Schumanns Wahnsinn

Stilblüte

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Ich habe eine Frage: In welchen Stücken von Schumann wird seine Verrücktheit am deutlichsten? In welchem Stück überträgt sie sich am meisten auf den Hörer?

Ein Beispiel wäre sicherlich der 1. Satz aus der Fantasie. Ich habe den kürzlich zum 1. Mal gehört und war danach tatsächlich in einem irgendwie entrückten, nervösen, leicht geschockten und verstörten Zustand :p Das anzuhören fand ich ziemlch anstrengend. Man hat nichts zum festhalten und keine sofort erkennbare Struktur.
Sehr gegenteilig zu so gefälligen Stückchen wie den Abegg-Variationen oder so lyrischen wie den Fantasiestücken.

Die g-moll-Sonate weist auch schon so eine Verrücktheit auf, aber in der Fantasie ist das noch gesteigert, finde ich.

Bin mal auf Antworten gespannt.
 
Die Fantasie wirkt auf mich stellenweise etwas trauernd,klagend und hat vielleicht auch eine gewisse Verlorenheit, ein Hauch Sehnsucht und dann plötzlich wieder ein Aufbäumen ein Wechsel. Das tut der Schönheit des Stückes aber keinen Abbruch. Es ist gut geschmückt mit allerlei erdenklichem - wie ein farbenfroher Blumenstrauß. Mit Verrücktheit verbinde ich aber eher Unkoordiniertes,Unzusammenhängendes,Verworrenes und Zufälliges. Schumann scheint mir nach dieser Definition ganz und garnicht verrückt in diesem Werk zu sein. Ich persönlich hatte keinerlei Anstrengung das Stück zu hören.

"....Ich habe den kürzlich zum 1. Mal gehört und war danach tatsächlich in einem irgendwie entrückten, nervösen, leicht geschockten und verstörten Zustand ...."

Es hat dir also gefallen :) Deine Eindrücke deckten sich mit den meinen in dieser Hinsicht.

Natürlich lassen die Umstände seines verfrühten "Lebensabends" unter ärztlicher Aufsicht einige Mutmaßungen zu, was deren Einfluss auf sein Schaffen war. Am Liebsten würde ich diese Verkettungen einfach vergessen und die Musik losgelöst nur für sich betrachten. In Schumanns Fall fällt mir es allerdings etwas schwerer und ich habe das Gefühl diese gedanklichen Verknüpfungen, denen ich auch ein wenig erlegen bin, werden seiner Arbeit nicht gerecht.

Constantin
 
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Hallo Stilblüte, was meinst du denn mit "Schumanns Wahnsinn"?

Ich finde, man muss sehr vorsichtig sein mit solchen Äußerungen.

http://www.aerzteblatt.de/v4/archiv/artikel.asp?id=76921

Möglicherweise konnte man damals ein Alkohol-Delirium nicht unterscheiden von einer Psychose.

LG
violapiano

EDIT:
gerade lese ich, man konnte bereits unterscheiden zwischen der durch das Alkohol Delir hervorgerufenen Psychose mit Halluzinitationen und Wahn und einer Schizophrenie.
http://www.tabularasa-jena.de/artikel/artikel_2229/

Es wird diskutiert, ob es nicht vielmehr opportun war, ihm eine Geisteskrankheit zu unterstellen, überdeutlich ausgedrückt.
Auch der Sohn Ludwig soll ja einen großen Teil seines Lebens in einer Nervenheilanstalt verbracht haben, auch das angeblich auf Veranlassung Claras hin.

Delirium:
http://www.lebenshilfe-abc.de/delirium.html
http://de.wikipedia.org/wiki/Delirium_tremens
Das Delirium tremens ist eine Auswirkung des Alkoholentzugs bei vorbestehender Alkoholkrankheit.
 
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Danke, violapiano, deswegen sprach ich vom "Empfängerhorizont". Ich habe noch nichts "Wahnhaftes" oder "Geisteskrankes" in Schumanns Werken gehört. Aber was sagt das schon....:)

Und die von Stilblüte angesprochene "Verrücktheit"? Was ist das? Wer ist ver-rückt? Derjenige, der nicht an der "richtigen" Stelle steht? Ich glaube, es gibt insofern viele Verrückte, und das ist gut so...:p
 
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Ich würde da spontan behaupten, wer Schumann für verrückt hält, hat wohl noch nie Messiaen gehört... :-)

Schumanns Symphonische Etüden
(insbesondere der Finalteil, natürlich ist auch der ganze Rest toll)
http://www.youtube.com/watch?v=cWM0-4GsKmA
- finde ich ja absoult genial! Vielleicht positiv verrückt genial??
Ich war einmal im Konzert, wo das am Ende gespielt wurde, und hatte nacher die ganze Zeit ein merkwürdiges Grinsen im Gesicht...

Lieben Gruß,
Annette
 
Ich habe eine Frage: In welchen Stücken von Schumann wird seine Verrücktheit am deutlichsten? In welchem Stück überträgt sie sich am meisten auf den Hörer?

Ein Beispiel wäre sicherlich der 1. Satz aus der Fantasie. Ich habe den kürzlich zum 1. Mal gehört und war danach tatsächlich in einem irgendwie entrückten, nervösen, leicht geschockten und verstörten Zustand :p Das anzuhören fand ich ziemlch anstrengend. Man hat nichts zum festhalten und keine sofort erkennbare Struktur.
Sehr gegenteilig zu so gefälligen Stückchen wie den Abegg-Variationen oder so lyrischen wie den Fantasiestücken.

Die g-moll-Sonate weist auch schon so eine Verrücktheit auf, aber in der Fantasie ist das noch gesteigert, finde ich.

Bin mal auf Antworten gespannt.


Liebe Stilblüte,

die Fantasie ist ja kein Spätwerk, da stand Schumann doch noch absolut frisch im Saft. :p

Erst in seinen letzten Jahren hat man angeblich eine Schwäche in seinen Kompositionen ausgemacht, z.B. formal Aber das wird, soweit ich weiß, in der Musikwissenschaft auch durchaus kontrovers bewertet.

Ich finde die Fantasie, gerade den ersten Satz, unglaublich großartig und so ist sie auch eines seiner bedeutendsten größeren Werke. Gerade diese unglaubliche Leidenschaft, die Zerrissenheit, in der er sich ja zum Zeitpunkt der Entstehung auch persönlich befand (das hat meiner Meinung nach nichts mit Wahnsinn zu tun:) ), macht das Stück so außergewöhnlich.

Vielleicht hast du aber auch eine Interpretation gehört, die besonders "zerrissen" angelegt war und deshalb war der rote Faden so gar nicht zu hören?!

Ich habe schon ewig die "Gesänge der Frühe" nicht mehr gehört, eines seiner letzten Werke und ich hatte damals meine Schwierigkeiten damit. (Wahrscheinlich habe ich es deshalb so lange nicht mehr gehört :p ) Ich habe das Stück nicht verstanden, habe mich allerdings auch weiter nicht mehr damit befasst.

Mir jedenfalls spricht die Fantasie aus der Seele!

Liebe Grüße

chiarina
 
Ich kenne Messiaen. Das ist was ganz anderes. Messiaen finde ich nicht verrückt, sondern eher entrückt :D

Also im Ernst - vermutlich bin ich recht singulär mit dieser meiner Auffassung. Ich dachte, das wäre etwas "offensichtlicher". Macht nichts ;)
 
Gegenfragen:
welche Komposition von Rossini klingt verfressen? :D
welche Komposition von Schubert klingt syphilitisch? :D
welche von Chopin tuberkulös? :D
welche von Beethoven klingt nach Leberzirrhose? :D

...früher gab es mal die oberflächliche Ansicht, dass im Schaffen Schumanns gegen später ein Nachlassen vorliege - das hat man aber bzgl. des Oeuvres revidiert
 
Das ist so ein unausrottbarer Unsinn, daß man, bloß weil man weiß, daß Schumann in eine Nervenheilanstalt eingeliefert wurde (ob er im heutigen Sinne überhaupt "verrückt" war, weiß man eigentlich gar nicht so recht! Damals war ja die Psychatrie noch nicht sehr weit!), gleich meint, irgendwelche entsprechenden Zeichen in seiner Musik zu entdecken.

Wenn man schon so anfängt zu denken, dann müßte man ja erst recht der Ansicht sein, daß Schönberg, als er z.B. die "Erwartung" schrieb, mächtig einen an der Waffel gehabt haben muß, denn dagegen sind ja selbst die verwirrendsten Schumann-Kompositionen noch lockere U-Musik...

Und mit solchem Denken bewegen wir uns dann plötzlich in gaaanz bösen, trüben Wassern (so 1933-bis-1945 -mäßig...)

LG,
Hasenbein
 

Gegenfragen:
welche Komposition von Rossini klingt verfressen? :D
welche Komposition von Schubert klingt syphilitisch? :D
welche von Chopin tuberkulös? :D
welche von Beethoven klingt nach Leberzirrhose?

Was aber wäre, wenn man fragen würde: Welche Komposition von Smetana klingt taub?

Da gäbe es wenigstens den Ansatz einer Antwort. :D


Ansonsten bin ich auch der Meinung, dass man da sehr vorsichtig sein muss mit Analogien.
 
Jetzt bin ich doch ein wenig verwirrt,Stilblüte - wie hast du es denn nun konkret gemeint ? Ich dachte, ich hätte dich bei deiner Wortwahl bezüglich des "Wahnsinns/Verrücktheit" missverstanden oder du dich zu irrtümlich ausgedrückt...
 
einen Unsinn, den Du selber ausrotten könntest, findest Du im letzten Satz Deines Beitrags (der mit den Jahreszahlen)

Nein, Rolf, das ist keinesfalls Unsinn.

Erinnere Dich bitte, daß im 3. Reich bestimmte Kunstwerke als "krank" bezeichnet wurden bzw. weil ein Kunstwerk den Machthabern nicht gefiel (oder sie es nicht verstanden), deren Schöpfer als krank bzw. minderwertig bezeichnet wurde.

In genau eine solche Richtung ginge es, wenn man vom persönlichen Erleben eines Kunstwerkes als "wirr" o.ä. (weil man es nicht versteht oder es den eigenen Geschmack nicht trifft) auf den Geisteszustand des Komponisten schlösse.

Das andere Phänomen, um das es im Zusammenhang mit Schumann geht, ist Folgendes: Versuche mit eingeschleusten Scheinpatienten haben schon öfter nachgewiesen, daß, wenn jemand mit einer "Diagnose" behaftet ist (z.B. Schizophrenie), alles was er sagt und tut in Zusammenhang mit seiner Erkrankung gebracht wird. (Protestiert er also z.B. gegen schlechte Zustände in der Klinik, wird ihm, obwohl die Kritik völlig normal und berechtigt ist, zunehmende Aggressivität aufgrund seiner Erkrankung unterstellt und die Tablettendosis erhöht - die Entlassung schwindet in weite Ferne.)

Genauso im Fall Schumann: Man "weiß" (???!!?), daß er "verrückt" war, also findet man auf einmal lauter "verrückte" Sachen in seinen Stücken.

Genau die gleiche Voreingenommenheit also wie bei den Psychiatern in der Klinik.

Hätte man nicht dieses "Wissen", sondern würde man Schumann für "normal" halten, würde man bestimmte Spätwerke Schumanns als "modernistisch", "visionär" etc. feiern, weil er so unheimlich toll gegen Konventionen verstößt.

LG,
Hasenbein
 
Zuletzt von einem Moderator bearbeitet:
Nein, Rolf, das ist keinesfalls Unsinn.

Erinnere Dich bitte, daß im 3. Reich bestimmte Kunstwerke als "krank" bezeichnet wurden bzw. weil ein Kunstwerk den Machthabern nicht gefiel (oder sie es nicht verstanden), deren Schöpfer als krank bzw. minderwertig bezeichnet wurde.

In genau eine solche Richtung ginge es, wenn man vom persönlichen Erleben eines Kunstwerkes als "wirr" o.ä. (weil man es nicht versteht oder es den eigenen Geschmack nicht trifft) auf den Geisteszustand des Komponisten schlösse.

Das andere Phänomen, um das es im Zusammenhang mit Schumann geht, ist Folgendes: Versuche mit eingeschleusten Scheinpatienten haben schon öfter nachgewiesen, daß, wenn jemand mit einer "Diagnose" behaftet ist (z.B. Schizophrenie), alles was er sagt und tut in Zusammenhang mit seiner Erkrankung gebracht wird. (Protestiert er also z.B. gegen schlechte Zustände in der Klinik, wird ihm, obwohl die Kritik völlig normal und berechtigt ist, zunehmende Aggressivität aufgrund seiner Erkrankung unterstellt und die Tablettendosis erhöht - die Entlassung schwindet in weite Ferne.)

Genauso im Fall Schumann: Man "weiß" (???!!?), daß er "verrückt" war, also findet man auf einmal lauter "verrückte" Sachen in seinen Stücken.

Genau die gleiche Voreingenommenheit also wie bei den Psychiatern in der Klinik.

Hätte man nicht dieses "Wissen", sondern würde man Schumann für "normal" halten, würde man bestimmte Spätwerke Schumanns als "modernistisch", "visionär" etc. feiern, weil er so unheimlich toll gegen Konventionen verstößt.

LG,
Hasenbein


Du kennst doch sicher den wunderbaren Film "Einer flog über das Kuckucksnest" mit Jack Nicholson. ......................... - deine Rede.

Liebe Grüße

chiarina
 
Mal zurück zur Annahme, dass sich, sagen wir mal, Charaktereigenschaften in der Musik niederschlagen.
So kann man es formulieren, ohne dass es hier einen Sturm im Wasserglas gibt, oder?

Ich finde zum Beispiel Beethovens Musik oft ungestüm, polterig. Nicht, dass hier Missverständnisse aufkommen, ich bin ganz vernarrt in Beethovens Musik.
Man könnte annehmen, dass er etwas cholerisch gewesen ist.

Gefährlich finde ich Einschätzungen, die auf verminderte Zurechunngsfähigkeit oder Verwirrtheit abzielen.
Man muss auch bedenken: nicht alles, was ich nicht verstehe, ist irre.

LG
violapiano
 
Bei den ganzen (berechtigten) Vorbehalten bzgl. des Wortes "Wahnsinn": Schumann klagt doch selbst (ab 1853?) zunehmend über (Bild- und Klang-) Halluzinationen. Hatten die einen Einfluss auf seine Komposition? Ich glaube schon, aber in (finde ich) überraschender Weise, nämlich dem der Schlichtheit oder Beruhigung. Ist ein Frühwerk wie die Kreisleriana nicht viel nervöser, "verrückter", radikaler als z.B. die Gesänge der Frühe oder die Geistervariationen?
 
Nein, Rolf, das ist keinesfalls Unsinn.

Erinnere Dich bitte, daß im 3. Reich bestimmte Kunstwerke als "krank" bezeichnet wurden bzw. weil ein Kunstwerk den Machthabern nicht gefiel (oder sie es nicht verstanden), deren Schöpfer als krank bzw. minderwertig bezeichnet wurde.

(...)

Genauso im Fall Schumann: Man "weiß" (???!!?), daß er "verrückt" war, also findet man auf einmal lauter "verrückte" Sachen in seinen Stücken.

Genau die gleiche Voreingenommenheit also wie bei den Psychiatern in der Klinik.

Hätte man nicht dieses "Wissen", sondern würde man Schumann für "normal" halten, würde man bestimmte Spätwerke Schumanns als "modernistisch", "visionär" etc. feiern, weil er so unheimlich toll gegen Konventionen verstößt.

Hasenbein,

eine Vorlesung über "entartete Kunst" und nazionalsozialistische Kulturpolitik - ein elend blödes Kapitel des scheußlichsten Abschnitts deutscher Geschichte - brauchen wir hier nicht.

Und das schon gar nicht, wenn Du anzudeuten scheinst, dass hier Teilnehmer in Denkmuster des dritten Reichs verfallen könnten ------ überleg Dir mal, wie das auf Stilblüte wirken muss...

"verrückt" und "Wahnsinn" sind Wörter, die man schon vor 1933 benutzte - es ist Unsinn, beide nur im Kontext von 33-45 lesen oder verwenden zu wollen!!

Was Schumanns späte Kompositionen betrifft: manche sind enorm gelungen, manche weniger - das unterscheidet den Komponisten Schumann eigentlich nicht von anderen, denen es ganz ähnlich ging mit der Qualität ihrer Werke.
 

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