Ich möchte mich dem Stück mit Respekt vor diesem und Bach nähern und es nicht einfach runterklimpern.
das ist ein sehr schönes Vorhaben!
Ich gehe davon aus, dass du das Praeludium schon vom anhören kennst und es dir so sehr gefällt, dass du dich (wenn ich es richtig erinnere bist du Anfängerin und lernst ohne Unterricht?) auch längere Zeit damit befassen willst.
Wieso längere Zeit? Du teilst mit, dass du es nicht nur zu spielen sondern auch verstehen lernen willst - das ist eine prima Einstellung, denn eigentlich geht das Hand in Hand, ist untrennbar.
Es wird dabei erstmal sehr viel scheinbar trockenes "Theoriezeugs" nötig werden, aber daran wirst du dich gewöhnen und die erworbenen Kenntnisse irgendwann für ganz selbstverständlich halten: das betrifft die sehr gelungenen, ausgewogenen und immer wieder faszinierenden Harmonien dieses Praeludiums; seine Akkorde stehen nicht einfach nur so da, sondern sie haben miteinander zu tun, gruppieren sich in zusammengehörende Abschnitte.
-- z.B. die ersten vier Takte gehören zusammen
trockene Papiertheorie kann auch ganz anders angegangen werden:
hör dir mehrmals die ersten vier Takte des Praeludiums der ersten Cello Suite von Bach an - fällt dir was allein hörend auf?
dann hör dir den Anfang der ersten Etüde op.10 von Chopin an
dann den Anfang von Debussys Doctor Gradus ad Parnassum
...ja, so einflussreich, so weitreichend war dieses Praeludium!
die ersten vier Takte sind eine Kadenz - was das ist, erklären papiertrocken Lehrbücher der Harmonielehre: es lohnt sich, so eines (z.B. de la Motte) zu kaufen und aus denen einfach die Beispiele für Kadenzen mal zu spielen.
dann ein genauerer Blick in die ersten vier Takte des Praeludiums: aha, da werden (bevor Wiederholungen kommen) vom Bass zum Diskant fünf Töne gespielt, die dann einen Akkordklang herstellen
wie viele verschiedene Töne hat der erste Takt?
der zweite?
der dritte?
der vierte? (hoppla, ist das nicht derselbe wie der erste?)
was fällt da auf: es gibt Dreiklänge, es gibt Vierklänge (später wird es auch Fünfklänge geben) - das meint die Anzahl der verschiedenen Töne (z.B. im ersten Takt gibt es zwei c und zwei e in den ersten fünf Tönen, also nur c-e-g - ein Dreiklang)
so könntest du überall im Praeludium auf Klangentdeckungsreise gehen und erstaunliches entdecken: da gibt es rätselhafte Akkorde, da gibt es welche, die dir zunächst schief oder dissonant vorkommen werden
und allmählich wird sich das und das parallele stöbern in Harmonielehre ergänzen
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und das spielen?
hm... wie wäre es, vor dem spielen jeden Takt
als Akkord abzuschreiben, also nur fünf übereinander stehende Noten je Takt, die zwei unteren für die linke, die drei oberen für die rechte Hand (!!!) ---- so siehst du besser, was sich von Takt zu Takt verändert und was gleich bleibt.
und immer weitere Entdeckungsfahrten, Fragen stellen, experimentieren: wo überall tauchen c-e-g im gesamten Praeludium auf? wo g-h-d-f?
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das wären ein paar Tipps, die dich für Wochen, ja für Monate beschäftigen werden - ich sagte ja, viel Zeit ist nötig, also Geduld haben - - - und nebenher ein paar andere kleinere Stücke spielen:
Schumann: kleiner Choral (aus Album für die Jugend)
Tschaikowski: das Begräbnis der Puppe (Jugendalbum)
viel Spaß, nein: viel Freude, viel Neugier, viele neuentdeckte Klänge!!!