt 5-11, Modulation nach G-Dur, Takt 12-19, Modulation zurück nach C-Dur, Takt 20 -35, komplexe erweiterte Kadenz nach C-Dur. [...] Die größte Herausforderung liegt in der Nuancierung der einzelnen Töne. Denn was in einem harmonisch bestimmten Werk hervortreten soll, ist ja das Verhältnis zwischen Akkorden, nicht das zwischen Sechzehnteln. [...] Über die dynamische Gestaltung hinaus ist das Tempo entscheidend für eine empfindsame Interpretation."
 
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Leider habe ich in meinen Urtext-Ausgaben in den Vorwörtern keinen Hinweis dazu gefunden. Bach hat dazu im WTK keine Angaben gemacht.


Wie sollte er auch?

Er hatte doch überhaupt gar kein Pianoforte. Unser heutiges Klavier ist erst 1709 von Christofori in der Theorie und in Italien erfunden worden. Bis zum ersten bespielbaren Prototypen war Bach leider schon tot.

Bach hatte die Orgel und vermutlich ein Spinett. Also konnte er auch nicht dynamisch notieren.

Was für alle Bach-Fans am Klavier die faszinierende Möglichkeit der Improvisation eröffnet. Du darfst Bach in der Dynamik improvisieren bis der Arzt kommt :-)
 

Ja, kann man.

Das ist ja auch das Reizvolle an Bachs Musik, dass es an Interpretationsvorschriften fast völlig fehlt. Jeder kann Bach so spielen wie er will und jeder spielt auch Bach, wie er will.

Dieses Fehlen von Anweisungen des Komponisten schafft zweierlei: Der Spieler kann seinem Gestaltungswillen sehr weit folgen und zweitens, wissenschaftlich ambitionierte Interpreten wie die oben zitierte Frau Bruhn finden eine ideale Spielwiese vor: sie ist leer.

Ich persönlich verlasse mich am liebsten auf mein Gefühl. Mich mit elf dynamischen Niveaus bei ein paarunddreißig Takten auseinanderzusetzen überfordert mich.

CW
 

Finde auch, dass man Bach auf dem Klavier nicht so wie auf einem Cembalo spielen sollte. Bach hätte sicher dynamisch komponiert, wenn es das Instrument hergegeben hätte. Ob es dann allerdings so bewesen wäre, wie Frau Bruhn vorschlägt, steht in den Sternen.
 
Da Bach ein Meister der Harmonielehre ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass man das Präludium Nr. 1 beliebig laut oder leise spielen kann. Ich habe, bevor ich mir Bruhns Analyse aneignete, die Dynamik für die einzelnen Takte selbst ausgearbeitet (ich kenne das Stück seit 37 Jahren). Und dies ohne eine Ausbildung in Harmonielehre sondern nach dem Gefühl für die Klangwelt des Stückes. Ich bin dabei am Schreibtisch gesessen und habe mir den Klang im Kopf vorgestellt. Und das ist das Ergebnis (erste Angabe von Bruhn, zweite von mir) von Takt 1 bis 35: p mp, mp+ mp+, mp- mp, p mp+, mf+ mf, mp+ mp+, mf- mf, mp mp+, mp- mp, p+ mp-, p mp, pf mf-, mp+ mf+, mf+ mf, mp- mf-, mp mp+, mp- mp, p+ p+, p mp, mp- mf-, mp+ mp+, mf+ mf-, pf+ mf+, p+ mf, mp- mf-, mp mp, mp+ mp-, mf- mp+, mf mf-, mf+ mp+, pf- mp, pf mp-, pf+ mf-, f- mf+, f f.
Hier liegen musikwissenschaftliche Analyse (Bruhn) und ein harmonisches Musikempfinden (meine Wenigkeit) erstaunlich nahe zusammen.
 
Finde auch, dass man Bach auf dem Klavier nicht so wie auf einem Cembalo spielen sollte.

Da hätte das Klavier auch was gegen. Es würde seiner Natur widersprechen.

Jedes Instrument hat einen Wesenskern (ja, klingt pathetisch) und das Wesen des Klaviers ist ohne Frage seine Dynamik. Ohne Dynamik lebt es nicht.

Also muß man sich als Pianist fragen, wie man ein Nicht-Klavier-Stück ohne Dynamiknotation so hinkriegt, daß es auf dem Klavier schön klingt. Eigentlich trifft das auf jedes Instrument zu, auf das ich ein fremdes Stück übertragen will.
 
Da Bach ein Meister der Harmonielehre ist, kann ich mir nicht vorstellen, dass man das Präludium Nr. 1 beliebig laut oder leise spielen kann.

Also erstmal sind Harmonien und Dynamik zwei Paar Stiefel.

Geh' nicht nur mathematisch an die Sache ran sondern auch kreativ. Niemand hat gesagt, daß das C-Dur-Präludium von pp bis ff laufen soll. Im Gegenteil sind es die ganz feinen Modulationen in der Dynamik, die an den richtigen Stellen die Aussage machen.

Gerade dieses Stück ist die perfekte Spielwiese, denn das Stück hat ja überhaupt gar keine musikalische Aussage in der Notation von Bach. Es ist einfach nur ein Klangflächenarpeggio. So eine Art Klangstudie.
 
Bach spielte auch Clavichord, ich erinnere mich, gelesen zu haben, dass er sogar sehr gerne auf dem Clavichord spielte.

Dieses ist anschlagdynamisch, es erlaubt sogar, den Tönen ein Vibrato zu geben.

Ich würde beim Spielen von Bach immer dynamisch spielen, aber die Grenzen, vor allem nach oben, nicht ausloten.
 
Ich bin erst im Juni wieder ins Klavierspiel eingestiegen und habe das Stück seitdem öfters gespielt. Die Lautstärken habe ich nie exakt reproduziert weil ich mir mir auch keine Eintragungen in die Noten machte. Erst vor wenigen Tagen drängte sich dann mit Macht die Frage auf, wie die Dynamik denn ausssieht. Jetzt habe ich das Gefühl, das Präludium verstanden zu haben und es auch einigermaßen exakt reproduzieren zu können.
 
Zu fragen wäre, ob man die vagen Angaben wie "mf-" u.s.w. nicht durch genaueste physikalische Maßeinheiten ersetzen sollte. Dann kriegte man auch mehr als nur elf Level hin.

Des weiteren könnte man auch jedem einzelnen Ton eine Dynamikvorschrift voranstellen. Wär' ein bisschen Arbeit, aber das Präludium enthält ja nicht so sehr viele Töne, es ist ein kurzes Stück.

Dann wäre man sicher noch viel näher an der perfekten Interpretion dran.

Eigentlich habe ich es immer gerne gehört und gerne gespielt...

CW
 
Liebe Freunde,

wem gefällt die dynamische Zeichnung in meinen beiden Dateien?

Gruß,
Frank
 
Lieber CW,

man könnte mit einem Zahlensystem arbeiten, aber das wäre für die Spielpraxis wohl zu unpraktisch. Ich meine, dass 11 unterschiedliche Levels ausreichen sollten. Ich bin mir nicht ganz sicher, ob ich immer genau die richtige Lautstärke treffe. Innerhalb eines Taktes gibt es im Präludium Nr. 1 nach Frau Bruhn keine Differenzierung hinsichtlich der Lautstärke! Dies ist ein besonderes Merkmal bei diesem Stück. Daher kommt man mit der Lautstärkenangabe pro Takt genau hin.

Gruß,

Frank
 

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