Steinbach, Weinbach, Steinberg, äh....

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15. Dez. 2009
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Hallo.
Manchmal merke ich, dass ich nicht mehr so ganz wirklich blutjung bin. Dann wenn ich den Eindruck habe, dass die beruhigende Wahrheit, dass heute gestern morgen war und heute morgen gestern sein wird, sich seltsam verändert. So dass übermorgen morgen schon vorgestern ist...

Derzeit arbeite ich mehrtägig bei einem Kunden, und dieser schickte mich zu einer Schülerin. Ihr Klavier verstimme sich oft stark und sei ja auch ziemlich neu und stehe auf Fußbodenheizung und sei sehr günstig gewesen.
Achduliebezeit.
Ich erwartete gruselige Verstimmungen bei derb abgesackter Tonhöhe.
Was es denn für ein Klavier sei?
Keine Ahnung...

Dies empfing mich:
Eine Familie auf dem herannahenden Zenit des Abendessens, intensiver Essensgeruch, laut rauschende Herd-Abzughaube in unmittelbarer Nähe - und das Klavier ca. 1,30 m vom Esstisch entfernt. Und das bei dem erwarteten Arbeitsaufwand. Oh je.

Und dann die unerwartete Verwirrung.
Das Klavier hieß nicht Steinbach (seit einigen Jahren sehr marktaktive Handelsmarke),
es hieß nicht Weinbach (tschechisch, seit Jahrzehnten bekannt),
auch Steinberg (der bekannte Wilh. aus Eisenberg, den es womöglich live nie gab) war's nicht.
Steinmann? Nee, der andere Wilh., der war's auch nicht.
Weinmann? Hmmm - was war das noch... richtig, ein Hersteller von Fahrradfelgen und -bremsen. Kenne ich seit Jahrzehnten.
Neinneinnein - das Klavier heißt tatsächlich Weinberg.
Weinberg.

Nun gut, in den heutigen Chinaboom-Zeiten sollte das als Grund zum Wundern nicht ausreichen.
Doch was sich mir eröffnete, war ein großzügig konzipiertes Klavier der Knapp-110er-Kategorie. Dicke Raste, trotzdem sehr vernünftige Tastenhebellänge. Ordentlich verarbeitete und spontan gut spielende Mechanik. Und ein wirklich erstaunlich gefälliger Klang mit guter Tonlänge und wirklich gutem Bassvolumen.
Ich kam gar nicht dazu, mich darüber zu wundern oder zu freuen, denn viel wichtiger war dies: das Klavier war unter Hausgebrauchsgesichtspunkten nur unwesentlich verstimmt und stand auf 440 Hz. Wunderbar. Ich konnte wieder gehen, musste die Abendmahlsszenerie nicht vollends vernichten.

Was es denn gekostet habe.
Na ja, man habe es sich schon etwas kosten lassen, ganz billig war es nicht!
Zweieinhalbtausend.
Nicht billig???
Nein, man habe die einfache Version für Neunzehnhundert nicht gewollt. Sondern lieber die komfortable - die mit der eingebauten Silent-Stummschaltung.....

Ich ahne schon: Es kann nur noch Tage, höchstens Wochen dauern, bis die bis dahin unbekannte Firma Bosengraber (die, wie man hört, in Japan als "C. Yamabech" firmieren will) einen 276-cm Konzertflügel für 9.999,-- Euro anbietet.

Nachdenkliche Grüße...
Martin
 
Das ist leider eine Entwicklung, die man überall feststellen wird/kann.

P.S. Ich mag Deine Art zu schreiben ;)
 
Hm. Wo ist das Problem, wenn es Menschen / Unternehmen gibt, die akzeptable Qualität günstig produzieren können?
 
Die Frage ist doch, warum können "die" so günstig produzieren... Und wirklich beantworten muss ich das doch jetzt nicht, oder?
 
Nun, Du könntest als Selbstversuch einmal für eine Woche in einer beliebigen chinesischen Fabrik arbeiten. Falls Du es überlebst, wirst Du danach die Antwort wissen.

Hast Du selber gesehen, oder auch nur vom Hören und Sagen aus den Medien oder von wem auch immer? Ich kann mir nicht wirklich vorstellen, das man in China unter Menschen unwürdigen Zuständen Klaviere baut. Es gibt dort sicher, wie anderswo auch, schwarze Schafe, aber das alle Chinesen so arbeiten müssen halte ich für nicht richtig. Kündigungsschutz etc. das ist dort kein Thema, das stimmt leider..!
 
Chinesische Firmen, die vernünftige Qualität produzieren, klagen zunehmend über eine hohe Fluktuation qualifizierter Arbeitskräfte und sehen sich daher gezwungen, die Löhne zu erhöhen. Und zwar nicht zu knapp.
 
Schade, immer wieder die alte Leier, heute mal von sita: wer ein Chinaklavier kauft, hat halbtote Fabrikmalocher auf dem Gewissen...

Ich hatte (anscheinend leider vergebens) gehofft, dass auf die Frage einmal etwas differenzierter geantwortet wird, anstatt sich der altgewohnten Auffassungen (um nicht zu sagen: Clichees) zu bedienen. Ich habe mittlerweile einige Berichte von Klavierbauern gelesen, die Klavierfabriken in China besucht haben, bzw. mit ihnen zusammenarbeiten, wo von solchen Arbeitsbedingungen keine Rede sein kann.

Alles nur Window-Dressing? Oder alles nur von den besagten Klavierbauern erlogen? Wohl kaum.
 
Schade, immer wieder die alte Leier, heute mal von sita: wer ein Chinaklavier kauft, hat halbtote Fabrikmalocher auf dem Gewissen...

Ich hatte (anscheinend leider vergebens) gehofft, dass auf die Frage einmal etwas differenzierter geantwortet wird, anstatt sich der altgewohnten Auffassungen (um nicht zu sagen: Clichees) zu bedienen. Ich habe mittlerweile einige Berichte von Klavierbauern gelesen, die Klavierfabriken in China besucht haben, bzw. mit ihnen zusammenarbeiten, wo von solchen Arbeitsbedingungen keine Rede sein kann.

Alles nur Window-Dressing? Oder alles nur von den besagten Klavierbauern erlogen? Wohl kaum.
Ich nehme die Schuld auf mich, denn den Stein ins Rollen gebracht hat nicht sita, sondern ich. Eigentlich wollte ich auch einfach die Klappe halten. China ist ein weitreichendes Thema, über das hier zu diskutieren den Rahmen sprengen würde. Zumal ich Diskussionen in Internetforen sehr skeptisch betrachte.
 

Gut, lassen wir das, und freuen uns einfach an Martins Weinberg(schnecke).

Ciao,
Mark
 
War es nicht vor einigen Jahren mit japanischen Autos genau dasselbe? Jahrelang von deutschen Autobauern milde belächelt... "die kopieren ja nur... können nix eigenes, hauptsache billig... etc." Bis dann auf einmal gerade diese kopierten "Billig-Reisschüsseln" alle ADAC Pannenstatistiken anführten und auch der Wertverlust der gebrauchten Fahrzeuge sich in moderaten Grenzen hielt. Plötzlich bereisten die deutschen Autobauer und Zulieferer die japanischen Fabriken und versuchten zu ergründen, wie so etwas wohl geht. Nun... mittlerweile hat sich alles eingependelt. Die Japanischen Autos sind praktisch auf dem gleichen Niveau angekommen wie die deutschen... qualitativ wie auch preislich ;).
Und genau dies wird auch mit den Instrumenten aus chinesischer Produktion passieren. Erst wird nur kopiert und billig nachgebaut... aber dabei wird auch gelernt und die Instrumente werden immer besser werden. Mittlerweile fließt sehr viel deutsches Know-how in die chinesische Produktion und das hat und wird Auswirkungen zeigen. Natürlich werden auch diese Klaviere im Laufe der Zeit durch gestiegene Lohnkosten teurer werden bis sich alles "eingependelt" hat.
Glück hat derjenige, der sich in der "Übergangszeit" ein entsprechendes Instrument zulegt... zu dem Zeitpunkt wo die Qualität angemessen und der Preis noch niedrig ist (das ist natürlich für einen Laien kaum erkennbar)... Menschen, die sich Anfang der 90er z.B. einen "günstigen" Toyota Corolla gekauft haben und ihn bis zum Ende gefahren haben (oder immer noch fahren), werden verstehen, was ich meine. :D
Das soll jetzt nicht heißen, dass ich diese Entwicklung gut finde... es ist aber einfach so, dass der Weltmarkt immer weiter zusammenrückt und wer davor die Augen verschließt, wird irgendwann wahrscheinlich den kürzeren ziehen.

LG
Georg
 
Ich nehme die Schuld auf mich, denn den Stein ins Rollen gebracht hat nicht sita, sondern ich.

Nun, aber ich habe ihn aufgegriffen, und das ziemlich undifferenziert. Mea culpa, ich ziehe meine Aussage auch zurück, und schließe mich dem Gürkchen an: Für eine differenzierte Betrachtung ist hier wohl nicht der rechte Ort, und ich habe dazu wohl auch nicht die richtige Qualifikation.
 
Ich bin auch mal gespannt, das China-Thema ist immer für eine Top-Diskussion gut, und vor allem: es ändert sich in kurzer Zeit tatsächlich vieles (siehe z.B. W&L <-> Feurich), so daß es lohnt, das Thema immer mal wieder aufzugreifen.

Gruß
Rubato
 
Mensch, Rubato.
Gerade heute vor wenigen Stunden hämmerte sich dieser Faden mir wieder ins Gehirn.
Ich hatte das Vergnügen, ein 116 cm hohes Zimmermann-Klavier zu stimmen, ca. 3-5 Jahre alt, mit Kurzweil-Silent.
Ein Blick hinein: Das Ding ist konstruktiv von einem "echten Bechstein" kaum zu unterscheiden, abgesehen von Saitenumlenkungen über Silien/Druckstäbe, statt über Bockagraffen - na wenn schon. Und abgesehen von dem dezenten Hinweis "SilverLine" auf der Mechanik, was wohl irgendwie was anderes ist als "GoldLine", aber dennoch wohl weniger gut als gut kaum sein kann.
Wenn man an dem Ding sitzt und weiß, dass es wohl mal 7000 Euro oder noch mehr gekostet hat...
tja, man sitzt dann einfach dran, es macht klick!, und man bereut nichts. Gar nichts. Seltsam - auf den Gedanken, dass man hier zum gleichen Preis auch drei Weinberge hätte stehen haben können, kommt man nicht im Traum; mehr als ggf. Kopfschütteln und das sichere Gefühl, dass diese Idee von der eigenen genussvollen Realität Lichtjahre entfernt ist, will einfach nicht aufkommen.

Das habe ich schon mehrfach in der Begegnung mit hochwertigen Instrumenten erlebt.
Jedesmal wieder finde ich es beruhigend und habe dabei ein seltsames schwer begründbares Dankbarkeitsgefühl...

Gruß
Martin

und SO sieht das 116cm-Zimmermann von innen aus

und SO zum Vergleich das 116cm Bechstein Millenium
 
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